I RH'FRANCE I O S DIE GESETZE DER WELT # i WlyÄ STUTTGART-HEILBRONN VsSSk WALTER SEIFERT VERLA« leS^a^^^Sa^^a^^ Patiii (Earoitna ßinit ^gb6JTg^tr»tl|mann anb ^.01. 'Slrtantapli^llou gnthxicii anb ^ferbinanbirw ^xrBcI|mann NORTH CAROLINA STATE UNIVERSITY LIBRARIES S00975536 Z THIS BOOK IS DUE ON THE DATE INDIC ATED BELOW AND IS SUB- JECT TO AN OVERDUE FINE AS POSTED AT THE CIRCULATION DESK. EXCEPTION: earlierifthisit? Data due will be rnisRECÄLLED 150M/01 -92— 920179 BIOS DIE GESETZE DER WELT RAOUL H. FRANCE BIOS DIE GESETZE DER WELT ZWEITER BAND MIT 139 ABBILDUNGEN UND TAFELN ZWEITE AUFLAGE 1*9*23 WALTER SEIFERT VERLAG, STUTTGART-HEILBRONN Nachdruck verboten, / Alle Rechte vorbehalten. / Copyright 1923 by Walter Seifert Verlag, Stuttgart und Heilbronn a. N. Druck- und Bindearbeit von Otto Weber, Heilbronn a. N. INHALTSVERZEICHNIS ZU BAND II IV. Das Funktionsgesetz S. 1 Das Erleben als Weltenschöpfer — Definition der Funktionen — Das Gesetz von der Erhaltung der Energie — Die Hauptsätze der Wärmelehre — Der Entropiesatz — Besonderheiten des Erlebens — Die Funktionsformen — Funk- tionelle Anpassung als Welterscheinung — Die Trägheitsfunktion — Die Ora- vitationsgesetze — Die Basis der Newton'schen Mechanik — Die Kugel als op- timale Massenform — Bewegung als Funktion — Morphologie der Funktionen — Die periodischen Funktionen — Die Sinusfunktion als häufigstes Erlebnis — Das Wellenphänomen als Universalphänomen — Die Wellengesetze — Die Meeieswellen — Der Golfstrom — Die Transgressionen — Die Brandung — Die Wellen der Luft — Die Gesetze des Klimas — Winde und Depressionen — Meteorologie als Mechanik der Luft — Die Gesetze der Paläoklimatologie — Die Klimamigration — Die Erscheinungen der Winderosion — Die Gesetze des Schalles — Das menschliche Gehörorgan — Musik als Mechanik der Seelen- fähigkeiten — Musikalische Harmonie als Verwirklichung des Weltgesetzes — Kompositionen als höchste Form von Philosophie — Die Lichtwellen — Licht als elektromagnetischer Vorgang — Die Maxwell'sche Wellentheorie — Licht- äther oder Lichtquanten — Die Schwingungen der Elektronen — Das elek- trische Grundgesetz der Welt — Elektrostatik — Allgemeingültigkeit der Wel- lenlehre — Magnetismus als Eigenschaft aller Körper — Der Erdmagnetismus — Die Röntgenstrahlen — Die radioaktiven Strahlen und die Atomzersprengung — Die Wärmestrahlen und ihre Gesetze — Das Integrationsgesetz in der Wellenlehre — Periodizität als Weltphänomen in Natur und Geistesleben — Die Katalysatoren — Der chemische Prozeß als Variation atomarer Rhythmen — Chemische Qualitäten als Funktionen — Die Variation der Funktionen als Reg- ler des Weltbildes — Die Erscheinungen als Funktionsformen — Funktions- formen als technische Formen — Die technischen Formen des Bios — Das Ge- setz der funktionellen Anpassung — Die mechanische Teleologie — Das See- lische als Funktion — Begründung der Biotechnik — Denken als Gehirnfunk- tion — Zivilisation als Funktion des Menschen — Technik als Funktion — Die Organe der Zelle als biotechnische Werkzeuge — Die biotechnischen Formen des Protoplasmas — Metabolischer Bau des Plasmas — Funktionsformen der Zellen — Die Gesetze der organischen Formbildung — Die physiologi- schen Gesetze als biotechnische Gesetze — Die Gesetze des Stoffwech- sels — Die Verdauungsorgane — Technische Formen der Organe — Die Selbstregulation der biotechnischen Vorbilder — Die Photosynthese der Pflanze als biotechnische Leistung — Die Gesetze der menschlichen Erfindungen — Die Erfindung als Anwendung des Funktionsgesetzes — Biotechnik der Atmung und Fortpflanzung — Lamarekismus als Funktionslehre — Das Verständnis der organischen Funktionsformen — Erklärung der Mimikry — Konvergenz aller technischen Leistungen — Die Kultur- und Kunstgeschichte der Tier- und Pflanzenwelt — Biotechnik des Anorganischen — Die biotechnischen Lösungen sind optimale Lösungen — Die Sinnesfunktionen des Menschen als Einrichtun- gen zur Weltselektion — Die seelischen Leistungen als Biotechnik der Orien- tierung — Mechanische Unerklärbarkeit des Lebens — Die Ursache der Welt- teleologie bleibt unklar — Die psychischen Gesetze des Ichs zwingen zur Bio- logisierung der Welt — Prinzipielle Möglichkeit einer objektiven Metaphysik — Der Zweck der Denkfunktion ist richtige Einstellung in der Zoesis — Daher relativistischer Charakter des Erkennens — Denken schafft nur „Mechanismen" mit biologischen Gesetzen — Daher Ablehnung des absoluten Mechanismus (Materialismus) — Objektive Philosophie als Weltanschauung des geistigen Gesetzes, das sich im Leben kundgibt — Der Sinn des Funktionsgesetzes ist funktionsgesetzmäßige Gestaltung unseres Handelns zur reibungslosen Ein- gliederung in den Bios — Anmerkungen und Zusätze. V. Das Gesetz des Optimums S. 131 Definition der Mechanik — Die Gesetze der Mechanik — Das Trägheitsprinzip — Das Kräfteparallelogramm — Die Theorie der komplexen Systeme — Be- deutung der Mechanik — Feststellung der optimalen Seinsarten — Geologie als Mechanik der Gesteine — Strategie als Mechanik von Menschenmassen — Volkswirtschaft als Mechanik des Waren- und Geldverkehrs — Mechanik ak Regellehre aller Systembeziehungen (Panmechanik) — Darstellung des Opti- mumgesetzes mit seinen Konsequenzen der Selektion und des kleinsten Kraft- maßes — Definition und Geschichte des Optimumgesetzes — Alle Prozesse des Organismus verlaufen optimoklin — Die Tropismen und Reflexe als optimo- kline Reaktionen — Intellekt und Gehirn als Mittel zur Erreichung des Opti- mums — Denken als biologische Funktion — Das neue Weltverständnis der ob- jektiven Philosophie — Optimoklines Geschehen im Anorganischen — Optimo- kline Bewegung — Das Optimumgesetz in der Talentwicklung, im freien Fall, in der Erosion — Das Optimum im Lachambre'schen Reflexionsversuch — Die Transmutation als Mittel des optimoklinen Geschehens — Der Kosmos kennt nur Kreislaufprozesse — Kritik des Begriffes der schöpferischen Entwicklung — Fehlen der schöpferischen Entwicklung in der Klimatologie, in der Geolo- gie, in der Geogenesis — Die populären Ansichten vom Stammbaum des Lebens — Die populäre Entwicklungslehre — Kritik dieser Lehren — Die Kräfte der Erdumgestaltung sind konstant — Abbrechende Entwicklungen in der Vul- kanbildung und Verlandung der Seen — Der Begriff der Kumulation an Stelle der Entwicklung — Kritik der biologischen Entwicklung — Die ontogenetische Entwicklung als Entfaltun^sprozeß — Entfaltung des Menscheneies — Der Wechsel der Generationen m der Ontogenie — Generationswechsel bei Pflan- zen — Erklärung der Zellteilung als Knospung — Zurechtbestehen der Ab- stammungslehre — Entstehen und Kritik der Mutationen — Bedeutung der Vererbung — Das Mendelgesetz als Regler der Vererbung — Die Vererbung erworbener Eigenschaften als Tatsache — Die Beweise der Abstammungslehre — Der genetische Zusammenhang des Menschen mit den Tieren — Definition und Ursachen der Menschwerdung — Die biologische Funktion des Menschen- geistes ist die Schaffung einer Zivilisation — Übereinstimmung mit H, Vaihin- ger — Die objektive Philosophie als Mittel zum Optimum der Menschwerdung — Die Kultur als übergeordnete Stufe der Zivilisation — Die Welt als kon- stantes System von Transmutation — Konkordanz der Ontogenie, Phylogenie und Regeneration — Die Gesetze der Regenerationen — Umkehrung der Ent- wicklung — Entwicklung als Ausgleichsvorgang — Die Fortpflanzung als op- timokline Geschehensart — Die Gesetze der vegetativen und sexuellen Fort- pflanzung — Die neue Auffassung der Fortpflanzung — Erklärung der Parthe- nogenesis — Die Sexualität als optimokliner Faktor — Lob der Geschlechts- liebe als Mittel, um zum Optimum zu kommen — Ursache des Aussterbens der Arten — Kritik der Anpassungs- und Organisationsmerkmale — Zusammenfas- sung der Entwicklungserscheinungen als Äußerungen des Optimumgesetzes — Kritik der H. Sppncer'schen Entwicklungsphilosophie — Die Baer'sche Formel als Ausdruck optimoklinen Geschehens — Auch Spencer faßt Entwicklung nur als optimokline Entfaltung des Weltsystems auf — Anmerkungen und Zusätze. VI. Das Selektionsgesetz S. 196 Die Ausgleichsprozesse der Welt — Klärung der Begriffe Optimum und Har- monie — Nur optimales Sein gelangt zur Harmonie — Auch die Optima be- dürfen eines wechselseitigen Ausgleichs — Die Unterschiede in der Dauer — Die Umwelt begrenzt die Dauer — Das Fundament einer objektiven Ethik — Möglichkeit einer Weltselektion — Die Gesetze der Wcltselektion — Der Qe- setzbegriff bereits selektiv — Singula bereits ein Selektionsergebnis — Selek- tive Prozesse in der Physik — Selektive Absorption — Semipermeable Mem- branen — Selektive Katalyse — Der selektive Bau der Kristalle — Erosion als selektives Geschehen — Die Auslese der Wolkenformen — Der Selektionsge- danke bei Malthus und Darwin — Die Gewebe- und Panselektion — Die ge- genseitige Hilfe als antiselektives Mittel — Die Hilfsmittel der Organismen zur Sabotage der Selektion — Die Migrationen der Organismen — Die Schreck- und Warnfarben — Ausmerzende Wirkung der Selektion — Der Wille als Se- lektor — Selektion als Vorfrage des Erkennens — Die Selektion im praktischen Leben und m der Kunst — Selektive Nahrungswahl — Die Bewegungswahl der Pflanzen — Die geschlechtliche Zuchtwahl und ihre Grenzen — Kritik der Darwm'schen Selektionslehre — Die Selektion ist nicht schöpferisch — Die Fluktuationen sind nicht artbildend — Das Quetelet'sche Gesetz — Das Gal- ton'sche Rückschlaggesetz — Nachweis der Unrichtigkeit der Darwin'schen Selektionsannahme — Das wahre Selektionsgesetz — Anmerkungen und Zusätze. VII. Das Gesetz des kleinsten Kraftmaßes S. 231 Ableitung des Gesetzes aus der Analyse des Seins — Frühere Formulierungen des Gesetzes. Lex parsimoniae in der alten Teleologie — Das Hamilton'scht Prinzip — Das Gauss'schc Prinzip des kleinsten Zwanges — Das Ökonomie- prinzip von Mach — Das kleinste Kraftmaß ist nur im optimalen Fall reali- siert, daher bedingt die Optimoklise der Welt eine Parsimoklise — Das Träg- heitsgesetz eine Anwendung des Gesetzes vom kleinsten Kraftmaß — Die Gra- vitation eine Umschreibung des gleichen Gesetzes — Viele Gesetze sind nur Umschreibungen der Parsimoklise — Alle Funktionen verlaufen parsimoklin — Alle Naturformen sind Formen des geringsten Widerstandes — Sonderanwen- dungen des Gesetzes — Das Kräfteparallelogramm — Das Fermat'sche Prinzip der schnellsten Auskunft — Der Weg der Strahlen ist stets der kürzeste Weg — Die Parsimoklise im Kristallbau — Der kleinste Widerstand modelliert die Erosions-, Abrasions- und Küstenformen — Das kleinste Kraftmaß in der Vul- kantätigkeit — Das Ökonomieprinzip im Organischen — Der Bau der Zellen — Das Prinzip des inneren Baues der Pflanzen — Die I-Träger und Trajektorien im Organismus — Der Bau der Insekten als Beispiel des Ökonomieprinzipes — Die Parsimoklise in der Technik — Der Begriff der Werkkunst — Die Ökono- mie der Verkehrslinien des Städtebaues — Das kleinste Kraftmaß als Bedin- gung des Kunstwerkes — Die dramatische Form als ein Fall von Parsimoklise — Der kürzeste Weg im Denken — Teleologie als die Verwirklichung des kür- zesten Weges — Logik als die Linie des kleinsten Widerstandes im Denken — Recht und Ehrlichkeit als Spezialfälle der Parsimoklise — Die Ethik als ihre Verwirklichung — Die Sparsamkeit und ihre Gesetze im täglichen Leben — Das kaufmännische Denken eine Anwendung des Gesetzes vom kleinsten Kraft- rnaß — Gemeingültigkeit des Gesetzes — Historische Anwendungen als gött- liche Gesetze und kategorische Imperative — Praktische Anwendungen in der Neuzeit als Taylorsystem — Das Taylorsystem des Organismus — Die Not- wendigkeit eines kulturellen Taylorismus — Seine Durchführung der größte „praktische" Nutzen der objektiven Philosophie — Die Überwindung des Ma- terialismus durch den Idealismus des Gesetzes und der Aufbau einer vollende- ten Zivilisation als Plattform einer Kultur — Anmerkungen und Zusätze. VIII. Das Harmoniegesetz S. 255 Definition des Harmoniegesetzes — Unterschied von optimal und harmonisch — Das Kennzeichen der Harmonie ist unbegrenzte Dauer — Analyse des Har- moniebegriffes — Geschichtlicher Abriß seiner Erkenntnis — Pythagoras und Leonardo da Vinci — Der goldene Schnitt und der Kanon des Polyklet — Der Sinn des Harmoniegesetzes — Das Harmoniegesetz im physikalisch-chemischen Geschehen — Die harmonische Schwingung — Harmonie der Töne — Moleku- lare Harmonie — Chemische Harmonie — Die Disharmonie der Materie zeigt sich als chemische Änderung (Disharmonie der Atome) und Kraftwirkung (Dis- harmonie der Moleküle) — Die Harmonie im Kristallbau und in der Geometrie — Die Harmonie (Gleichgewicht) der Wärme — Harmonie als Ausgleich — Ihr Mittel: der Kreislauf — Kosmischer Kreislauf — Die Harmonie des Him- mels — Das Gleichgewicht der Erdschollen — Der Planetenkreislauf — Kritik der Entropie — Der Kreislauf der Luft, des Wassers — Sein ist stets ein Kreislauf — Beispiele — Der Kreislauf des Stickstoffes, des Eisens, des Kal- kes, der Kohlensäure, der Kieselsäure, des Sauerstoffes — Kreislauf der Ener- gie — Alle Beziehungen müssen wiederkehren, sonst wären Gesetze nicht mög- lich — Die Harmonie im Organismus — Dreifache Harmonie im Organischen — Das organische Schönheitsideal — Intrazellulare Harmonie — Die Kern- relation — Die Regulationen als harmonokline Funktionen — Regeneration als Wiederherstellung der Harmonie — Anpassung als Harmonoklise — Hormone als Mittel der Harmonoklise — Hungerformen und Altersformen — Das Kor- relationsphänomen — Die Erscheinungen der Morpholaxis — Die Artenzahl der Organismen als harmonoklines Phänomen — Der Kreislauf des Lebens — Biocoenosen — Der Ausgleich der Faunen und Floren durch Wanderung — Die Tier- und Pflanzenvereine — Harmonische Vereine — Der Wald als har- monokliner Verein — Die Harmonie als biologisches Endstreben — Das Har- moniegesetz des Organismus als Ursache der harmonoklinen Selektion in der Erkenntnis — Herstellung der Harmonie als Weltprozeß — Die Harmonie im praktischen Leben — Erleben als Ausgleichserscheinung — Unser Streben nach dauernder Eingliederung der Einzelerlebnisse in den Bios zwingt zur Harmoni- sierung dieser Erlebnisse — Daher Harmonie das oberste und Endgesetz aller Erkenntnis — Anmerkungen und Zusätze. IX. Die Welt als Bios S. 281 Die Formel des Werkes — Die Weltformel der Physik — Ihre „Prinzipe" stammen von einem übernatürlichen Standpunkt — Definition des Massenprin- zipes — Das Trägheitsprinzip — Das Kraftprinzip — Das Prinzip der Wechsel- wirkung — Das Schwerpunktsprinzip — Das Flächenprinzip — Das Entropie- prinzip — Das Relativitätsprinzip — Diese Prinzipe sind Erlebnisordnungen — Der Rationalismus stellte ihnen eine Metaphysik als die wahre Ausdeutung des Seins gegenüber — Führt dadurch übernatürliche Faktoren in das Denken ein — Kant als Schöpfer des heutigen naturwissenschaftlichen Denkens — Ge- gensatz zum objektiven Denken — Bios wird geordnet durch die sieben Ge- setze der Welt — Die Biozentrik eint Denken und Leben — Relativität des Er- kennens, absolute Befähigung zum richtigen Leben — Hunte, Mill und Vaihin- ger als die Pioniere der objektiven Philosophie — Der Wert der Intuition — Intuition spiegelt nur die Weltgesetze — Der Wert der Religion als Unterwer- fung unter das Weltgesetz — Die Formel der objektiven Philosophie: Sie schafft Ordnung im Erleben und hilft dadurch besser leben — Der Ursprung des Leides ist unrichtiges Leben — Das Weltensein als Weltgericht — Das gleiche Gesetz über Allem — Umwelt und Vererbung als Vollstrecker des Lei- dens — Das Weltbild ist nur ein Spiegel unseres Lebens — Der Bios ist Selbst- erkenntnis — Anmerkungen und Zusätze. Register S. 289 Das Funktionsgesetz Das Erleben als Weltenschöpfer — Definition der Funktionen — Das Gesetz von der Erhaltung der Energie — Die Hauptsätze der Wärmelehre — Der Entropiesatz — Besonderheiten des Erlebens — Die Funktionsformen — Funktionelle Anpassung als Welterscheinung — Die Trägheitsfunktion — Die Oravitationsgesetze — Die Basis der Newton'schen Mechanik — Die Kugel als optimale Massenform — Bewegung als Funktion — Morphologie der Funktionen — Die periodischen Funktionen — Die Sinusfunktion als häufigstes Erlebnis — Das Wellenphänomen als Universalphä- nomen — Die Wellengesetze — Die Meereswellen — Der Golfstrom — Die Trans- gressionen — Die Brandung — Die Wellen der Luft — Die Gesetze des Klimas — Winde und Depressionen — Meteorologie als Mechanik der Luft — Die Gesetze der Paläoklimatologie — Die Klimamigration — Die Erscheinungen der Winderosion — Die Gesetze des Schalles — Das menschliche Gehörorgan — Musik als Mechanik der Seelenfähigkeiten — Musikalische Harmonie als Verwirklichung des Weltgesetzes — Kompositionen als höchste Form von Philosophie — Die Lichtwellen — Licht als elektromagnetischer Vorgang — Die Maxwell'sche Wellentheorfe — Lichtäther oder Lichtquanten — Die Schwingungen der Elektronen — Das elektrische Grundgesetz der Welt — Elektrostatik — Allgemeingültigkeit der Wellenlehre — Magnetismus als Eigenschaft aller Körper — Der Erdmagnetismus — Die Röntgenstrahlen — Die radioaktiven Strahlen und die Atomzersprengung — Die Wärmestrahlen und ihre Gesetze — Das Integrationsgesetz in der Wellenlehre — Periodizität als Weltphäno- men in Natur und Geistesleben — Die Katalysatoren — Der chemische Prozeß als Variation atomarer Rhythmen — Chemische Qualitäten als Funktionen — Die Varia- tion der Funktionen als Regler des Weltbildes — Die Erscheinungen als Funk- tionsformen — Funktionsformen als technische Formen — Die technischen Formen des Bios — Das Gesetz der funktionellen Anpassung — Die mechanische Teleologie — Das Seelische als Funktion — Begründung der Biotechnik — Denken als Gehirn- funktion — Zivilisation als Funktion des Menschen — Technik als Funktion — Die Organe der Zelle als biotechnische Werkzeuge — Die biotechnischen Formen des Protoplasmas — Metabolischer Bau des Plasmas — Funktionsformen der Zellen — Die Gesetze der organischen Formbildung — Die physiologischen Gesetze als bio- technische Gesetze — Die Gesetze des Stoffwechsels — Die Verdauungsorgane — Technische Formen der Organe — Die Selbstregulation der biotechnischen Vorbilder — Die Photosynthese der Pflanze als biotechnische Leistung — Die Gesetze der menschlichen Erfindungen — Die Erfindung als Anwendung des Funktionsgesetzes — Biotechnik der Atmung und Fortpflanzung — Lamarekismus als Funktionslehre — Das Verständnis der organischen Funktionsformen — Erklärung der Mimikry — Kon- vergenz aller technischen Leistungen — Die Kultur- und Kunstgeschichte der Tier- und Pflanzenwelt — Biotechnik des Anorganischen — Die biotechnischen Lösungen sind optimale Lösungen — Die Sinnesfunktionen des Menschen als Einrichtungen zur Weltselektion — Die seelischen Leistungen als Biotechnik der Orientierung — Mechanische Unerklärbarkeit des Lebens — Die Ursache der Weltteleologie bleibt unklar — Die psychischen Gesetze des Ichs zwingen zur Biologisierung der Welt — Francs. Bios II 1 1 Prinzipielle Möglichkeit einer objektiven Metaphysik — Der Zweck der Denkfunk- tion ist richtige Einstellung in der Zoesis — Daher relativistischer Charakter alles Er- kennens — Denken schafft nur „Mechanismen" mit biologischen Gesetzen — Daher Ablehnung des absoluten Mechanismus (Materialismus) — Objektive Philosophie als Weltanschauung des geistigen Gesetzes, das sich im Leben kundgibt — Der Sinn des Funktionsgesetzes ist funktionsgesetzmäßige Gestaltung unseres Handelns zur reibungslosen Eingliederung in den Bios — Anmerkungen und Zusätze. Das Erleben spiegelt sich in unserem Bewußtsein, als ob uns eine Welt umgäbe, die als ein ungeheuerlicher und verwickelter Stufenbau von sehr verschiedenen Singulationen erscheint. Das ist das Ergebnis der Unter- suchungen, die an Hand der gegenwärtigen Naturerkenntnis, geleitet von einer biozentrischen Erkenntnismethode, im ersten Band dieses Werkes dar- gestellt wurden. Es gibt nicht viele Kategorien dieser Seinsstufen, wenn man nur die wesentlichen unter ihnen betrachtet. Etwa sechzehn davon haben wir unter- schieden. Diese waren: das Quantum, das Elektron, Atom und Molekül, die geformte Materie in ihren Ausprägungen als Kristall, Zelle und Zellen- gemeinschaft verschiedenster Art und als Organismenstaat. Dann die Welt- körper, Sonnensysteme, die Fixsternsysteme, der Kosmos, die Vorstellungen, Ideen, Werke und der Bios als das Gesamtsystem der Erlebnisse. Umso größer war die Mannigfaltigkeit, in der das Sein auf jeder dieser Stufen aufblüht. Aber ließ man sich nicht von ihr verwirren, so erhielt man jede wünschenswerte Sicherheit darüber, daß zwischen diesen Seinsformen stets wiederkehrende, ganz bestimmte Beziehungen herrschen. Die eine dieser Beziehungen war, daß sich eine Zuordnung aufstellen läßt, in der sich die Stufen in solcher Reihenfolge anordnen, daß jede von ihnen die gesamten vor ihr genannten in einer Vielheit in sich schließt, ihnen also übergeordnet ist. Die zweite war, daß jede Stufe durch besondere, nur ihr zukommende Eigenschaften ausgezeichnet ist, die den untergeordneten Stufen nicht zu- kommen. Wir drückten das so aus, daß den Integrationsstufen auch spezi- fische Eigenschaften zukommen. Und ein Vergleich dieser Eigenschaften zeigte, daß auch sie eine Stufenfolge ergeben, die allerdings nicht so lücken- los zu verfolgen ist wie die der Singulationen, die aber schon in der Teil- reihe: Gestalt, Personalität, Leben, Bewußtsein, Dauer (Harmonie) die Vermutung wecken, daß auch sie zwar nicht den Stufen unter ihnen eignen, dagegen insgesamt denen über ihnen, daß also die oben gefundene Überord- nung auch in den Integrationseigenschaften besteht. Das war der wesent- liche Inhalt des Integrationsgesetzes. Damit war zugleich festgestellt, daß in unserem Erleben kein Sein ohne Eigenschaften sei, oder noch allgemeiner ausgedrückt, daß allem Seienden gesetzmäßig Zuordnungen eignen. Diesen sehr farblosen Satz kennt die Analysis schon seit sehr langem und hat ihn in der Funktionenlehre auf die Form gebracht, wonach sie, wenn man im Zahlenkontinuum einer Zahl x eine zweite Zahl y nach irgendeinem beliebigen Gesetz zuordnet, dieses y als eine Funktion von x bezeichnet wird [y = f(x)]. Mit anderen Worten: Alles, was in unserem Erleben ein Sein besitzt, be- sitzt es nur durch seine Funktionen. Unter Funktionen versteht man hiebei die gesetzmäßige Beziehung zwischen Größen, Gebilden oder Vorgängen. Noch einfacher ausgedrückt: Zwischen den Singula bestehen stets wieder- kehrende Verbindungen oder Gesetze. Das Sein ist Gesetzen unterworfen. Diese Formulierung hat den Vorteil, daß sie es auffällig sichtbar macht, wie diese Verbindungen nur zweierlei sein können. Entweder sie ändern den Charakter der ruhenden Singulation in der Richtung auf „Anderswerden", oder sie führen „andersgewordene" Singulationen wieder zu ihrem Ruhe- stand zurück. Beide Änderungen zusammen beschreiben eine aneinander knüpfende und ineinander greifende Bewegung, die zum ruhenden Sein zu- rückleitet. Funktion bedeutet demnach eine Störung des Seins oder deren Wiederbehebung durch einen Ausgleichsvorgang. Und so entsteht aus der „Welt" der „Weltprozeß", der erhalten wird durch Ausgleichsvorgänge, die hiemit als das wahre Wesen aller Funktionen erkannt werden. Der Weltprozeß scheint demnach das Mittel zu sein, durch das die Welt auf allen ihren Integrationsstufen im Sein beharren kann. Durch ihn über- windet sie die Störungen und erreicht wieder den Dauerzustand. Die Funktionen werden stets zu Bewegungen führen, wenn eine Bedin- gung des ruhenden Seins nicht erfüllt ist. Und das ist die Harmonie der wechselseitigen Funktionen. Wie das vorzustellen sei, mag durch ein Bei- spiel besser erläutert werden, als durch abstrakte Sätze. Nach dem uns be- reits bekannten Gesetz von Gay-Lussac ist das Volumen der Gase eine Funktion ihrer Temperatur. Das heißt, der gesetzmäßige Zusammenhang ist so eingerichtet, daß im Gas sofort Bewegungen, ein Auseinanderstieben der Moleküle erfolgen muß, wenn die Temperatur steigt. An sich ist der Satz ja eine ziemlich überflüssige Feststellung, da Wärme (Temperatur = ein Wärmegrad) nur ein Sammelwort für einen Bewegungsgrad der Moleküle ist, der Satz demnach eigentlich lautet, das Auseinanderfliegen der Gas- moleküle hängt vom Auseinanderfliegen der Moleküle an sich ab. Aber in dem geringen Inhalt, der übrig bleibt, ist immerhin ausgedrückt, daß in diesem Fall die Funktion keine Bewegung auslöst, wenn eine andere Ursache, z. B. ein entsprechender Druck die Ausdehnung des Gases hindert. Dieser Druck muß sich mit der Temperatur ausgleichen; diese beiden müs- sen zueinander in einem harmonischen Verhältnis stehen, dann bleibt zwar die Funktionsbeziehung zwischen Gas und Temperatur erhalten, doch es er- folgt keine Änderung. Funktionen, die einander widerstreben, sich aber im Gleichgewicht erhalten, sind auf diese Weise mit einem dauernden Zustand vereinbar. In einem derartig konstruierten Dauerzustand befindet sich nun die Welt. Ihre Dauer beruht nicht auf absoluter Funktionslosigkeit, sondern auf der Harmonie. Ihr „Sein" ist schon durch seine Mannigfaltigkeit stän- 1* 3 dig zahllosen Störungen ausgesetzt; darum besteht es in zahllosen durch und gegen einander wirkenden Funktionen und Bewegungen, die ununter- brochen einreißen und wieder aufbauen, Entwicklung um Entwicklung auf jeder der Integrationsstufen auslösen und nur dort in das starre System ruhender Funktionen übergehen, wo sie sich im Gleichgewicht halten, das heißt, zu einer Harmonie gelangt sind. Würde die Welt auf allen ihren Stufen zur Harmonie gelangen, dann wäre der Weltprozeß nus. Das sind Sätze von einer fundamentalen, alles erschütternden, in unser tiefstes Sein, Verstehen und Verhalten hineingreifenden Bedeutung. Gelänge es, sie zu erweisen, so wäre damit einer der brennenden Wünsche alles Denkens erfüllt: ein einheitliches Verstehen des Weltprozesses wäre er- reicht. Wer würde sich da nicht gerne der Arbeit unterziehen, diesen Be- weis wenigstens zu versuchen? An diese Arbeit soll hier nun, durch eine Untersuchung der Funktionen auf den verschiedenen Daseinsstufen gegangen werden, um so vor allem die Gesetze des Funktionierens zu ergründen. Von der höchsten Daseinsstufe, nämlich dem Kosmos, gibt es nun in der Naturlehre eine allgemein anerkannte und in ihren Folgen unschätzbare Anschauung, die besagt: der Kosmos befindet sich tatsächlich in jenem har- monischen Gleichgewicht der Funktionen, die seine Unvergänglichkeit garan- tiert, worauf wir schon bei der Untersuchung der Integrationserscheinungen gestoßen sind (vgl. Bd. I S. 81). Diese Ansicht kursiert allgemein unter der Bezeichnung: das Gesetz von der Erhaltung der Energie. Es will eigent- lich besagen, daß eine Bewegungsfunktion die andere bedingt, jede in die andere übergehen kann, so daß alle zusammen einen Kreislauf ohne Ende darstellen. Dieses Gesetz knüpft sich bekanntlich an den Namen des Heil- bronner Arztes Robert Mayer, von dessen Auftreten her tatsächlich die ge- samte moderne Physik datiert. Es ist sehr merkwürdig, daß die Mensch- heit darauf bis zum Jahre 1842 gewartet hat, in dem Mayers erste Schrift erschien, da doch schon jeder bei der Arbeit heiß gewordene Bohrer oder Hobel, ja das urprimitive Feuermachen durch Reiben von Hölzern ihr die Grundtatsache des Gesetzes vor Augen geführt hat. Diese Grundtatsache ist, daß durch Arbeit*) Wärmemengen entstehen. Da nun alles, was aus Arbeit entsteht, Energie genannt wird, ist auch die Wärme als eine Energie durch diese Terminologie miterfaßt. Und das *) Der Begriff der Arbeit geht auf den der lebendigen Kraft zurück. Lebendige Kraft eines bewegten Körpers (ohne Bewegung keine Arbeit) heißt die halbe Masse des Körpers multipliziert mit dem Quadrat seiner Geschwindigkeit. Diese lebendige Kraft ist gleich der Arbeit der Kraft. hat Mayer erkannt, dessen Satz lautete: Mechanische Arbeit, kinetische (= Bewegungs-JEnergie, potentielle Energie und Wärmemengen sind nur Energieformen und können ineinander verwandelt werden. Von da aus wurde rasch weiter gebaut. Das mechanische Wärmeäqui- valent, eine der großen Konstanten der Natur, steht, wenn auch unsichtbar, über den Türen aller Ingenieurbureaus aufgeschrieben, denn von ihm gehen alle Rechnungen der modernen Industrie aus. Diese Formel lautet: J = 4,1861. 10^ -^fj^^ Sie ist in ihrer Hieroglyphik der Schlüssel zu der gesamten Energiewirt- schaft der Völker von heute, von der allerdings der weit über Völkern und Zivilisationen stehende Denker kalt und unbeirrbar im Angesicht des Weltengeistes sagen muß, sie sei derzeit das größte Hindernis, um die Menschheit auf den Weg zur Harmonie zu führen. Der wahre Sinn dieser Formel ist, daß das mechanische Wärmeäquivalent beliebig in Licht, Elektrizität, mechanische Wirkungen, magnetische Erscheinungen verwan- delt und aus ihnen auch zurückgewonnen werden kann. Seit dieser For- mel, die sich in der Elektrotechnik, bei der Schaffung aller Wärmekraft- maschinen, bei der Ausnutzung der Wasserkräfte, kurz im gesamten indu- striellen Leben bewährt hat, hat sich die Überzeugung festgesetzt, daß es Lichtenergie, elektrische Energie, mechanische Energie usw. gibt, kurz, daß das Treibende bei allen Vorgängen in der Welt die Energie sei, die in einem unbeschreiblich vielfältigen Kreislauf durch die ganze Welt proteus- gleich strömt, sich niemals mindern noch mehren, sondern so wie die Materie nur ihre Formen ändern kann. In dieser Fassung, als Erhaltung der Energie ist der Satz allerdings erst von Helmholtz formuliert, und daher datiert erst von ihm die allgemeine Überzeugung, daß auch das Leben sich dem allgemeinen energetischen Kreislauf, einem der großartigsten von sämtlichen in der Natur sich ab- spielenden Kreisläufen, einfügt, zum mindesten in der Form, daß die Nah- rung durch ihre chemische Energie den Körper zur Arbeit befähigt, gleich wie die in den Kohlen gespeicherte Wärme durch die Dampfmaschine in die Form mechanischer Energien verwandelt wird. Von da ab datiert aber auch der unglückliche Vergleich des Organismus mit einer Maschine, die Wiedererweckung des Lamettrie^ schtn „l'homme machine" erbärmlichen Angedenkens, der eine ganze Naturforschergeneration geradezu blind gemacht hat. Die davon Geblendeten haben immer wieder übersehen, daß es im Menschen als Integrationseigenschaft auch eine Ener- gie gibt (die seelische oder, wenn man will, die Nervenenergie), die sich dem Gesetz des energetischen Kreislaufes nicht fügt. Man kann Willen und Vorstellung nicht in Elektrizität verwandeln und Kohle nun einmal nicht in Gedanken. Wenn Ostwald in seiner Naturphilosophie meint, der Tag werde kommen, an dem sich auch die Verwandlung der Nervenenergie in die übrigen Energieformen vollziehen lassen werde, so drückt er damit nur einen frommen Wunsch aus, von dessen Verwirklichung man weit entfernt ist. Würde es gelingen, dann wäre allerdings seine Energetik gerechtfertigt, die insofern eine große Denkökonomie bedeutet, als sie an Stelle der üb- lichen drei Kategorien: Materie, Energie und Psyche nur mehr die Energie als einziges Prinzip in die Erklärungen einführen würde. Weil aber die Energetik der Vorstellungen sich nicht in die der Außen- welt überführen läßt, erschien das Welträtsel absolut unlöslich. Darum ist auch Wissenschaft in ihrem letzten und höchsten Sinn schlechterdings un- möglich und muß sich darauf beschränken, relative Wahrheiten zu finden, die nur orientierende, nicht aber absolute und erklärende Bedeutung haben 2) Deshalb kann es für einen nicht voreingenommenen Kopf nur eine objek- tive Philosophie geben, die von dem Wahn geheilt ist, „Wahrheiten" finden zu können, sich vielmehr mit allem Können und Streben darauf wirft, die Beziehungen der zwei Welten: der inneren und der äußeren Energetik, wenn man es so nennen darf, festzustellen, um das Denken und das daraus fol- gende Handeln in Einklang mit den Gesetzen der Außenwelt, der Objekten- welt zu bringeil, damit Reibung und somit Zerreibung vermieden werde. Dieses Verhalten ist ermöglicht, weil es sich herausgestellt hat, daß die Relationen der Innenwelt den gleichen Gesetzen unterworfen sind, wie die der physikalischen Energien. Die zeitgenössische Philosophie will das seit G. Th. Fechner mit dem Satze vom psychophysischen Parallelismus aus- drücken. Im Weltbilde der objektiven Philosophie ist dieser Parallelismus, richtiger gesagt: die Gemeingültigkeit der Weltgesetze für Natur und Kul- tur eine logische Notwendigkeit, die sie ebenso wie den absoluten und uni- versellen Relativismus gefordert hätte, wäre sie heute noch nicht entdeckt. Denn es ist ihr methodologische Voraussetzung, daß für den Teil die Ge- setze gelten müssen, die der ganzen Seinsstufe eignen, in die er gehört. Die Besonderheit der menschlichen „Seelenenergie" (um die Sache mit dem Ausdruck Ostwalds zu bezeichnen), liegt unter anderem eben darin, daß sie nicht unmittelbar, sondern erst durch die Vermittlung*) des teleologischen Geschehens wieder in die rein physikalischen Energien übergeht. Diese Be- sonderheit (eine zweite ist das Bewußtsein bei bestimmter Integrationsart und Höhe) ist eine Integrationseigenschaft, so wie das Leben eine solche ist, oder das Zonengesetz eine solche für die Kristalle, ohne daß deswegen die übrigen physikalischen Gesetze für die Denkenden, die Lebenden oder die Kristalle aufgehoben wären. Die gleiche Forderung nach Einheit und *) Mittelbar lassen sich ja die psychischen Energien in Licht, Wärme, Bewegung umwandeln. Jede unserer Handlungen zeigt das. Nur die Methode ist eine andere als in der Technik der Physiker. Die Umwandlung geschieht nach teleologischem Gesetz, zielstrebig (teloklin) und regulatorisch, eben als menschliche (organische) „Handlung" mit Hilfe von Werkzeugen, und darum ist der Organismus keine Maschine. Einklang der inneren und äußeren Energetik und damit die objektive Philo- sophie würde übrigens auch dann gelten, wenn die psychischen Kräfte in mechanische Leistungen übergeführt werden könnten, wie das in wachsen- dem Maße die okkultistische Forschungsrichtung behauptet. Unsere geistige Welt bleibt daher, wenn sie auch nur eine Besonderheit des Erlebens ist, den allgemeinen Weltgesetzen, damit auch den Gesetzen der Funktionen und der Weltmechanik unterworfen, denn sie ist ein Teil der Welt und ihr untergeordnet. So gilt denn logischer- und damit not- wendigerweise auch für sie der erste Hauptsatz der mechanischen Wärme- theorie (Konstanz der Energie), der da lautet, daß der ganze Betrag der Energie eines abgeschlossenen Systems trotz aller Verwandlungen derselbe bleibt. Es wird eine Aufgabe der objektiven Kulturwissenschaft sein, die Gültigkeit dieses Satzes, sowie die restlose Verwandlung der geistigen Energien ineinander zu erweisen; heute ist diese Aufgabe noch nicht ein- mal in Angriff genommen. Vollständig durchgeführt ist sie dagegen auf dem Gebiet der physikali- schen Energien, wobei es sich herausgestellt hat, daß diese Umwandlungs- prozesse nicht absolut umkehrbar (reversibel) sind. Es ist zwar praktisch möglich, durch mechanische Arbeit, z. B. also Reiben, eine bestimmte Arbeitsmenge restlos in Wärme zu verwandeln, nicht aber diese in gleichem Maße wieder mechanisch nutzbar zu machen. Mit anderen Worten, es sind nicht alle Formen von Energie gleichwertig. Ein krasses Beispiel für diesen bedauerlichen Tatbestand bieten die Dampfmaschinen, denn sie versetzen uns ja in die ungünstige Lage, aus Wärme Bewegungsenergie gewinnen zu müssen. Ihr Nutzeffekt ist stets nur von der Temperatur des Kesseldampfes und des Kondensators abhängig, wobei die Wärme des letzteren ungenutzt bleibt, ganz unabhängig davon, wie vollkommen oder unvollkommen die Konstruktion der Maschine ist. Durch keine Verbesserung daran läßt sich dieses Manko einbringen. Die unvermeidlichen Unvollkommenheiten der Maschinentechnik drücken diesen sogenannten Nutzeffekt nun noch mehr herab. Der maximale Nutzeffekt einer Dampfmaschine beträgt denn auch nur etwas über 27 Prozent, das heißt, nur ein Viertel der aufgenommenen Wärme wird wirklich in Arbeit verwandelt. Drei Viertel der aufgewandten Wärme gehen in den Kondensator über; sie können von dort aus zwar wieder nutzbar gemacht werden, aber wieder nur mit einem Verlust, so daß auch im günstigsten Fall ein Defizit bleibt. Diese ungünstige Sachlage drückt sich auch darin aus, daß wohl Wärme von selbst und allenthalben von höherer Temperatur in niedere übergeht, niemals aber umgekehrt. Es entsteht durch alle diese Prozesse eine stets wachsende Menge von gering- wertiger Energie, eine Zerstreuung, eine Größe im Naturhaushalt, die stets wächst und von der Wärmetheorie als Entropie bezeichnet wird. Der zweite Hauptsatz der Wärmelehre sagt hierüber, daß bei allen Pro- zessen die Entropie des an dem Prozeß^ beteiligten Systems wächst. Das ist der berüchtigte, von uns schon gestreifte Clausius'sche Satz vom Wärme- tod des Universums (vgl. Bd. I S. 52). In der Form, wie man sich ihn vor- stellte, bedeutet er eine einseitige Richtung des Weltprozesses, ein Streben nach einem Ende, das sich als Umwandlung der gesamten Weltenergie in einen definitiven und allgemeinen Ausgleich kundgibt, wodurch alles Ge- schehen aufhört. Man hat hieraus einen entropischen Gottesbeweis ge- macht, denn, so sagte man, ein Weltprozeß, der ein Ende haben kann, muß auch einen Anfang gehabt haben. Da aber die zur Ruhe gekommene Molekularbewegung sich nicht von selbst neuerdings bewegt, muß eine außerweltliche Ursache stets von Zeit zu Zeit den Anstoß gegeben haben. Dieser Entropiegedanke hat die ganze Generation seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts beunruhigt und die gesamte Philosophie, so weit sie die Naturerkenntnis überhaupt in den Kreis ihres Denkens zog, zu pessi- mistischen Folgerungen verleitet. Es ging daher wie ein Aufatmen durch die wissenschaftliche Welt, als der berühmte Wiener Physiker Boltzmann. seine „statistische Theorie''^ der Mechanik entwickelte und darin dem düsteren Entropiesatz auf folgende Weise die Zähne auszubrechen suchte. Nach ihm ist der zweite Satz der Thermodynamik kein Gesetz, sondern nur ein Wahrscheinlichkeitssatz. Tatsächlich wird die Entropie nach den Prin- zipien der Wahrscheinlichkeitsrechnung festgestellt, und ihr Satz lautet in strenger Formulierung eigentlich so, daß Anhaltspunkte vorhanden seien, wonach jedes System seinem wahrscheinlichsten Bestände zustrebe}) Sein berühmt gewordenes „H-Theorem" brachte den Entropiesatz wieder in Ein- klang mit der Mechanik. Es war allerdings damit der Weg beschritten^ der bei der Untersuchung der Wärmestrahlung auf absolut schwarze Kör- per auf die in Band I, S. 52 beschriebene Weise geradewegs zu den Auf- stellungen der Quantentheorie führte. Und ein Widerspruch blieb auch da- durch bestehen, daß, von den Anschauungen Poincare's ausgehend, Zer- melo zeigen konnte, daß sich in allen energetischen Vorgängen Periodizität kundgebe, mit anderem Ausdruck, daß entweder die Entropie zurecht be- steht oder alle Zustände periodisch wiederkehren. Von anderer Seite (Sv. Arrhenius) wurde die Frage allerdings anders, kühner und bestechender „erledigt". Es wurde einfach zugegeben, daß sich alle Energie ständig verschlechtere. Jawohl — so sagte man — aber nur in unserem Sonnensystem. Von der Sonne stammt alle Energie, die wir kennen (man beachte, daß die geistige inbegriffen ist). Sie, die jedem Quadratzentimeter der Erdoberfläche in der Minute drei Grammkalorien liefert, also ein Energiequantum, zu dessen Herstellung auf jedem Quadrat- meter eine Maschine von 43 Pferdekräften aufgestellt sein müßte, sie ist die Urheberin von Elektrizität, Licht, Wärme und jeder Art von Bewegung und Leben in einer wundervollen Verkettung der Prozesse, die allerdings zu einer steten Verschlechterung dieser uns geschenkten Energie führen. Diese „latent gewordene Wärme" strahlt wohl in den eisigen Weltraum hinaus, wird von seinem dunklen Abgrund verschluckt und scheint für immer verloren zu sein. Das sei aber nur trügerischer Schein; in Wirk- lichkeit wird draußen im Fixsternsystem in der Region der kalten Nebel auch die deklassierte und zerstreute Wärmeenergie aufgefangen und wieder verbessert. Denn diese dunklen Nebel beginnen nach und nach zu glühen und verwandeln sich in neue Sonnen. Man sieht sowohl dunkle, wie glühende Nebel am Himmel, und dazu sei diese die Gemüter so beunruhi- gende Wärmeausstrahlung einfach nötig — sonst würde die durch die Sonnenwärme ununterbrochen angereicherte Temperatur der Erde bis zur Unerträglichkeit, nämlich zur vollendeten Sonnenhaftigkeit, steigen. Die Dampfmaschine ist darin gewissermaßen nur die biotechnische Kopie der Erde. Denn auch diese leistet Arbeit nach dem Prinzip der Dampfmaschine, weil sie Wärme aufnimmt, sie in allerlei andere Energien verwandelt und dann das nicht Ausgenützte an Wärme an den Weltraum abgibt, der ge- wissermaßen den Kondensator darstellt. Allerdings fügt diese Anschauung, als ob sie ihren Argumenten selbst nicht ganz traue, noch zur Sicherheit hinzu, daß das gefürchtete Maximum der Entropie doch niemals erreicht werden könne, sonst wäre es ja schon längst eingetreten. Im Licht der biozentrischen Erkenntnis sieht sich das Entropieproblem ganz anders an. Vor allem erblickt man ganz andere, viel tiefere Beziehun- gen zwischen den Begriffen Wärme und Leben als gemeinhin. Wärme be- deutet doch in diesem Sinne einen disharmonischen Zustand der Vorstel- lungswelt, nämlich Bewegung und stete Zustandsänderungen. Das aber ge- rade war es, was die Physik mit jeder gewünschten Deutlichkeit bestätigte. Wärme ist Bewegung, „Revolution der Materie"; nicht umsonst kann man die Zerstörung eines ruhigen, ausgeglichenen Zustandes als ein „Auf- flammen" bezeichnen, und nicht zufällig nennt man einen disharmonischen Menschen einen Hitzkopf. Leben aber ist ebenfalls stete Bewegung, ein niemals stillstehendes Aufbauen und Zerfallen, ein Wechselspiel gegen- einander wirkender Kräfte, ein „Kampf der Teile" und wie die gebräuch- lichen Bestimmungen für den Lebenszustand sonst noch lauten. Da ist der Zusammenhang jetzt sehr durchsichtig, warum die Lebendigen Temperatur- wesen sind und Leben so eng an die Wärme gebunden ist. Die Beobach- tung von keimenden Samen im Lenz hält jedem darüber ein Privatissimum von eindringlichster Sprache, wenn nicht schon seine eigene Empfindlich- keit für die leisesten Temperaturschwankungen ihn über diese Zusammen- hänge aufgeklärt hätte. Es ist nicht übertriebene Gewissenhaftigkeit, son- dern bittere Notwendigkeit, die den Arzt zwingt, an dem Fieberkranken bei Temperaturen über 40° sogar die Zehntelgrade der Bluttemperatur zu beobachten. Ohne Wärme käme das Leben zu seinem Ausgleich, der Tod heißt Wärme, und zwar nicht nur die äußere, sondern auch die in Kalorien verwandelte Nahrung verlängert die Lebensprozesse immer wieder und hindert sie an dem Ausgleich, nach dem sie gerichtet sind. Das Leben ist wie eine Uhr, die fortwährend stehen bleiben will, und die immer nur durch Stöße dazu gebracht wird, wieder einige Zeit das Räderwerk zu drehen. Eine solche Uhr ist die „Weltmaschine" selbst. Wir nehmen in der Wärme und ihren Konsequenzen, nämlich im Weltprozeß, nicht die Urheber dieser Störungen, nicht einmal die Uhr selbst, sondern nur die steten Verände- rungen der Teile wahr, so wie eine dunkle Sonne erst dann merkbar wird, wenn sie „Störungen" im Gang der Gestirne ausübt oder ihren Ruhezustand verläßt und zu strahlen beginnt. Wir erleben nicht die Welt, sondern nur die Relationen des Weltprozesses, nennen die stattfindenden Störungen Wärme und die aus ihr hervorgehenden Energieformen Materie, Leben, empfinden sie als Innenleben, machen uns aus der Vielheit dieser Erleb- nisse ein „Weltsystem" zurecht und haben uns mächtig gewundert, ja wir sind von heimlichem Grauen durchrieselt worden, als einer eines Tages die bei dieser Sachlage gar nicht verwunderliche Tatsache entdeckte, daß allen diesen Vorgängen eine „Richtung" nach der gegenseitigen harmonischen Bindung (Entropie genannt) innewohnt.*) Man möge dabei aber keinen Widerspruch darin sehen, daß die Harmo- nie hier scheinbar zwei verschiedene Deutungen erfahren hat. Das eine Mal (vgl. S. 4) wurde sie doch als die Grundlage des Gesetzes von der Erhal- tung der Energie bezeichnet, als Harmonie der Funktionen; das andere Mal erschien nun Harmonie als der Dauerzustand absoluter Ruhe. Beides ist durchaus möglich, da Harmonie ja nicht die Konstatierung eines Systems bestimmter Teile, sondern ein Schema von Beziehungen beliebiger Faktoren darstellt. Harmonie ist weder von Bewegung noch von Ruhe abhängig, sondern regelt nur die internen Verhältnisse komplexer Systeme im Sinne von Dauerhaftigkeit. Harmonie ist ein zoetischer Begriff: wir müssen das, was uns dauerhaft vorkommt, unter dem Gesichtspunkt der Harmonie durchordnen. Ein System harmonischer Funktionen ist im ganzen nun weit mehr Störungen ausgesetzt und leichter zerstörbar, also durchaus labiler als ein solches von ruhenden Teilen; das eine ist die Harmonie des Weltprozesses, das andere die der Welt. Da der Prozeß das Werden ist, das nach dem Sein strebt, wird durch diesen Gedankengang dies von den Physikern im Geschehen konstatierte „Gerichtetsein^' verständlich, und darum war es auch gerechtfertigt, zu sagen, aus der Tatsache der Harmonie selbst ergebe sich bereits die Entropie. Die weniger gesicherten Formen harmonischer Zustände werden abgelöst von absolut gesicherten, das ist die „Richtung", in der sich der Weltengang zu bewegen scheint, und der Wechsel der Funktionsformen tendiert zur Befreiung von der Funk- tionsform. Der an dieser Stelle sich aufdrängende Begriff der Funktionsform ist der nächste, der einer Erörterung bedarf, da er an sich weder durch den Begriff der Funktion noch den der Energie oder der Entropie verständlich ist. Überdenkt man die Art, in der sich gesetzmäßige Beziehungen zwischen 10 zwei Größen abspielen können, so wird man finden, daß das Bestehen einer Funktion überhaupt nur durch die Form, beziehungsweise die Eigen- schaften erkannt werden kann, die diese Größen unter dem Einfluß ihres Funktionier ens annehmen. Daher sieht sich auch die Mathematik genötigt, in ihrer Symbolik der Funktion ein besonderes Symbol zu verleihen, das von ihr als eine Variable erkannt ist. In der Formel y = f(x) ist y die Funktion, zugleich die Variable, die abgeänderte Form von x. Oder wenn das ganze Verhältnis graphisch dargestellt wird durch ein Koordinaten- system, dann bildet die Funktion darin eine jeweils verschieden verlaufende Kurve.5) Es ist also nicht anzuzweifeln, daß jede Funktion gesetzmäßig ihre von der Funktion abhängige Funktionsform nach sich zieht. Es ist demnach zu untersuchen und auch an sich sehr interessant, mit welchen Funktions- formen sich unser Erleben begegnet. Diese Untersuchung ist sogar eine Notwendigkeit, will man über die Funktionen Klarheit erlangen, da die Formen ja die einzige für uns verständliche Sprache sind, in der die Funk- tionen zu uns sprechen. Nur aus den Formen kann man die Kräfte des Seins erschließen, sie allein gewähren Aufschluß über die Veränderungen im Weltbild. Bevor man sich dieser Arbeit hingibt, soll aber unzweideutig festgestellt sein, daß durchgängig an dem Begriff der Funktion selbst auch der der funktionsbedingten variablen Form hängt, daß demnach funktionelle An- passung keineswegs bloß eine den Organismen zukommende, sondern in unserem ganzen Weltbild wiederkehrende Erscheinung ist. Das bewun- dernswerte Lebenswerk von Wilhelm Roux, nämlich die Begründung der funktionellen Anpassung, hat daher eine weit umfassendere Bedeutung, als es ihrem Urheber selbst scheinen wollte, und es wird über das For- schungsfeld der Biotechnik hinaus noch zahlreiche Kräfte auf dem ganzen weiten Gebiet der Weltforschung in Bewegung setzen, wenn erst einmal die wahre Bedeutung der Funktionsform allgemein begriffen sein wird. Die einfachste Form von Funktion bieten die Erscheinungen, welche von dem Vorhandensein von Massen abhängen, die sich wechselseitig be- einflussen. Die Masse macht sich als Beeinflussung ihrer Umgebung nach außen als Gravitation, an ihr selbst aber als Trägheit bemerkbar. Es ist demnach auch wohl kein Zufall, daß in der gesamten modernen Physik gerade diese zwei elementaren Erscheinungen zuerst die Aufmerksamkeit der Forschung auf sich gezogen haben. Bekanntlich hat Galilei nach einer artigen Legende an den Schwingungen einer Ampel im Dom zu Pisa zuerst die Erscheinungen der Schwerkraft erkannt, die heute als Spezialfall der Newton'szhtn Attraktion nach den Arbeiten von Kepler und Newton die Grundlage der noch geltenden Himmelsmechanik bildet. Ihr Kernsatz lautet, wie ja jedem Schüler ge- lehrt wird: Die Planeten bewegen sich unter der Herrschaft der von der 11 Sonne ausgehenden Gravitation. Diese hat die Richtung Planet-Sonne und ist durch folgende zwei Eigenschaften bestimmt: Sie ist dem Produkt der Massen von Sonne und Planet direkt -proportional und dem Quadrat ihres Abstandes umgekehrt proportional. Vom Himmel aus wurde das Gesetz zu der Formel verallgemeinert, daß alle Massen in der Welt sich mit einer Kraft anziehen, die den obigen zwei Gesetzen gehorcht. Das ist das Newton'sche Gravitationsgesetz, durch das die Bewegungen aller Massenteilchen erfaßt werden konnten, weshalb sich auf ihm die ge- samte moderne Physik aufbaut. Von diesem Boden aus wurde das Träg- heitsprinzip erkannt, das mit der Gravitation zusammen die Basis der gesamten Newton' sehen Mechanik ist, die jetzt durch die Relativitäts- anschauung abgelöst wird. Jeder Körper verharrt in Ruhe oder gleich- förmiger Geschwindigkeit auf gerader Bahn, solange er nicht durch Kräfte gezwungen wird, diesen Zustand der Ruhe oder gleichförmigen Bewegung zu ändern. (Erstes Newton' sches Prinzip.) Die Kräfte aber, die auf andere einwirken, werden gemessen durch das Produkt aus der Masse des Kör- pers und der Beschleunigung, die er unter dem Einfluß der Kraft erhält. Sie wirkt immer in derfenigen Richtung, welche die Beschleunigung hat. (Zweites Newton' sches Prinzip.) Es sind also an die Masse, die Bewegung (des Fallens), die Kraft jene Formen geknüpft, in denen sich am elementarsten Funktionen äußern, und eine Untersuchung des Funktionsgesetzes hat an sie anzuknüpfen. Unver- kennbar sieht man da als erstes, daß allem Seienden, wenn es die Funk- tionen von Massigkeit, Bewegung oder Kraft ausübt, dadurch allein schon tiefe Spuren aufgeprägt werden. Eine umfangreiche Untersuchung für sich, eine ganze vielbändige Wissenschaft über das Formproblem müßte hier an Stelle dieser wenigen Sätze stehen, wollte man den Gegenstand auch nur in seinen wichtigsten Umrissen aufzeigen; die Menschheit, welche durch die Bedürfnisse des Lebens so bitter darauf angewiesen ist, die Eigen- schaften der Welt zu durchschauen, um sie zu Schutz und Arbeit in den Dienst des Lebens zu stellen, wird auf die Dauer nicht daran vorüber- gehen können, alle Funktionsformen des Seins so genau kennen zu lernen, wie sie einen kleinen Teil von ihnen, nämlich die Funktionsformen der Maschinen, schon heute mit befriedigender Genauigkeit beobachtet und durchgerechnet hat. Sie wird die objektive Philosophie einst dafür segnen und ihr Monumente errichten dafür, daß sie den Menschen Augen ein- gesetzt hat, um hier zu sehen, und sicherlich wird diese praktisch-technische Anwendung ihrer Denkungsart das Erste sein, was man von ihr annehmen, und was jeder von ihr auch begreifen wird. In einem Werke aber, das unverrückt das Weltganze im Auge hat, darf dieser angesichts seiner Aufgabe geringfügigen praktischen Arbeit nur ein kurzer Abschnitt gewidmet sein, und so muß ich mich denn auf Beispiele beschränken dort, wo ein Archiv zu öffnen wäre. 12 So möge denn darauf nur hin- gewiesen sein, daß alle ruhenden Systeme die Eigenschaft der Mas- sigkeit in der Form der Kugel ver- wirklichen, welche die elementarste Funktionsform zu sein scheint. Es ist deshalb auch ein anerkannter Denkzwang, sich alle ruhenden ,, Masseteilchen" vor Einwirkung von Kräften auf sie, beziehungsweise im harmonischen Gleichgewicht der Kräfte als Kugeln vorzustellen. Das gilt heute von den Elektronen, wie es vordem von den Atomen und Molekülen, den Tropfen, Körnern und Granula galt und noch für das Weltsystem als Ganzes zutrifft. Die Kugel ist die optimale Funktions- jorm*) des Zustandes „Masse'\ wenn er in Ruhe oder gleichmäßig harmonisch Kräften unterworfen ist. Die Trägheit der Masse is- es, welche diese optimale Form von Raumerfüllung bewirkt, und es bleibt nun eine Untersuchung für sich, warum auch der äquipotentiellen Systeme gerade diese Grundform des Seins annehmen. Ist doch die Kugel auch die Urform des Protoplasten, beziehungsweise der Zelle im ruhenden Zustand. Kugelform nimmt die Zelle sowohl als Eizelle an, wie auch die ruhenden Amöben, die Ruhe- zustände der Einzeller (Cysten), die Grundformen der Algen überhaupt kugelig sind. Es spricht vollkommen für die Richtigkeit der Anschauungen der ob- jektiven Denkungsart, daß das Newton'sche Trägheitsprinzip für den Be- griff Masse in jeder seiner Bedeutungen zutrifft, wofür man sich im kulturellen, sozialen und geistigen Leben die Belege leicht zusammen- suchen kann. Abb. 1. Die Kugel ist die optimale Massenform. Sie sinict in Wasser (I) tiefer ein als es ihrem Gewicht entspricht; auf Quecksilber (11) erfährt sie eine He- bung. Die Ursache liegt in der verschiedenen Ober- flächenspannung und ihren Randwirkungen. Die Er- scheinung beweist die Teleologie der Molekularkräfte; die Oberflächenspannung ist von den jeweiligen Ver- hältnissen abhängig. *) Da die Technik kein anderes Ziel hat, als die optimalen Funktionsformen der Werkzeuge und Maschinenelemente zu finden, habe ich statt dem längeren „optimale Funktionsform" den Ausdruck „technische Form" hierfür angewandt, der auch in diesem Werk im gleichen Sinn festgehalten werden soll. Vgl. hierzu mein Essay: Das Problem der technischen Formen (Prometheus 1917). — Auch: Die Form des Er- lebens und des Gestaltens (Österreich. Rundschau 1918) und: Die Grundprinzipien der Biotechnik (Technik und Industrie, Zürich 1918). 13 Dasselbe gilt für den Begriff Bewegung, der ebenfalls sowohl in der physischen wie in der Vorstellungswelt dem gleichen Gesetze folgt. Daß eine Bewegung nur durch Vektoren ausgedrückt werden kann, deren ele- mentarer Charakter durch Länge, Richtung und Richtungssinn festgelegt wird, hängt mit der Euklidischen Vorstellung vom Räume zusammen; an sich bedeutet Bewegung, deren Form also die Linie ist, nichts anderes als die Folge unserer Erkenntnisbeschränktheit, die sich Erlebnisvielheiten hintereinander projizieren muß, um sie vergleichen zu können, und die diese linieare Projektion dann als Bewegung und Geschehen für einen selbständigen Faktor im Weltbilde hält, während sie doch nur „technische Mittel des Erlebens" sind. Die verschiedenen Arten von Bewegung (gerade, kreisförmige, ellip- tische, parabolische, beschleunigte, gleichmäßige, harmonische, rhythmische usw.) sind die Formen, in denen sich die Kfäfte äußern, deren Vorhanden- sein an nichts als an atomaren und molekularen Änderungen erkannt werden kann. Hier breitet sich das unübersehbare Gebiet der Morpho- logie der Funktionen aus, von dem für eine zusammenfassende Betrach- tung, die das Ganze überblicken will, nur das Eine wesentlich ist, daß die Gesetze der periodischen Funktionen, der Beschleunigung, der Gleich- mäßigkeit, der kreis- und geradlinigen Bewegung, der Wellen usw. für die Relationen der Elemente des Geistigen mit mathematischer Notwen- digkeit zutreffen. Diese Erkenntnis ist allgemein, denn in allen mensch- lichen Verhältnissen bis zur Umgangssprache des Alltags herab wird sie angewendet. Neu ist nur die Einsicht, daß diese absolute Gültigkeit einer einheitlichen Relationslehre weder eine Übertragung des Physikali- schen auf das geistige Gebiet ist, noch umgekehrt aus einer Vermensch- lichung der Natur entsprang, sondern das Gesetz der Funktion überhaupt ist, nur in den Sprachen der Mathematik, Musik, Mechanik, Soziologie, Logik, Nationalökonomie wiederholt wird. Sein kann sich nicht anders entfalten als in Funktionen, und diese schwingen in jedem Sein nach dem Funktionsgesetz. Wenn ich hierfür als Beispiel die sogenannte Sinusfunktion wähle, so geschieht dies, weil sie im gesamten Erlebnisinhalt in tausend Verwand- lungen und Masken vor dem Intellekt tanzt, vielleicht überhaupt das häufigste Erlebnis ist. Die Sinusschwingung, mit tieferem Sinn auch die harmonische Schwingung genannt, ist nichts als eine Bewegungsform, bei der ein Punkt an die gleiche Stelle zurückkehrt, nachdem er mit gleich- förmiger Bewegung einen vollständigen Kreis beschrieben hat. Der Punkt vollführt hierbei eine Bewegung, für die man sich auf den Ausdruck Welle geeinigt hat. In der Welle hat man eine periodische Funktion der Seinsstufen vor sich, die zugleich die einfachste periodische Schwingung ist. Diese Gesetze der Welt zu studieren aber hat der Menschengeist allen Anlaß, da ihn sozusagen alles Geschehen in Wellen, nämlich in Rhyth- 14 men umbrandet. Jene Entdeckung von Zermelo (deren scheinbares Ignorieren vorhin manchen befremdet haben mag), wonach alle Zustände periodische Funktionen des Seins seien und wiederkehren, ein Gedanke, der aus der Philosophie durch die großartige Vision Nietzsches von der „Wiederkehr des Gleichen" bekannt ist, dieser Zermelo' ^oho^ Satz macht das Wellenphänomen überhaupt zur Universalfunktion unserer VorstellunQswelt. Ein Stein, der senkrecht ins Wasser eines Weihers fällt (vgl. Abb. 2) ist auch für den Physiker der Ausgangspunkt aller Wellenerkenntnisse. Man beobachtet an den Wasserteilchen besonders leicht, daß sie auf eine solche Verdrängung ihrer Gleichgewichtslage hin eine regelrechte Sinusschvvin- gung ausführen. An einem im Wasser schwimmenden Körnchen sieht man, wie es eine Linie beschreibt, die zuerst ins Wellental hinabführt, dann aber den Wellenberg hinansteigt, um so durch einen richtigen Kreis wieder zu seinem Ausgangspunkt zurückkehren. Der kleine Schwim- mer steigt auf und nieder, aber er rückt nicht von der Stelle. Was vor unseren Augen dahinwandert und viele Kreise beschreibt, das ist die Wellenbewegung selbst, die fortschreitet, bis sie am Ufer anprallt. Und nun beginnt das gleiche Spiel in der anderen Richtung, und die rück- kehrenden Wellen zerschneiden die langsam ausschwingenden primären Wellen. So entsteht das Geschaukel und Glitzern, das den bewegten See so reizvoll überflirrt. Wir, die wir dem Spiel mit scharf prüfendem Auge folgen, entdecken ab und zu, wie zwei Wellen so zusammenprallen, daß ein Wellenberg ein Wellental ausfüllt, und wie sie sich völlig aufheben und verschwinden. Da haben wir dann die Erscheinung der Interferenz erlebt, die jeder Wellenbewegung so wesentlich eignet, daß in allem, was sich in solche tote Lücken unter dem Einfluß zweier Kräfte auflöst, deren vektorielle Eigenschaften gegeneinander gerichtet sind, Wellenbewegung ge- sucht wird. Setzt man diese Wellenstudien fort, schreitet man von Ent- deckung zu Entdeckung. Man findet zunächst, daß das Wasser in Trans- versalwellen schwingt, während im Wellengang des Schalles die Luft gerad- linig fortschreitet, keine Berge und Täler hat, dafür Verdichtung und Ver- dünnung aufweist. Das sind dann Longitudinalw eilen. Aber dem Wellengesetz gehorcht jede Energie; aus Wellen der Elek- trizität setzt sich auch das Scheinbild der Materie zusammen — die Wellenbewegung erscheint jetzt als die universale und wichtigste Form der Funktionen. Ein Phänomen durchschwingt das ganze physische Sein, und, wenn man es auf sein Innerstes prüft, ist es die Kreisbewegung, die sich als Periodizität kundgibt. Wunderbar ist diese Erscheinung des Periodischen, die auch aus unserem Herzschlag spricht, in unseren Pulsen klopft, in stummem Zug, von dem die Schule Freuds manchen Schleier abgerissen hat, durch das ganze Menschenleben geht, mit 28tägiger Wieder- kehr physiologischer Zustände (Menstruation), mit einer großen und kleinen täglichen Wachstumskurve bei Pflanzen, als Mauserung der Tiere im Ring 15 der Monate, als Zeitempfinden und Zeitrechnung in unserem Innenleben abgeleitet aus der großen Periodizität am Firmament, als in ewigem Rhythmus daherrauschende Flutwelle und Luftdruckschwankung und als Gleichmaß der Jahreszeiten. Nach Rhythmusgesetzen formt der Künstler den Klang der Worte, nach ihnen tönen die süßen Zauberformeln der Musik. Periodizität und ihr Wellengesetz spricht aus Ornament und Archi- tektur, aus dem Gang der Geschichte und der scheinbaren Regellosigkeit des Verkehrs der Güter und Werte. Wer seine Mechanik voll und ganz beherrscht, der ist auch Herr der Metrik, der Musik, der kulturellen Ge- setze, so wie er der Herr der natürlichen ist, denn er hat eines der funda- mentalsten Gesetze der Welt erkannt. Wer ist nicht schon ins Innerste erschüttert vor dem donnernden Zer- stäuben der Wellenberge gestanden, wer empfand nicht wenigstens für den Augenblick im ahnungsvollen Schauer etwas von dem Pathos der Distanz zwischen Mensch und Natur, wenn Welle um Welle daherrauschte und, wie berechnet, an gleicher Stelle sich aufbäumte als Schaumroß und taktmäßig niederfiel (vgl. die Farbentafel), zurückfließend in hundert kleinen Wellen, die dann im Intervall zwischen zwei hohen Wasserbergen ihr Lichterspiel trieben. In solcher Stunde spricht das Weltgesetz selbst zu den Wissen- den, denn was hier in gewaltigen Massen, angetan mit dem Glanz hehrer Naturschönheit, unter Donnertosen und des Windes Rasen einherschreitet, das wiederholt sich bis in die leiseste Schwingung des verborgensten Elek- trons tausendfach abgewandelt und doch als das ewig Eine im ganzen Welterleben! Das Meer entbehrt niemals der Welle. Sogar bei Meeresstille und glück- licher Fahrt merkt ein kundiges Auge die leise Schwankung mächtiger, lan- ger Wellen, der Dünung, deren letzte Ursache eigentlich noch entdeckt wer- den muß. Gerade an diesem „Parademarsch des Meeres" kann man sich am schnellsten davon überzeugen, daß sich die Wasserteilchen zwar ununter- brochen radförmig drehen, aber nicht von der Stelle rücken, was dem Un- kundigen kaum glaublich erscheint. Von da bis zur „Kalema'\ der enormen Brandung an der afrikanischen Guineaküste, die die höchsten Wellen auf- wirft — wenn nicht die 40 m, die man die Wellen am schottländischen Bell-Rock-Leuchtturm aufspringen sah, sie noch übertreffen — , sind zahl- lose Wellenformen des Meeres beobachtet. Schon auf dem schönen Gemälde von Eugen Bracht, dessen vortreffliche Reproduktion diesen Band ziert, sind nicht weniger als fünf Wellenformen zu sehen: die eigentliche Bran- dungswelle, davor gegen das Ufer zu die geschichteten Rückflußwellen (deren Typus in klassischer Entfaltung in Bd. I auf der farbigen Tafel von All Bachmann gemalt ist, wo auch das Phänomen der Interferenzerschei- nung vom Künstler bewunderungswürdig beobachtet wurde), dann die kleinen Teilwellen in der Zone zwischen den Wellenbergen, viertens die typische überbrechende Welle und ganz draußen eine Art hohler Dünung. 16 Abb. 2. Die Erscheinungen der Transvcrsahvellen im Wasser. Die ringförmige Ausbreitung der' Wellen um ihr Störungszentrum. Interferen/.erscheinungon OriginalaufiialiiiiL' von Frau Or. A. Pricdricli, Miiiiclu-ii Abb. 3. Rundling (Rundhöcker), entstanden durch die scheuernde Wirkung des Eises. Motiv vom Kochelsee in Oberbayern Originalaufnahme Im allgemeinen sind freilich bisher Meereswellen mehr mit den Augen der Dichter als der Forscher gesehen worden, denn turmhohe Wellen gibt es auf freier See nicht; die höchste gemessene betrug nur 18 m Höhe, da- gegen ihre Länge überraschender Weise von Kamm zu Kamm gemessen an 500 m. Das wird freilich von den Erdbebenwellen des Ozeans, dem gewal- tigsten Wellenphänomen des uns bekannten Universums, weit in den Schatten gestellt. Sie, die wiederholt mehrfach die Erde umkreist haben, sind in diesem Sinn 900 km lang, und ihre Bewegung rast in der Sekunde 150—200 m vorwärts, wodurch sich ihre fürchterliche Zerstörungskraft er- klärt. Bei Stürmen, die auch mehr poetisch als richtig beschrieben worden sind, übersteigt die Schnelligkeit der Wellenfortpflanzung nicht 28 m in der Sekunde. Gerade an dem Phänomen der Meereswellen, dessen Betrachtung uner- schöpflichen Genuß gewährt, glaubt man am ehesten unmittelbare Gewiß- heit zu erlangen, daß alle Wellen durch das Zusammenwirken einer gro- ßen Zahl elementarer Wellen zustande kommen (Huygens'sches Prinzip). und kehrt damit zum Ausgangspunkt dieser Beobachtungen, zur Theorie der Wellen zurück, die auch in der exaktesten Formulierung nicht anders lautet als: Wellen entstehen, wenn durch eine Kraft das Gleichgewicht eines Punktes gestört wird, sich eine neue Gleichgewichtslage sucht und dann nach Aufhebung der Kraft wieder zurückwandert. (Schwingung.) Es ist wieder der Ausgangspunkt unserer Analyse erreicht, wenn im Verfolg dieser Definition die Mathematik die Schwingung (= Welle) als einen zeitlich räumlich periodischen Vorgang bezeichnet und das in die Formel kleidet: p = die periodische Funktion von t. Der Einklang zwischen der Auffassung vom Weltprozeß als einem Ausgleichvorgang zur Behebung von Störungen, welche die objektive Philosophie verkündet, und der modernen Physik ist also ein vollständiger. Von diesen einfachsten Wellen bis zu den letzten Konsequenzen der Wellen- theorie ist allerdings der Weg ein ungeheurer. Schon in der, wenn ich so mich ausdrücken darf, zweitgröbsten Mani- festation der Wellengesetze, nämlich in den Meeresströmungen und Luft- wellen, welche durch die Temperaturstörungen der Atmosphäre als Winde und Depressionen ausgelöst werden, verwickelt sich die Erscheinung in zunehmendem Maße. Die Oberflächenwellen reichen im Meer nicht tief hinab. Schon in 30—33 m Tiefe ist das Wasser ruhiger, in 200 m voll- kommen ruhig, mag auch oben der Wind, der die schmalen Kämme der Wellen schneller entführt als deren breite Basis, einen donnernden Zu- sammensturz nach dem anderen verursachen. Trotzdem ist das Wasser auch in der Tiefe nicht unbeweglich, sondern stets findet, wenn auch oft sehr langsam, eine ununterbrochene doppelte Wellenbewegung statt. In- folge des Gesetzes, daß kaltes Wasser schwerer ist als warmes, sinken in den Polarbreiten ständig von der durch starke Fröste abgekühlten Ober- Franci, Bios U 2 17 fläche breite Wassermassen in die Tiefe, und Oberflächen-Ströme verwan- deln sich in Tiefenströmungen. Solches ist in größtem Maßstab der Fall an den Küsten von Neu-Fundland, wo der aus der Baffinbai hervordrin- gende Labradorstrom mit nullgrädigem Wasser in die Tiefe sinkt und von da allmählich an den Ostküsten der Vereinigten Staaten bis zum mexikani- schen Golf fließt, wo sich das Wasser wie in einer ungeheuren Warm- wasserheizung bis auf 250 erhitzt und aufsteigt, allerdings auch wieder abströmt. Als sogenannter Golfstrom oder Atlantischer Strom, das große Triebrad aller Meeresströmungen, fießt das warme Wasser durch die Straße von Florida, oberflächlich zuerst nach Norden (Floridastrom), wendet dann nach Osten, teilt sich: ein Arm fließt zwischen den azorischen Inseln und Spanien zurück, der andere bespült mit lauem Wasser von durch- schnittlich 10° die englische und norwegische Küste, um sich einesteils an den isländischen Vulkanen, an der Treibeisgrenze, wieder mit den kal- ten Wassern des Ostgrönlandstromes zu vereinigen, anderenteils immer mehr abkühlend bis Spitzbergen und Nowaja-Semlja vorzudringen, wo dann alles in kaltem Wasser stockt. So stellte man sich das Phänomen bis zu der Zeit vor, da man bemerkte, daß die mexikanischen Wasser nicht unmittelbar nach Europa gelangen, sondern, daß aus dem Antiantik ein auf- gelöster und mehrfach verzweigter Strom vergleichsweise warmen Was- sers zu uns hereinströmt, der z. B. in Hoofden, wie die Seeleute die süd- liche Nordsee nennen, praktisch genommen aufhört. Er ist es, der als Irmingerstrom Islands Küsten eisfrei hält und sogar Spitzbergens Klima mildert. Von Jahr zu Jahr ändern sich diese Verhältnisse etwas und haben offenbar ihren Einfluß auf den europäischen Winter (auch auf die Fischereierträgnisse.*) Mit anderen Worten: die Verhältnisse haben sich als weit komplizierter erwiesen, als man anfangs dachte, aber das Gesetz, das wir dahinter sehen, ist dennoch nicht durchbrochen. Diese atlantische Trift, die freilich nicht das wärmste Wasser enthält (dieses findet sich mit 34,5° im persi- schen Golf, mit 32° im Roten Meer), hat allein die europäische Kultur er- möglicht, denn sie verändert und bestimmt unser Klima dermaßen, daß es durchschnittlich um 5° wärmer ist, als ihm der geographischen Lage nach gebührte. Sie allein bestimmt den klimatischen Charakter Westeuropas durch das warme und regenreiche „Westwetter" und bewahrt so weite Länder vor steppenartiger Austrocknung. Was sie für Europa bedeutet, sind dem Japaner der warme Strom des Kuro-Schio, dem Südamerikaner die brasilianische Trift, der Menschheit überhaupt die fünf großen Ellip- sen, in denen auf der Erdkugel die Wasser mit etwa zwei Meter Geschwin- *) Im besonderen scheint der atlantische Hauptstrom aber jeweils im Herbst einen Höhepunkt seiner Entfaltung zu erreichen. (Nansen.) 18 digkeit in der Sekunde dahintreiben. Ein solches gesetzmäßiges System der Zirkulation greift tief in die Ökonomie der Erde ein. Gerade der Golfstrom, der daraufhin eingehend studiert ist, kann dem objektiven Philosophen als einer der wertvollsten Beweise für seine Be- hauptungen dienen, daß alle Vorgänge der Welt im Dienste eines Aus- gleiches stehen. Dieser 37—640 km breite Wasserkreislauf, der zusammen 90 Milliarden Tonnen bewegt und bis 320 m Tiefe erreicht, (wo das Meer bei 26,5 0 Oberflächentemperatur noch immer 15,5 <^ mißt), der (nach Humboldt) in zwei Jahren und zehn Monaten einen Umlauf vollendet und dann in der Tiefe Wasser von — 2« zurückbringt, ist ein Ausgleichsvor- gang allergrößten Stiles. Schon dadurch, daß er, wie auch alle übrigen, stets paarweise auftritt, also gleich den Muskeln im Tierkörper seinen entgegenarbeitenden Antagonisten hat, ist ein genaues Kompensations- system gewährleistet, das die Niveauunterschiede im Meer so vollkommen ausgleicht, daß der Golfstrom streckenweise sogar deswegen bergauf fließt. Die noch verbleibende Überschußenergie wird in großen Wirbeln, deren berühmtester der norwegische Malstrom ist, zerrieben.«) An diesem Ausgleichvorgang nehmen selbst die fernsten Faktoren teil. So regelt sich seine Geschwindigkeit nicht nur durch die Winde, sondern auch durch die Rotation der Erde, die z. B. den europäischen wie den japanischen Heizstrom zwingt, bei 40" n. B. nach Osten abzu- schwenken und langsamer zu fließen. Sogar der Luftdruck und in einer monatlichen Periode auch der Mond beteiligen sich an seiner Regelung, die dann wieder auf Pflanzen, Tiere und Menschen in einer wunderbaren Verkettung von Gesetzen zurückwirkt. Die großen Äquatorialströme haben die Kokospalme von den Südsee- gestaden Mittelamerikas bis nach Ceylon verfrachtet und damit eine an dieser wichtigsten aller Tropenpflanzen hängende Kultur. Die Ausbreitung der malayischen Rasse und ihrer Kultur über den polynesischen Archipel hängt gesetzmäßig mit dem Uhrwerk der Ströme zusammen, die auch der Entdeckung Amerikas Vorschub leisteten und bis heute im Verkehr mit Amerika die große Schiffahrtsstraße auch für die Dampfer durch das Ge- setz der kleinsten Kraftanwendung festlegen. Noch immer weicht man der schon für die Kolumbusschiffer so peinlichen Sargassosee aus, in der die Tange deswegen zusammengetrieben sind, weil sie eine Insel zwischen den zwei Armen der Golftrift darstellt. Dagegen drängen sich Tausende und Abertausende von Schiffen — und das gesamte Aufblühen der Ost- städte der Union hängt daran — an der Grenze der Labradorströmmung und des Warmwassers, wo Wale und die unermeßlichen Fischscharen der kühlen Wasser vor der „Flammenbarriere" zurückgescheucht werden und sich ansammeln. Für immer werden also der Golfstrom und seine Ge- fährten eines der Hauptbeweismittel meiner Weltauffassung bleiben, als Kronzeuge, wie die Ausgleichsvorgänge Mutterschoß aller Prozesse sind. 2« 19 Neben diesen Oberflächenwellen und Ausgleichsvorgängen im Großen vollführt aber der Ozean als Ganzes noch eine sich in Wellen abspielende Funktion, die mit zu den folgenschwersten Erscheinungen gehört, die sich auf der Erde jemals abgespielt haben. Das ist die Transgression der Meere, eine Erscheinung, im bisherigen als Integrationsphänomen der Erd- kugel zwar schon kurz gestreift (vgl. Bd. I S. 183), aber noch nicht auf ihre Gesetzmäßigkeit von uns untersucht. Die Vorbedingung dieser Wan- derung der Weltmeere ist die lebendige Kraft der Wellen, die sich in der Gegenwirkung an hartem Gestein zu gigantischen Leistungen aufbäumen kann. Unter den vielen felsigen Meeresküsten, an denen ich mir Erfahrung über diese Phänomene erwarb, trug unstreitbar der Steilabfall von Helgo- land die tiefsten Spuren dieser Arbeit des Ozeanriesen, wenn auch der Fel- senrand an der Azurküste, die gelbroten Felsenmauern Korsikas, gegen die wütende Brandung peitschte, die kleinen Inseln an der dalmatinisch-slawi- schen Küste oder die Riffe, an denen die langen Gischtkämme des Roten Meeres verschäumten, jedes in seiner Art, das Bild gleicher Zerstörungs- kraft anders aufstellte. Stets ist die Bedingung der Brandungswellen die auch auf unserer farbi- gen Tafel dargestellte Situation, daß die Wellen auf eine Untiefe aufpral- len, wodurch die Unterseite in ihrer Bewegung gehemmt wird und die Wel- len brechen. Dadurch wird das Kliff, wie der Seemann die Steilküste nennt, zertrümmert und unterwühlt, indem zunächst eine Hohlkehle ausge- arbeitet wird, über der der Fels allmählich einstürzt. Die Trümmer werden weggespült, und nach und nach entsteht eine Brandungsterrasse, aus der nur die härtesten Gesteinstrümmer noch emporstehen. Wunderbare Tore und Höhlen bohrt sich das Wasser, wie sie den Besucher von Capri entzücken, abenteuerliche „Pilzfelsen", breite, glatt gescheuerte und zurechtgeschliffene Strandterrassen, vor denen Rollsteine liegen, verraten als Funktionsformen der Abrasion noch in späten geologischen Zeiten die Arbeit des Ozeans und geben dadurch der Forschung ein untrügliches Mittel an die Hand, in allen Gebirgen den Weg A^r Regressionen, nämlich das Zurückweichen der Meere festzustellen. Anders an den flachen Küsten. Die Stoßkraft der branden- den Wogen trägt grobe Geschiebe bei den Sturmfluten weit landeinwärts. Man hat Fälle erlebt, in denen viele Zentner schwere Blöcke stundenweit von der Wut des Elementes ins Land gerollt wurden. Der Rückstrom hat dagegen nur wenig Kraft (man betrachte auch daraufhin die farbige Tafel), und so entsteht gesetzmäßig eine Aussiebung, die auch auf Bachmanns Meereslandschaft in Band I zur Geltung kommt, und von der sich jeder bei einem Gang über den Flachstrand mit Leichtigkeit überzeugen kann. Dem Meere zunächst liegt der feinste Sand, landeinwärts das gröbste Geröll. So wirft die See rastlos zerriebenes Gesteinsmaterial aus und häuft es an zu Schutt- und Sandbergen, aller Welt als Dänen bekannt. Jeder Flachstrand hinterläßt bei der Regression des Wassers einen Dünen- 20 gürtel. Und erfolgt sie im Laufe der Jahrtausende Schritt für Schritt, dann kann am Ende einer Epoche ein länderweites Sandhügelgebiet übrig blei- ben, wofür die Sahara ein großes, die norddeutsche Tiefebene oder Franken mit ihren sandigen Kiefernwäldern ein kleines Beispiel abgeben. So verschlingen sich die Folgen der Abrasion zu wunderlichen länder- umfassenden Wirkungen. Und da die Wanderung des Meeres von jenem Tage an, seitdem es ein Meer gab, niemals stille stand, ist die ganze Ober- fläche der Kontinente eine Hieroglyphenschrift, durch die das Meer tausend- fach wiederholt: hier haben meine Wellen das Walten des Funktions- gesetzes verkündet. Im allgemeinen schleift das Meer glatter ab als die denudierenden Kräfte des Festlandes, und die Spuren der Transgres- sionen sind besser zu erkennen als die der Rückzüge. Da das Meer überall, wo es war, außerdem noch seine Sedimente zurückläßt, ist seine Wellen- bewegung auf diese Weise einer der einflußreichsten Faktoren, der das Antlitz der Erde ändert. Das menschliche Wissen hat ein ganz untrüg- liches Mittel dadurch, die Geschichte der Kontinente und Meere festzu- stellen (vgl. Bd. I Abb. 96/99). So ist dies eines der wenigen erfreulichen Kapitel der Wissensgeschichte, in dem wenigstens die Relationen einwand- frei und den Zweifeln entrückt sind. Auf solche Weise ließ sich feststellen, daß der Pazifik seit Anbeginn der Erdgeschichte Meer gewesen ist. An seinen Küsten sind keine nennens- werten Strandterrassen vorhanden. Ganz anders aber alle übrigen Meere. So wie gegenwärtig ganz Europa in dieser Hinsicht in einer großen Erd- revolution begriffen ist, war es von je der Kontinent, der am ausgiebigsten dem Wellenspiel der Meeresbewegungen ausgesetzt gewesen. Ein Blick auf den Versuch (Bd.I Abb.96/99), die Kontinente in vier geologischen Epochen zu rekonstruieren, wird zeigen, daß allerdings auch zwischen Asien und Ame- rika, zwischen Afrika und Indien sowie Australien große Landbrücken über- flutet worden sind, daß auch die sagenhafte Atlantis des Plato dem Erdfor- scher kein ganz inhaltloser Begriff ist, daß aber immer wieder Europa bald nur ein Archipel von im blauen Weltmeer verlorenen Inseln war, bald ein mächtiger und ungefüger, mit kolossalen Gebirgen (Vansklkum) bedeckter Kontinentblock, gegen den der heutige Erdteil nur schöne Reste bedeutet. Im dritten Teil meiner „Grundlagen" (München, Die Lebensgesetze einer Stadt), findet der Leser für die oberbayrische Hochebene und das Alpenland eine genaue Geschichte der Kette der Transgressionen, denen der Münchner Boden ausgesetzt war; hier aber, wo wir nach größeren Zielen blicken, kann ich solchen Detailschilderungen keinen Raum mehr gönnen, nachdem ein- mal das Gesetz erkannt ist. Nur daran sei erinnert, daß die Wellen- bewegung des Meeresganzen, als welche man das Transgressionsphänomen sehr wohl bezeichnen kann, sehr häufig eine regelrechte Schwingung (Os- zillation) ist, bei der die Rückzüge genau den Vorstößen entsprechen. Sol- ches war auf der nördlichen Halbkugel im Kambrium, Karbon, Dyas und 21 Trias der Fall. Oder, wie im europäischen Silur, Devon, in der Jura- und Kreidezeit, es erfolgte zuerst ein allgemeines Rückfluten und erst metachron erfolgte dann wieder das Ansteigen der Fluten. Die größte aller solcher Transgressionen in der oberen Kreide, im Cenoman, umfaßte die ganze Welt. Ungeheure Erdräume wurden damals überflutet, sogar uralte Fest- länder. Aber im Senon trat die Regression ein, und wenn auch noch im Eocän Meereswellen über Nordfrankreich, Belgien und Südengland, über dem ganzen Südeuropa rauschten, wenn auch zur Zeit der Nummullten Nordafrika mit dem unermeßlichen Becken der Sahara überflutet war und Atlas, Himalaya, Alpen und Karpathen nur als flache Inseln aus einem tropischen Meere ragten, so nimmt doch trotz aller Schwankungen die Wasserbedeckung seitdem ab, und je genauer man Transgression und Re- gression gegeneinander abwägt, desto vollständiger überzeugt man sich, daß sie dem Wellengesetz entsprechen und das genaue Auspendeln und Ausgleichen einer Störung darstellen, gemäß dem Funktionsgesetz, das sich auch in ihnen verwirklicht. Und was sich hier im Wasser ereignet und wegen der Schiffahrtsinteressen auf das genaueste erforscht ist^), folgt dem gleichen Gesetz im Luftozean. Auch die Atmosphäre erleidet periodische Änderungen, die sich wellenförmig fortpflanzen und zusammen das Funktio- nieren eines Ausgleichsmechanismus bedeuten, der für die Dauer der Luft- hülle sorgt. Aus dieser „Kette der einzelnen Wettertypen" aber setzt sich das zusammen, was man Klima nennt. Um das in jeder Einzelheit voll- ständig beweiskräftig zu machen, müßte man einen vollständigen Abriß der Klimatologie hier folgen lassen, was aber durch die Forderung nach Har- monie in diesem Werke verwehrt wird. Jedenfalls aber muß jedermann, der die Gesetze der Welt wirklich kennen will, das eine wissen, daß Klima nichts anderes als die Kette von Witterun- gen ist und Witterung die jeweilige Ausgleichsphase zwischen den Einflüssen der Temperatur und dadurch von Wind, Luftdruck, Feuchtigkeit und Elektri- zität. Mit anderen Worten, das Klima eines Ortes ist die Beschreibung der sich an ihm abspielenden Störungen, die sich in einer Reihe von periodischen Vorgängen vollziehen. Die Temperaturunterschiede sind die alleinige Ur- sache, warum es ein stets wechselndes „Wetter" gibt. Sie sind zunächst ge- geben durch die Seinsformen des Weltalls selbst, also geregelt durch das Entitätsgesetz. Schon dadurch, daß die Sonne eine Singulationsform besitzt, ist die Ungleichheit der Erwärmung geschaffen. Wäre die Quelle der Wärme- strahlen nicht individuiert, so gäbe es auf Erden keine Wärmedifferenzen und damit kein „Wetter", das also zu den Funktionen der Sonne gehört. Eine weitere Differenzierung schafft die Kugelgestalt der Erde. Sie bedingt durch rein geometrische Verhältnisse, daß, ideal genommen, nur dem engen Äquatorialgürtel ständig das Maximum der Erwärmung zuteil wird. Durch die Kugelkrümmung treffen die Wärmestrahlen unter einem immer ungünstiger werdenden Winkel auf und verteilen sich auf einer ständig sich vergrößern- 22 den Oberfläche. Durch die schiefe Stelhing der Erdachse (vgl. B.I, Abb. 100) ist die Verteilung der Wärmemengen in der jedermann so wohlbekannten Weise geregelt, daß die europäische Zone sich mit einem periodischen Wech- sel von Wärmemaximum und Minimum abfinden muß, durch dessen Rhyth- mus das Jahr in die vier Zeiträume von Frühling, Sommer, Herbst und Winter zerfällt. Diese Temperaturschwankungen aus kosmischer Ursache sind so fein abgewogen, daß kein Tag im Jahr dem anderen völlig gleicht. Zu diesen Temperaturunterschieden kommt noch der Einfluß der Erd- rotation, durch den jeder Punkt der Erde in jeder Minute des Tages einem anderen Grad von Insolation ausgesetzt ist; auch des Nachts bleibt die Temperatur in allen Luftzonen keineswegs unverändert, sondern einem Wechselspiel vieler Faktoren unterworfen. Durch dieses komplizierte und bewegliche System von Temperaturunter- schieden entstehen die Winde in allen ihren Abstufungen von der leisesten Luftströmung bis zum tobenden Orkan. Denn die Temperatur entscheidet über die Auflockerung der Luft; das Gewicht einer gleichhohen Luftsäule ist geringer, wenn sie warm ist, als wenn sie kalt ist. Es wird also nahe dem Erdboden bei kalter Temperatur die Luft höhere Barometerstände (hohen Luftdruck) aufweisen, als bei warmer Temperatur. Von den kälte- ren Orten strömt nun die Luft dem natürlichen Gefälle folgend in die Zone der „aufgelockerten" warmen Atmosphäre. Und diese Bewegung nennt man Wind*). Seine Stärke ist um so größer, je steiler das Gefälle im Luftdruck ist. So wird denn die Erdkugel aus diesen Gründen ständig von Luftbewe- gungen umkreist, in deren unendlicher Mannigfaltigkeit allerdings leicht gewisse Gesetze erkennbar sind. In den höheren Luftschichten besteht vor allem ein vom Äquator gegen die Pole zu gerichtetes Luftdruckgefälle, der ein gegenteiliger unterer Wind entsprechen muß. In Wirklichkeit aber sind diese Luftströmungen seitlich abgelenkt, da die Erdrotation ihren Einfluß auf die Luftbewegung geltend macht. Infolgedessen hat auf der nördlichen Halbkugel ein Beobachter, der den Wind im Rücken hat, den Ort niedrigen Luftdruckes stets zu seiner Linken. (Barisches Windgesetz von Bays-Ballot.) Diese ablenkende Kraft der Erddrehung ist natürlich in der Aquatornähe am stärksten; sie staut dort um 30 Grad Breite sogar die Luftströmung und erzeugt eine Zone der Windstille oder schwachen Winde, die man mit einem leichtverständlichen Ausdruck die Kalmen, mit einem kaum erklärbaren die Roßbreiten nennt. Der Niederwind, der westwärts dem Äquator zuströmt und ständig die ganze Erde umkreist, heißt, wie jedem Weitgereisten bekannt: der Überfahrtwind, der Passat, sein Gegenwind in der Höhe : der Antipassat. *) Allerdings verhält sich das in den höheren Schichten der Atmosphäre gerade um- gekehrt: die warme Luft strömt dort in die kalten Räume ab, so daß im Ganzen bei Temperaturunterschieden benachbarter Orte eine Zirkulation entsteht, die durch Ausgleich einen mittleren Zustand (Harmonie) ganz nach den Behauptungen un- serer Lehre herzustellen trachtet. 23 So ist ein wunderbarer Ausgleich der Temperaturen über dem Erdball jederzeit tätig als System der Winde, das in seiner Harmonie gleichsam wie ein Abbild der ganzen Welt erscheint. Aber, und auch darin macht es das Weltbild faßbar, wie es sich für die objektive Philosophie spiegelt, in dieser Harmonie niederen Ranges treten ständig Störungen auf. Hier hat man relativ leicht Einblick in ihre Ursachen. Sie entspringen nämlich notwen- digerweise den Funktionen des Seins, d.h. schon die Vielgestaltigkeit der die Erde zusammensetzenden Teile, also die Singulation, bedingt die Not- wendigkeit eines gegenseitigen Ausgleiches der Funktionen, die von jedem Nachbarteil als Störung seiner Funktion „empfunden" und entsprechend be- antwortet wird. Die Verteilung von Land und Wasser ist z. B. eine der Ursachen dieser Störungen im ständigen Luftausgleich. Kontinente erwärmen sich anders als das kühle Meer, und darum blasen die Passate nur auf dem Ozeait regelmäßig. Auch der in der Lage der Erdachse begründete Wechsel der Jahreszeiten ist eine solche Quelle der Störungen, die sich unter anderem darin äußern, daß auf dem asiatischen Kontinent, dieser größten Landmasse der Erde, im Sommer ein höchst ausgedehntes Tiefdruckgebiet entsteht, auf dem im Winter, aus leicht begreiflicher Ursache, entsprechender Hoch- druck herrscht. Das Gegenstück dazu befindet sich im Atlantik unter dem Einfluß des uns schon bekannten Golfstromes. Bei Island steht dann, vor- ab im Winter, ein ständiges Tiefdruckgebiet, eine sogenannte Depression oder barometrisches Minimum. Das, sowie die Roßbreiten mit ihrem Maxi- mum sind die Störungs- oder Aktionszentren der Atmosphäre, von denen die Witterungsunregelmäßigkeiten ausgehen, die uns unglücklich-glücklichen Westeuropäern so zur Daseinsgewohnheit geworden sind, daß man mit Recht von uns gesagt hat, wir bewohnten ein Land, in dem alle drei Tage ein anderes Wetter herrscht. Andere solche von der Sondergestaltung der Teile der Erde abhängige Funktionsstörungen periodischer Natur sind die Land- und Seewinde, ebenfalls abhängig vom verschiedenen Grad der Erwär- mung, die Festland und Meer erfahren, ferner die Tal- und Bergwinde, oder das größte Beispiel solcher Zirkulationssysteme, die Monsune Süd- asiens, die nichts anderes, als ein auf ganze Kontinente übertragenes Bei- spiel von Land- und Seewinden sind. Alle diese Umstände verwandeln die Witterung in ein höchst verwickeltes System von Luftströmungen verschiedenster Stärke und Richtung, in ein Durcheinander von Wellen, deren Einfluß in jeder menschlichen Tätigkeit, der einfachsten so gut wie der subtilsten, stündlich bemerkbar ist, ohne daß es aber dem Menschengeist gelang, die Mechanik dieses Wellensystemes restlos zu klären und es sich dadurch ebenso dienstbar zu machen wie die Wellen des Lichtes oder der Elektrizität. Da ist es denn leicht begreiflich, wieso die Wetterprognose, eine Vorher- sage, die dem Wellenmechaniker auf dem Gebiet der Elektrizität z. B. ohne 24 Ausnahme gelingt, noch mit so vielen Unzulänglichkeiten behaftet ist, daß nur etwa 71 o/o der Prognosen Treffer sind, während doch schon ein will- kürliches Raten 50 o/o Treffer ergibt. Nur in den allergröbsten Zügen sind die Zusammenhänge geklärt. Man weiß z. B. mit Sicherheit, daß die Luft diathermisch ist, d. h, die Wärmestrahlen fast ganz durchläßt, ohne sie zu absorbieren, so daß die gesamte Wärmestrahlung vom Festland unter dem Einfluß der Sonne ausgeht. Darum wird es auch immer kälter, je höher man steigt. Im allgemeinen sinkt nun in trockener Luft die Temperatur für je 100 Meter um einen Grad, und aus diesem Grunde sind auch die hohen Berge mit ewigem Schnee bedeckt.^) Demgemäß ist das Klima nicht nur vom Sonneneinfall, sondern auch von der Form der Größe der Kontinente, der Bodenbeschaffenheit und sonst noch vielen Faktoren mit- bestimmt. Dadurch erklärt sich, warum die heißesten Orte nicht am Äquator, die kältesten nicht am Pol liegen. Die größte Hitze maß man mit 72 Grad Celsius in der Sahara, die größte Kälte jedoch zu Werchojansk in Sibirien mit — 69,8 Grad Celsius. Solchen außerordentlichen Differenzen entsprechen auch Intensitäten der Ausgleichung, welche die Erdoberfläche zuweilen in ein grauenvolles Trüm- merfeld verwandeln. Die zehn Windstärken, die man unterscheidet, ent- sprechen Bewegungsgeschwindigkeiten von 1,5— 50,0 Sekundenmeter (Mann). Eine solche Bewegung legt 195 km in der Stunde zurück; natürlich müssen dann derartige Tornados oder Tromben verheerend wirken. Am 29. April 1892 beraubte auf Mauritius ein Sturm von solcher Stärke 25 000 Menschen ihres Obdachs, er tötete an 1500, hob sogar große Schiffe in die Luft und schleuderte sie in die Stadt Port Louis. Die Ursache war ein Druckgefälle, durch das das Barometer in vier Stunden um 38 mm sank. Im allgemeinen kann man sagen, daß eine Senkung der Quecksilbersäule um einen Millim.eter einen Wind von 3—5 sec/m Geschwindigkeit zur Folge haben muß.*) Da die größte Barometeränderung zu Mittag erfolgt, so pflegt dann auch bei allen Stürmen das Maximum einzutreten, des Nachts dagegen die geringste Stärke. Mit den Winden wandert nun auch die Temperatur im Sinne des Aus- gleiches. Südwinde, im Winter auch der West, bringen Wärme, im Sommer kühlen auch Westwinde ab. Daher bringen die Winde je nachdem Wolken oder Aufklarung. Durch die Verdunstung, die so verschieden ist, daß in Europa durchschnittlich nur sechs Hektoliter auf einen Quadratmeter kommen, während man in den Tropen das Zehnfache rechnen muß, wird die Luft mit Wasserdampf in Gasform beladen, der sich bei Abkühlung ausscheidet. Bei 0 Grad kann ein Kubikmeter Luft nur 4,4 Gramm Wasser in Gasform aufnehmen, bei 20 Grad aber bereits 7,1 Gramm. Kühlt sich warme Luft auf den Nullpunkt ab, so müssen 3 g in jedem Kubikmeter ausgeschieden werden. Nur dann ist der Ausgleich hergestellt. Das geschieht *) 15,0 sec/m gelten als Sturm. 25 durch die Ausscheidung in Tröpfchen, und diese sind im Milliardenverband sichtbar als Wolke oder Regen. So bringen die Minima die Winde mit sich, die Winde die Wolken, die Wolken den Regen. Nach dem Regen folgt Sonnenschein. Mit diesem Sprich- wort verrät unsere Muttersprache, daß sie sehr wohl die Welttatsache des Ausgleichsvorganges kennt. Die Niederschläge erfolgen, wenn der Tau- punkt überschritten wird, d.h. dann, wenn eine Wolke sich so weit ab- kühlt, daß sie den über die Sättigung hinausgehenden Wasserdampfvorrat ausscheidet.9) Das Hilfsmittel des Regens ist, wie uns schon bekannt, der Staub- und Rußgehalt der Luft. Um diese Kondensationskerne herum bildet sich je nach der Temperatur das Kristallskelett der Schneeflocken (Bd. I, Abb. 31) oder die Singulationsform der Hagelkörner und Regentropfen. So einfach und nüchtern stellt Wissenschaft diesen Vorgang dar, und wie viel farbig wechselvolles, schicksalsreiches Erleben steckt nicht in den Worten Landregen, Regenboe, Wolkenbruch, Unwetter, Schneetreiben, Hagelschlag, denen allen diese gleiche kühle Gesetzlichkeit zugrunde liegt. Wohl malt die Geographie das Bild ihrer Zahlen und Namen noch etwas bunter aus, wenn sie uns das Kapitel der Niederschläge aufschlägt: vor allem das dürre trostlose Bild der Wüsten, wo es nicht jedes Jahr regnet. Ich war in Afrika an Orten, wo mir Europäer seufzend sagten: das Unerträglichste ihres Schicksals sei der Mangel an Regen. Seit 13 Jahren warteten sie darauf. Von ElKosseir am Roten Meer ist verzeichnet, daß es dort 110 Jahre lang nicht geregnet hat. Noch wenn die Höhe der Niederschläge eines ganzen Jahres 250 mm übersteigt, ernährt das Land nur dürre Steppe, 1000 mm (z. B. München) sind erst normal. Aber die Monsunregen der Tropen bringen manchmal in einer Woche so viel nieder, und das Kamerungebirge mit 10 Metern Regenhöhe oder das Extrem: Dscherra Pundscha am Südabhang des Himalaya mit 12,5 m ist selbst für den Salzburger und Kreuther (im bayerischen Gebirge) eine unfaßliche Wasserhel, wenngleich es auch in seiner Heimat an 2000 mm Niederschläge gibt und an 178 Tagen im Jahre regnet oder schneit. *) Die Verteilung dieser Niederschläge wird nun durch das große Gesetz der Jahreszeiten und dann durch den Weg der Minimas im Einzelnen geregelt. So wichtig ist das für den Menschen, daß er viele Institute in allen Län- dern geschaffen hat, um die Zugstraßen der Depressionen festzustellen, und in täglich überallhin telegraphierten Karten studieren das täglich Tausende, deren Erwerb und deren Lebenssicherheit auch oft genug von der richtigen Prognose der nächsten vierundzwanzig Stunden abhängt. Im Prinzip handelt es sich dabei in Europa fast immer um die Bahnen, welche die von dem isländischen Zentrum sich fortwährend ablösenden Teilminima einschlagen. Diese Zugstraßen sind nicht vom Zufall, sondern durch ganz bestimmte *) In Deutschland im allgemeinen durchschnittlich an 156 Tagen. 26 Gesetze vorgeschrieben. Wohl weiß man, daß deren oberstes auch hier die Erdrotation ist, wodurch die Minima westwärts gedrängt und abgelenkt, da- durch in eine wirbeiförmige Bewegung gebracht werden. Sie folgen dabei dem Laufe des Golfstromes und wandern im allgemeinen auf zwei Haupt- wegen (vgl. Bd.I Abb. 104). Der eine führt über Skandinavien gegen das nördliche Rußland, der andere wandert entlang den Alpen. Im Gebiet des Minimums, das man mit einem Ausdruck von dichterischer Kraft „das Auge des Sturmes" genannt hat, bilden die Luftwirbel infolge der Erwärmung einen aufsteigenden Luftstrom, wobei die Luft in „zyklo- naler Bewegung" (weshalb die Minima in der Wissenschaftssprache auch Zyklone genannt werden) gegen den Uhrzeiger strömt. Mit anderen Wor- ten: Alle Nordwinde gehen in Europa allmählich mit dem Vorrücken des Minimums in einen Nordwest über; Ursache davon ist der Erdriese mit seiner Drehung; die Wirkung der Erscheinung ist die Tatsache, daß NW der herrschende Wind Europas ist. Hat uns ein Minimum erreicht, dann dreht der Wind nach Westen, und in dem Maße, als es abzieht, folgen ihm Südwest- und Südwinde, schließlich Ostwinde nach. Die im Minimum emporsteigende Luft kühlt sich so stark ab, daß aus bekannter Ursache eine immer mehr sich verstärkende Bewölkung, schließlich auch Niederschläge eintreten. Ein Minimum bedeutet daher für die alltägliche Erfahrung Schlechtwetter, sein Gegenteil dagegen Aufheiterung, weil dann Luft herab- steigt, durch das Zusammendrücken sich erwärmt und mehr Feuchtigkeit aufnehmen, also Wolken verzehren kann. Man sieht: die gesamte Meteorologie ist nichts als die Physik, und zwar die Wellenmechanik der Luft: Nichts an ihr ist unerklärlich; wenn sie trotz- dem noch so viel unbekanntes Land des Wissens in sich schließt, so kommt das nur von der großen Verwicklung der Tatsachen. Alles läuft da in Wellen und Wellchen, die sich kreuzen, bis sich vor diesem Wellenspiel der Funktionen die Sinne verwirren. Denn jede Gewitterwolke bedeutet einen lokalen Zyklon, hat ihren eigenen Wind und alle an ihm haftenden Erscheinungen, jedes Gebirge, das Meer, jeder große See, ja schon jeder Wald macht sich im Bilde durch besonderen Einfluß bemerkbar und muß in eine Rechnung eingestellt werden, die letzten Endes bei der für Menschen- sinne unfaßbaren Vielgestaltigkeit der Erde unübersichtlich wird. So er- eignet es sich in diesem Fall, daß man wohl das Gesetz kennt, aber es praktisch dennoch nicht befriedigend anwenden kann. Es bereitet ein wunderbares Vergnügen, wenn man so vielerlei und ver- wirrende Erscheinungen: das Wellenspiel des Meeres, seine Strömungen, das Auftauchen der Länder, das Brausen der Brandung, den geheimen Zug der Wolken, das Pfeifen des Sturmes, die Entstehung der Wüsten, den stillen Wandel der Jahreszeiten auf ein und dieselbe Formel bringen kann. In dem Maße, in dem man die Wellengesetze konsequent auf die Phänomene der Atmosphäre und der KUmatologie anwenden wird, wird sich diese Seite des 27 Welterlebens einfacher und durchsichtiger gestalten und uns mit neuen Er- kenntnissen bereichern. Schon jetzt gestattet der uns führende Gedanke z. B. auch in das Chaos der Paläokllmatologie einige Ordnung zu bringen. Von ihm hat jedermann wenigstens insofern einiges Wissen, als man von einer, der Geologe sogar von mehreren diluvialen und einer karbonischen, mit Fragezeichen auch von einer kambrischen Eiszeit Kenntnis besitzt, zwischen die Perioden mächtiger Erwärmung fallen. Das allgemeine Bild der vergangenen Klimate gestaltet sich (nach F. Frech, um eine der gel- tenden Ansichten als Grundlage zu wählen) etwa in folgender Weise: Das Klima des Archaikums und der präkambrischen Zeit ist völlig un- bekannt. Im Kambrium herrscht eine Eiszeit. Silur, Devon und Karbon waren gleichmäßig warm. Das Dyas hatte wechselndes Klima, teilweise eine Eiszeit. Trias und Jura besaßen tropisches Klima. In der Kreide begann eine Abkühlung. Das Tertiär begann mit einer Wiedererwärmung, der aber wieder Abküh- lung folgte. Diluvium und Gegenwart bedeuten eine jetzt langsam auspendelnde Eis- zeit, so daß nach aller Wahrscheinlichkeit die geologische Zukunft wieder durch eine allgemeine Erwärmung ausgezeichnet sein wird. Wo soll in diesem steten Wechsel nun das Gesetz auffindbar sein, wenn nicht im Wellengesetz, das die Klimatologie auch im Größten genau so be- herrscht, so wie es ihr Kleinstes regelt? Mit voller Zuversicht läßt sich von dieser Plattform aus behaupten, daß periodische Eiszeiten und pantropische Zustände vor dem Kambrium genau so da waren, wie sie auch in Zukunft wiederkehren werden, und in dieser Hinsicht findet die Theorie der Pendu- lation (vgl. Bd. I S. 69), welche allein bisher den Rhythmus der Eiszeiten zu erklären vermocht hat, an dieser Wellenlehre eine neue Stütze. Auch die Klimamigration erscheint demnach dem Wellengesetz unterworfen. Es ist sehr artig zuzusehen, wie sich dieses Wellengesetz gewissermaßen in den Funktionsformen von Wasser und Wind automatisch in das Antlitz der Erde eingräbt, und wie es sich auf diese Weise Dauermonumente er- richtet. Die Strandterrassen an den Meeresküsten, so gut wie die oft ge- nug auch fossil aufbewahrten „Rippelmarken^^ des Wellenspiels am san- digen Strand, belegen diesen Satz ebenso, wie die zahllosen Denkmäler der Deflation, welche allerorten in den Alltag der Menschen hineinragen und in prachtvollen Hieroglyphen das Gesetz der Welle gewissermaßen an allen Wänden eintragen. Der Unterschied von Abrasion (oder Ingression, wie ein neuerer bes- serer Fachausdruck sagt) und Deflation (die in neuerer Zeit mit Vorliebe Winderosion genannt wird), beruht eigentlich nur auf dem arbeitenden Material; die Funktion bleibt bei beiden die gleiche. Das abradierende, 28 Abb. 5. Modell eines Gletschers nach A. Heim im Alpinen Museum zu Mimchen Man beachte die Firnmulde, aus der durch Ablation die Gletscher entstehen, mit ihren Kluft- systemen und Seitenmoränen. Im Vordergrund die abgeschliffene Rundhöckerlandschaft aus Zeiten größerer Vereisung. Die Hochberge sind-ausgesprochene „Karlinge" mit zugespitzten Formen Abb. 6. Gerolle eines Wildbaches im Hochgebirge Die Steine stellen Funktionsformen in allen Stadien der Vervollkommnung dar. Moti- in Tirol. Originalaufnahme aus dem Otztal Meer unterwühlt in Form von Hohlkehlen die Kliffs, wie der deutsche See- mann die Steilküsten englisch benennt, durch Rollsteine, welche klassisch ausgeprägt die Funktionsform des Rollens an sich tragen und in jedem Gebirgsbach im kleinen die großen Erscheinungen an der Meeresküste wiederholen (Abb. 6). Die Ebbe führt dann das aufbereitete Material zu- rück ins Meer, und so schleift der Wellengang der Tiden mit lebendiger Kraft sauber und glatt die Festlandsstümpfe mit solcher Geschwindigkeit ab, daß man die Ingression an den deutschen Meeresküsten jährlich auf einen Küstensaum von 0,72 m Breite berechnet hat. Genau nach gleichem Wellengesetz und mit den gleichen Mitteln arbeiten die Luftwellen, vulgo Wind. Was sie leisten, darüber befrage man einen Dombaumeister, oder noch besser, beim Besuch eines der gotischen Münster sehe man sich die zerfressenen, ausgehöhlten, schwindenden und abgeschlif- fenen Steine in der Höhe selber an. Ich habe manchen Tag mit diesem Stu- dium zugebracht, nicht nur auf dem Straßburger Dom und dem Ulmer Münster und in den Hochgebirgen, sondern dort, wo der klassische Ort dieser Winderosion ist, die das ganze Landschaftsbild zurechtmodelliert, in den morgenländischen Wüsten, namentlich am Sinai. Der Wind verwendet vor allem den Quarzsand als ein Schleifmittel, was ihm der Mensch als biotechnische Imitation nachgemacht hat in den Sandgebläsen. Eine kolos- sale mechanische Kraft wird dadurch entfaltet, der tatsächlich nur der Quarzfels selbst und die verkieselten Kalke widerstehen können. Darum selektiert die Deflation Fels und Berg nach ihrer Härte. So wurden z. B. die beiden sogenannten versteinerten Wälder bei Kairo bloßgelegt, und das wunderliche Landschaftsbild geschaffen, daß verkieselte Baumstämme der Gattung NicoUa so frisch und glatt am Boden liegen, als wären sie vor kurzem gefällt, während sie doch in Wahrheit jahrmillionenalt sind und im Tertiär grünten. Auf gleiche Weise arbeitet der Wind mit den aneinan- der zu „Gerollen" zurechtgeschliffenen Sandkörnchen die ganze „Hammada" (Kieswüste) durch. Dieser Wind, dessen Wellen täglich über das knochen- bleiche Land fluten, steigert sich im 40tägigen Chamsin, den man in Europa mit einer alten Redeweise Samum nennt, dermaßen, daß er selbst große Kiesgerölle in Flug bringt. Ihm gegenüber schützen sich die Kamel- beine durch Schwielen, und oft genug hört man in jenem Lande von Rei- senden, die durch die scharfen Gesteinsplitter verletzt und sogar getötet wurden. Das muß man wissen, um dann die wunderlichen und grotesken Formen der Berge und Felsen in der arabischen Wüste zu verstehen. Tiefe Löcher sind in die Wände eingefressen, in denen Sand wie ein Reibstein arbeitet. Aus der kleinsten Mulde wird bald ein Loch, und Höhlung reiht sich an Höhlung zu wahren Gittern. Tiefe Grotten, ganze Höhlen bilden sich, mächtige Kessel und Pfannen werden zurechtgescheuert, mit denen man allerdings die einst durch Erosion zustande gekommenen, meist blind 29 endenden Trockentäler (Wädis) nicht verwechseln darf.i«) Da der Sand und die Gerolle nicht hochfliegen, scheuern sie mit Vorliebe bestimmte Hohlkehlen aus und schleifen so an isolierten Felskuppen allmählich einen dünnen Stiel zurecht, auf dem dann ein ganzer Pilzhut aufsitzt; auf diese Weise entstehen auch die merkwürdigen Zeugenberge, welche für das Landschaftsbild der Sahara so überaus kennzeichnend sind. Immer — und das ist das Gesetz — verwandelt der Wind die ihm wider- strebenden Dinge in Formen, welche seine Bahn erleichtern: er schafft sie um in Funktionsformen. Und sie demonstrieren am harten Fels genau so die Gesetze der Wellen, wie die Flugsandfelder der Erg, der reinen Sand- wüste, wo der Wind den aus der Kieswüste herausgeblasenen Sand und Staub in Walldünen ablagert, deren Longitudinal-Wellen und Rippelung, deren Sichelform vom feinsten bis zum gröbsten zu dem Kundigen spricht wie ein Demonstrationsvortrag über das Gesetz der Wellenbewegung, das sich an diesen Flugdünen gleich denen am Meeresstrande auch insofern bewährt, als sie wirklich wandern. (Vgl. Bd. I Abb. 68.) Hat man erst einmal das Auge an diesen großartigsten Beispielen von Deflation geschult, so wird man die Hieroglyphik der Luftwellen auch in der Heimat allerorten in leisen Spuren wiederfinden und sei es nur in der Gestalt der Bäume, die eine Antwort auf die Fragen des Windes ist, oder in den „Dreikantern" (Windkantern), zurechtgeschliffenen Steinen und Felsen, wie sie besonders in nacheiszeitlichen Moränenfeldern zu sehen sind. Noch deutlicher reden die Berge von diesen Dingen; viele Gipfel sind „Schlifformen", ihr großartigster Chorführer darin das Matterhorn, wohl der größte existierende Dreikanter (Abb. 9). Was hier im Größten erschütternd, auf Äonen hinaus sichtbar und wirkend sich ereignet, das ge- horcht immer noch dem gleichen Gesetz, wenn es unsichtbar, in feinsten Wellen, die Luft durchzittert und nur als süßer Klang, als berückende Melodie und ergreifendes Lied zu den Sinnen spricht. Tatsächlich ist Musik und die ganze Welt der Akustik nur eine Anwendung der gleichen Kraft, welche Berge mit mächtiger Hand versetzt und umgestaltet. Die Akustik, welche die feinsten Schwingungen der Luftwellen erforscht, macht uns da- her im Prinzip mit keinen neuen Naturkräften, sondern nur mit neuen Anwendungen altbekannter Prinzipien bekannt. Seit langem schon hat man sich gewöhnt, die Wellenbewegungen der Luft als Schall zu bezeichnen, wenngleich es nicht immer des Ohres bedarf, um sich von dessen Wellennatur zu überzeugen. In vielen Fällen läßt sich z. B. an einer tönenden Saite schon durch das Tastgefühl erkennen, daß sie Bewe- gungen und zwar Schwingungen ausführt. Mittels eines artigen, von jeder- mann leicht auszuführenden Versuches kann man die Art dieser Schwingungen sogar graphisch festhalten. Man braucht dazu nur an der einen Zinke einer Stimmgabel einen federnden Metalldraht anzubringen. Wenn man dann mit dessen Spitze über eine berußte Glasplatte fährt, während die Stimmgabel 30 angeschlagen wurde und tönt, so zeichnet der Draht die Bewegung der Gabel als regelmäßige Wellenkurve auf. Variiert man den Versuch mit höher ge- stimmten Gabeln, so kann man sofort feststellen, daß bei höheren Tönen in gleicher Zeit mehr Schwingungen ausgeführt werden. Und mißt man das ganz genau, dann ergibt sich, daß von zwei Stimmgabeln, von denen |" i | f eine um eine Oktave höher gestimmt ist, also sich verhält wie die höhere doppelt so viele Schwingungen ausführt wie die tiefer klingende. Das Intervall der Oktave entspricht also dem Verhältnis von 2:1 der Schwingungszahlen. Es ist nun nicht durch die Mechanik, sondern durch die Physiologie bestimmt, daß wir von den im Prinzip unendlich vielen möglichen Tönen zwischen dem Intervall 2:1 nur wenige, ganz gewisse bevorzugen. Eigentlich war das der erste Einbruch der Biologie in die Physik, und alles, worauf wir an Hand der Biozentrik jetzt erst gestoßen sind, hätte sich schon zu Pythagoras' Zeiten ableiten und feststellen lassen. Denn der Weise von Samos war der Erste, der diese biologische Akustik in die Wissenschaft einführte. Heute sieht man es auch ohne weiteres ein, daß er, indem er diese Akustik zur Grundlage seines gesamten Philosophierens machte, sich dadurch praktisch auf den Boden der Biozentrik stellte und nun notwendigerweise, allein durch richtige Schlußfolgerungen, zur Harmonielehre und dem Harmoniegesetz als oberstem Weltprinzip gelangen mußte, weil ja für das Leben Harmonie tatsächlich das oberste erhaltende Prinzip ist. Insofern ist das, was sich jetzt ereignet: die Schöpfung des Gedankens, dem dieses Werk dient, in gewissem Sinne wirklich nichts als ein Neu-Pytha- goraeismus. Tatsächlich ist diese Einführung des Biologischen in die Akustik ein Ge- bot der Notwendigkeit, da die Existenz von Tönen auf keinem anderen Wege als auf dem biologischen, nämlich durch die Empfindung festgestellt werden kann. Und sofort stellt sich, wenn man mit dieser Prüfung beginnt, die vom Biologischen unzertrennbare Relativität ein. Savart fand, daß der tiefste hörbare Ton durch acht Schwingungen in der Sekunde zustande- komme, der höchste durch 24 000. Helmholtz, der ursprünglich Arzt war und auf dem Weg über die Akustik zum Physiker wurde, bestimmte diese Zahlen zu 16 und 38 000. Die Lösung des Widerspruches liegt darin, daß das Empfinden von Mensch zu Mensch verschieden ist. Der eine hört noch nicht, was der andere bereits hört. Wenn es daher noch irgendeines Be- weises für den allgemeingültigen Relativismus der Begriffe bedurft hätte, hier wäre er für jedermann handgreiflich zu holen: Es gibt kein absolutes, sondern nur ein relatives Weltbild. Und die Schwierigkeit des Daseins be- steht darin, daß wir für die Zoesis eingerichtet sind, mit allem aber stets nach der Extrazoesis fragen, die allein seit dem Ausgang des Altertums für spezifisch menschlich und „menschenwürdig" gilt. .Wenn der Schall nun Wellen der Luft darstellt, dann müssen in denSchall- 31 erscheinungen auch alle Gesetze der Wellen aufzufinden sein. Schallwellen müssen dann jedenfalls zurückgeworfen werden können, Wellenberge und Wellentäler besitzen, die sich durch Interferenz aufheben; auch müssen sie sich dann in andere Wellenformen der Energie transformieren lassen. Tat- sächlich hat die Physik auch alle diese Forderungen erfüllt. Vor allem lernte sie durch die Bemühungen Chladnis, den man nicht umsonst den Vater der neueren Akustik nennt, die Schwingungen sichtbar machen, welche tönende Körper, z. B. Stäbe oder Platten ausführen. Der allbekannte, in Ab. 7 darge- stellte Chladnische Versuch beruht darauf, daß man eine elastische Scheibe mit feinem trockenen Sand bestreut und hierauf mit einem Violinbogen an- streicht. Die Körnchen werden dann von der schwingenden Platte in die Höhe geschleudert, und es zeigen sich Knoten, welche offenbar Ruhestellen be- deuten. Jeder Ton hat seine besondere Klangfigur und demonstriert damit, daß die Schallerscheinung wirklich auf Wellen beruht, deren Schwingungs- bäuche durch Ruhepunkte, nämlich die Knoten, voneinander getrennt sind. Die nächstwichtige Analogie mit dem Lichte, nämlich die Reflexion des Schalles, hat schon jedermann erlebt, der nur einmal einem Echo lauschte. Berühmte Echos, wie das an den Wasserfällen von Terni, können einen Schall sogar durch wechselseitige Reflexion an 15 mal wiederholen, und Spielereien nach dem Muster des Ohres des Dionysos sind in der Anekdoten- geschichte aller Zeiten erzählt worden. Verdichtet man das zum wissen- schaftlichen Experiment, so kann man auch den Schall in Hohlspiegeln ebenso auffangen, seine Wellen in einem Punkte vereinigen und dadurch verstärken, wie man das mit dem Licht und den Wärmestrahlen von alters- her konnte. Auf der Anwendung dieses Prinzips beruht der Bau der Musik- instrumente ebensogut wie der der Konzertsäle und Theater. Die feinen und gefälligen Rundungen der Geige, des Flügels, der großen Blechinstru- mente, die Muschelformen der Zuschauerräume verdanken ihr Entstehen nicht dem Schönheitssinn oder irgendwelchen Moden und können von diesen daher niemals abgeändert werden. Sie sind vielmehr biotechnische d. h. Notwendigkeitsformen optimaler Funktion, die ihr organisches Vorbild in der menschlichen Ohrmuschel (vgl. Abb. 8) als einer prachtvollen Reso- nanzfläche zur bestmöglichsten Aufnahme von Tönen aller Art besitzen. Diese Reflexion der Schallwellen, an deren Existenz man nach so vielen Beweisen nicht zweifeln kann, leitet zum Verständnis der ebenfalls vorhan- denen Interferenz. Die jedem musikalischen Menschen bekannten Schwe- bungen (also ein Anschwellen und eine darauf folgende Abschwächung von Tönen) lassen keine andere Erklärung zu, als daß verschieden geartete Schallwellen sich bald gegenseitig mehr oder minder aufheben oder ver- stärken, so wie man die Sache an den Wellen des Wassers unmittelbar be- obachten kann.ii) (Vgl. Abb. 2 und die farbige Tafel zu Bd. L) Damit aber auch der letzte und alles zusammenfassende Beweis für die Schwingungsnatur des Schalles nicht fehle, so ist das menschliche Gehör- 32 Abb. 7. Die Erscheinungen der Schallwellen Chladnische Klangfigur, welche auf einer mit Sand bestreuten Platte entsteht, die zum Tönen gebracht wird Abb. 8. Das Ohr des Menschen im Längsschnitt I Vom äußeren Ohr (Ohrmuschel) führt der Qchörgang zum Tronunci feil, mit dem in der Paukenhöhle die üehörknöchelchen in Vcrhin düng stehen. Die Eustachische Röhre (e) führt in den Rachen. Oie Gehörknöchelchen sind durch den „Steigbügel"^ in Verbindung m der (aufgeschnittenen) Schnecke und dem Labyrinth, an dcner" sie der Acusticus (Gehörnerv) verästelt. In der Schnecke liegt das Corti'sche Organ. M Das statische Organ des Menschen, mit den Bögen in den drei Richtungen des Raumes, nach deren Verletzung die Raumvorstellurg gestört ist. Originalzeichnurg Organ nichts anderes als das biotechnische Vorbild aller Saiteninstrumente, nämlich selbst ein äußerst fein konstruiertes Saiteninstrument zur Aufnahme von Luftwellen. In unserem Ohr wird durch Resonanz musiziert, und das hören wir. Ein Blick auf Abbildung 8 wird das denen deutlich machen, die mit dem Bau ihres eigenen Körpers nicht genügend vertraut sind. Die schon erwähnte Ohrmuschel ist der Resonanz- und Sammelapparat und ein unbe- greiflicherweise technisch noch ganz ungenügend durchgeprüftes System von Reflexionsflächen, von deren Leistungsfähigkeit wir daher nur an- nähernde Begriffe haben, während man es ganz verabsäumt hat, das vom Leben uns darin vorgelegte Modell irgendwie technisch zu verwerten. Be- kanntlich leitet der Gehörgang zu einer in seinem Durchmesser ausge- spannten elastischen Membran, dem Trommelfell, dessen Schwingungen durch ein kompliziertes System von übertragenden Mechanismen, nämlich den Gehörknöchelchen, auf die Flüssigkeit, die das Labyrinth erfüllt, über- tragen werden. In diesem Labyrinth sind an mehreren Stellen Einrichtungen angebracht, welche die verschiedenen Schwingungen als Reiz aufnehmen und dem zu feinsten Fasern zerteilten Hörnerv (Acusticus) als Reiz über- mitteln. Ganz grobe Geräusche versetzen wohl die winzigen Kristalle von kohlensaurem Kalk (Ohrsand) in ein Erzittern und üben damit eine plasma- tische Reizung, die man auch den Pflanzen und niederen Tieren, die viel- fach solche Hörsteinchen in sich bergen, zumuten kann. Unsere ebenfalls vorhandenen Qehörsteinchen werden als Hilfsmittel angesprochen, um die Gehörreize von kürzester Dauer aufzufangen, welche wohl die im soge- nannten Cortischen Organ ausgespannten Hörnervsaiten gar nicht in Schwingungen versetzen würden. Dieser Corti-Apparat besteht aus etwa 3000 gespannten Hörnervfibrillen, angeschlossen an je eine Membranfaser, von der man annimmt, daß sie für einen bestimmten Ton abgestimmt sei, bei dessen Ertönen sie in das aus der alltäglichen Erfahrung sattsam be- kannte „Mitschwingen der Fensterscheiben" gerät. Das eigentliche und feinste Hörorgan ist demnach eigentlich eine dreitausendsaitige Harfe. Die Saiteninstrumente sind unbewußte biotechnische Kopien des Ohres, der menschliche Erfindungsgeist wiederholte in ihnen den Menschenleib. Hier geht dem Denkenden auch das Verständnis für die Melmholtz^schen Entdeckungen auf, warum Konsonanz und Dissonanz, die ganze Welt der Tonkunst nicht von der mathematisch absolutistischen Physik, sondern von der relativistisch-biologischen Psychophysik gelenkt wird. Ton ist Emp- findung; aus seinen Schwingungen trifft die Empfindung eine biozentrisch brauchbare Auswahl, und sie bestimmt die erlaubten „wohlklingenden" Ver- knüpfungen, sie lehnt die unbrauchbaren Dissonanzen ab, wobei sie der allgemeinen Veränderlichkeit der menschlichen Seele folgt. Musik ist demnach nicht die Mechanik der Schwingungen, sondern die der Seelenjähigkeiten. Sie folgt nicht absoluten physikalischen, sondern relativistischen, also psychologischen Gesetzen. Musik ist daher vor allem Franci, Bios H 3 33 eine biologische, daher bei jedem Volk und zu allen Zeiten wechselnde Aus- wahl aus der Summe aller möglichen Geräusche. Der Unterschied zwischen Geräusch und Klang (Definition des Klanges s. unt.) wird durch die Menschenseele bestimmt. Die zwölf Töne der Oktave: sind durch unser psychisches Vermögen festgestellt und letzten Endes der Willkür unterworfen. Diese zwölf Töne sind so ausgewählt, daß acht von ihnen Oanztöne und vier Halbtöne sind, von denen der erste und der achte der Ganztöne um eine Oktave differieren, wenn der erste also den Wert eins hat, dann besitzt seine Oktave den Wert zwei. Und die dazwischen liegenden sieben Töne haben dann, da man sie als gleich große Intervalle ausgewählt hat, folgende Werte: c d e f g a h c 1 JL A J_ A A 15_ 2 ^843238 Als Bezeichnungen für diese Intervalle hat man sich längst über die Aus- drücke Sekunde, Terz, Quart, Quint, Sext, Septime und Oktav geeinigt. Diese Auswahl ist es, die schon Pythagoras getroffen hat, und schon er hat auch erkannt, daß nur diese Terzen, Quinten usw. unserem Ohre ge- nehm und wahrnehmbar sind, wenn mehrere Töne zusammen erklingen. Nur sie sind harmonisch. Wenn eine Saite klingt, so ist der Ton mit der kleinsten Schwingungs- zahl, den sie gibt, ihr Grundton. Sie vollführt aber hierbei stets kompli- zierte Bewegungen, als deren Folge auch Obertöne erklingen, und zwar stellt sich hierbei das Gesetz der multiplen Proportionen insofern ein, als die Schwingungszahlen der erklingenden Obertöne stets das 2-, 3-, 4-, 5-, 6 fache des Grundtones sind. Jeder Ton einer schwindenden Saite ist also zusammengesetzt aus einem Grundton und mehreren Obertönen (das nennt man exakt dann Klang). Wenn man diese Elementartatsachen der Klang- und Harmoniebildung als Funktionen der Luftwellen etwas überdenkt, kommt man zu einem, die Seele bis ins Tiefste aufwühlenden Resultat. Denn nichts anderes wurde hier gesagt als folgendes: Wir empfinden als harmonisch nur die Verwirk- lichung des Weltgesetzes der multiplen Proportionen, was doch, wie wir erkannten, zugleich das Quantengesetz oder die Bode-Titius'sclie Reihe der Planeten, also der Bau der Welt vom Kleinsten bis ins Größte ist. Möglich und auch befriedigend erscheint unserem Erleben auf musikalischem Ge- •) a ist der Kammerton (der Stimmtonkonferenz von 1885) mit 435 Schwingungen. 34 biet nur ein Verhältnis in der Vielheit der Töne, dessen Mechanik dem Weltgeschehen entspricht, wie es von der objektiven Philosophie durch- schaut wurde. Musik ist nichts anderes als angewandte objektive Philo- sophie. Die Auswahl der musikalischen Töne aus dem Chaos der überhaupt möglichen ist demnach nichts als die Schaffung der Harmonie, in der sie entweder nacheinander oder zusammen erklingen. Oder mit anderen Wor- ten : auch durch die Musik nimmt die Menschenseele nur ihr eigenes inneres Gesetz wahr, so wie im Weltphänomen überhaupt. Und Pythagoras hatte ganz recht, wenn er Musik die Grundlage aller Bildung nannte und in richtig verstandener Musik den Kern aller Philosophie sah. Die musikalische Harmonie, die Auflösung der Dissonanzen ist wirklich das Abbild der Welt, und das große Gesetz des Erlebens kann in ihr dargestellt werden. Das musikalische Kunstwerk wird so zum „vollkommenen" Erlebnis, und es steckt ein tiefer Sinn in dem so oft unverständig ausgesprochenen Wunsch: das Leben zum Kunstwerk zu gestalten. Nichts anderes ist da- mit ausgedrückt, als der Wunsch, daß es harmonisch sei, daß es die Voll- kommenheit der Welt erlange. Da haben wir die tiefste Rechtfertigung, die Urkunde und die wahre Deutung der Göttlichkeit der Musik, das innerste Verstehen, warum das Beethoven-Septett wirklich vom Weltengrunde spricht mit tiefer Philosophie und Tristans Erzählung von dem Reich, „daraus die Mutter ihn entsandt" wirklich Urtatsachen von Leben und Tod zergliedert. Daher das unerschöpfliche Interesse für Musik, die Sehnsucht nach ihr in der Seele jedes Gebildeten. So endigt dieses Durchdenken der Grund- begriffe der Akustik mit einem neuen Verständnis für die Musik, das aller- dings wieder, wenn auch auf höherer Integrationsstufe, zu der ersten pytha- goraeischen Wertung des Musikalischen zurückkehrt. Musik ist — wenn man diesen Ausdruck gebrauchen darf — eine drei- dimensionale Geometrie der Wellen, die durch das Ohr perzipiert wird, vor allem ist sie der vollkommene Ausdruck der Weltmechanik. Sie führt alles Geschehen und Erleben auf die ihm adäquate Mechanik von Wellen- bewegungen zurück, sie ist also die rhythmisch-melodisch-harmonische Über- setzung (= Sprache) des Weltgeschehens in einer Formel, welche alle seine ausschlaggebenden Merkmale zusammenfaßt. Sie ist daher als „Sprache" des Weltschaffens der Malerei überlegen; die Gebärdensprachen, auch die Lautsprache und das Denken als Abstraktion der Sprache kommen diesem Ziel allerdings schon näher, sind aber noch zu weitmaschig. Poesie, namentlich rezitierte (alle Poesie wird eigentlich zu diesem Zweck geschrieben) kommt durch ihren rhythmisch-melodiösen Gehalt (Betonung) der Musik schon nahe, gehört daher eigentlich zu ihr, und beide können sich substituieren und steigern, weshalb die Sprache ihr Begrifflich-Feinstes stets auch in Versen gesagt hat. Das ist die Wurzel, warum sich alle Reli- gionen (Veden, Psalmen), auch die Urphilosophie in den Lehrgedichten der Vorsokratiker stets der hymnischen Formen bedienten und Nietzsche mit 3* 35 seinem Zarathustra wieder auf sie zurückgriff. *) Aber erst Musik ist, namentlich in ihrer höchsten symphonischen Form, die intensivste aller Sprachen, das dichteste Netz, um primäre Perzeptionen und Vorstellungen einzufangen. Deshalb ist sie kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit, ein Er- kenntnishilfsmittel, um das Weltphänomen darstellen und erfassen zu können. Die letzte und höchste Form, um eine Philosophie wiederzugeben, sollten daher Kompositionen sein, und so wie ich zur Konzeption meiner Werke von Bach und Beethoven, Mozart und Brückner, von Enna und Marschner wie Wagner Anregungen und Klärungen empfangen habe, wünschte ich, daß der objektiven Philosophie bald ein Beethoven erstehen möge, der erst im- stande sein wird, das, was hier unvollkommen begonnen ist, zu vollenden und zum Siege zu führen. Man muß sich aber hierbei vollkommen klar sein, daß trotz dieser Wert- schätzung, welche die Musik an die Spitze der wertvollen Erlebnisse stellt, ihr hier keineswegs eine metaphysiche Bedeutung zugesprochen wird. Sie ist dem objektiven Philosophen keineswegs mehr, allerdings auch nicht weniger als die Natur und deren innere Spiegelung, sie ist ein Abbild des Bios. Daher kann sie letzten Endes nichts anderes sein, als die „Biotechnik der Luftwellen". Insofern gibt es auch „objektive Musik". Es sind nämlich die Wellenbewegungen, und da jede Bewegung in Wellen verläuft, also die Bewegungen an sich, Elemente dieser natürlichen Musik, eine Vorstellung, die denen, so von einer „Sphärenharmonie" sprachen, innerlich klar sein mußte. Die Bewegungen, die sich im Walde, am Meer, am Wasserfall, im Sturm, im Angst- oder Lustschrei eines Tieres kundgeben, werden vom Menschen entsprechend seiner reicheren seelischen Sprache in der Musik nur kompli- zierter nachgeahmt, weshalb sich denn diese rhythmischen und melodischen Elemente des Herzklopfens, des rollenden Donners, des Sturmesheulens, der plätschernden Wellen, der Liebeswallung und des erstarrenden Schmer- zes aus dem Musikalischen niemals haben verbannen lassen, auf einer ge- wissen Integrationsstufe (man denke an den Walkürenritt, an die Hebriden- ouvertüre von Mendelssohn, an gewisse Sätze der Pastoralsymphonie oder der fiaydn'schen Jahreszeiten) sogar ihr Eigentliches ausmachen. So hat sich der Menschengeist ein wunderbares Abbild der Weltgesetze erschaffen in der Musik, deren wahre Leistungen nicht hinter uns liegen, sondern erst noch kommen werden, und nirgends ist er so zur objektiven Philosophie vorbereitet und erzogen worden, wie in der Mechanik der Luft- wellen, wo es ihm seit Jahrtausenden klar und erstrebenswert ist, daß er der Schöpfer eines Erlebens ist, indem er aus einem Chaos von, •) Dies ist auch die Ursache, warum sich zu der objektiven Philosophie von Beginn ihre eigene Dichtung gesellte, z. B. in dem Versezyklus von Annie Harrar: „Ich bin", aus dem Bruchstücke im Jahrgang 1920 der Dresdner Zeitschrift: Der Zwin- ger, erschienen sind. 36 Schwingungsmöglichkeiten sich nur jener von 40—4000 Schwingungen in der Sekunde (also sieben Oktaven) bedient, innerhalb deren er durch möglichst einfache Proportionen der Schwingungszahlen nach dem Welt- zweck, nämlich nach absoluter Harmonie strebt.12) Wenn dieses musika- lische Ziel erst einmal die Lebenssphären eine nach der anderen ergreift, dann ist der Mensch auf dem richtigen Wege und wird sein Leben selbst zur Harmonie, damit zum Kunstwerk gestalten und dadurch seinen wahren Weltzweck erreichen. Immerhin muß man glücklich sein, daß wenigstens auf einem, wenn auch angesichts des Lebensganzen höchst beschränkten Gebiete der Mensch auf sicherem Grunde steht. Darum ist ja Musik solch eine Oase in der Wüste des sonstigen Erlebens, wohin sich die Menschen verzückten Auges und sehnsuchtsvollen Herzens flüchten, und aus der sie beruhigt, geläutert, ge- bessert wiederkehren, wenn ihnen durch ein Meisterwerk die Weltenhar- monie aufgegangen ist. Auf den übrigen Gebieten der Wellenwirkungen ist man noch weit ent- fernt von solchen Einsichten. Nur auf dem Gebiete der Optik, also der Lichtwellen, hat das Menschenstreben auch schon einige Schritte nach dem für die meisten Menschen tief unter der Bewußtseinsschwelle liegen- den und sie doch alle lockenden Ziel getan, hat in der Kunst der Malerei und Plastik, wenn auch erst nebelhaft, doch etwas von dem großen Ge- heimnis erblickt. Heute sind die Zeiten vorbei, da man mit sicherer Überzeugung den Satz hinschreiben durfte: Licht und Farbe seien die Wellenschwingungen des Lichtäthers; denn — man erinnere sich an das im ersten und zweiten Abschnitt des ersten Bandes zur Relativitätslehre Gesagte — die Existenz eines solchen Weltäthers ist mit den sonstigen Vorstellungen vom Welten- sein nicht mehr vereinbar. An Stelle dieses Bildes ist mit immer größerer Bestimmtheit jenes von der materiellen Natur des Lichtes getreten (vgl. Bd. I S. 27), die durchaus im Einklang mit dem durch den ganzen Erlebnisinhalt gehenden Quantengesetz steht, ohne auch nur mit einer der Erfahrungstatsachen zusammenstoßen, da sich ja nicht die Überzeugung von der Weltennatur des Lichtes, sondern die von der „Aetherbeschaffenheit" des in Wellen Schwingenden geändert hat. Wenn man in diese Welt eintreten will, gibt es zwischen Schall und Licht noch ein Zwischenreich, denn zu groß ist der Sprung von den groben Wellen der Luft, die bekanntlich in einer Sekunde 330,60 Meter zurücklegen'), wäh- rend die des Lichtes nach uns schon bekannter (Bd. I S. 19) Rechnung mit der unvorstellbaren Geschwindigkeit von 300 000 km/sec reisen, bei einer Länge, die mit 0,0004— 0,0008 mm in das Reich der Ultramikroskopie ge- hört. Trotzdem ist uns dieses Zwischenreich verschlossen; nicht das Ge- *) Allerdings nur bei OGrad; bei 26,6 0 Wärme beträgt ihre Geschwindigkeit schon 347,7 Meter, im Wasser 1430 Meter. 37 ringste ist von ihm bekannt, obwohl an seiner Existenz und Wirksamkeit nicht im Geringsten gezweifelt werden kann. Hier ist wieder einer der Punkte, von dem aus eine das Weltganze einheitlich umspannende Weltauf- fassung mit Sicherheit voraussagen kann, daß der Menschheit noch große Entdeckungen von heute noch unausdenkbarer Tragweite vorbehalten sind. An der Wellennatur des Lichtes, also der Einheitlichkeit der Wellenfunktion in der Welt, läßt sich aber deshalb nicht zweifeln, weil die von den Wasser- weiien her gewonnenen und in der Akustik so schön bestätigten Erschei- nungen der Reflexion und Interferenz im I^eiche des Lichtes gleichfalls nicht fehlen, hier sogar ihre klassischen Phänomene entfalten. Es war die erste berühmte Entdeckung Newtons, daß farbloses — im all- täglichen Sprachgebrauch als weiß bezeichnetes — Licht aus allen Farben besteht. So verwunderlich erschien damals, kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg diese heute den Kindern als Spiel mit dem Prisma geläufige Tatsache, daß Newton sich gedrängt sah, das farbige Zerlegungsbild als „Gespenst" (englisch spectre, daher Spektrum) zu bezeichnen. Und doch war es eigent- lich nur für die Unwissenheit ein Gespenst, konnte doch die Erfahrung dieses Gespenst seit Anbeginn der Menschentage am Himmel sehen, so oft sich des Regenbogens zartes Farbenband über den Himmel spannte. Auch das Spektrum der Glasprismen ist also eigentlich eine Biotechnik, wie viel- leicht letzten Endes alles, was der Mensch tut und schafft. Es läßt sich nun ein Spektrum auch einfach dadurch herstellen, daß man starkes Licht durch einen ganz engen Spalt fallen läßt. Man sieht dann, daß sich die Sonnenstrahlen nicht völlig geradlinig fortpflanzen, sondern sich in 6— 8 farbigen Linien ausbreiten. Deutlich treten dabei nur blau, grün und rot hervor, es fehlen aber auch die anderen Regenbogenfarben nicht. Da die seitlichen Farbenstreifen ganz außerhalb der Bewegungsrichtung der einfal- lenden Lichtstrahlen liegen, kann es sich bei ihrer Entstehung nur um eine Beugung des Lichtes handeln. Das Licht biegt um die Ecke und ist außer- dem etwas Periodisches; sonst könnten in diesen Beugungsspektren nicht helle und dunkle Streifen abwechseln. Mit anderen Worten, wie namentlich der französische Physiker A. Fresnel daraus mit großem Scharfsinn abge- leitet hat, die Wellenbewegung der Lichtteilchen ist auf diesem Wege zwingend nachgewiesen (vgl. Abb. 10). Man beachte aber, nicht die Ather- natur der Wellen, sondern daß leuchtende Punkte um ihren Standort Schwin- gungen ausführen, das ist durch Fresnel zur Sicherheit erhoben worden. Mit diesem Gedankengang konnte sogar die Länge dieser Schwingungen festgestellt werden, und es ergab sich dadurch, daß die einzelnen Farben durch verschieden lange Wellen erzeugt werden, von denen aber auch die längsten noch immer unvorstellbar klein sind. Von rot zu orange, gelb, grün, hellblau, indigo bis zum violett wird die Wellenlänge, beginnend mit 0,00065 Millimetern, immer kleiner, bis im violetten Teil des Spektrums die kleinsten aller bekannten Lichtwellen eine Länge von nur 0,00045 Milli- 38 meter erreicht haben. Die letzten Grenzen, innerhalb deren man noch von Licht sprechen kann, liegen zwischen 0,76—0,24 fi; was darüber hinaus- geht, wird uns anders als durch das Auge merkbar. Wenn man ein Blatt schwarzen Kartons mit einer Schicht des Salzes Ba- riumplatincyanür bestreicht und nun ein Sonnenlichtspektrum darauf fallen läßt, erlebt man das schöne Phänomen des Fluoreszierens. Untersucht man das näher, kann man sich unschwer davon überzeugen, daß dieses Selbst- leuchten nicht erregt wird, wenn die roten oder gelben Strahlen den Schirm treffen, wohl aber durch die blauen und violetten. Doch der Fluoreszenz- Abb. 10. Der Fresnel'sche Spiegelversuch zur Erklärung der Interferenz. Zwei schief- liegende schwarze Olasspiegel bilden einen sehr stumpfen Winkel zueinander. Durch einen Spalt wird Licht auf sie geworfen und von ihnen reflektiert. Die reflektierten Strahlen scheinen bei dem einen Spiegel von dem Punkte Pi, bei dem anderen von P2 zu kommen. Diese reflektierten Strahlen durchdringen einander und erzeugen auf dem Schirm, auf den sie auffallen, gefärbte Interferenzstreifen. (Nach Qraetz) schirm leuchtet noch jenseits der violetten Teile, als Zeichen dessen, daß es auch da noch Strahlen, wenngleich unsichtbare, gibt. Diese ultravioletten Strahlen, für die unser Auge unempfindlich, das der Ameisen aber sehr wohl empfänglich ist, sind es, die nur 0,40—24 \i lang, in einer Abart (den sogenannten Schumannstrahlen) nur 0,10 fi lang sind. Sie haben aus einer noch unerforschten Ursache einen besonderen Einfluß auf die chemischen Prozesse, sie scheinen mit den blauen Strahlen irgendwie den Umbau der Atome in den Molekülen zu begünstigen, wovon unsere Technik in der Photographie ausgiebigen Gebrauch gemacht hat. Hält man dagegen ein Thermometer in das rote Ende eines Spektrums, so wird es auffallend ansteigen. Man kann diese Strahlen ablenken, in einem Brennpunkt sammeln und erhält fast ebensoviel Wärme wie aus dem unzerlegten Sonnenlicht, als Zeichen dessen, daß im roten Licht sich die 39 Wärmestrahlen einfinden. Man darf nicht rotes Licht mit Wärmestrahlen verwechseln, wozu das Empfinden wegen der regelmäßigen Koinzidenz von Flammen und Wärme verlockt; die Wärmestrahlen sind vollständig un- sichtbar, sonst könnte man beim warmen Ofen lesen. Mit diesen ersten Versuchen ist schon Erhebliches sichergestellt aus der Naturgeschichte des Lichtes. Klar geworden ist, daß es sich in Wellen aus- breitet, daß die für die Zoesis sichtbaren Wellen nur ein kleiner Ausschnitt der vorhandenen sind, die als Wärmestrahlung wirksam sind, dann in immer kürzeren Wellen das herstellen, was man Farbe nennt, schließlich in den kürzesten Wellen nur mehr chemisch, da aber auf das intensivste wirken. Noch steht für uns die Überzeugung von der Reflexion und Interferenz der Lichtstrahlen aus. Aber schon durch einen höchst einfachen Versuch, etwa wenn man ein Bündel Sonnenstrahlen durch ein Loch in einem schwarzen Karton auf einen Spiegel und durch diesen in ein Wassergefäß fallen läßt, kann man nachweisen, daß diese Strahlen an der Grenzfläche des Wassers zurückgeworfen, also reflektiert werden, wobei der Einfalls- und der Reflexionswinkel einander gleich sind. Solche Reflexe am Wasser oder an spiegelnden Scheiben kennt jedermann, desgleichen die scheinbare Brechung eines in Wasser gesteckten Stabes. Der Spiegel ist nichts anderes als eine diese Reflexion verwertende Vorrichtung, die dem Menschen allein schon zur Genüge besagt, wie es mit der Realität des Welterlebens bestellt ist. Denn der Spiegel zeigt sein Bild der Welt dort, wo in Wirklichkeit nicht das Geringste davon vorhanden ist. Durch Spiegel aber hat sich z.B. in dem geistvoll ersonnenen Fresnel- schen Spiegelversuch (Abb. 10) auch die Interferenz, das sich gegenseitige Auslöschen der Lichtwellen, das wir zuerst an den Meereswellen beobach- teten, zur völligen Gewißheit erheben lassen. Man läßt bei diesem Ver- such durch schwarze Spiegel Strahlen reflektieren, wobei die Spiegel so angeordnet sind, daß die reflektierten Strahlen einander durchdringen. Da nun bei farblosem Licht dadurch auch farbige Streifen entstehen, bei rotem abwechselnd rote und dunkle, so erkennt man daraus, daß die Lichtstrahlen durch ihre Vereinigung stellenweise geändert sind, was nur unter der An- nahme erklärlich ist, daß Wellenberg und Wellental an solchem Ort ein- ander aufgehoben haben, also eine Interferenz eingetreten sei. Licht und Licht erzeugen also, wie es die Theorie verlangt, durch ihr Zusammen- wirken unter Umständen Dunkelheit. Seit man das wußte, konnte man auch die Regenbogenfarben der Seifenblasen oder dünner Ölhäute auf Wasser er- klären; die Lichtstrahlen werden nämlich zum Teil auf der Vorderseite der dünnen Schicht reflektiert, zum Teil auf deren Rückseite; beide treffen wieder unser Auge, wobei der zweite einen vom ersten differenten Wellen- gang hat; es entstehen demnach den klanglichen „Schwebungen" ent- sprechende Interferenzen, die natürlich farbig wirken. So bilden sich auch die wunderbaren metallischen Farben der Käfer und vieler Schmetterlinge 40 durch Interferenz des Lichtes an dünnsten Plättchen und Skulpturen dieser an sich farblosen Flügel. Auf diesen Grundkenntnissen von der Lichtbrechung und Reflexion, sowie der Wellennatur der Strah- len baut sich nun die wirklich er- staunlich vielfältige Anwendung auf, welche diese Gesetze in den opti- schen Instrumenten, seien es nun die Brille und sonstige einfache Linsen, das Stereoskop und Mikro- skop, das Fernrohr oder das Spek- troskop in allen ihren Abarten ge- funden haben. Sie alle beruhen auf einer rechnerischen Transfor- mation des Strahlenganges durch lichtbrechende Medien, von denen Glas das wichtigste ist, und ermög- lichen dadurch als biotechnische Abänderungen und Zusätze zum Auge, daß Entferntes nahe, Alier- kleinstes groß, Flaches räumlich angeordnet erscheint und die Licht- wellen in ihre einzelnen Strahlen zerlegt werden können. So wun- derbar und vor allem so brauch- bar das alles auch ist, so bereichert es die Erkenntnis aber doch um keine neuen grundlegenden Gesetze, weshalb auch unser Raum für Wichtigeres gespart werden kann, so für die von dem französischen Physiker Malus entdeckten Lichtgesetze, die zur Erkenntnis dtv Polarisation und ihren Konsequenzen führten. (Vgl. Abb. 11.) Reflektierte Strahlen, die unter einem Winkel von 53-58° einfallen, be- sitzen in besonders hohem Maße die Fähigkeit der Polarisation, das heißt, daß durch die Reflexion die Schwingungsrichtung geändert wird; aus einer longitudinalen verwandelt sie sich in eine transversale. Die uns schon be- kannte Eigenschaft (vgl. Bd. I S. 31) von Kristallen, das Licht doppelt zu brechen, ist nichts anderes, als daß jeder einfallende Lichstrahl durch den Kalkspat gedreht wird. Hierauf beruht eine besondere, auch praktisch ver- wertbare Untersuchungsmethode, der sich der Chemiker bei der Feststellung des Zuckergehaltes von Rübensaft durch den Polarisationsapparat ebenso gut bedient, wie der Kliniker bei Untersuchung des Harnes von Diabetikern. Abb. 11. Apparat zur Polarisation des Lichtes durch Reflexion. Der Lichtstrahl AB wird von der Glas- scheibe G nach unten reflektiert, trifft dort einen Sil- berspiegel und wird von diesem senkrecht nach oben geworfen. Der Strahl CD fällt auf den schwarzen Spie- gel S, von dem er nun unter den in der Zeichnung dargestellten gegenseitigen Spiegel- und Glasplatten- stellungen nicht mehr reflektiert wird, also polarisiert ist. (Nach Graetz) 41 Wichtiger als das aber war es, als der englische Chemophysiker Faraday polarisierte Lichtstrahlen durch ein starkes magnetisches Feld sandte und bemerkte, daß dabei die Polarisationsebene dieses Lichstrahles ebenso ge- dreht wird wie in Quarz oder in Zuckerlösung. Diese Beeinflussung des Lichts durch den Magnetismus, beziehungsweise die hinter ihm stehende Elektrizität wurde durch den holländischen Physiker Zeemann noch deut- licher gemacht, als er Linienspektren (also die Spektren glühender Ele- mente) unter dem Einfluß eines magnetischen Feldes beobachtete und da- bei fand, daß deren Linien in der Richtung der magnetischen Kraftlinien in je zwei (Düblet), senkrecht dazu in drei (Triplet) gespalten werden (Zeemann-Efjekt), manchmal sogar in noch mehrere. Damit war die Licht- forschung mit der Forschung nach dem Bau der Elektrizität und der Atome, also der Materie in eine Verknüpfung geraten, die es vor allem zweifellos machte, daß Licht ein Elektronenphänomen, ein elektromagnetischer Vor- gang sei, und mit einem Schlag war dadurch die gesamte Wellenfrage auf das Niveau einer anderen Bedeutung emporgehoben: die Wellenbewegung und die Gesetze des Rhythmus waren zu einem Universalphänomen des ganzen Weltalls geworden. Der Zusammenhang von Licht, Wärme, Elek- trizität war durchsichtig, eine Überfülle von Erlebnissen war einem einzigen Gesetz untergeordnet. Seine erste Formulierung wurde im wissenschaftlichen Denken unter der Bezeichnung: die Maxwell' scho^ Wellentheorie oder die elektro-magnetische Lichttheorie gehandhabt, da der Engländer Maxwell als erster, noch im Jargon der Ätherlehre, voraussagte, eine elektrische Entladung müsse im Äther genau so Schwingungen erzeugen, wie ein ins Wasser geworfener Stein. Der deutsche Physiker //. Mertz fand, daß diese Anschauung zutrifft, und erweiterte als erster die Wellentheorie zu einer Weltmechanik, deren kolossale Bedeutung für das Verständnis unserer Erlebnisse erst die Genera- tionen nach uns voll und ganz erfassen werden. Jedenfalls wurde auf diesem Wege vor allem das eine ganz Grundlegende erkannt und drang auch all- gemein in die Überzeugungen ein, daß zwischen den elektrischen und den Lichtwellen kein prinzipieller, sondern nur wie auch bei den anderen Ka- tegorien der Wasser- und der Luftwellen ein gradueller Unterschied sei. Die Brücke hierzu wurde durch die Untersuchung der Wärmestrahlen ge- schaffen, die man zunächst einfach als ultrarote Strahlen ansah, deren Wel- lenlänge weit größer als die der Lichtstrahlen ist. Sie entstehen stets, wenn man einen Körper in jene intensive Molekularbewegung versetzt, die man Erhitzung nennt, auch wenn sich diese nicht bis zur Produktion von Licht steigert. Diese dunklen Wärmestrahlen erfreuen durch alle Erscheinungen, die den Lichtwellen zukommen, sie lassen sich ebenso reflektieren und brechen; durch Zurückwerfen mit einem Hohlspiegel kann man z. B. fern von einem glühenden Körper eine Zigarette frei in kalter Luft anzünden und dergleichen 42 mehr. Auch für sie gilt das bei der Spektralanalyse von Kirchhoff gefun- dene Gesetz, daß jeder Körper gerade die Strahlenarten verschluckt, die er selbst aussendet, ja nach dem Vorgang von Rubens lernte man aus einem Gemisch von Licht- und Wärmestrahlen (wie es jedes Licht darstellt), durch stete Reflexion einen Rest von Strahlen absondern, der nur mehr aus ultra- roten Strahlen bestand und Wellen von nahezu V$ Millimeter Länge zeigte, die schon eine Menge Körper durchdrangen und in ihren Eigenschaften außerordentlich den Wellen der Elektrizität nahe stehen. Damit war der Zusammenhang zwischen Licht und Elektrizität hergestellt. Die kleinsten elektrischen Wellen messen etwa 6 Millimeter, und von da ab bis zu den oft hundert Meter bis kilometerlangen Wellen der drahtlosen Telegraphie sind alle nur denkbaren Unterschiede vorhanden. Daß diese kilometer- langen Wellen die gleichen Gesetze befolgen wie die winzigen des Lichtes, die kurzen der strahlenden Wärme und die mäßig langen der Luft und des Wassers ist ein nicht oft genug zu betonender Beweis für die Richtigkeit der Anschauung, daß alles Erleben einem einheitlichen Gesetzkomplex folgt, die Grundlage aller Natur- und Kulturwissenschaft also die Biozentrik sein muß. Wenn sich daher von diesen Wärmestrahlen herausgestellt hat (und das ist im ersten Bande dieses Werkes schon genug gewürdigte Verdienst von M. Plank), daß sie nicht einheitlich und gleichmäßig, sondern nach dem Gesetz der multiplen Proportionen tätig sind, so muß dieses Quantengesetz ebenso folgerichtig für den ganzen Umfang des Wellenphänomens, kurz ge- sagt, für das Weltphänomen selbst gelten, wofür bekanntlich in steigendem Maße auch Beweise herbeigeschafft sind. Da sich aber zugleich herausge- stellt hat, daß dieses Gesetz der multiplen Proportionen unter verschiedenen Bezeichnungen, jedoch überall in gleicher Weise wirksam ist, so nament- lich im Bereich der Schallwellen als Gesetz der pythagoraeischen Intervalle oder der Harmonie, so sind jetzt, was man bisher nicht gewußt hat: erstens Beziehungen zwischen Wärmestrahlung, Licht und Schall oder zwischen dem Quantengesetz und der musikalischen Harmonie aufgedeckt, zweitens ist damit der Weg beschritten, auf dem die Harmonie als universales Welt- phänomen zu erkennen ist. Was damit aus logischem Zwang vorhergesagt wird, ist durch die Fort- schritte der neuesten Physik wieder im Begriffe erwiesen zu werden, und die von den Ideen der objektiven Philosophie Überzeugten erleben die Freude, an einem ganz wesentlichen Punkte sich auf die Forschung als ihren Vorspann berufen zu können. Der akustische Begriff der Oktave, diese Grundlage der Harmonielehre, durch welche die Periodizität und der Intervallbegriff fundiert werden, ist nämlich neuerdings auch in die Optik eingekehrt. Das sichtbare Licht reicht von violett bis rot. Seine Wellenlängen reichen also von 0,38 n bis 0,76 n, oder die Schwingungsskala violett bis rot verhält sich wie 1 : 2. Das aber war (vgl. S. 34) das Gesetz der Oktaven. Von da bis zur Wellen- 43 länge der sogenannten Jodkaliumreststrahlen (96 fi) sind weitere 6 Oktaven bekannt, während nach weiteren 7 Oktaven die elektrischen Erscheinungen anheben. Überall sind also Quanten vorhanden, und nach diesem ersten Schritt in die Welt der sichtbaren und elektrischen Wellen wird die Mensch- heit allmählich zur Harmonielehre der Wärmestrahlung, der Farben und der Elektrizität vordringen, worin ihr unbewußt die Künstler auf dem Ge- biet der Malerei schon Wege gebahnt und Vorarbeiten geleistet haben. Was ich aber von der Musik sagte, das trifft die Farbenlehre und die Malerei in einem noch erhöhten Maße: ihre Zeit war nicht, sondern wird erst kommen. Die inneren Beziehungen zwischen Musik und Malerei, deren sich die neuesten Kunsteinrichtungen tiefer als die früheren bewußt gewor- den sind, und die in dem Phänomen des Farbenhörens und der unterbewuß- ten Weisheit der Sprache, die von Farbentönen, Farbenharmonie und Kom- position, von Farbendissonanzen und musikalischen Werten der Gemälde früher wußte als von Physik und Philosophie, ihre festesten Stützen haben, sind dabei nur Wegweiser für das, was die Menschheit auf diesem Gebiet noch erreichen wird, wenn erst einmal die Musik der Farben ihre Sympho- nien zu spielen anhebt. Die Erkenntnis läßt da in schwindelnde Weiten hin- einblicken, in Jahrhunderte des denkerischen, forschenden und künstleri- schen Schaffens — die Selbstkritik aber schiebt diese Perspektiven kühl zur Seite und stellt dagegen ihr großes Fragezeichen auf, das da lautet : Wie soll dieser Bau aufgeführt werden von einem Wissen, das mit dem Lichtäther die bisherigen festen Grundlagen verließ, ohne neue geschaffen zu haben? Diese Frage des Lichtäthers ist es, durch die gegenwärtig die gesamte Wellentheorie in eine schleichende Krise geraten ist. Wenn es keinen Welt- äther gibt, was führt dann diese wunderbaren Wellenbewegungen im un- ermeßlichen Weltenraum aus? Die Relativitätslehre, die dem Weltäther den Todesstoß versetzte, hat, wie Unard in seiner Kritik der Einstein'schen Lehre sehr treffend hervorhob i^), eigentlich an seine Stelle nichts als den etwas sehr vagen Begriff des Raumes gesetzt, wodurch für die praktische Arbeit aber auch gar nichts gewonnen zu sein scheint. Daran kann ja tat- sächlich kein Zweifel sein, daß mit allgemeinen Vorstellungen, wie atomare Struktur des Lichtes, noch nichts erreicht ist, zugleich aber auch, daß der Begriff Lichtquanten mehrdeutig ist und vor allem die Bündelung (Quante- lung nennt man das in der neuesten Physik mit einem sehr barbarischen Fremdwort) der Strahlen zu bedeuten hätte, so daß man zum mindesten zwischen Lichtquanten erster Ordnung oder elementaren Lichtquanten und solchen zweiter Ordnung zu unterscheiden hätte. Immerhin ist der Begriff Lichtquantum aber auch nicht inhaltsärmer als der Begriff Atom in all den Jahrzehnten war, in denen die praktische Chemie mit ihm rechnend Fabri- ken um Fabriken errichtete und Millionenwerte schuf: Man konnte damals auch nicht das geringste Anschauliche an diesen Begriff knüpfen, und, wie ich bereits ausgeführt habe (Bd. I S. 140), ist die Vorstellung „chemisches 44 Atom" auch heute noch, unabhängig von allen Kenntnissen über das physi- kalische Atom, vollständig luftig. Zudem kennt die Physik heute außer den Lichtstrahlen eine ganze An- zahl anderer Strahlungen, von denen augenblicklich nur die Kathodenstrah- len und die Kanalstrahlen genannt seien, die ebenso Brechung, Reflexion und Interferenz, also Wellennatur aufweisen wie das Licht, aber schon längst als Korpuskularstrahlen bezeichnet wurden, weil man sich davon überzeugt hatte, daß in ihnen materielle Teilchen, und zwar in den Katho- denstrahlen die negativen Elektronen, in den Kanalstrahlen die positiven Ionen Schwingungen ausführen. Es steht demnach der Lichttheorie prin- zipiell nichts im Wege, dem Licht, wenn es von dem Zusammenhang der sonstigen Gesetze gefordert wird, eine atomare Grundlage zuzuschreiben und den Weltenraum mit irgendwelchen noch näher zu umschreibenden ele- mentaren Lichtquanten ebenso zu bevölkern, wie man ihn ohne Bedenken mit Elektronen (Elektrische Fernwirkungen der Sonne) oder den Atomen der Gase (Coronium und Nebulium) bevölkert hat. Es sind also jene Denker im Irrtum, die annehmen, daß die Quanten- theorie des Lichtes an sich ein Widerspruch zur Wellentheorie des Lichtes sei. Man muß diese Begriffe viel schärfer präzisieren. Die atomare Struk- tur des Lichtes ist an sich noch nicht identisch mit der quantenhaften Ab- gabe von Energie, wie sie Planck entdeckte. Und der Ausdruck „Wellen- theorie des Lichtes" deckt nicht in allem die fiuygens'sche oder Max- well'sche Lichttheorie. Wie gerade vorhin gezeigt wurde, kann man sich sehr gut auch harmonische Schwingungen von Lichtkorpuskeln vorstellen (schon Newton hat ähnliche Vorstellungen gehabt und konnte sie sehr gut mit seiner Mechanik vereinbaren), also die Wellentheorie und ihre Konse- quenzen aufrechterhalten und dabei doch die Äthervorstellung preisgeben i*). Übrigens war die Maxwell'sche Lichttheorie keineswegs auch vor den neuen Einsichten eine allgemein zufriedenstellende Hypothese, sondern litt an namhaften Unzulänglichkeiten. So konnte sie namentlich nicht die Erschei- nung der Dispersion deuten. Unter Dispersion des Lichtes versteht der Optiker die Tatsache, daß der Brechungsindex eines durchsichtigen Körpers für verschiedene Farben als eine Funktion der Wellenlänge derart verschieden ist, daß die sogenannte Dispersionskurve stets von rot nach violett ansteigt. Daher haben alle Lin- sen die Neigung, die Farben auseinander zu legen. Die farbigen Ränder, die man in einem schlechten Mikroskop um die Ränder der Gegenstände sieht, sind eine Folge dieser nicht genügend korrigierten Farbenzerstreuung. Die Lichtbewegung zeigt sich also in dieser Erscheinung abhängig von der Wel- lenlänge. Dafür bietet aber die Lichttheorie von Maxwell kein Verständnis. Um es herzustellen, muß man zu der Hilfshypothese greifen, die Materie, durch die das Licht geht, sei aus Ionen und Elektronen zusammengesetzt, die durch die periodisch wechselnde elektrische Kraft der Lichtquellen in 45 Bewegung versetzt und dabei dann durch Reibung so behindert werden, wie es die Tatsachen der Dispersion zeigen. (Lorentz, Planck.) Aus diesen Untersuchungen entsprangen die Versuche über Lichtfortpflan- zung in bewegten Medien von Fizeau (1851), Michelson und Morley, die heute in aller Munde sind, trotzdem sie aus dem Jahr 1886 stammen. Es ergab sich zwar einerseits eine höchst frappante neue Übereinstimmung der Wellengesetze des Schalles und des Lichtes, indem man das aus der Akustik so wohlbekannte Doppler'schG Prinzip in der Optik gültig fand. Wenn man auf dem Bahnhof steht und ein Schnellzug fährt pfeifend durch, so wird sein Pfiff, je näher er kommt, desto heller klingen; denn die Schwingungs- zahl der Wellen wird durch die Bewegung beeinflußt. Das Gleiche läßt sich nun als Farbenänderung auch an sich bewegenden Lichtquellen (z. B. im Spektrum von Sternen) wiederfinden, und bestätigt die Einheit der Wellengesetze im ganzen Universum. Andererseits aber stellten sich gerade im Verfolg des Fizeau'szh&n und Micke Ison'schtn Versuches bei Lorentz die Überzeugungen ein, die im 1. Kapitel dieses Werkes in Band I so ein- gehend behandelt sind und mit der Relativitätslehre die Lehre vom Welt- äther ad absurdum führten i*). So vereinigten sich die Gesetze des Lichts auf einem langen Weg der Erkenntnisse mit denen der Elektrizität und da- durch jenen der Materie überhaupt, ohne irgendwie den Satz zu überschrei- ten, daß die elementare und allgemeine Funktion der Materie die Wellen- bewegung sei. Alles, was man auf den bisher überblickten großen Gebieten des Erlebens erfahren hat, wiederholt sich nun auf dem zentralen und eigentlichen Ge- biet der physikalischen Erscheinung, nämlich in der Elektrizitätslehre. Elek- trizität ist der Sammelname für die Erscheinungen, welche die Schwin- gungen der Elektronen darbieten. Und Elektronen ist der Sammelname für die Atome der Elektrizität. Die chemischen Affinitäten, das Licht, der Magnetismus, alles das ist elektrische Erscheinung, auch die Materie ist aus Elektrizitätsteilchen aufgebaut, und so ist nicht mehr die Mechanik, sondern die Elektrizitätslehre das Fundament der Physik. In diese Sätze läßt sich etwa das zusammenfassen, was als elektrisches Grundgesetz der Welt in einem Überblick über die Gesetze der Welt noch Platz heischt. Davon ist an dieser Stelle von besonderem Wert jetzt nur der Nachweis, daß alle elektrischen Erscheinungen in Wellen ablaufen, die von den gleichen Gesetzen beherrscht werden wie sämtliche anderen Wel- len. Gelingt dieser Nachweis, dann ist allerdings, nachdem das gesamte Sein als Elektrizität erscheint, die W eilen junktion zugleich als die Welt- funktion erkannt. Nun haftet der gesamten Elektrizitätslehre ein sehr empfindlicher Mangel an. Wohl ist es bis zur Überzeugung getrieben worden, daß alle Elektrizität in zwei Kategorien zerfällt, in sogenannte positive und in negative Elektrizi- 46 tat, die sich in vielen Beziehungen grundlegend voneinander unterscheiden. Es gehört das zu den elementaren, auch von den Nichtphysikern vorauszu- setzenden Kenntnissen, braucht demnach hier nicht weiter zergliedert zu werden. Man hat nun von der negativen Eletrizität eine sehr deutliche, durch Versuche kontrollierbare Vorstellung, sie sei aus Elektronen, d. h. elektrischen Elementarteilchen, nach Art der Atome der Chemie oder der Lichtquanten zusammengesetzt. Um so weniger weiß man von der wahren Natur der positiven Elektrizität. Wohl sprechen manche Naturforscher auch von positiven Elektronen; ja man findet sogar im Schrifttum so befremdende Sätze wie den: die Elektri- zität sei ein Stoff, ein chemisches Element und jene ihrer Atome, die mit den Atomen anderer chemischer Stoffe in jenem unlösbaren Zusammenhang stehen, den man als Ion (vgl. Bd. I S. 177) bezeichnet, seien die Träger der positiven Elektrizität. Diesen Vorstellungen haften also reichlich Unklarheiten und Unzuläng- lichkeiten an, und es ist deshalb nicht schwer, vorherzusagen, daß die Elek- trizitätslehre nicht dauernd auf dem heutigen Stande ihrer Grundüberzeu- gungen bleiben wird. Es gibt natürlich nicht zweierlei Elektrizitäten — das ist ganz selbstverständlich — , sondern das sind nur Modi einer hinter ihnen stehenden einheitlichen Grundtatsache, über deren wahre Natur sich freilich jetzt noch kaum etwas aussagen läßt. Aber vielleicht ist dieses immer wieder sich Vereinigen, das den entgegen- gesetzt geladenen elektrischen Körpern anhaftet, ein tieferer Einblick in den Unterbau der Welt, als ihn die Materie sonst bietet. Denn was das soge- nannte Coulomb'sche Gesetz sagt, daß die Kraft, mit der zwei geladene Körper aufeinander wirken, die Richtung der Verbindungslinie zwischen ihnen besitze und sich durch das Produkt ihrer Ladungen, geteilt durch das Quadrat ihrer Entfernungen, errechnen lasse, das ist nichts anderes als die Konstatierung des Newton'schQn Gravitationsgesetzes für die Welt der Elek- trizität und damit wieder ein sehr merkbarer Schritt zur Vereinheitlichung der Weltanschauung. Dieses elektrostatische Grundgesetz enthält nun noch mehr als die Aus- sage über die Gravitation, da es auch von einer Abstoßung weiß, welche der Physiker sonst nicht kennt. Aus ihm flössen alle die Möglichkeiten, sich Maßeinheiten: Coulomb, Volt (als die Einheit des Potentials), Farad, Ampere (als Einheit der Stromstärke), Ohm (als Einheit des Widerstandes), der elektrischen Kräfte zu schaffen, durch welche die elektrische Industrie erst die Möglichkeit zu ihrer Begriffsmechanik, nämlich den elektrotech- nischen Konstruktionen erhielt. Dadurch drang man immer tiefer in die vielgestaltigen Äußerungen der elektrischen Energie ein und lernte vor allem ihr Strömen in Flüssigkeiten, Gasen und Leitern, die zumeist Metalle sind, näher kennen. Hiedurch ergab sich dann wieder der Einblick, daß die Erscheinungen des elektrischen Stromes in Flüssigkeiten unverständlich 47 sind, wenn man der Elektrizität nicht gleich dem Licht eine materielle Struktur, einen Zerfall von selbständig tätigen Elektroatomen, kurz gesagt: Elektronen, zuschreibt. Damit war aber die erste Brücke geschlagen, die von den Wellengesetzen des Lichtes hinüberleitet zu denen der Elektrizität. Wenn man nämlich einen Energiestrom elektrischer Natur oder, wie man das kurz nennt, einen elek- trischen Strom nicht durch Metalldrähte, sondern eine leitende Flüssigkeit, nämlich eine Lösung von Salzen oder Säuren, sendet, erlebt man sehr merk- würdige chemische Vorgänge als Beweis dessen, daß der Chemismus auch in das große Gebiet elektrischer Funktionen gehört. Von dem mit dem positiven Pol verbundenen Draht (der Anode) ebenso wie von der Kathode finden dann chemische Abscheidungen, also molekulare Zersetzungen statt, eine Elektro- lyse, welche die Moleküle in die uns schon bekannten Atome mit elektrischer anhaftender Ladung (vgl. Bd. I Abb. 60), die Ionen, zerlegt, eine Entdeckung, die sich namentlich an den verehrungswerten Namen von Faraday knüpft. Nun führte der Verfolg dieser Faraday' sehen Gesetze in gerader Linie zu der Einsicht, daß die Atome aller chemisch einwertigen Stoffe als Ion auch dieselbe Elektrizitätsmenge (nämlich dieselbe Anzahl von Coulomb) mit sich führen, die Atome der zweiwertigen Stoffe die doppelte und so fort, so daß sich eine Art Gesetz der multiplen Proportionen oder rationalen Zahlen auch hier gültig erwies. Aber bedeutete denn das nicht zugleich, daß die Elektrizität bei der Elek- trolyse in bestimmte, gesetzmäßig festgelegte, quantenhaft ausgezeichnete Teile zerfällt, daß auch sie aus Atomen besteht, wie die chemische Materie? Auf dieser Überlegung fußt die Lehre von den Elektronen; die Erschei- nungen der Elektrolyse waren der erste und seitdem nicht vereinzelt ge- bliebene Beweis von der stofflichen Natur und atomistischen Zerteilung der Elektrizität, die dann so fruchtbar für das gesamte Weltbild wurde. Wenn in Lösungen Elektronen ihre Schwingungen ausführen, denn nur so erscheinen dem neuen Wissen die elektrischen Erscheinungen, dann disso- zieren sich deren Moleküle; was geschieht aber, wenn ein solcher „Strom" durch Gase geleitet wird? Man kann es experimentell prüfen. Sie leuchten. Das sind die Geißlerröhren und die Bogenlampen.*) Wenn sie durch Me- talldrähte gehen, werden diese wärmer, wovon man sich an jeder, nament- lich an einer überlasteten elektrischen Lichtleitung leicht überzeugen kann. Hierauf beruht eine Anwendung des elektrischen Stromes, die von größter Bedeutung für das praktische Leben der Menschen geworden ist. Man hat das Gesetz dieser Erwärmung nach dem englischen Privatgelehrten Joule (spr. Schaul) so ausgedrückt, daß die in einem Drahtstück in der Sekunde entwickelte Wärme, dem Widerstand dieses Drahtstückes, multipliziert mit *) In den Bogenlampen geht nämlich die Lichterscheinung nicht nur von den zur Weißglut gebrachten Kohlenstiften allein, sondern auch von der Luft (daher Licht- bogen), also von einem Gas aus. 48 dem Quadrat der Strom- stärke gleich sei, was bei näherem Nachforschen nur ein besonderer Fall des schon längst bekannten Sat- zes von der Erhaltung der Energie ist. Diese Joule- sche Wärme ist bekanntlich der Ausgangspunkt von praktischen Anwendungen sonder Zahl geworden, be- ruhen doch auf den Erschei- nungen in Drähten die Glühlampen, die jetzt meist Metallfadenlampen sind, und die Vorrichtungen zum elektrischen Kochen und Heizen, denen das Morgen gehört, wenn die elektrische Beleuchtung eine Frage von heute ist. Von diesen lei- tenden Drähten macht sich die Theorie die Vorstellung, daß in ihnen die Elektro- nen außer ihrer unregelmä- ßigen eine besondere Bewegung in der Richtung der Spannung ausführen, nach Art eines Windes in der Luft bei Druckdifferenzen. Das ist der „Strom", der sich in Wellen fortpflanzt, und dem der Draht einen Wider- stand entgegensetzt, der sich merkwürdigerweise nach der absoluten Tempe- ratur richtet. Denn er wächst mit jedem Temperaturgrad gerade um Vs-r, seines Wertes, woraus folgt, daß der Widerstand der Metalle bei 273« unter Null überhaupt aufhören muß. Aus diesem Zusammenhang folgt auch das Wiedemann-Franz's.QhQ Gesetz, nach dem die elektrische Leitungsfähig- keit der Metalle mit der Wärmeleitungsfähigkeit übereinstimmt. Beides sind Belege dafür, daß freie Elektronen da sind, die im Strom — und zwar bis zur Lichtgeschwindigkeit — dahinrasen, mithin sind es Belege für die All- gemeingültigkeit der Wellenlehre. In die Ferne wirkt nun die Elektrizität durch Schwingungen von anderer Leistungsfähigkeit. Wenn man das Gleichgewicht der Elektrizität auf einer Leidener Flasche durch eine Funkenentladung plötzlich stört, wird man finden, daß sie in dem Funken und von da ab in den Leitungsdrähten Schwingungen ausführt, die gemessen wurden und mit der Frequenz von 200 000 in der Sekunde noch als langsam gelten, während sie ihr Maximum Franci, Bios U ^ 49 Abb. 12. Versuch von Joule. In einem Oefäß voll Wasser werden die Schaufeln bewegt, wodurch sich das Wasser erwärmt als Be- weis dafür, daß Arbeit in Wärme umgewandelt werden kann. etwa in 1000 Millionen pro Sekunde finden. Diese elektrischen Schwin- gungen verhalten sich anders als gewöhnliche elektrische Ströme. An ihnen lassen sich die Gesetze der Akustik demonstrieren, wie denn Telephon und sprechende Bogenlampe auch dem Denkunfähigen bewiesen haben, daß hinter den akustischen, optischen und elektrischen Erscheinungen ein und dieselbe Gesetzlichkeit stehen muß, sonst wären solche Funktionsübertra- gungen nicht möglich. Ferner stellte sich alsbald heraus, daß jedes System von elektrischen Leitern und Drähten einen Eigenschwingungsrhythmus besitzt, d. h. eine Schwingungszahl in der Sekunde, und dementsprechend abgestimmt eine Periodizität der Schwingungen hat, die nur ihm eigentümlich ist. Damit ist das Harmoniegesetz und die Harmoniemöglichkeit auch im Bereich der elektrischen Erscheinungen sichtbar geworden; die musikalischen Begriffe Resonanz und „aufeinander abgestimmt sein" haben auch in der Elektrizitäts- lehre ihre festumrissene Bedeutung bekommen, und sofort stellte sich mit dieser Erkenntnis eine neue ungekannte Anwendung der elektrischen Wellen ein. Die Verdienste daran knüpfen sich zunächst wieder an den Namen Hein- rich Hertz, dann an den Italiener Marconi und deren Entdeckung der draht- losen (daher auch Funken-) Telegraphie und Telephonie. Zunächst war hier für Hertz der Weg gegeben, um zu zeigen, daß die Induktionsfunken, mit denen er arbeitete, Zeit zu ihrer Ausbreitung brauchen, ein Weg, auf dem man zu der Erkenntnis kam, daß die elektrischen Fernwirkungen sich mit Lichtgeschwindigkeit durch transversale Wellen ausbreiten. Wieder war es die Anwendung optischer Gesetze, nämlich die elektrische Wellen reflek- tierenden Hohlspiegel, durch die er nachwies, daß elektrische Wellen im freien Raum sich ganz so verhalten wie die Wellen des Wassers, die der Luft und die des Lichtes, nämlich sowohl Brechung wie Reflexion erleiden. Wellen von der Schwingungszahl 100 Millionen werden, da sie 300 Mil- lionen Meter in der Sekunde zusammen zurücklegen, einzeln drei Meter lang sein müssen; zu ihrer Reflexion gehören also Hohlspiegel von mehreren Metern Durchmesser. Um also handlich experimentieren zu können, müs- sen Wellen von 1000 Millionen Eigenschwingungszahl verwendet werden; man konnte also diese Hertz'szhtn Spiegel, welche die erste Grundlage der Apparatur bildeten, seitdem ganz klein machen, um drahtlose Wellen aus- senden und auffangen zu können, eine Methode, die heute, wie seit dem großen Kriege jedermann weiß, außerordentlich vervollkommnet ist. Nur hat man sich in der Praxis hierzu wieder den langen, 200 bis 3000 Meter langen Elektrowellen zugewendet und hat gelernt, nicht nur solche Wellen von bestimmter Länge auszusenden und zu empfangen, sondern das in weiten Grenzen zu variieren. Der Detektor von heute übermittelt dem Tele- graphisten Zeichen von bestimmten musikalischen Qualitäten (daher System der tönenden Funken der Telefunken-Gesellschaft), durch die jetzt um den Erdball die Signale gesandt werden, ein Triumph sowohl der Menschheit wie des großen Gedankens von der Wellenfunktion als Weltphänomen. 50 Damit ist auch die letzte Schranke gefallen, welche die Erkenntnis bisher noch hinderte, den Satz auszusprechen: Elektrizität sei Licht. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Wellenformen ist ihre Größe. Die ultra- mikroskopischen Elektri/itätswellen werden von uns Licht genannt, und Lichtwellen von sechs Millimeter bis dreitausend Meter Länge nennen wir elektrische Schwingungen. Das ist der ganze Unterschied. Damit ist aber auch die Brücke geschlagen, um zu einem Verständnis für die wahre Natur des Lichtes zu kommen. Wenn die große Schwingung als Material Elek- tronen verwendet, woran kein Physiker von heute mehr zweifelt, dann kann die Grundlage der kleinen Schwingung auch aus nichts anderem bestehen. Die Elektronenfolgerung zogen ziemlich gleichzeitig H. A. Lorentz in Lei- den und Thomson in Cambridge (der Name stammt allerdings von Stoney), als sie das Leuchten einer Crookes-Röhre untersuchten und fanden, daß es von den Partikeln der Kathode stamme, wobei es gleich blieb, ob diese aus Gold, Blei, Kupfer oder anderem Material bestand. Hieraus war zu schlie- ßen, daß es nicht materielle Teilchen seien, die da als winzige Masse von nur Vi83o der Wasserstoffatome (näheres s. Bd.! S. 57) mit 100 000 km;sek.-Ge- schwindigkeit dahinflogen, sondern das Atom der elektrischen Ladung selbst. Wenn die Elektronen die Grundlage der Elektrizität der Masse*), also aller Gase, Flüssigkeiten und festen Körper sind, wie die Radiochemie im letzten Jahrzehnt mit Erfolg klargemacht hat, wenn elektrische Energie und Lichtenergie gleich wie die Gravitation ein und demselben Gesetz folgen, dann muß der nächste Schritt der Einsicht die Verknüpfung des Lichtes mit den Elektronen sein. Und von hier aus sind auch die Zugänge offen für das Verständnis des Magnetismus wie der anderen Strahlungen, die als Röntgen-, Kathoden- oder Kanalstrahlen, als /?flc^/ofl/r//yz7fl/ usw. die Mensch- heit seit einem Menschenalter in Erstaunen setzen. Von ihnen sind die am einfachsten verständlichen die Kathodenstrahlen, die bekanntesten allerdings die, welche 1895 Röntgen zu München der wissenschaftlichen Welt vorführte, während der Magnetismus schon lange das Erstaunen erregt hatte, bevor die Menschheit von anderer Elektrizität wußte, als Blitz und Nordlicht ihm darbieten. Deshalb entwickelte sich die heute noch als Anhang in der Physik beson- ders behandelte Lehre vom Magnetismus als Disziplin für sich und erschwerte *) In diesem Sinne kann der Mensch als das Elektrizitätsvvesen an sich bezeichnet werden. Man bedenke nur folgendes: Unsere Sinne perzipieren nur „Materie und ihre Funktionsformen, nämlich Energien"; nach der Relativitätslehre ist Masse und Energie sogar dasselbe. Alle Energien sind Transformationen der Elektrizität. Auch die „Masse" ist nach den unangefochtenen Ergebnissen der Physik als schein- bare Masse nichts als elektrische Energie. Daher kann man mit Recht sagen, wir per- zipieren nur Elektrizität in ihren verschiedenen Erscheinungsformen. Mit anderen Worten, aus dem ganzen Komplex der Welt wird für uns nur die Elektrizität zum Erlebnis. Insofern sind wir das spezifische Elektrizitätswesen, was ein Problem für sich ist. 4» 51 dadurch lange Zeit das einheitliche Verstehen der Phänomene, obwohl schon die erste Jugenderfahrung mit einem der aller Welt bekannten Hufeisenmag- neten jedermann darauf aufmerksam machen konnte, daß die elektrischen Grunderscheinungen von Anziehung und Abstoßung (vgl. Abb. 13), somit der Polarität auch bei diesen in der Natur gefundenen rätselhaften Eisensteinen vorhanden seien, an die die Vorzeit allerdings nur Märchen knüpfen konnte. Erst als es gelang, durch Anwendung einer sogenannten Induktions- spule (einer hohlen Metalldrahtspule, in deren Höhlung man Eisen oder Stahl brachte), dieses durch einen elektrischen Strom magnetisch zu machen — eine Erfindung, deren Konsequenzen zu den heutigen Funkeninduktoren der elektrischen Motoren und den Riesendynamomaschinen, zu Telegraph und Telephon, mit einem Wort, zu den unschätzbaren materiellen Werten der Elektrotechnik führten, — wurde es allmählich klar, daß Elektrizität und Magnetismus auf derselben Eigenschaft beruhen, und daß alle elektrischen Phänomene eigentlich elektromagnetische Vorgänge sind. Damit war der Magnetismus als besondere Naturkraft aus dem Gesetzbuch der Welt ge- strichen und bedarf auch für uns keiner ausführlichen Erörterung mehr. Nur kurz will ich daher erwähnen, daß auch der Magnetismus den Ge- setzen der Elektrostatik (s. S. 47) und Gravitation folgt, daher den Wellen- gesetzen unterliegt. Faraday hat gezeigt, daß der Magnetismus eine Eigen- schaft aller Körper sei', ob es sich um Glas, Holz, Blei oder Eisen, Flüssig- keiten, Gase, selbst Flammen oder um das Licht handle, überall läßt sich die Bildung jener „Kraftlinien^^ nachweisen, die man so einfach anschau- lich machen kann, wenn man einen Magneten auf Eisenfeil- späne wirken läßt (vgl. Abb. 13*). Man kann hiedurch die Richtung und Größe der mag- netischen Kräfte, kurz mit einem Wort das magnetische Feld sichtbar machen und hat auf diese Weise Einblick erlangt, sowohl darein, daß in einem Magneten schon die Moleküle nach bestimmter Richtung ge- ordnet sein müssen, wie auch *) Die Beeinflussungen von Strah- lungen durch ein magnetisches Feld führten zu den weitreichendsten Ein- blicken in das Wesen der Materie. Näheres hierüber siehe in Band I dieses Werkes auf Seite 23 sowie in Abbildung 75 dortselbst. Abb. 13. Das „Magnetische Feld" mit seinen durch die Anordnung von Eisenfeilspänen verratenen Kraftlinien. 52 daß die vektoriellen Eigenschaften, deren große und grundlegende Bedeu- tung unserem Nachdenken zuerst bei Betrachtung der Kristall weit aufge- gangen ist (Bd. I S. 118), in allem, worin Elektromagnetismus seine Wir- kung hat (und das ist doch die gesamte Erscheinungswelt), ihre große, noch nicht fundamental genug beachtete Rolle spielen. Nun steigert sich die Bedeutung dieser Tatsachen ins Ungemessene dadurch, daß die Erde als Ganzes selbst ein ungeheuerer Elektromagnet ist, woraus sich das natür- liche Vorkommen von Magneteisen, als einer stark magnetischen Substanz ohne weiteres erklärt. In seinen Konsequenzen haben diesen Satz die Chi- nesen schon seit dem Tage des frühen Mittelalters gekannt, an dem sie den Kompaß, d. h. den natürlichen Magneten anwendeten, der sich dem Gesetz der vektoriellen Einstellung folgend gegen den Nordpol der Erde immer untrüglich orientiert, wenn man ihn frei aufhängt, und so dem See- fahrer zum verlässigen Berater auf der irreführenden Wasserwüste wird. Die Magnetnadel hat bekanntlich eine Abweichung (Deklination) von etwa 10 Grad zum geographischen Meridian*) als Zeichen dessen, daß der geographische und magnetische Pol der Erde aus noch unverstandener Ur- sache nicht zusammenfallen. Es hat demnach auch die Erde als Ganzes ein magnetisches Feld, das sich als ein höchst kompliziertes Gebilde von über- einander gelagerten Teilfeldern erwiesen hat. Eine ganze Wissenschaft dick- leibiger Bücher hat sich da aufgetan unter der Gesamtbezeichnung Erd- magnetismus, deren Hauptresultate leider noch nicht den richtigen Zu- sammenhang mit dem sonstigen Weltbild gefunden haben. Denn noch ver- steht man nicht, woher das permanente Feld und die Variationsfelder, die man zu unterscheiden gelernt hat, stammen; noch ist keine befriedigende Deutung gewonnen für die säkularen und die sonnen- und mondtäglichen Variationen, die im Sommer und bei Tag groß, bei Nacht und im Winter klein sind und mit den Sonnenflecken ebenso wie die luftelektrischen Er- scheinungen im Zusammenhang stehen. Es gibt auch magnetische Gewitter, wie das große vom 14. Mai 1921, bei dem sich herrliche Nordlichter bis Bayern zeigten, die oft genug die telegraphischen Leitungen stören. Es ist daher nur eine Ansicht, aber noch keine sichere Lehre, wenn man das Gesetz des Erdmagnetismus etwa in folgende Sätze kleidet: Die Sonne schleudert (offenbar in den Sonnenjackeln) eine ungeheure Menge von Elek- tronen aus, die als Kathodenstrahlen, wie der norwegische Physiker Birke- land an künstlichen Nordlichtern experimentell bewies, in den Polarlicht- zonen und in einem äquatorialen Gürtel eingesogen werden und die Ur- sache des prachtvollen Phänomens der Polarlichter (vgl. Bd. I Abb. 100), der luftelektrischen Ströme und der magnetischen Störungen sind. Das ist wahrscheinlich der innere Zusammenhang der Sonnen jleckenperioden **) und der gleichen Periodizität der magnetischen, sowie der atmosphärischen Ge- •) Desgleichen eine Inklination von 60 "zum Horizonnt. — **) Man bedenke, daß dir Sonnenflecken für Wolken von Metalldämpfen gehalten werden. 53 witter.16) Im engeren stellt man sich das so vor, daß die Erde durch diese Elektronenmenge in einen ungeheuren Magneten mit Süd- und Nordpol verwandelt wird, was sich um so mehr ausspricht, als ihr Kern (daher die Inklination der Magnetnadel!) aus Eisen besteht. Wo immer an ihrer Oberfläche Eisen zu finden ist, hat es die Neigung, magnetisch zu werden. Dies der Ursprung der natürlichen Magnete. So kommt durch ein außer- irdisches Stromsystem auf dem Wege der Induktion in den magnetisier- baren Massen das permanente Magnetfeld zustande. Die Partialfelder unter- liegen dagegen dem Einfluß der Luftdruckschwankungen, der Gezeiten des Mondes und der Sonne, die atmosphärische Bewegungen und durch deren Reibung elektrische Ströme hervorrufen. Durch Induktion entstehen im Erdinnern gleiche, die wieder ihre stets wandernden magnetischen Wir- kungen der Partialfelder haben, wobei alles dies gefördert oder beeinträchtigt wird von der stei- genden oder sinkenden Temperatur. Ist so der Magnetismus in allen seinen Aus- wirkungen nur eine Nebenerscheinung der all- gewaltigen Elektrizität, so sind die Röntgen- strahlen, die der Deutsche Röntgen, der Ungar Lenärd und der Franzose Petrin auf gleichem Wege entdeckt haben, insofern gewissermaßen der Gegenpol der elektrischen Wellen, als sie die Fortsetzung der im Spektrum sichtbaren Schwingungen nach der Seite des Ultraviolett zu darstellen. Sie haben sich — akustisch ge- sprochen — um etwa 10 Oktaven höher als die ultravioletten Strahlen erwiesen, denn ihre Wel- lenlänge beträgt nur 0,05 mm, in den Extremen sogar nur 0,001-0,00001 fi, da es „Röntgen- farben", d. h, Wellen von verschiedener Länge gibt. Ihre Wellennatur schien dadurch zweifel- haft zu sein, da sie absolut unbrechbar sind; man hält sie auch nicht für zusammenhängende Wellenzüge, sondern für einzelne zerrissene Wellen. Sie wurde aber dennoch jedem Zweifel entrückt, seitdem man an ihnen Beugungs- und Interferenzerscheinungen, seit Ch. Barkla auch Polarisation nachgewiesen hat. Heute weiß zum mindesten jeder Arzt, wie Röntgenstrahlen ent- stehen, und welche wesentlichen Eigenschaften sie besitzen. Aber im Jahre 1895 war es eine atembeklemmende Überraschung, zu sehen, daß in einer möglichst luftleer gemachten Geißler- 4- ^\^'^ Ir^ f Abb. 14. Die Einrichtung einer Rönt- genröhre. In eine evakuierte Glas- kugel ist eine metallspiegelartiges Blech, die Kathode K eingeschmol- zen. Von ihr gehen bei der Einlei- tung eines hochgespannten Induk- tionsstromes Kathodenstrahlen aus, die das schiefgestellte Metallblech der Antikathode A treffen, von dem die Röntgenstrahlen zurückgeworfen werden. Die Einrichtungen der Anit- kathode dienen zur Ableitung der reichlich erzeugten Wärme. Sie wird zugleich als Anode benutzt. O = die Osmoregenerierung, die das Vakuum immer wieder auf den gewünschten Standb bringt. 54 sehen Röhre, einer sogenannten Hit(orf/'schen Röhre (Näheres siehe in Bd. I, Seite 59 und Abb. 11) beim Hindurchgehen des elektrischen Stro- mes, von der Wand des Glases, wo die entstehenden Kathodenstrahlen aufprallen, neue Strahlungen höchst merkwürdiger und auch gesundheits- schädlicher Art ausgehen. Durch sie fluoresziert die Glaswand grün, sie laßt sie durch, und nun strahlen sie in den Raum mit einem Durchdrin- gungsvermögen einziger Art. Durch alles gehen sie in allerdings verschie- denem Maße hindurch, nur Metalle, namentlich Blei, setzen ihnen wesent- lichen Widerstand entgegen. Desgleichen haben sie die Eigenschaft, photo- graphische Platten zu schwärzen, also photochemisch wirksam zu sein, weimgleich sie für das Auge, wie alles ultraviolette Licht, unsichtbar sind! Auf diesen Eigenschaften beruht ihre medizinische Verwendbarkeit. Leisten sie doch das anfangs wahrhaft okkult Anmutende, daß sie einen Menschen durchleuchten, der zwischen eine Röntgenröhre (Abb. 14), die nur eine handsam gemachte Hittorffröhre ist, und einen mit Bariumplatincyanür be- strichenen Fluoreszenschirm tritt. Das wohlabgestufte Schattenbild seines Leibes wird sichtbar; am dunkelsten erscheint das Skelett, die Schatten- umrisse der Eingeweide, Herz und Lunge, alle inneren Bewegungen werden sichtbar und, namentlich wenn man mit röntgenlichtundurchlässigen Mitteln, wie die Wismuthspeise der Magenkranken eine ist, nachhilft, erhält man einen zaubergleichen Einblick in das Getriebe des Leibes, das dem Arzt bei Knochenbrüchen und Krankheiten, Schußverletzungen, Magengeschwüren, Herzdeformationen, Darmleiden zur Diagnostik heute ganz unentbehrlich geworden ist und schon zahllosen Menschen das Leben gerettet hat, um so mehr, als man ja die Bilder dieser Röntgenstrahlen photographisch fest- halten, daher in aller Muße studieren kann. Aber nicht das ist für den Intellekt, der den Gesetzen der Welt nach- forscht, wesentlich, sondern die wunderbaren Tatsachen, durch die sich die Röntgenstrahlen in Beziehung zur Chemie und Kristallotik gesetzt haben. Die Röntgenstrahlen besitzen die Eigenschaft, die Luft zu ionisieren, d. h. ihre Moleküle zu zersprengen und jeden Körper, auf den sie fallen, zur Aussendung von sekundären Röntgenstrahlen zu veranlassen, was besonders für Metalle von höherem Atomgewicht als 27 zutrifft, die dann ganz cha- rakteristische Sekundärstrahlen aussenden, welche alle ihre spezifische Wel- lenlänge besitzen, also, wenn man es so nennen darf, ihre ,,Röntgenfarbe^* haben. Das gilt letzten Endes, wie sich neuestens herausgestellt hat, für jedes Element, und dessen spezifisches Röntgenspektrum gehört gegenwärtig geradezu zu den Typusqualitäten der Elemente und hat ebenso wesentlich zur Aufdeckung der Atomstruktur beigetragen, wie die röntgenologische Untersuchung der Kristalle, welche mit den Bewegungs- und Interferenz- erscheinungen der Röntgenstrahlen bekannt machte und die Raumgitter- auffassung vgl. Band I Seite 127, Abbildung 36) sicherstellte. 55 Alles das hat freilich noch nicht das Denken zwingend zum Verständnis der wahren Natur dieser merkwürdigen Wellen geführt. Es ist erst eine Tatsachenfeststellung, aber noch keine Erklärung, wenn man sagt: Röntgen- strahlen entstehen durch starkes Bremsen von negativen Elektronen (Stokes), wenngleich sie trotzdem mit der Ausbreitungsgeschwindigkeit des Lichtes fliegen. Jedenfalls erklären sich auf diese Weise die starken Wärmewir- kungen, welche sie überall auslösen, wo sie auftreffen, und die schon manchen nicht genügend achtsamen Arzt oder seine Patienten schweren Verbrennungen aussetzten.") Alle die Erkenntnisse, welche auf den letzten Seiten dieses Kapitels aus- einander gelegt sind, bilden, wenn man sich ihrer zusammenfassend erinnert, einen Kreis, in dessen Zentrum ein Begriff, der des Elektrons liegt. Die Röntgenstrahlen, für deren korpuskulare Natur neuestens (Bragg, Barkla) natürlich aus demselben Zwang gestritten wird, aus dem man das Licht als „Elektronenmaterie" betrachten muß, enthüllen uns in den Linienspektren der Elemente deren Atome als ein komplexes System von Elektronen; die Elektrizität hat sich als nichts anderes denn eine Mechanik der Elektronen erwiesen, das Zeemann-Phänomen ließ erkennen, daß es Elektronen sind, die im „Duplet" und „Triplet" die Farben erzeugen, die Elektrolyse zeigte die Atome mit Elektronen im Bunde, ebenso alle Vorgänge von Ionisierung, in den Kanalstrahlen sausen Oasionen dahin, in den Kathodenstrahlen die freien Elektronen selbst, der elektromagnetische Vorgang, dem die Erde unterliegt, hängt von der Flut polarer Elektronen ab; kurz, das Elektron ist sozusagen im Begrifi, die zentrale Vorstellung von allem zu werden, was mit dem Begriff Energie überhaupt zusammenhängt. An nichts zeigte sich das heller beleuchtet, als an der großen Erweite- rung des Wissens von der Radioaktivität, die die Chemie in dem letzten Jahrzehnt erfahren hat. Alles Wesentliche hierüber haben wir schon in anderem Zusammenhang aufgezeigt (vgl. Bd. I S. 142); hier sei nur darauf verwiesen, daß die ß-Strahlung des Radiums nichts als eine Elektronen- strahlung ist, daß die vielgenannten Teilchen der a-Strahlung die Kerne der Atome darstellen, indem die a-Strahlung doppelt positiv geladene Helium- ionen sind. Beides sind Erkenntnisse, die man Rutherford, diesem strah- lendsten Namen der zeitgenössischen Physik, verdankt. Die sämtlichen Er- scheinungen der Radioaktivität sind damit wieder auf das Kernproblem des Weltphänomens bezogen: auf die Elektronik. Die Atome der radioaktiven Körper sind zerfallende Atome. Sie sausen auseinander, ihre negativen Elektronen werden frei; Heliumionen entführen die positiven Elektrizitätsbestandteile, wobei als Begleiterscheinung eine Art Röntgenstrahlen (die y-Strahlen) auftreten. Eine ungeheure Energie- menge wird dadurch befreit, und die Menschheit, die sich schon heute dessen rühmt, die Atomzersprengung als Kraftquelle sich dienstbar machen zu können, wird nicht ruhen, bis nicht diese Einsichten ihr noch andere 56 Früchte getragen haben, außer den ideellen, die in dem neuen Wissen von dem Aufbau der Elemente durch eine Elektronenmechanik und daher von ihrer Umwandlung reifen. Denn unter dem Banne der materialistischen Idee sucht ja die Menschheit im Paradiesesgarten der Natur nicht nach der Erkenntnis der Gesetze, um danach ihr Leben reiner, vollendeter und harmonischer gestalten zu können, sondern ausschließlich nach goldenen Früchten, nach Dingen, die ihre Genußsucht befriedigen und ihr Herrschaft über die Natur verleihen. Die durch nichts verzehrbaren ungeheuren Mengen von Wärme, die das Radium und seine Verwandten ständig in den Weltraum hinaussenden, sind ein unleugbarer Beweis dafür, daß im Atom- zerfall tatsächlich diese so heiß gesuchte, ungeheuerste aller Energiequellen eröffnet werden kann. Die Lehre von den Gesetzen der elektrischen Wellen schließt ja mit der Erkenntnis, daß die aus dieser Materie und ihren Wellen aufgebaute Welt, also die unserer Physik einer steten Wandlung, einem Zerfall und Neuauf- bau unterliegt, durch den die Wärme, die „Mutter aller Energie", ins Dasein gerufen wird. Allerdings ist dieser Zerfall ein außergewöhnlich langsamer. Die Erscheinungen der Radioaktivität gestatten keinen anderen Rückschluß, als daß von den Billionen von Atomen, die nicht nur in einem Milligramm Radium vereinigt sind, in einer Sekunde nur äußerst wenige zerfallen. Und dem Zerfall ausgesetzt ist jederzeit ein im Verhältnis gar nicht darstellbar kleiner Bruchteil der Welt. Es kann z. B. auf Erden ein Atomzerfall über- haupt nur in den äußersten Schichten stattfinden. Der Engländer Strutt fand, daß in den Gesteinen, welche uns zugänglich sind, durchschnittlich eine Million Kubikmeter nur an acht Gramm Radium enthält. Überträgt man diese Rechnung auf den ganzen Erdball, so müßte dessen Radium- gehalt dreißigmal so viel Wärme entwickeln, als die Erde durch Strahlung verliert; mit anderen Worten, sie müßte eine Sonne sein und immer heißer werden. Da dies aber nicht der Fall ist, so kann in den tieferen Erd- schichten kein nennenswerter Atomzerfall stattfinden. Wohl aber ist solches auf der Sonne mit ihrem Heliummantel denkbar, und das Problem der Sonnenhaftigkeit. erscheint auf einmal in neuer Beleuchtung. Mit diesen Gedanken aber auch die Frage nach der Wärme, die als letztes mit den Erscheinungen der Wellenbildung untrennbar verknüpft ist. Die Wärmestrahlen sind unserer Betrachtung schon entgegengetreten als eine Wellenbewegung, die jenseits der roten Lichtstrahlen Schwingungen von 0,0008 bis 0,006 mm ausführt, die sogar bis Vs mm gesteigert werden können (vgl. S. 40) und ebenfalls mit Lichtgeschwindigkeit den Raum durcheilen und allen Gesetzen der Wellen dabei folgen. Die Vorstellung von Wärme als Molekularbewegung (vgl. Bd. I S. 114) hat die physikalische Forschung schon lange vor ihrer heutigen Verfeinerung zu der Überzeugung gebracht, daß alle physikalischen Erscheinungen Wärmereaktionen, näm- lich Energie sind, gleichwie die Wärme auch den Punkt bestimmt, an dem 57 alle chemischen Veränderungen, auch der Lebensprozeß, stattfinden. Wer also noch Zweifel daran gehabt hat, daß die Wellenfunktion die elemen- tare und allgemeine Funktion des Seins sei, dem müssen sie nach diesen Feststellungen schwinden. Die Gesetze der Wärmestrahlung sind bei diesem Stand der Dinge dann natürlich von ganz besonderer Wichtigkeit, und das verleiht dem Umstände, daß Planck das Quantenmäßige oder, wenn man so sagen will, das Gesetz der multiplen Proportionen gerade an der Wärmestrahlung konstatiert hat, jene universelle und das Weltbild im Tiefsten beeinflussende Bedeutung, die ich mich im ganzen Verlauf meiner Erörterungen bemühte herauszu- arbeiten. Auch das Ste/an'sche Gesetz von der Quantität der gesamten, von einem Körper ausgestrahlten Wärmemenge, das besagt, daß diese der vier- ten Potenz seiner absoluten Temperatur *) proportional sei, hat daher die weittragendsten Konsequenzen. Durch seine Kenntnis konnte an Hand der exakten Beobachtung, daß je ein Quadratzentimeter der Erdoberfläche in der Minute von der Sonne drei Kalorien empfängt, die Temperatur der Sonne mit großer Wahrscheinlichkeit auf 6500°**) bestimmt werden. Da nun aber die Wärmemengen aus mechanischer Arbeit entstehen und in der Gleichung der /oa/^'schen Zahl (vgl. S. 49) einfach als Gradmesser der Energie gleichgestellt werden können, ist der Weltprozeß, nämlich die Verwandlung der Energieformen zu einem Wärmephänomen geworden, und die Temperatur forschung gewährt weit über das hinaus, was ihr zoetische Einsicht meist zuschreibt, einen Einblick ins innerste Herz des Weltenseins selbst. Zum Glück verfügt die Forschung seit der Entdeckung des Ameri- kaners 5. P. Langley in dem Bolometer über ein Instrument, das Tempe- raturänderungen von einem Zehntelmilliontel Grad Celsius angibt, also die Wärme einer Kerze noch in zwei Kilometer Entfernung. Danach konnte man Bestimmungen von höchster Exaktheit vornehmen, und somit verdient es Vertrauen, wenn angegeben wird, daß das gewöhnliche Küchenherdfeuer nur 3—400° C warm ist, eine Gasflamme aber 6—700°, das elektrische Bogenlicht, die heißeste aller irdischen Wärmequellen, sogar 3600°. Bei dieser Hitze, die doppelt so hoch ist wie die des weißglühenden Eisens, verlaufen alle chemischen Reaktionen entgegengesetzt wie in der Zoesis. Jeder chemische Körper löst sich dabei in seine Atome auf; man nennt das gemeinhin „gasförmig werden" und es ist immerhin diskutabel, ob nicht bei Sonnentemperatur auch das Gefüge des Atombaues seinen Bestand ver- liert. Jedenfalls ist die Sonne ein Hitzereservoir, das den Merkur (nach Arrhenlus) auf 3979° C, sogar die Venus auf eine mittlere Temperatur von 40° C bringen kann, dessen Wirkungen durch nichts vielleicht besser de- *) Absolute Temperatur eines für unser Thermometer 100° C messenden Körpers ist — 273 -}- 100 = — 173°. •*) Nach dem W/ihmisch eintretende Fällungen, durch die das Entstehen der tierisch-pflanzlichen Zeichnungen faßlicher wurde. Und so ließe sich, wenn hundert Belege eine Tatsache 61 fester auf die Beine stellen könnten als ein Halbdutzend, ein großes Mate- rial anhäufen, das immer wieder nur das Eine beweisen würde, daß rhyth- mische Funktionen durchgängig verbreitet sind. Der experimentellen Psychologie ist das auch nicht entgegen, und sie hat eine Lehre vom Rhythmus geschaffen, deren wichtigstes Gesetz, das der Zeit- gestaiten. folgendes feststellt: Eine längere Reihe rhythmischer Eindrücke tritt im Bewußtsein aus unvermeidbarem seelischem Zwang zu Gruppen zu- sammen, deren Ausgestaltung in hohem Grad der Willkür unterliegt. Man mache den Versuch, wozu sich bei einer Eisenbahnfahrt die beste Gelegenheit bietet. Man taktiert bei den gleichmäßig erfolgenden Stößen unwillkürlich mit, wobei sich dann von selbst rhythmische Gruppen (Quan- ten) einstellen, denen man mit Vorliebe metrische Formen, Verschen oder sehr ausgeprägte Melodien unterlegt. Und wenn man dann gewitzigt durch dieses Erlebnis irgendeine Rhythmuserfahrung anderer Art analysiert, wird man bald finden, daß stets aus innerem Zwang einige Elemente daraus zu Einheiten zusammengefaßt werden. Es entsteht, wie sich die Psychologie ausdrückt, „ein Betonungsrelief unter den Gliedern jeder Gruppe" r^^) Auf diesem inneren Zwang zur „Zeitgestaltung" beruht ein ganz erheb- licher Teil der Technik des Kunstschaffens, und damit ist die Brücke für das Verständnis geschlagen, wieso Kunst auch darin die Weltgesetze wie- derholt. Architektur, Skulptur und Malerei haben überall diese Zusammen- fassung, die Quantenbildung, wenn man es so nennen darf, in ihren rhyth- mischen Gestaltungen durchgeführt und empfinden nur solches als schön, während ein Rhythmus ohne diese Gliederung ihnen leer und nichtssagend erscheinen würde. Man denke, um sich das anschaulich zu machen, an die Mäander- oder Palmettenornamente der griechischen Baukunst oder die Be- deutung der Gliederung eines Gebäudes in Haupttrakt und Seitenflügel: Oder noch deutlicher wird man die Wahrheit des Gesagten empfinden, wenn man sich an die Bedeutung und Notwendigkeit des Rhythmus in Poesie und Musik erinnert. Nicht nur, daß beide ohne diese taktmäßigen Wiederholun- gen ihre Formen schlechthin verlieren, sondern sie bedürfen auch der Quan- tenbildung im Bereich der Rhythmen durch stärkere Betonung einzelner Ele- mente und Zusammenschluß von Gruppen anderer nicht betonter um sie. In der Dichtkunst bestimmt das Versmaß die rhythmische Einheit, aus deren Wiederholung, beziehungsweise Variation, der Vers entsteht, wobei eine die Schönheit der Sprache bestimmende Vielfältigkeit dieser Variation den Ausschlag gibt. So würden einfache Metren wie der Jambus (^_; ) in monotoner Aneinanderreihung unschön wirken, weshalb da stets zwei Vers- füße gekoppelt sind, während z.B. die Daktylen ( — UU) als dreisilbiger Versfuß schon als ein „Quantum" gelten, das für sich bestehen kann. Da- bei tritt aus der Metrik sofort das von uns von allen Dingen der Welt zu fordernde Integrationsgesetz entgegen, denn die Versfüße sind zusammen- geschlossen zu Trimetern, Pentametern, Hexametern, diese wieder zu Stro- 62 phen und solche zu Gedichten, die in Zyklen wieder ihre höhere, in sich ge- schlossene Einheit mit spezifischen Integrationsstufen finden, so daß dem Kun- digen das ganze Abbild des Weltenbaues im Werk der Dichter entgegenblickt. So schließt sich auch in der Musik die Rhythmusgruppe zum Takt zu- sammen und Takte durch Legate und Betonungszeichen zu Gruppen; ge- schlossene Melodien, die variiert wiederkehren, steigen zur höheren Inte- ^^m i 1 Abb. 15. Notenspiel aus Beethoven, Klaviersonaten op. 101 grationsstufe der Sätze und ganzen Werke auf, überall das gleiche Gestal- tungsgesetz widerspiegelnd, das eben auf Erden überhaupt nur durch gleiche Formen „Sein" ins Erleben rufen kann. Ja schon in der gewöhnlichen Rede und im begrifflichen Denken ist die Quantenbildung im rhythmischen Fluß durch Betonung und Gliederung, in der Grammatik durch Satz- und Halbsatzbildung, bereits in dem Wortzu- sammenschluß der Laute, in der Logik, in der Begriffsbildung selbst. Überall, sowie bewußtes Leben nur anhebt, ist dieses Urgesetz unseres Erlebens ver- wirklicht, das uns zwingt, die ganze Welt rhythmisch zu deuten. Dieses innere Gestaltungsgesetz des Erlebens hat nun sehr eng gezogene Grenzen, die sich zwischen 1—24 Glieder bewegen. Denn es ist durch Selbstbeobachtung ge- wonnene Erfahrungstatsache, daß es dem Intellekt versagt ist, rhythmische Einheiten zu bilden, die über 24 Takte hinausgehen. Es wäre ungemein fruchtbar, den Folgen dieser Tatsache in der Ausgestaltung unseres Welt- bildes nachzugehen. Ich muß es mir hier nur versagen, veranlaßt durch die Forderung nach Harmonie in der Gestaltung meines Werkes, die mich zwingt, zu der Analyse der Funktionsformen zurückzukehren, von deren erster Eigenheit, der rhythmischen Gliederung des Weltgeschehens im Erleben ich einen hoffentlich genügend deutlichen Eindruck zu erzeugen vermochte. Die Geschehenskette des Weltphänomens, der wir uns hicmit wieder zu- wenden, weist nun außer dem Gleichmaß auch die Eigenheiten des Gegen- satzes auf. Von diesen Erscheinungen ist namentlich eine: die Geschehens- beschleunigung, dem Chemiker wohlvertraut und wenigstens von dieser Seite aus ausgiebig studiert. Sie ist in der Chemophysik unter der Bezeichnung G3 Katalyse jedem Fachmann bekannt. Der Funktionsbegriff in der Chemie nimmt die Form der chemischen Reaktion an. Und es zeigte sich alsbald, daß die Reaktionsgeschwindigkeit je nach den äußeren Bedingungen ver- schieden ist. So wird z. B. durch Steigerung der Temperatur die Geschwin- digkeit aller chemischen Vorgänge größer; eine Erfahrung, die die Mensch- heit schon vor Jahrtausenden hätte verwerten können, wenn sie die Tatsache beachtet hätte, wie langsam ruhig an der Luft liegendes Eisen rostet, und wie rasch sich darauf unter dem Schmiedehammer der Rost einstellt. Im all- gemeinen kann man sagen, daß bereits eine Temperaturerhöhung um 10 <> die für eine Zeiteinheit umgesetzte Stoffmenge verdoppelt. Das ist die Ur- sache, warum kein chemisches Laboratorium früher ohne Herd und jetzt ohne Gasflammen eingerichtet werden kann. Der Chemiker erwärmt sein Material, um die Vorgänge zu beschleunigen. Es gibt nun gewisse Stoffe, welche diese Rolle der Wärme übernehmen. Wenn ein Stoff die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion durch seine Gegenwart erhöht, ohne selbst eine dauernde Änderung zu erleiden, dann nennt man ihn einen Katalysator und spricht von katalytischen Reaktionen. Solche Stoffe sind z.B. das Wasser oder das Mangandioxyd gelegentlich der Zersetzung des Kaliumchlorates. Eine Spur Wasserdampf beschleunigt fast alle chemischen Umsetzungen. Ein anderer derartiger hochberühmter „Kontaktstoff^^ wie man die Katalysatoren mit einem anderen Ausdruck nennt, ist der Platinmohr.^^) Das Urbild aller Katalysen kennt die Mensch- heit ihrer Sage nach seit den Zeiten der Hammurabi-Inschriften. Denn schon auf diesem Original der biblischen Sagen ist Wein und damit Gärung er- wähnt. Die von den Hefepilzen (Saccharomyces) erzeugte Zymase, das wichtigste aller Fermente oder Enzyme, um dafür einen moderneren Aus- druck zu gebrauchen, beschleunigt den Prozeß der Zuckerspaltung zu Alkohol und Kohlensäure. Das ist es, was wir Gärung nennen. Andere Enzyme spalten durch ihre bloße Anwesenheit die Fette, wie jeder von uns durch seine Galle täglich beweist; das Ptyalin des Speichels bewirkt die Stärkeverzuk- kerung, es ist überhaupt keine tierische Verdauung und kein pflanzlicher Stoffwechsel denkbar ohne eine Fülle von Enzymen, die von dem Plasma in bewundernswerter Vielfältigkeit und Leistungsfähigkeit ausgeschieden werden. Noch komplizierter wurde die Sachlage, als man erkannte, daß alle En- zyme kolloidale Struktur besitzen, weshalb z.B. auch alle kolloidalen Metall- sole katalytische Wirkungen ausüben. Diese bestehen nun keineswegs, wie man gewöhnlich glaubt, und wie es im Verdauungsvorgang, wenigstens in seinem ersten Teil, auch ihre Aufgabe ist, nur aus Spaltung. Sie vollführen sogar auch Synthesen, ja sie besorgen sogar eine Art Reaktionsauslese, so daß es sich nicht mehr bezweifeln läßt, daß in ihnen eine biotechnische Erfindung der plasmatischen Organismen vorliegt, die, weil sie wegen der schon bei 60 <> erfolgenden Eiweißgewinnung keine Wärme anwenden können, sich der Enzyme zur Änderung der Reaktionszeit bedienen. Diese Biotech- 64 nik wird nachgeahmt, wenn man Gärung bei der Wein-, Bier- oder Brot- bereitung hervorruft. Eine vollkommenere Form ist die in neuerer Zeit üblich gewordene Hydrierung ohne Erwärmung mit Hilfe von Platinkollo- iden (der Platinmohr ist ein solches), und es bedarf wahrlich keiner beson- deren Intuition, um vorherzusagen, daß man auf diesem Wege zur Revol- tierung der Chemotechnik und damit auch der Industrie kommen und eines Tages gleich den Pflanzen ohne Kohle und Fabrikschornstein zu produ- zieren gelernt haben wird.^^) Kann man aber auf solche Weise den Rhythmus der Vorgänge beschleu- nigen, so muß es notwendigerweise auch gelingen, ihn zu verzögern. Und tatsächlich, man ist auch mit derartigen Verzögerungssubstanzen bekannt geworden. Sie sind nichts anderes, als die allgemein bekannten Gifte. Blau- säure, Arsenik, überhaupt alle starken Gifte verhindern auf eine heute noch unbegreifliche Weise den Vorgang der Katalyse. Und gleichwie man die organischen Reaktionen vulgo Lebensvorgänge „vergiften" kann, gelingt das gleiche auch bei den kolloidalen Enzymen. Diese Beeinflussung des funktionellen Rhythmus ist nun nichts anderes als der erste Schritt zu seiner Abänderung, die letzten Endes, von großer Perspektive aus gesehen, wieder nichts anderes als eine dermaßen verzögerte Wiederkehr gleicher Formen ist, daß unsere Erfahrung nicht ausreicht, um deren „Takt" zu bestimmen. Hier wird der Entscheid durch das Zermelo'schQ Resultat (vgl. S. 75) gefällt, nach dem alle Vorgänge in ständigen Wiederholungen ablaufen, ein Gedanke, den Nietzsche in einer seiner mysteriösen Intuitionen, in der im „Zarathustra" zuerst visionär ausgeführten „Wiederkehr des Gleichen", vor- weggenommen hat, ohne zu ahnen, daß dieser Gedanke nur mit einer bio- zentrischen Erkenntnistheorie vereinbar wäre. Es liegt einfach im Wesen der mathematischen Voraussetzungen, daß, wenn irgendwo ein Faktor sich der Unendlichkeit nähert, die Permutationen zu rhythmischen, also perio- disch wiederkehrenden Funktionen werden. Der amerikanische Popular- philosoph C. Snyder hatte den artigen Einfall, das an einem Beispiel zu demonstrieren. Wenn es, so sagt er, am Himmel nur eine Milliarde Sonnen- systeme gleich dem unseren gibt, so existieren 8— 10 Milliarden Planeten, auf denen, wenn wir je eine Dauer von tausend Millionen Jahren ansetzen wol- len, theoretisch Menschenbesiedlung möglich wäre. Rechnet man, daß das, was man menschliche Zivilisation nennt, sich in einer uns als solche an- sprechenden Form zehn- oder zwanzigtausend Jahre lang hält, so bedeutet das, daß das Kulturleben der Menschheit ein Hunderttausendstel der be- wohnbaren Zeit unseres Sonnensystems umfaßt, daß also auf einer mil- liardenmal größeren Zahl von Planeten die Zahl der möglichen Permutatio- nen, also die anderen Möglichkeiten längst erschöpft sind und wir minde- stens einige andere {Snyder rechnet sogar 10 000) Planeten finden müßten, auf denen annähernd dieselben Zustände herrschen wie auf dem unsern. Unter den vielen mit Parallelentwicklung ist es dann wieder nur Sache der Francs, Bios M ^^ ^ 65 Ausdehnung der Kosmos- oder Zeitvorstellung, um die Möglichkeit einer Parallelität zur Sicherheit eines alter ego zu verwandeln. Es ist also letzten Endes nur Sache des intellektuellen Mutes, wie weit jemand in dieser Rich- tung praktische Konsequenzen zieht. Das Problem spitzt sich in dieser Richtung auf die Formulierung zu: Ist der Weltprozeß, die Änderung der Seinsformen, eine periodische Funktion oder nicht? Und da muß man sagen, daß alles vorhin Gesagte mehr auf die erstgenannte Lösung als auf ihr Gegenteil weist. In der Lebenspraxis ist es freilich gleich, welche Lösung gefunden wird, weil auch die be- jahende ein derartiges kosmisches Tempo der Serialität einschlägt, daß in ausdenkbarer Zeit- und Raumvorstellung de facto eine Wiederkehr ausge- schlossen ist. Anders freilich in ethischer Hinsicht. Für sie ist die Lösung der Frage von grunderschütternder Bedeutung, was Nietzsches Flammen- geist nicht verborgen blieb und von ihm auch mit leuchtenden Buchstaben an den Himmel des Gewissens geschrieben wurde. Die Abänderung, also die Variation der Geschehenskette in den atomaren Zusammenhängen erfüllt nun die Anschauungswelt des Chemikers mit be- sonderen Vorstellungen. Denn Variation im Rhythmus atomarer Beziehun- gen nennt man chemischen Prozeß, und durch diesen tritt die Vielheit der chemischen Stojfe in Erscheinung als materielle Qualität. An dieser Stelle begegnet man aber so ziemlich der größten Dunkelheit, die im Gebiet der anorganischen Naturwissenschaft noch herrscht. Denn die Begriffe der chemischen Affinität, welche diese funktionelle Variation regeln sollen, haben noch nicht den Anschluß an die elektronäre Mechanik gefunden, als welche sich die Physik enthüllt hat. An dieser Stelle klafft eine Lücke in den Vorstellungen. Wohl weiß man etwa seit Davy, daß die chemische Affinität, also das die Verbindung der Stoffe regelnde Gesetz, innig mit der Elektrizität verwandt sein muß. So einfach aber, wie man sich das bis vor wenigen Jahren gedacht hat, daß die Affinität die magnetische und elek- trische Ladung der Moleküle sei, verhält sich die Sache allerdings nicht, sondern die chemische Energie, wie man sie wohl nennen kann, läßt sich im Grunde genommen auf keine andere zurückführen, wohl aber umwandeln (im chemischen Element) und messen durch ihre Schnelligkeit und die bei ihrer Umwandlung geschaffene Wärme oder elektrische Energie. Das Ge- biet dieser Erfahrungen steckt die Thermochemie und Elektrochemie ab.^^) Tatsächlich sind auch gesetzmäßige Beziehungen zwischen dem Quäle des Stoffes, welches eben das Arbeitsgebiet der Chemie ist, und dem elektri- schen Quantum wenigstens insofern da, als es nicht nur eine chemische Affinität der Elemente untereinander, sondern auch eine solche der Ele- mente zur positiven und negativen Elektrizität gibt. Metalle verhalten sich z.B. derart, als ob sie eine Verwandtschaft zur positiven Elektrizität hät- *) Die säurebildenden Elemente z. B. Phosphor. 66 ten, und Metalloide*) gerade umgekehrt. Diese Beziehungen treffen aber nicht den Kernpunkt dessen, was uns in diesem Augenblick an der Chemie interessiert. Das Wichtige ist vielmehr für uns die an diesem Punkte auf- scheinende Einsicht, daß die chemischen Qualitäten Funktionsjonnen der Materie sind und der chemische Prozeß eine Formenänderung, ein Umbau, also eine Funktion der Formen. Gilt das für die Chemie, muß es ebenso folgerichtig auch für die physi- kalischen Eigenschaften gelten, einheitlich aufgefaßt für den Funktionsbegriff überhaupt. Oder mit anderen Worten: Die Variation der Funktionen er- gibt das Weltbild. Was man Erscheinung nennt, sind die Funktionsjormen des Seins, die daran gesetzmäßig gebunden sind, so daß jede Funktion ihre ihr allein zukommende Form hat und eine Änderung der Funktionen mechanisch auch eine Änderung der Form nach sich zieht. Dieser Zusammenhang kehrt stets wieder. Es gibt also ein Gesetz der Funktionsjormen, dessen Wortlaut angesichts seiner Wichtigkeit noch ein- mal wiederholt sein soll: Jede Funktion besitzt eine nur ihr zukommende Form, die sich mit der Funktionsänderung gesetzmäßig ändert. Diese Sätze erscheinen so einfach, daß man vielleicht mit Verwunderung und Ungeduld sie für selbstverständlich und altbekannt hält. Sie sind aber weder das eine noch das andere. Sie sind vielmehr von allergrößter prak- tischer Wichtigkeit und in ihrer Anwendung fundamental neu. Eine voll- kommene Umwälzung des bürgerlichen Lebens muß in dem Augenblick ein- treten, in dem man sie wirklich konsequent anwendet. Für mich persönlich sind sie z. B. die erste materielle Frucht der objektiven Philosophie, die mir die Möglichkeit gewährte, mich von dem ablenkenden Broterwerb los- zulösen und mein Leben ausschließlich auf die Schaffung und Verbreitung der objektiven Philosophie einzustellen. Und das hängt in folgender Weise zusammen: Wenn die obigen Sätze richtig sind, dann muß es möglich sein, von den Formen der Dinge auf die Funktionen zurückzuschließen, und darm ist auch eine gewünschte Funktion zu erwarten, wenn man den Dingen die entsprechende Form verleiht. Mit anderen Worten, es muß dann möglich sein, eines auf das andere zu übertragen und durch Nachahmung von For- men beobachtete Funktionen wiedererzeugen zu können auch in anderem Material und durch Übersetzung des Zusammenhanges von einem Gebiet ins andere, unter Umständen vom natürlichen Physischen ins rein Geistige. Erlaubt wird solches durch die von uns angenommene Überzeugung, daß das Funktionsgesetz richtig sei, daß, da dieses nur eine Ableitung aus dem Seinssatz überhaupt ist, auch diese Grundbehauptung der objektiven Philo- sophie zu Recht bestehe, mit ihr aber auch die absolute Indentität des Er- lebens, d. h. die beliebige Übertragbarkeit identischer Gesetzeszusammen- hänge von einem Gebiet ins andere, also das, was man die Einheit des Biosbegriffes nennen kann. Man hat damit ein treffliches Mittel an die Hand bekommen, die Berech- 5» 67 tigung aller dieser Behauptungen der objektiven Philosophie an ihren Kon- sequenzen praktisch nachzuprüfen. Ist nämlich die behauptete Übertragung ausführbar und führt sie zu bisher unbekannten Funktionen oder durch Funktionsübertragung zu neuen Formen, dann gibt die objektive Philosophie mit dem oben Gesagten wirkliche Gesetze der Welt wieder und ist außer- dem kultur- und lebensfördernd. Diese Übertragung des physikalischen Ge- setzes der Funktionsformen ins Geistige und Kulturelle habe ich, als ich mit diesem Gedanken zum erstenmal auftrat 2g), als Biotechnik bezeichnet. Die Biotechnik ist also ein ausgezeichneter Prüfstein für die Berechtigung und Richtigkeit*) der objektiven Philosophie. Darum soll sie hier in ihren ganzen Grundzügen entfaltet werden. Wenn jede Form der Ausdruck einer von ihr geprägten Funktion ist, dann ist die Kugelform (die technische Form für Rollen), Masse überhaupt, die technische Form für Trägheit, auch Bewegung selbst schon eine Funktions- form für veränderliches Sein. Was sich bewegt, ruht nicht, ist also nicht von Dauer, wobei es gar nichts ausmacht, ob diese „Dauer" den Kreis unserer Zoesis überschreitet wie bei den Himmelskörpern oder nicht. Es ist also der Begriff der Funktionsform, wofür technische Form nur ein Synonym ist, für alles Sein gültig, keineswegs etwa für das biologische oder physikalische Sein allein. Auch das geistige Schaffen hat seine tech- nischen Formen, für die identische Gesetze gelten wie in der Physis. Und auch die unbelebte Natur hat unter dem Einfluß der in ihr vor sich gehen- den Bewegungen (Änderungen) technische Formen angenommen, deren vornehmste und allgemeinste die Materie selbst mit ihren chemischen und physikalischen Qualitäten ist. Schon die Begriffe „seiende Welt" und „Er- scheinung" sind Funktionsformen des Weltprozesses, der biotechnische Grundbegriff also einer der elementarsten des gesamten Erlebens. Es ist also das Phänomen, welches die moderne Biologie unter dem Ein- fluß von W. Roux^'') unter dem Namen ,,funktionelle Anpassung" als eine der Sondererscheinungen belebter Materie aufzufassen lehrte, viel allge- meiner zu fassen, als man es derzeit übt. Das Grundlegende, die Mechanik *) Man unterscheide wohl, daß eine Anschauung sehr gut unrichtig sein kann, aber dennoch berechtigt ist. So ist z. B. die mit absoluten Größen als Fiktion rechnende Mathematik vom Standpunkt des relativistischen Denkens aus gewiß nicht „richtig". Wer wollte aber angesichts ihrer zoetischen Notwendigkeit ihre Berechtigung leug- nen? Sie ist praktisch notwendig, daher lebensfördernd, ergo berechtigt. Diesen An- spruch muß man auch der objektiven Philosophie zubilligen, seitdem die Biotechnik aus ihr entstanden ist. Sie ist sich sehr wohl bewußt, daß sie auf einer agnostischen Grundlage ruht, indem sie keine Erklärung des Erlebens gibt. Vom Standpunkt des absolutischen Wahrheitsforschers aus kann sie also nicht als „richtig", als „die Wahr- heit" gelten, sondern bestenfalls als Behauptung. Sie ist aber eine berechtigte Lehre, weil sie sich als lebensfördernd, lebenserweiternd erweist. Und nur das will sie, nicht aber absolute Wahrheit erkennen, die sie als ein Phantom abweist. Unter Rich- tigkeit ist dann zu verstehen, daß sie richtig die Gesetzeszusammenhänge wiedergibt, 68 der Formänderung unter dem Einfluß von Funktionen ist vielmehr ein Weltphänomen, dem man auf Schritt und Tritt vom Kleinsten bis ins Größte begegnet. Das ist das Erste, was ich hier zu beweisen habe. Da kann ich darauf hinweisen, daß schon die Gestalten (es wird hier doch der Umriß einer Philosophie der Gestaltung gezogen) der kosmischen Gebilde: Nebel- flecken, Kometen, Sonnen und ihre Trabanten nichts als die technischen Spiegelbilder ihrer jeweiligen Funktion sind. Formlosigkeit bei sonst funk- tionslosem Massensein, ist in den Weltnebeln da (vgl. Bd. I Abb. 1), die aber sofort in Spiralform und Zusammenballungen übergeht (vgl. Spiral- nebel der Jagdhunde, Bd. I Abb. 1 und 2), sobald Bewegungsfunktionen, Rotationen auftreten. Die Funktion prägt also auch im Anorganischen ebensogut die Form wie im Organischen. So entstanden die Funktionsformen der Weltkörper, von deren Gestaltung man stets auf die ihnen zugrunde liegenden Änderungen zurückschloß, wo- durch das wissenschaftliche Denken längst eine tatsächliche Anwendung von einer Konsequenz des objektiven Denkens gemacht hat (so wie das praktische Leben überhaupt niemals etwas anderes macht), die eigentlich ohne Anerkennung dieser Denkrichtung unerlaubt ist. Bis ins Feinste wur- den dadurch die Trabanten unserer Sonne durchgeformt und z. B. der Erde jene technische Sonderform verliehen, welche die Geophysiker bezeichnen wollen, wenn sie die Erde nicht eine Kugel, sondern das Geoid oder Rota- tionsellipsoid nennen. Seit Christ. Huygens (1669) weiß man es, daß eine plastische, schnell rotierende Kugel an den Polen abgeplattet, am Äquator angeschwollen sein muß, und hat erst mühsam durch die Erdmessung mit Hilfe der von der französischen Akademie der Wissenschaften nach Peru und Lappland ent- sandten Expeditionen bewiesen, daß dieses Gesetz für die Erde auch wirk- lich gilt. Es waren das ja auch jene Expeditionen, die bei dieser Gelegen- heit den Beweis erbrachten, daß der Meter nicht, wie man wollte, ein Naturmaß (nämlich der zehnmillionste Teil des Erdquadranten), sondern ganz willkürlich festgestellt sei. Ohne unser Gesetz der technischen Form brauchte die Erde keineswegs eine annähernde Kugel zu sein, sondern könnte eine beliebige Gestalt oder etwa die Scheibenform besitzen, an die der mittelalterliche Mensch glaubte. In Wirklichkeit aber ist diese hundertfach bewiesene Kugelkrümmung so gewaltig, daß man ihretwegen in einem Meter Höhe den Horizont nur in einem Kreis überblicken kann, dessen Radius kaum viertausend Meter be- trägt. Ein sich entfernendes Schiff versinkt daher schon in S'/o km Ent- fernung scheinbar um einen Meter unter dem Wasserspiegel. Und auf der Erde trifft der Blick, wohin er sich auch richten mag, überall nur technische Formen der auf ihr sich vollziehenden Veränderungen. Viele sind in den Ausführungen bisher schon erwähnt worden. So sind die Zeugenberge der Wüste, der mächtige Dreikanter des Matterhorns 69 nichts als technische Formen, aus der Luftbewegung hervorgegangen. Jedes Flußbett oder Trockental, jede Erosionsrinne ist ein Zeugnis für das gleiche Gesetz (Abb. 4). Die schöngeformten Rundlinge (vgl. Abb. 3), welche allenthalben, na- mentlich am Nordrand der Alpen und in den Tälern des Inn, der Salzach, des Lech, der Rhone die Landschaft überaus lieblich gestalten, sind Funk- tionsformen der scheuernden Bewegung des Eises während der großen dilu- vialen Vereisung jener Landschaften. Die Kare im vergletschert gewesenen Hochgebirge (Abb. 5), die Gerolle (Abb. 6) in jedem Bachbett, die Schutt- rinnen, Berg- und Talform, alles, alles zeugt für das gleiche Gesetz. Es ist ein außerordentlicher Genuß und eine tiefe Belehrung, sich die hier eingestreuten Landschaftsbilder (vgl. Abb. 3, 6 u. Bd. I 50) daraufhin genau zu betrachten und diese Übung dann auf Ausflügen und Reisen in der freien Natur zu wiederholen und zu vertiefen. Es wird nämlich zum er- schütternden Erlebnis, wenn man sieht, wie das Bild der Natur nichts anderes ist als die Sprache der vielfältigen und gewaltigen Kräfte, die sich in der Welt verknoten: der Spiegel, mehr als das, das Geschöpf des Welt- geschehens. Und was das Festland in der Ursprache des Seins dem Wissen- den sagt, das wiederholt in gleicher Erhabenheit das noch leichter Formen bildende Meer. Welle, Brandung, Strömungen, sie alle sind die technischen Formen der Prozesse, welche sie vollziehen, und sie wieder sind das Werk- zeug, mit dem die Kräfte der Abrasion und der Transgressionen das Fest- land in stets neue Formen prägen. Jede Funktion der seienden Dinge verleiht diesen Qualität, welche diese Funktion immer mehr erleichtern, bis sie sich nahezu optimal vollzieht. Es sind dies dabei keineswegs grobe Formgebungen allein, sondern, wie es uns bereits am Problem der chemischen Qualität und Änderung zum Bewußtsein gekommen ist, auch Zustandsänderungen in der molekularen oder atomaren Struktur. So ist der Golfstrom, gleich den fünf anderen großen Meeres- triften, eine Warmwasserheizung für Westeuropa, somit in seiner Erhitzung und dem ausgleichenden und wärmeabgebenden Zirkulationsstrom die Funk- tionsform einer solchen, oder alle Flüsse, kalten Luftströmungen oder Schuttreissen (Abb. 6) sind die technische Form der schiefen Ebene, auf der Massentransporte erleichtert sind. Freilich sind auch die Zustandsände- rungen im chemischen Sinn letzten Endes immer nur mechanische Ände- rungen gleichwie auch die letztgenannten Funktionen, denn der Unterschied zwischen materiellen Teilen, die da als Gold, dort als Blei erscheinen, hier in Form von grüngefärbtem Eiweiß, dort als roter Rubin sich dem Auge darbieten, da als farbloses Gas, dort als tiefschwarze Kohle, ist ja nie etwas anderes als eine prinzipiell nachrechenbare Verlagerung der Uratome, der Atome und Moleküle, also eine Änderung der strukturellen Gestaltung, bei der mit jeder funktionellen Phase eine ganz bestimmte Form korrespondiert. Daß wir noch fern davon sind, diese technischen Formen der Zustände zu 70 registrieren, ist nur ein Beweis für das primäre Stadium unseres Wissens, ändert aber an dem Gesetz nichts. Selbstverständlich ist diese Zusammenhangslehre zwischen Form und Funktion ebensogut gültig, ob dieser Zusammenhang nun innerhalb eines lebenden Wesens oder außerhalb desselben besteht. Daher ist das sogenannte biologische Gesetz der funktionellen Anpassung im einfachsten Fall kein anderes Problem als das bisher geklärte. Es ist dem objektiven Denker ganz selbstverständlich, daß auch das Plasma ebenso gut seine Funktionsformen hat, auf jeder seiner Integrationsstufen, so wie das Eisen oder der Erdball die seinigen. Natürlich wechseln auch sie mit wechselnder Funktion, und dem, was man als „Anpassung" bezeichnet, liegt zunächst kein anderes mechanisches Geschehen zugrunde, als der Entstehung der Hohlkehlen in einer winddurchpfiffenen Hohlschlucht. Ich will dabei nicht im geringsten das teleologische Moment dieses Geschehens weder in der funktionellen Anpassung noch in der Herausbildung anorganischer Funk- tionsformen gleich den soeben genannten leugnen. Tatsächlich wird in beiden Fällen die Form final, nämlich so abgeändert, daß die Funktion sich vollen- deter, widerstandsloser vollziehen kann. Die Teleologie liegt also bereits im physikalischen, im mechanischen Geschehen selbst, wenn auch nicht in der Form, daß B auf A so folgt, damit C erreicht werde, so doch derart, daß B auf A so eintritt, daß C erreicht wird. Es wird also im Entwicklungsmecha- nischen nicht etwa das Sinnvolle, Teleologische mechanisch gedeutet, sondern vielmehr der Mechanismus des Prozesses lebensmäßig, daher teleologisch erläutert, und denen, die die Lehre der Biozentrik verstanden haben, brauche ich nicht erst zu sagen, daß solches bei dem Wesen unserer Erkenntnisfähig- keit gar nicht anders sein kann, also kein Problem, sondern eine Vorausset- zung des Erkenntnisvorganges ist. Gewissermaßen der Kaufpreis, der vom erkennenden Subjekt gezahlt werden muß, um erkennen zu können. Man muß daher im Anpassungsbegriff sehr wohl zwei voneinander ganz verschiedene Dinge trennen. Wenn in der Epidermis der menschlichen Hand durch steten Druck eine vermehrte Teilung der Epidermalzellen einsetzt, durch die nach einiger Zeit eine Wucherung, nämlich eine Schwiele entstehen muß, dann ist dieses Geschehen von einer anderen Finalität regiert, als dem einfach teleologischen Zusammenhang zwischen Druck und Druckform. Nach der „mechanischen Teleologie" müßte durch den Druck einfach in der Hand nach und nach eine Vertiefung entstehen, in die der drückende Außenkörper hineinpaßt wie ein Schmuckstück in sein Futteral, wodurch er seine Druckfunktion immer vollkommener ausüben kann. Das erfolgt auch, wenn der Druck zu heftig ist oder zu lange währt. Nach der organischen Teleologie dagegen erfolgt etwas ganz anderes, das reine Gegenteil. Dem Druck wird durch die Schwiele widerstanden. Hier wird eine höhere, die Urteilsfunktion in sich schließende Stufe von Teleologie sichtbar, welche die vorige keineswegs aufhebt, und man bemerkt, daß das Integrationsgesetz 71 auch in der Teleologie wirksam ist, und daß es teleologische Integrations- stufen gibt. Der Organismus handelt als Person, welche den Druck als Motiv, als Reiz und Auslösung zu einer Handlung benützt. Unabhängig davon' ist also die obengenannte funktionelle Anpassung, die mit solchen Handlungen und dem Leben als solchem gar nichts zu tun hat, wenngleich sie auch im lebenden Körper sich genau so wie im toten vollzieht. Jedem Physiologen bekannt ist der feinere Bau namentlich der Röhren- knochen (Abb. 16). Im Caput, dem Knochenkopf, ist durch feinste knöcherne Lamellen das Gerüstwerk der Spongiosa verwirklicht, das je nach Bean- spruchung verschieden eine biegungsfeste Konstruktion aufbaut, in der nur die Stellen des Druckes und Zuges durch festeres Material betont sind. Ändert man die Druck- und Zugbeanspruchung, ändert sich auch die Form der Spongiosa, so daß man mit Recht das Knochengerüstwerk als den klas- sischen Fall von funktioneller Anpassung bezeichnet hat. V^. Roux machte nun solche Fälle an einem Modell aus Gummi und Paraffin nach und fand, daß die zug- und druckfesten Elemente darin sich von selbst der neuen Funktion gemäß umlagern, wenn man das Modell anders beansprucht. Daraus ist zu schließen, daß bei dem so viel gerühmten, bekanntlich von /. Wolff zuerst nachgewiesenen sinngemäßen Umbau der gebrochenen Kno- chen, den man als das größte Wunder organischer Teleologie pries, der Organismus und seine intelligenten Kräfte gar nichts zu tun haben, sondern daß hier die „mechanische Teleologie" allein das Bewunderte erschafft. Mit anderen Worten: in dem zu einem Begriff zusammengeworfenen Anpas- sungsprozeß stecken tatsächlich zwei verschiedene Dinge: die jeder Funk- tionsform anhaftende Teleologie, die oft allein das besorgt, was man An- passung nennt, und eine auf höherer Integrationsstufe stehende Intelligenz, welche teleologische Zusammenhänge schafft, als deren Beispiel der oben- erwähnte Fall der Epidermalschwiele gelten mag. Die Physiologen haben diese zwei Dinge bisher nicht gänzlich zu trennen gewußt, und hier- aus entsprang mancher Streit und die Unfruchtbarkeit ihrer Bemühungen-^«) Man gehe übrigens nicht daran vorüber, daß durch das vorhin wieder- gegebene Roux'scht Experiment die Teleologie der Funktion als Weltgesetz sowohl im Organischen wie Anorganischen erwiesen worden ist, das Te- leologische also als Grundeigenschaft der Welt oder als Bedingung der Erkenntnisfähigkeit dem erkennenden Subjekt zugeschoben wurde. Denn hier ist die Grundlage des Verständnisses für die gesamte Technik aufge- schlossen. Ist doch sie in Konsequenz dieses Satzes nichts als die „Tech- nik der Zoesis", nämlich das sich Orientieren im Gebiet der Mechanik des Erlebens oder in einen Merksatz geprägt: die Nachahmung der Teleologie des Weltgeschehens durch bewußte Zielsetzungen. Diese Teleologie des plasmatischen Geschehens beherrscht den ganzen Lebensprozeß, der ja ununterbrochen nach seinem Ausgleich strebt und 72 s ^ O O r- durch teleologische Zusammenhänge den Störungen, die diesen Ausgleich hindern, entgegenarbeitet. Das spricht sich aus in seinen bedürfnismäßigen Reaktionen, in deren Ablauf die technischen Hilfsmittel des Organismus eingeschoben werden. Alles an dem Organismus - so wie an der Welt selbst - erscheint uns daher in verschiedenen Integrationsstufen teleologisch ablaufend; jeder Prozeß ist ein biotechnischer Vorgang, der rein mechanisch zu seinem Opti- mum drängt. Denn das Teleologische liegt schon im Begriff der Funktion darin, die alles Funktionierende sich anpaßt. Darum ist nicht nur das Anorganische, sondern vermöge seiner höheren Integrationsstufe noch in einem ganz anderen Sinn auch das Organische seinen Funktionen gemäß durchgeformt. Ja, auf dieser Stufe beginnt sogar im Menschen gipfelnd die Entstehung und Ausbildung einer neuen Form für die Funktion, welche das Funktionelle zu regeln und seinem Optimum entgegenzuführen trachtet. Nervenzelle, Gehirn nennt man die Organe der teleologischen, zielsetzenden, regelnden Funktion, und ihre Formen sind die Empfindungen, Handlungen, Urteile, Gedanken, in denen sich die Funktionen der Ganglien und des Gehirns äußern. Das Seelische ist so selbst nur eine Funktion des Plasmatischen und da- mit dem Funktionsgesetz und dessen Konsequenzen unterworfen. Auf diese Weise ist denn die Technik des Menschen gleichem Gesetz Untertan wie die Technik des Organischen und die Technik der Materie und wiederholt sie nur teilweise auf anderer Integrationsstufe, demzufolge allerdings auch mit neuen Integrationseigenschaften. Das ist es, was in dem Satz, auf des- sen Bedeutung ich vorhin so nachdrücklich aufmerksam machte, enthalten ist, und was man nicht übersehen darf. In ihren äußeren Formen ist die Biotechnik des Plasmas ein unerschöpf- liches Buch wunderbarster Bilder, angefangen von den technischen Formen der Waben und Piasmafibrillen bis zu den Erfindungen und technischen Leistungen der Zellenstaaten, Pflanze, Tier und Mensch inbegriffen. Bekannt von ihnen ist der großen Menge vorläufig nur die Technik des Menschen; selbst die Gebildeten und die Forscher haben gar keine Ahnung, daß diese nur ein, sogar nur ein kleiner Ausschnitt aus der Gesamt- technik des Plasmas ist, weshalb es maßloses Erstaunen und teilweise ebenso großen Enthusiasmus wie heftigen Widerstand erregte, als ich vor einigen Jahren den Gedankengängen der objektiven Philosophie zuerst dadurch Freunde zu werben suchte, daß ich einige Kapitel aus der außermensch- lichen Biotechnik aufschlug und auf verschiedene Erfindungen hinwies, die man durch Übernahme jener Konstruktionen und Vorgänge, also Methoden in unsere Lebenspraxis realisieren könnte (vgl. Anmerkung 26). Es hat auf solche „biotechnische Erfindungen" hin, die, wie man nun einsehen wird, nur der objektiven Philosophie zu verdanken sind, das deutsche Patentamt z. B. das R.G.M. Nr. 723 730 (Streuer für medizinische 73 usw. Zwecke) verliehen und andere nachgesuchte Patente nur mit der Moti- vierung abgeschlagen, daß diese Vorrichtungen und Methoden durch die Technik bereits verwirklicht und in Amerika oder England bereits paten- tiert sind. Da mir das natürlich unbekannt war, erlebte ich auch dadurch die Genugtuung (und das steht in der Geschichte der Philosophie einzig da), daß eine Philosophie bereits praktische Auswirkungen zeigte und Früchte als Zeichen ihrer Brauchbarkeit erntete, bevor sie noch richtig ins Leben getreten war. Es lag daher ganz im Geiste der neuen Denkungsart, die von allem „Richtigen" (vgl. S. 68) fordert, daß es Dauer habe und er- folgreich sei, daß unmittelbar danach sich diese theoretische Anerkennung auch in die handgreiflichste Praxis umsetzte durch Gründung von Fabriken und Produktion lebenswichtiger Artikel im Sinne meiner Forschung und Denkungsart, die vorläufig bereits Hunderten von Menschen Erwerb und Zehntausenden Brot schafften, da durch sie eine wesentliche Mehrproduktion an Getreide und sonstigen landwirtschaftlichen Produkten auf gleicher An- baufläche erreicht wurde. Der auf S. 67 geforderte „praktische Erfolg" ist demnach eingetreten, und der Beweis für die Berechtigung der objektiven Philosophie ist dadurch erbracht. Das alles ist aber natürlich im Vergleich zu dem, was sich aus der bio- technischen Idee entwickeln muß, erst ein ebenso geringfügiger Anfang wie etwa die putzige „Puffing Billy" des Stevenson gegen das Eisenbahnnetz von heute. Es wird der Menschheit nichts anderes übrig bleiben, als das große Bilder- buch der Biotechnik des organischen Seins ebenso ausführlich zu studieren und nachzuzeichnen, wie man es mit all den Torsi, Fragmenten und Scherben antiker Vorzeit längst gemacht hat, und sollte das auch noch vielen Tausen- den von Biologen, Ingenieuren, Chemikern und Architekten auf Generationen hinaus die schönsten Jahre ihrer Schaffenskraft kosten; es wird sich ebenso bezahlt machen, wie die Lehrstühle für Biotechnik an den technischen Hoch- schulen, die L. Staby unter dem Eindruck ihrer Ideen für sie gefordert hat. Die Forschung wird dann, um nur den Begriff der „Funktionsform der Dinge" zuerst zu erörtern, sich bei seiner ersten Anwendung davon überzeu- gen, daß die gesamte Physiologie und damit die ganze medizinische Wis- senschaft (die letzten Endes nichts als angewandte Physiologie ist) sich teils unbewußt, teils verkappt vom ersten Tage ihres Bestehens der biotechnischen Voraussetzungen bediente (jeder Mensch, der etwas praktisch macht, ver- wirklicht damit die Gesetze der objektiven Philosophie), denn physiologi- sches Denken Ist einfach biotechnisches Denken. Der Lebensprozeß selbst ist ein fortgesetztes Schaffen von Formen für die stete Variation der Funk- tion, also eine Kette von Techniken. Alles, was sich dem Plasma bietet, ja bereits die Materie selbst für das Aktive des Lebens {Schopenhauer würde sagen für den Lebenswillen) ist „Mittel" zu diesem Zwecke, daher in teleo- logische Zusammenhänge eingespannt. 74 Demgemäß ist jede Funktion im Organismus von der einjachsten bis zur kompliziertesten dem Gesetz der technischen Formen unterworjen, und selbst die Sinnes- und die Gehirn junktion, das Denken und sein Nieder- schlag, die Kulturwerke sind nichts anderes als biotechnische Leistungen, für die das einheitliche Gesetz, das alles Technische regelt, ebenso gut gilt. Die technischen Hilfsmittel dienen dem Organismus, um seine bestmögliche Vollendung zu erreichen, oder, um das in einem trefflichen Wort zu sagen: sie dienen dem Optimum. Daher ist Biotechnik eine der großen Erlösungen und Erfüllungen des Lebenssinnes. So erklärt sich auch in der Menschen- brust der durch die ganze Kulturgeschichte hindurchgehende Trieb nach Technik, wobei man ja das Wort nicht in dem engherzigen Sinn von In- dustrie allein verstehen darf. Denn Technik, die Anwendung von Hilfsmit- teln zur Steigerung von Leistungen liegt in jedem Tun des Menschen, im handwerklichen ebensogut wie im künstlerischen, sozialen, denkerischen oder sonst einem; weshalb denn auch der in der Sprache waltende geheime Verstand mit gutem Recht es sich nicht nehmen läßt, von einer Technik des Violinspieles, einer dramatischen Technik oder Technik politischer Or- ganisationen zu reden. Dieser Trieb nach Technik ist vielmehr nichts anderes als der Lebens- willen: das Substrat der physiologischen Forschung selbst. Er ist berech- tigt (innerhalb der Grenzen des Harmonischen) und erst gestillt bei Er- reichung des Optimums. Technik ist also — und das mögen sich nun die unentwegten und einseitigen Verfechter der Industrialisierung, oder die Künstler jeder Art, auch die Naturforscher des „mikrotechnischen Schlages" merken — weder ein Endziel noch überhaupt ein Ziel; sie ist auch nichts Niedriges oder außer acht zu Lassendes, sondern sie ist ein notwendiges „Mittel" zum Leben. Es harrt nun unser ein großer Genuß. Es ist nämlich ein Rundgang durch die gesamte lebendige Organisation und physiologische Funktion nötig, nicht nur, um den Beweis zu liefern, daß wirklich jede lebendige Form ein technisches Werk darstellt, sondern auch um durch ein solches vergleichendes Studium die feineren Gesetzmäßigkeiten dieses biotechnischen Prozesses feststellen zu können. Die ersten erkennbaren technischen Formen sind zugleich auch die am besten erkennbaren Bestandteile lebender Or- ganisation. Der allereinfachste Organismus, als den man vielleicht gewisse Bakterien betrachten kann, die man sich (wenigstens O. Lehmann) nur aus wenigen Molekülen aufgebaut denkt, hat immerhin schon Zellenjorm, nämlich die Form einer plastischen, gestaltveränderlichen Kugel. Die Zelle selbst ist diesen Gebilden gegenüber schon um mehrere Stufen der Organisation überlegen. Es kann heute kein Zweifel sein, daß es Bakterien gibt, die mit unseren Hilfsmitteln nicht mehr sichtbar sind; denn man kennt z. B. an dem Virus der Hundswut oder der ansteckenden Mosaikkrankheit des 75 Tabaks ihre Wirkungen. Da nun die kleinsten der sichtbaren Ultramikronen auch schon nur mehr 1000—1250 Eiweißmoleküle in sich schließen, müs- sen diese ultrazoetischen Lebewesen noch einfacheren Bau besitzen. Es ist aber nach allen Analogien trotzdem anzunehmen, daß sie wenigstens im Ruhezustand kugelförmig sind, denn wie uns //, Driesch in einer seiner prächtigen, begriffsreinlichen Ableitungen überzeugt hat, ist nur die Kugel- form jene, welche dem Dauerzustand eines harmonisch-äquipotentiellen Systems, das jeder lebende Organismus ist, entspricht. Das Verhältnis der Zellen zu den Zelleinschlüssen, die in keiner fehlen, ist das von Organismus zum Organ. In diesem Verhältnis ist der Funktions- begriff nur ins Biologische übersetzt. Organ ist nur die Bezeichnung für Teile, die zu dem Ganzen in gesetzmäßiger Abhängigkeit stehen, weshalb man den gleichen Begriff auch ins geistige Leben übertragen hat und z. B. von Organen der Polizei spricht oder den Versuch, eine Vielheit in gesetz- mäßig zusammenarbeitende Teile zu gliedern, eine Organisation nennt. Der Organismus bedient sich also seiner Organe als Mittel, um seine Leistungen auszuführen, und sie üben seine Funktionen aus. Es ist in dieser Formu- lierung durchsichtiger als sonst, daß das Leben des Organismus im ganzen nichts als eine Biotechnik sei und das Biotechnische nichts als die Analyse des Funktionsgesetzes im Bereich des Erlebens. Organe der Zelle in diesem Sinn sind Zellplasma und Zellhaut mit ihren Mutterorganen und Ausschei- dungen. Im Plasma, namentlich der Pflanzen, sind teils Saftvakuolen aus- geschieden, teils sind pulsierende Vakuolen (in fast allen Einzellern vgl. Abb. 19) vorhanden. Das für die Erhaltung und die Regelung der Funk- tionen unentbehrliche Organ, das auch die Fortpflanzung und Vererbung regelt, ist der Zellkern (Abb. 18), der heute überall, auch in den Bakterien und Spaltalgen (Schizophyceen) nachgewiesen ist. Daneben sind sowohl in den pflanzlichen wie den tierischen Zellen lebendige Einschlüsse von solcher Selbständigkeit da, daß eine immer mehr vordrängende Ansicht in diesen Chromatophoren wenigstens bei den Pflanzen Organismen sieht, die sich mit den Zellen zu einem symbiotischen Zusammenleben vereinigt haben. Tatsächlich haben die Chlorophyllkörner und noch deutlicher die Farbstoffträger in den Algenzellen eine, Eigenzwecken dienende Bewegung und selbständige Vermehrung. Die tierischen Chromatophoren, deren Mas- senversammlung jedermann als Färbung der Iris im menschlichen und tierischen Auge nur zu gut kennt, dienen zwar nicht der Verarbeitung der Luftgase zur Ernährung wie bei den Pflanzen, deren ganzer von der nai- veren Naturkenntnis früherer Zeit so übertriebener Unterschied zum tie- rischen Organismus auf den Konsequenzen dieser Ernährungsart beruht, besitzen aber ebenfalls ihr Eigenleben, das sich in autonomen Bewegungen ausspricht. Die von der objektiven Philosophie geforderte einheitliche Betrachtungs- weise der Tiere und Pflanzen hat in neuester Zeit insofern einen großen 76 Sieg errungen, als die letzten Werkens) auf dem Gebiet der Zellenkunde sich tatsächlich einer solchen bedienen. Man wird, wenn man diesen Weg einschlägt, sofort belohnt durch die Einsicht, daß sogar die Elemente des Plasmas weder etwas mit der Trennung in pflanzliche und tierische Organi- sation, noch mit den genannten Organen der Zelle zu tun haben. Zu diesen gehört wohl eine ganze Anzahl von Nebenorganen und Akzi- denzen, deren wahre Natur früher verkannt, jetzt von A. Aleyer^^) ganz richtig aufgefaßt wird, wenn er die letzteren als ,,ergastische Einschlüsse" bezeichnet, d. h. Formelemente, die nur Produkte der wahren Organe sind, wie z. B. die in vielen tierischen und pflanzlichen Zellen vorkommenden Fettropfen, Mikrosomen (Abb. 18), Dotterkörner der Eizellen, Kristallnadeln (vgl. Bd. I Abb. 53), Eiweißkristalle, Stärkekörner oder die Zellsaftein- schlüsse. Nebenorgane dagegen sind die mit den grünen Farbstoffträgern in Verbindung stehenden Stärkekerne (Pyrenolde) oder die Flimmerhaare (Bd. I Abb. 77) und Geißeln vieler vegetabiler und tierischer Zellen (Ab- bild. 20), von denen sich immer deutlicher herausstellt, daß sie durch Fäden mit dem Zellkern verbunden, sein Abkömmling sind, der auch von ihm aus gelenkt wird. Nicht zu den Organen gehören dagegen die vielerlei (vgl. Abb. 18) Formelemente in Gestalt kleinster Bläschen, Körnchen oder Fi- brillen, die sich in allen Zellen finden und von der Forschung im Laufe der Zeiten mit vielfachen Namen wie Waben, Granula, Splrosparte, Chro- mosomen, Centrosomen, Chondriosomen, Mitochondrien belegt wurden.'") Offenbar sind diese Bestandteile, um deren Erkenntnis die biologische Forschung seit einem Menschenalter ringt, keine Organe der Zellen, son- dern untereinander in gesetzmäßigem Zusammenhang und zur Zelle nur in einem Integrationsverhältnis. Man hat bisher an diese sehr einfache Lösung der Frage nur vereinzelt und zaghaft gedacht, weil man eben den so fruchtbaren Integrations- und Funktionsgedanken auch in der Biologie, wo er an sich so nahe liegt, noch nicht konsequent anzuwenden wagte. Eigentlich ist es nur E. Altmann und seine Schule, welche den Gedan- ken ausgesprochen hat, der wahre Elementarorganismus sei nicht die Zelle, sondern ein Gebilde, das er Granulum nennt, und aus dem sich die Zellen als komplizierte Organismen nach den gleichen Gesetzen aufbauen, wie die dem Alltag bekannten Organismen aus Zellen. (Abb. 18.) Man wird angesichts der heutigen Erkenntnisse an dieser Ansicht nicht mehr vorüber gehen können; denn namentlich, wenn man das Gesetz der Funktionen auch in der Welt dieser Elementarorganisation anwendet, wird man finden, daß sich dann die ganzen vordem so unverständlich scheinen- den Widersprüche der Forschung auf das schönste auflösen lassen. Bisher standen sich hart und unvermittelt zwei Ansichten gegenüber. Da war die eine, welche neuestens auch A. Meyer vertritt, das Plasma sei eine „optisch homogene Lösung", oder, um in der Sprache Bütschlis zu reden. 77 ein kolloidaler Schaum, habe also nur eine Schein-, nicht aber eine wahr- hafte Struktur. Für die andere zeugte der Augenschein, daß die Spermato- zoiden vieler Tiere und Pflanzen, die des Menschen inbegriffen, einen oft höchst komplizierten spiraligen Bau besitzen. So viele Forscher haben das gesehen, daß keiner mehr daran zweifelt. Auf der Abbildung 20 habe ich das zeichnen lassen, um den Nichtanatomen einen überzeugenden Eindruck davon zu verschaf- fen. Auf der dritten Seite wurde ebenso unzweifelhaft, z. B. in den Drüsenzellen eine körnige, also wirklich granuläre Struktur nachgewie- sen, wie in allen Ar- ten von Zellen fädi- ge Ausscheidungen (Chondnosomen. Bd. I Abb. 80) und in sämtlichen sich fortpflanzenden Zel- len fibrilläre Diffe- renzierungen wieder spiraliger Natur (vgl. Bd. II Abb. 20). Was man Karyoki- nese nennt, und was heute jedem Lehr- ling in der Biologie geläufig ist, das ar- beitet in der Zelle nur mit Fäden und Fibrillen. Die wider- spruchsvollen Be- funde versöhnen sich in dem Augenblick, in dem man die Gültigkeit des Funktionsgesetzes im Zellenleben anerkennt. Chondnosomen, Chromosomen und SpiralfibrUlen sind biotechnische Formen der Elementar Organismen; sie sind funktionelle Formen, die ver- raten, daß diese Elemente nicht Ruhezustände darstellen, sondern Leitungs- und Zugleistungen voll] Uhren. Auf einfacherer Integrationsstufe sind sie das, was die Zelle als Ganzes darstellt, wenn sie zur Muskelßbrille (vgl. Bd. I Abb. 12) oder zur Nervenfaser wird. Auf noch höherer Integrationsstufe 20. Samenfäden der Tiere Pflanzen (U- -8, 10), des Menschen (9) und der stark vergrößert. 78 gehorcht das Organ dem gleichen Gestaltungsgesetz, in der fibrillären Ge- stalt der Muskeln und Sehnenfasern (Bd. I Abb. 13) noch um eine Stufe höher als Organismus, wenn er zur Liane wird oder Wurmgestalt annimmt. Chromosom, Muskelzelle, Muskel, Fadenwurm wiederholen nur auf vier Stufen das gleiche Funktionsgesetz. Und genau das Gleiche gilt für das kugelige Ei, den mehr oder minder rundlichen Magen, die parenchymatische Pflanzenzelle (vgl. Abb. 26) oder die kugelige Nervenzelle (Abb. 33) die „Wabe" oder das Granulum in einer Drüsenzelle. Gleiche Funktion verraten sie alle durch ihre Gestalt, nämlich die, ein an sich ruhender Behälter für Inhaltsstoffe zu sein. Mit anderen Worten: die Plasmaelemente besitzen einen metabolischen Bau; nach biotechnischen Gesetzen geht je nach der wechselnden Leistung eine Funktionsjorm in die andere über. Gewiß ist die Regel des kolloidalen Baues auch für die plasmatischen Eiweiße gültig. Die ruhenden Eizellen sind eine Architektur von, wie man sie nennen könnte, Ar cliip Lasten, die ruhen, daher kugelig, beziehungs- weise durch die enge Speicherung polygonal zusammengedrückt sind. Jene Archiplasten aber, die Zugleistungen zu vollführen haben, wie gelegent- lich der Kernteilung, nehmen dazu unter dem Einfluß der Funktion die passende Form an; andere, denen Bewegungen zugemutet werden, gestal- ten sich dadurch zu Spiralfäden. Wenn man sich das durch einfachste Beispiele überzeugend beweisen will, denke man nur an Form und Funk- tion der Samenfäden (Abb. 20), die sowohl dem Schwimmen wie dem Einbohren (ein solches Einbohren in die menschliche Eizelle auf Abb. 95 Bandl) in unübertrefflicher Weise angepaßt sind. Unter den Samenfäden gibt es Bohrerformen einer Art, die in der menschlichen Technik noch ganz unbekannt sind. Ich gebe gewissermaßen jedem Freund der objek- tiven Philosophie die Möglichkeit, Erwerb und neue Industrien durch die Fabrikation solcher Bohrer zu begründen, welche Vorzüge gegenüber den gebräuchlichen Modellen haben, und wünsche mir nur, daß solche Er- finder etwas von ihrem Nutzen zum Wohle der Menschheit im Dienste dieser Ideen verwenden mögen. Was aber der Samenfaden (Abb. 20) als „Funktionsform einer ganzen Zelle", das sind die Chromosomen auf der Integrationsstufe der Archiplasten gelegentlich der Befruchtung. Wer pflanzenanatomisch gebildet ist, weiß zur Genüge, daß sie bei dem Eindringen in den Embryosack funktionsgemäße Schraubenzieherform annehmen.3i) Hier ist ein Neuland der Forschung voll lockender Ziele; ist doch noch nicht einmal die physiologische Anatomie der Zelle restlos geklärt. Wohl sind rein äußerlich (und ohne Kenntnis ihrer technischen Struktur auch un- vollkommen und falsch) die Formen plasmatischer Organe aufgezeichnet, und in großen Tafelwerken unterscheidet man außer den 6000 Radiolaricn an 6000 spezifische Formen von einzelligen Protozoen, an 6000 Dlato- 79 maceen und 4000 Desmidiaceeii unter den einzelligen Grünalgen allein, von denen jede eine technische Lösung ihrer jeweiligen Bedürfnissituation ist. Jede Lebensform hat eine andere solche Aufgabe zu lösen in bezug auf Kriechen, Schwimmen, Schweben, Schutz, Einstellung zum Licht, Nah- rungserwerb und Fortpflanzungssicherung, und jede löst sie auch auf andere Weise. Sonst wäre es ja nicht möglich, ihre Differentialdiagnose festzustellen. Die Unterscheidung der Arten nimmt bekanntlich gar keine phylogenetischen Merkmale auf (deren Berücksichtigung entscheidet über die Gattungen, noch mehr in zunehmender Wichtigkeit über Familie, Ord- nung, Klasse und Phylum), sondern benutzt ausschließlich die Anpassungs- merkmale. Das aber sind die biotechnisch erzeugten, und deshalb ist das Studium der Anpassungen zugleich das der biologischen Techniken. Da liegt denn schon durch die Betrachtung der zellulären Funktionen im Einzellerleben von unserem neuen Gesichtspunkt aus ein geradezu un- übersehbares Reich aufgeschlossen vor dem Menschengeist. Wenn nun die Geißelbewegungen der Flagellaten, die Balanziereinrichtungen und Stützvorrichtungen der Radiolarien (vgl. Bd. I Abb. 37—38), die Schutz- bauten der edaphischen Wurzelfüßler (Abb. 23) und Dinoflagellaten (Ab- bildung 28), die Festigungseinrichtungen der Bacillariaceenpanzer (Bd. I Abb. 65), welche Widerstandsfähigkeit gegen enormen Druck mit größter Leichtigkeit und Materialersparnis vereinigen müssen, und ähnliche derartige Anpassungen von technisch geschulten Köpfen studiert würden, die diese Leistungen sinngemäß auf menschliche Kulturbedürfnisse umrechnen, so würde allein schon das Lexikon technischer Leistungen um viele tausend neue Stichworte vermehrt. Das Studium der Verspannungen im Kieselalgenpanzer, dem ich mich einige Zeit hingegeben habe, hat z. B. in kürzester Zeit Vorschläge zur Eisenzimmerung für Streckenausbau in Bergwerken ergeben, die den Tech- nikern, denen ich sie vorlegte, neu waren. Es waren darunter sowohl Modelle zur Abhaltung des Firstendruckes, wie für Seiten- und Sohlen- druck, und es zeigte sich sofort, wie in den gebräuchlichen Streckenbogen der Mensch das gleiche technische Prinzip anwendet, aber auch in welcher Weise diese Anwendungen ihrem Optimum nähergeführt werden könnten. Durch das gleiche Studium wurden technisch realisierbare Erfindungsideen zur Herstellung von unzerbrechlichen Schachteln und Kisten zutage geför- dert, welche Leichtigkeit (daher Billigkeit) mit enormer Widerstandsfähig- keit gegen Außendruck vereinigen; desgleichen Vorlagen für bomben- und drucksichere Gewölbe, im besonderen für Schiffsrümpfe, die wie die Wal- fischfänger oder Eisbrecher kolossalem Eisdruck ausgesetzt sind.'^) Es kann natürlich nicht der Zweck dieses Abschnittes sein, hier einen auch nur annähernd vollständigen Abriß der Biotechnik zu entwerfen; für die botanische Seite der Frage habe ich das bereits versucht in meinem Werk über die technischen Leistungen der Pflanzen, das die Serie der 80 Abb. 21. Der Copris-Mistkäfer auf der um sein l,i Ikiui angefertigten Nahrungspille. ZeichiuMig von E. Schoch Abb. 22. Lianen von (Heinatis im heitiiisciun Auw.ikl. Motiv aus dem Isartal bei .Vliinchen. Origiiialaufiiahme % • ^1 Abb. 23. Tierische Edaphonorganismen des Waldbodens 1 Nebela carinata Leidy, 2 Nebela, 3 Hyalosphenia papilio, 4 Pontigulasia bigibbosa Pen., 5 Gro'mia sp., 6 Cyphoderia ampulla Ehrb. Mäßig ver- größerte Originalaufnahmen des Biologischen Instituts München Zu diesen beschälten Wurzelfüßlern gesellen sich nackte und halbstarre Amoeben, Bodenbakterien (besonders die Gattungen Azotobaeter, Clostri- dium, Nitrosomonas) ferner Kieselälgen (im besonderen Hantzschia, Navi- cula, Fragilaria, Nitzschia und Primularia, sowie Ennotia), Spaltalgen (be- sonders Oscillatorien, Isocystis, StichocoUus und Nostoc), Grünalgen (Meso- taenium, Enastrum), zahlreiche Bodenpilze (Leitformen Cadosporium, Mu- cor, Aspergillus) dazu Rädertiere (besonders Rotifer, Philodina, Callidina), Fadenwürmer (Dorylaimus, Tripyla), Regenwürmer und zahlreiche sonstige Kleintiere, welche zusammen die Lebensgemeinschaft des Edaphons (bisher an 330 Arten bekannt) bilden, welche die Grundlage aller Bodenfruchtbar- keit und Düngerwirkung ist. „Grundlagen einer objektiven Philosophie" einleitete, um die Aufmerksam- keit zuerst auf den unmittelbaren und greifbaren Nutzen dieser Dcnkungs- art zu lenken. Eine zoologische und cytologische Biotechnik, die ich zu- erst in Aussicht genommen, mußte ich vorläufig wieder fallen lassen, da der Stoff in solchem Übermaße zudrängte, daß die Harmonie des Gesamt- werkes, das mir vorschwebt, darunter gelitten hätte. Andere, mit zureichen- derer technischer Vorbildung werden das ausführen. Die einmal in ihrem praktischen Nutzen gezeigte Idee wird nicht ruhen, und das Jahrhundert nach uns wird ganze biotechnische Bibliotheken besitzen und seine Produk- tion längst im neuen Geiste umgestaltet haben. Daß man das Jahr 1917, in dem diese Wende des Denkens einsetzte, dann auch als den Beginn einer neuen Epoche des Kulturlebens im Gedächtnis behalten wird, daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, so unvollkommen auch heute noch die Gedanken sind, welche diese Aera eröffnen. Wohl aber kann ich hier an ausgewählten Beispie- len einen Begriff da- von schaffen, wie aus- gedehnt das Neuland des Wissens ist, das sich nun eröffnet. Ein noch unübersehbares Kapitel darin sind un- ter den Funktionsfor- men der Einzeller die Geißeln der Flagel- laten und die Einrich- tungen, welche den im Wasser lebenden Klein- wesen das Schwimmen und Schweben ge- statten. Die Abbildungen 24 und 28 stellen einige hervorragende tech- nische Versuche des Plasmas dar, dieses Problem optimal zu lö- sen. Alle die abgebil- deten Zellen, Bewohner sowohl des Süßwas- sers wie des Meeres und spezifisch schwe- rer als das Wasser, Franei, Bios U Abb. 24. Eine Schwebeform des Meeres (Ornithocercus). Sehr sUrlc vergrößert. Durch die technischen Einrichtungen des Vorderendes und den Kiel wird die bestimmte gezeichnete Stellung der Pflanze fest- gehalten, in der das Gebilde in einem kleinen \X'.isscrwirbcl lang- sam sinkt und wieder emporsteigt, wodurch es dauernd schwebt. Original des Verfassers. 81 sind darauf angewiesen, an der Oberfläche zu leben, da sie zur Kohlenstoff- assimilation des Lichtes bedürfen. Sie dürfen aber zu diesem Zweck nicht den Wasserspiegel selbst aufsuchen, da sie dort einer Zerreibung durch die Wellen ausgesetzt wären. Das zu lösende technische Problem war dem- nach für sie: wie erhält man sich dauernd in der Region zwischen einem halben und zwei bis drei Metern unter der Oberfläche schwebend? Die Formen dieser Zellen verraten, durch welche Konstruktion diese Aufgabe lösbar ist. Daß sie auf diese Weise gelöst wurde, ist nicht zu bezweifeln, denn die in Frage kommenden Dlnoflagellaten wären sonst längst ausge- storben, wenn sie je in die lichtlose Tiefe sinken würden. Man findet sie stets auf- und niederschwebend in den lichtschimmernden Regionen der Seen und des Meeres. Wenn man nun ihre merkwürdige Einrichtung näher studiert, wird man finden, daß sie eine eigentümliche Zwischenkonstruktion ist, die teils an Fallschirme, teils an die Leitapparate von Turbinen erinnert, jedenfalls in der menschlichen Technik nicht ihresgleichen hat und dem Maschineningenieur ein Studienobjekt von hervorragendem Interesse bietet, um so mehr, wenn man bedenkt, daß es an 600 spezifisch verschiedene! solcher Konstruktionen gibt. Die Ceratiumformen der Abbildung 28 überraschen durch eine andere An- passung merkwürdigster Art. Wenn man sie mit der Ritterrüstung auf der Abbildung 29 vergleicht, so kann man nicht verkennen, daß eine prinzipielle Übereinstimmung besteht zwischen der Plattenrüstung einer solchen Zelle und den Harnischen der Ritter des XV. Jahrhunderts. Im besonderen ist die bewegliche Verbindung der Armkacheln mit den Armschienen eine Konstruk- tionsidee, die in Natur und Kultur sich aus der gleichen mechanischen Not- wendigkeit der beweglichen Verbindung bewährte. Ganz besonders bemer- kenswert ist auch die Riefung der CeraäumpUtten, wenn man sich an die alte Erfahrung der Plattnerkunst erinnert, wonach geriffelte Rüstungen (der sogenannte Maximiliansharnisch) besondere Widerstandsfähigkeit hatten. Beides, sowohl der geschiente Harnisch wie die Riffelung sind übrigens technische Leistungen, die als Konvergenzerscheinung im Bau der Käfer wiederkehren, als ein Zeichen dessen, daß es sich bei aller Biotechnik nicht um spezifische Leistungen der Organismen, sondern um die Kundgebung eines alles Sein durchprägenden Weltgesetzes handelt. Sind nun aber die freilebenden Zellen auf ihre funktionellen Anpassun- gen nicht immer leicht einzuschätzen, so ist das noch weit mehr erschwert bei den im Zellenverband sich spezialisierenden Oewebezellen, obwohl ge- rade sie das von der entwicklungsmechanischen Schule für klassisch er- klärte Beispiel funktioneller Anpassung sind. Schon die Gesellschaftsbil- dung selbst ist eine solche, die sich vom Archiplasten an durch alle Inte- grationsstufen bis zum Kosmos verfolgen läßt, und in deren Rahmen die menschlichen Gesellschaften und Staaten ihre Besonderheit verlieren, da- gegen das Naturgesetzliche besonders scharf hervortritt. 82 Aach der Staat, sowie jede Organisation, handle es sich nun um eine wissenschaftliche Gesellschaft oder eine politische Partei, ein Weißwaren- geschäft oder eine große Bank, sind biotechnische Produkte und werden nur dann von voller Wirksamkeit, krisenjrei, daher von Dauer sein, wenn sie das im Organismus deutlich und vorbildlich erkennbare Weltgesetz der Organisation befolgen, was allein schon genügen dürfte, um Politiker und Staatsmänner wie gewiegte Kaufleute zum genauen Studium der objektiven Philosophie zu veranlassen. Sie können wahrlich ihr genug ausschlag- gebende Anregungen entnehmen.ss) In diesem Rahmen gliedern sich die Teile des Organismus in Organ- systemen, Organen, Gewebesystemen und Geweben nach dem Gesetz der Integration, die dadurch gleichfalls als Funktionsform des Weltphänomens durchschaut ist. Dieser Gedanke rührt unmittelbar an das Herz der Physiologie, indem er zwingt, sich auf allen Stufen der Organisation die Ursache der Form- bildung klar zu machen. Das aber ist das physiologische Problem kat exochen. Formbildung ist immer nur ein Ausdruck des Geschehens, sei es nun in der lebenden oder in der sogenannten toten Substanz, untrennbar von Energieumsetzungen und Stoffwechsel. Auch die scheinbar feste orga- nische Form, also das Bild, das unser Erleben von einer Leber, einer Hand, einem Insekt empfängt, ist nur der jeweilige Ausdruck eines Komplexes von Vorgängen, ganz ähnlich wie das Bild einer Flamme oder eines Spring- brunnens, die es als „Individuum" in Wirklichkeit gar nicht gibt. Wirklich- keit ist nur die Bewegung stets wechselnder Wasserteilchen, die leuchtende Oxydation auftauchender und verschwindender Materiepartikel, wirklich ist nur die Funktion von Zellen als Stoffaustausch, Formänderung durch Kon- traktion, Wachstum und Teilung, Farbenwechsel durch Änderung ihres physikalischen Zustandes, weshalb jeder Wechsel der Funktion einen Wechsel der Form, das Wort im weitesten Sinn genommen, nach sich zieht. Es ist ein und dieselbe Tatsache, welche dreimal verschieden bezeichnet wird, wenn man sie als biotechnisches Geschehen, funktionelle Anpassung oder physiologische Funktion benennt, je nach den Gesichtspunkten, nach denen man sie betrachtet. Alles physiologische Geschehen produziert Biotechniken. Die Atmung ist eine solche, ebensogut wie die Bewegung; der Stoffwechsel durch Er- nährung ist eine solche, die Ausscheidung und die Zirkulation (Sekretion) haben ihre technischen JUethoden, ebenso die Sinnestätigkeit, das Denken ebensogut wie die Fortpflanzung, das Wachstum und die Speicherung von Reserven, die Ausheilung erlittener Schäden, die Regeneration und was der physiologischen Funktionen sonst noch mehr sind. Sie alle macht der iV\ensch nach, zum größeren Teil unbewußt, teilweise mit vollem Bewußt- sein in seinem Dasein, auf höherer Integrationsstufe und mit teilweise anderen Mitteln. Aber auch diese Integrierung ist nichts Neues, denn f 83 schon innerhalb des Organismus wiederholt sie sich. Die Biotechnik der Gewebe wiederholt sich im großen und ganzen in den Organen, dann im ganzen Organismus. Die schon erwähnten Knochenlamellen der Spon- giosa (Abb. 16), die ein Trajektoriensystem bilden, arbeiten dabei nach einem mechanischen Gesetz, dem auch der einzelne Knochen im Verhält- nis zum Organsystem, in das er eingebaut ist, folgt. Auch die ganzen Knochen sind, wovon ein Blick auf das Skelett des Menschen (vgl. dessen Bild) überzeugt, wieder nur die Druck- und Zuglinien im sich bewegenden Bein oder Arm, die nach dem Ökonomiegesetz stabil ausgefüllt sind und sich nach den mechanischen Gesetzen größter Haltbarkeit zusammenschlie- ßen. Will der Mensch seinen ganzen Körper in ein über ihn hinausgehen- des System einbauen, so wird er das optimal wieder nur durch Verwirk- lichung derselben Prinzipien machen können, auch wenn er dazu andere Mittel, also etwa Holz, Stein oder Eisen verwendet. Wendet er nicht die richtigen Prinzipien an, dann trägt ihn eben das Bauwerk nicht. Wünscht er also sein Bein zu verlängern oder seinen Standpunkt zu erhöhen, so kann er das zweckmäßig nur, indem er sich künstliche Röhrenknochen, d. h. Stelzen anschafft oder sich auf Gerüste stellt, die bei größter Material- ersparnis dann am haltbarsten sind, wenn sie in den Verspannungen ihrer Balken- oder Eisenteile wieder das Funktionsgesetz seiner feinsten Knochen- trajektorien wiederholen. Es gibt eben nur eine Art, um etwas vollkommen zu gestalten, und die ist auf jeder Integrationsstufe dieselbe; sie geht durchgängig durch das ganze System von Zusammenhängen, das der Mensch Welt nennt. Darum imitiert die Menschentechnik bereits unbewußt die organische Technik. Beide vollziehen einfach das Funktionsgesetz, weil alles nur nach diesem Gesetz funktionieren kann. Wenn eine Zugleistung stattfinden soll, dann ist die entsprechende Form eine feste Verbindung zwischen einem stabilen und dem heranzuziehenden Punkt. Sie hat Seilform, mag sie nun ausgebildet sein einmal als Myo- fibrille im Muskelprisma, oder als Muskelfaser, als ganzer Muskel, als Muskelgruppe des Armes, als Arm, als Liane (Abb. 22), als ganzer Mensch, der etwas zieht, oder in seiner Verlängerung als Seil, kompliziertes Kabel, das den Muskelbau wiederholt. Die Sachlage dieser Beispiele begleitet uns nun die gesamte Physiologie hindurch. Man mag hinblicken, wohin man will, sei es auf die Anpassungen der Zellen im Gewebe oder die der Organe oder des ganzen Organismus, immer und überall vom Kleinsten bis ins Größte, vom Einfachsten bis zum Kompliziertesten ist Pflanze, Ein- zeller, Tier und Mensch so gestaltet, daß er seine Funktionen optimal ausfährt. Das war den Menschen auch von je bewußt; nur haben sie sich einer anderen Ausdrucksweise dafür bedient; sie nannten einen Organis- mus mit optimalen Funktionen „normal" und „gesund" und wußten, daß er, solange er beide Bezeichnungen verdient, auch unbeschränkte Dauer 84 habe. Ein Zurückbleiben hinter dem Optimum infolge nicht vollkommen gesetzmäßiger Funktion wird von der Sprachlogik als krüppelhaft, patho- logisch, anormal, als Krankheit bezeichnet und mit dem Bewußtsein ver- knüpft, daß nun entweder eine Rückkehr zur Norm erfolgen oder die Dauer erlöschen muß. Der anormale Organismus stirbt und beendet die Funktionen des Le- bens. Da nun alle Organismen gestorben oder krank sind, die nicht op- timal funktionieren, ist in dieser Norm die Gewähr der bestmöglichen Funktion, als der günstigsten Lösung des jeweils vorliegenden technischen Problems gegeben. Und daraus leitete ich in der Biotechnik das Recht ab, die normalen, lebenden Organismen der Technik als unbedingte Vorbilder hinzustellen, wenn das gleiche technische Problem wie im Vorbild vorliegt. Es wird mithin der Techniker, der Ingenieur so gut wie der Chemiker oder der Architekt nicht umhin können, sich der Biologie mit den Frage- stellungen der objektiven Philosophie zu nähern und ihr genaues technisches Studium in sein Programm aufzunehmen. In den physiologischen Gesetzen wird diese biologisch orientierte Tech- nik alsbald ein prachtvolles Beispiel für das Funktionieren einer Kraft- maschine erkennen, im Organismus ein „stationäres System", das selb- ständig die zu seinem Betrieb nötige Energie als sogenannte Nahrung auf- nimmt und die Fähigkeit hat, sich zu vervielfachen. Dieser Energiewechsel hat dreierlei Formen, die man hergebrachter- maßen als tierische, pflanzliche oder parasitäre Lebensweise bezeichnet, und wonach man ziemlich inkonsequent Tiere und Pflanzen unterscheidet. Inkonsequent ist das deshalb, weil dann die tierisch lebenden, sogenannten fleischfressenden Pflanzen, deren Mahlzeit auf Abbildung 30 dargestellt ist, ebenso zu unrecht dem Pflanzenreich zugeteilt werden, wie die halb Aas verzehrenden, halb Bodenpilze, also Eiweiß verzehrenden Schmarotzer nach Art der Nestwurz (Abb. 26), während man schmarotzende und dadurch die Funktionsform von Wurzelfäden annehmende Krebse unbedenklich ihrer Abstammung zuliebe im Tierreich beläßt. Die Pflanze (Ausnahmen s. oben) nimmt durch die Blätter nur Gase, im besonderen Kohlensäure und Wasserdampf auf, durch die Wurzeln dazu Wasser und darin gelöste Stickstoffverbindungen, Kali-, Magnesium- und phosphorsaure Salze, verarbeitet diese mit Hilfe von Oxygen, das sie durch einen anderen Prozeß, den man Atmung nennt, aufnimmt. Dadurch wird Energie frei. Davon besorgt die Pflanze die molekularmechanischen Um- wechselungen, die sich als Wachstum, Bewegungen, Sinnestätigkeit und Fortpflanzung kundgeben, sowie Atomumsetzungen, die noch zu dem Che- mismus ihrer Ernährung gehören, kurz alles, was man ihren Lebensprozeß nennt. Was nicht verbraucht wird, speichert sie, so wie wir Elektrizität in Akkumulatoren speichern, in Knollen (Kartoffeln), Samen (Getreide) und Früchten als Reservenahrung. 85 Das Tier nimmt aus seiner Umwelt gasförmige Stoffe, feste und flüssige Nahrung auf, die im wesentlichen (und das tut auch sowohl der Saprophyt [Aasverzehrer] wie der Parasit) aus Oxygen, Eiweiß, Fett, Kohlehydraten und Wasser bestehen. Mit Hilfe des durch die Atmungsorgane (vgl. Abb. 32) aufgenommenen Oxygens werden die zwei anderen verbrannt und verdampft; durch diese Oxydation wird Energie frei, genau so wie im Pflanzenleibe, dessen Stoffwechsel daher prinzipiell durchaus mit dem tierischen identisch ist. Da somit die letzte trennende Barri&re zwischen den beiden Gruppen von Lebewesen fällt, wird die Forschung und da- mit auch der Unterricht nicht umhin können, so wie es auch in diesem Werke geschieht, nicht mehr Botanik und Zoologie, sondern nur mehr eine einheitliche vergleichende Biologie zu betreiben, welcher allein die Zukunft gehört.*) Von der freigewordenen Energie lebt auch das Tier genau nach dem gleichen Gesetz wie der pflanzliche Organismus. Im besonderen werden im Stoffwechsel Fette und Kohlehydrate gleichsam wie in einem Ofen zu H2O und Kohlensäure verbrannt, Eiweiß aber mit Hilfe von Verdauungs- enzymen auf kaltem Wege nur bis zum Harnstoff und ähnlichen Substanzen abgebaut. Der deutsche Physiologe Rubner maß die Kalorien der aufge- nommenen Nahrung, verglich sie mit der Abgabe an Wärme beim Menschen und fand, daß das Aufgenommene durch Lunge, Nieren, Darm und Haut fast restlos wieder hergegeben wird. Die Differenz betrug nur 0,1 Prozent. Es stammt also das, was man vitale Energie nennt und wozu auch die geistigen Funktionen gehören, nur aus der Nahrung. Das meiste der Energie wird für die Muskeltätigkeit und die Funktion der großen Drüsen, wie der Leber und der Nieren verwandt und ebenso zur Verdauung; das Gehirn dagegen erhält davon so wenig, daß man es noch nicht messen konnte. Beim jungen Organismus von der Pflanze bis zum Menschenkinde kommt dazu noch ein erheblicher Energieverbrauch durch das Wachstum, der bei der Pflanze zeitlebens größer bleibt als bei dem animalischen Or- ganismus. Die klassischen Rubner'schtn Untersuchungen haben die Mecha- nik dieser Vorgänge klargelegt. Seit ihnen weiß man z. B., daß zum Ansatz von einem Kilo Körpersubstanz des Menschen 4800 Kalorien Nahrung notwendig sind, zu dessen technischem Aufbau nur 800 Kalorien verwandt werden. Der Mensch ist also, als Kraftmaschine betrachtet — ein Vergleich, der sich schon Lavoisier aufdrängte — in einer ähnlichen Lage wie die kalorischen Maschinen, also die Dampfmaschinen oder Benzinmotoren, die das Prinzip seiner Biotechnik wiederholen. Er leistet nur durch den physiologischen Prozeß eine zweifache Umwandlung, zuerst der chemischen Energie in Wärme, dann dieser in chemische Energie. Der Stoffwechsel *) Vgl. Grundlagen zu einer objektiven Philosophie I. Teil. Vergleichende Biologie Leipzig (Theod. Thomas). 1922. 86 Abb. 25. Honigspome der Blüten von Aquilegia chrysantha. Orginalzeichnung. kann von diesem Standpunkt aus definiert werden als eine Überfährung der chemischen Energie in Arbeit und Wärme. So wie wir gelernt haben, durch den Akkumulator aus chemischer Energie unmittelbar elektrische Energie herzustellen, so kann auch der „Muskelmotor", wie er im tieri- schen Organismus verwirklicht ist, als chemo-dynamische Maschine das gleiche leisten, wobei die Wärme (wie „heiß" macht doch Muskelarbeit!) nur mehr ein Nebenprodukt ist. Diese Wärme wird nach Bedarf durch thermoregulatorische Einrichtun- 87 gen, wie die Haut, die Körperform, die Schweißdrüsen abgeleitet oder durch das Fett und das Haarkleid (Pelze) zurückgehalten. Wenn wir uns im Winter eines Pelzmantels erfreuen, war der Kürschner ein Biotechniker, der nur den Organismus nachahmte, und daß die Pflanze nicht die 36° C der Blutwärme in ihrem Innern aufweist, sondern Baumstämme im Innern bei Winterfrost nur wenige Grad über Null, also eine geringe Körper- wärme besitzen, rührt namentlich von ihrer Körperform, der Zerteilung durch Äste, Wurzeln und Blätter her. An sich produzieren die Pflanzen durch Atmungsoxydation ebensogut Wärme wie das Tier, und in halbge- schlossenen Blüten gleich der auf Abbildung 25 dargestellten Aquilegia herrscht immer eine annehmbare Temperatur, die sich in den Arumbläten- ständen bis auf Blutwärme und darüber steigert. Heizen, d. i. die Oxy- dation von Kohle, Holz oder Tran, ist demnach ebensogut eine Nach- ahmung eines organischen Vorganges, wie das ganze Kulturleben nur eine angewandte Biologie ist. Diese zunächst vom allgemeinsten Gesichts- punkt betrachteten Funktionen schafjen sich nun im Organismus ihre Or- gane, deren Bau vom Größten bis ins Feinste ein unerschöpflicher Wun- derborn der Biotechnik ist, den man von unserem Gesichtspunkt aus noch kaum zu studieren begonnen hat. Aus dem notwendig werdenden Handbuch der physiologischen Biotech- nik will ich hier nur einige wenige Seiten aufschlagen, da das, was zu be- weisen war, vielleicht schon mehr als genügend belegt ist. Gar nicht studiert von der Praxis sind z.B. die Mundwerkzeuge der Tiere. V. Graber, einer der ganz wenigen Zoologen, denen schon in der älteren Generation etwas von dem Problem der Biotechnik aufgegangen ist"), sagte einmal mit Recht, daß die Schneide- und Stechwerkzeuge der Tiere den Neid der Mechaniker schon allein durch das Material erregen würden. Ohne jede Theorie, nur aus dem plumpen Bedürfnis heraus, hat man sich ge- zwungen gesehen, gewisse Werkzeuge nicht nur in der Form nachzuahmen, sondern aus dem tierischen Material, nämlich aus Hörn und Elfenbein, zu verfertigen, weil dieses das Optimale für den gegebenen Zweck ist. So bestehen, um ein konkretes Beispiel zu nennen, die Chitinmundwerk- zeuge aller Gliederfüßler aus einem Material, das man in seinen unerreich- baren Qualitäten nicht nachmachen kann. Wohl aber hat man in der Schere, der Zange, der Nadel, dem Hammer und dem Amboß, der Ahle Funktions- formen nachgeahmt, die, wie ein Blick auf die Abbildung 27 überzeugend lehrt, von der Organisation der Rädertiere (Rotatorien) und Käfer, Fliegen und ihrer Verwandten längst angewandt werden. Ein chemisches Laboratorium von verwirrend vielfachen, noch längst nicht durchschauten Arbeitsmethoden ist der Verdauungsapparat der Tiere und des Menschen, zu dessen biotechnischem Verständnis die Abbildung 82 in Band I und hier die Abbildung 33 betrachtet werden mögen. Alle Verdauung geht nach der neuen, vom Menschen bisher kaum aus- > > = < N ^ Ji Abb. 28. Technische Einrichtungen zum Schweben im Pflanzenreich Diiioflagellateii der Gattungen Oyinnodinium (1), Glenodiniuni (2), Amphidinium (3), Hemi- diiiium (4), Ceratium (5), Peridinium (6) aus den heimischen süßen Gewässern, von denen jede eine andere technische Lösung des Schwebeproblems darstellt. Stark vergrößert. Originalzeich- nung von A. Pfenninger Abb. 29. Ein Maximiliansharnisch nach Atailäntk-r Art „geriefelt" aus Niirnbero; Oritriiial aiH dem Armeetmiscurn 7U München Abb. 30. Blatt des Sonnentaus (Drosera rotundifolia) bei der Nahrungsaufnahme Das eingerollte Blatt saugt eine gefangene Mücke aus Aufnahme von Frau Dr. A. Friedrich, München Abb. 31. Die Anwendung technischer Mittel im inneren Bau der Pflanze Einblick in das Röhrensystem eines Stengels der Sonnenblume. In den großen Röhren wird die Nahrungslösung, in den Siebröhren (links am Rande) werden kolloidale Substanzen ge- leitet. Die Wandung der Röhren ist nach dem Gesetz der Okono.mie nur in bestimmter Weise verdickt, um optimale Festigkeit zu erreichen. Sehr stark vergrößert. Nach Hegi genützten Arbeitsmethode der katalytischen Arbeitsbeschleunigung ohne Wärme vor sich, durch Fermente, die als Ptyalin im Speichel, Pankreas- saft durch die Bauchspeicheldrüse, im Darmsaft und durch die Leber (vgl. hierzu besonders Bd. I Abb. 82) ausgeschieden werden, um die Kohle- hydrate zu invertieren, das Fett mit Hilfe der Galle zu emulgieren und die Eiweiße von ihrem hochmolekularen Zustand in einfachere Verbindungen abzubauen. Die dazu gehörigen technischen Formen sind die der Drüse (vgl. Abb. 33) in ihren verschiedensten Formen, die vom Menschen als Retorte, Eprouvette, Flasche nachgemacht werden. Zu ihrer Leitung dienen Röhren nach Art der Ausführungsgänge der bekannten Ohrspeicheldrüse (Parotis) oder der Gallengänge, vom Menschen in den Gummiröhren eben- so kopiert, wie in dem Pflanzeninneren in Gestalt der wasserleitcndcn Ge- fäße (Abb. 31) und eiweißleitenden Siebröhren, äußerlich aber als Blatt- stiel oder Liane (Abb. 22 und Bd. II Abb. 87) in höherer Integrations- stufe vertreten, was sogar in der anorganischen Natur als Funktionsform des Bachrinnsals, der Hochgebirgsrunse oder des Höhlenflusses wieder- kehrt. Behälter wie den der Mazeration dienenden Magen oder die Gallen- blase oder die Harnblase (s. Bd. I Abb. 82) wendet der Mensch in den Ziegenschläuchen des Orients und der Antike, in den Kesseln und Alembiks tausendfach variiert an. Wem diese ewige Wiederkehr gleicher Formen bei gleicher Funktion auf allen denkbaren Seinsstufen nicht klar macht, daß „Technik" unter allen Verhältnissen ein und demselben Gesetz folgt, dessen Kopf ist für Denkarbeit überhaupt verloren. Wenn aber die Funktionen gesetzmäßig an bestimmte Formen gebunden sind, dann kann der Mensch die Objekte, welche ihn umgeben, und die bei ihrer weit älteren Vergangenheit als seine Erfahrung stets optimale Lösungen darstellen, als Modellbuch für von ihm gewünschte Leistungen verwenden und seiner Technik das Studium der Natur zur maßgeblichen Unterlage geben. Mit anderen Worten, dann ist die Berechtigung der Biotechnik evident. Röhren sind auch die Tracheen der Insekten (Abb. 33) oder die Därme (Abb. 32), deren Lagerung in der Bauchhöhle (wieder ein Behälter höherer Seinsstufe) maximale Unterbringung auf kleinstem Raum verwirklicht, deren Inneres mit den Darmzotten das ideale Vorbild elektiver Aufsaugung wäre, wenn es nicht nach einer Technik tätig wäre, die man mit unseren Hilfs- mitteln noch gar nicht nachahmen kann. Sie geht nämlich aktiv vor sich durch eine energetische Arbeit, die nicht den physikalischen Gesetzen folgt, sondern regulativ, also den teleologischen Gesetzen der Psyche. Die Möglichkeit einer Psychotechnik aber liegt noch in weiter Ferne, obzwar sie prinzipiell durchaus denkbar und dringend notwendig ist. Unsere Maschinen und Mechanismen sind alle Automaten mit heteronomer, von außen in sie hineingelegter Teleologie, während die lebenden Organismen Maschinen mit autonomer Teleologie, also Personen sind. Dies übersah der 89 Abb. 32. Atmungsorgane der Amphibien. Links ein Oim, der Kiemen (B> und Lungensäcice (P) zugleich besitzt. D Darm, A Aorta. Rechts die Darstellung des Kreislauforgane eines Frosches. P = Lunge der linken Seite (der rechte Lungensack ist nicht gezeichnet) mit der Arteria pulmonalis (hell) und der Vene (dunkel) der Lunge. H Herz, V Vena cava. L Pfortaderkreislauf der Leber, Ao Aorta, N Niere, D Darm. Nach Claus Lehrbuch. Materialismus, der sich als naturphilosophische Richtung Mechanismus gegenüber dem Vitalismus nennt; übersehen hat er es seit dem „rhomme machine" von Lamettrie bis heute; gut und richtig herausgearbeitet haben dagegen diese Erkenntnis ein Teil der vitalistischen deutschen Biologen, namentlich H. Driesch und A. Pauly^^), die aber alle über das Ziel hinaus- gingen und jeden Zusammenhang des Seelischen mit der unleugbaren Maschinenstruktur des Lebendigen in Abrede stellten. Daß der Organis- mus teleologisch befähigt ist, braucht man gar nicht nachzuweisen ange- sichts des eigenen Erlebens, und daß er eine Maschine ist, läßt sich doch nun einmal nicht leugnen. Er gehört nur zur Kategorie der Maschinen mit Selbststeuerung nach dem teleologischen Gesetz des Psychischen, er hat also eine besondere Konstruktionsart, die man derzeit noch nicht an- ders nachmachen kann, als daß man diese Teleologie von außen dazu bringt, also z. B, zur Lokomotive, die keine Orientierung hat und keinen Bedürfnissen und Reizen folgt, einen Lokomotivführer stellt, der die Auf- gabe ihrer psychischen Lenkung hat. Beide zusammen stellen dann eine neue Art von Organismus dar: einen Menschen mit biotechnischen Kräften, die über seine individuellen hinausgehen. So vermehrt die Technik die 90 Leistungen des Menschen; die Techniken sind gesteigerte Anpassungen und haben hierin ihre Rechtfertigung und ihre Grenze. Die Röhren der Tiere und Pflanzen enthalten nun zahlreiche Eigenheiten, die dem Techniker Neues lehren können. Zu ihnen gehören doch auch die Röhren, welche das Blut, nämlich das Mittel zu allen Zellen bringen, das den Atmungs- und Ernährungsstoffwechsel durchführt. Diese Blutgefäße, sowohl die sauerstoffreiches Blut transportierenden Arterien wie die Venen, sind eingerichtet für die notwendigen Funktionen der Beschleunigung und Regulation dieses Transportes, weshalb sie sowohl elastische wie kontrak- tile, d.h. selbsttätig zusammenziehbare Elemente in ihrer Wandung aus- bilden. Der Anatom bezeichnet diese als Elastin- und glatte Muskelfasern. Und die Selbstregulation spricht sich wieder darin aus, daß sie mit einem unwillkürlich funktionierenden Nervensystem verbunden sind, das es be- urteilt, wann diese Faser im Dienste des Ganzen zu erschlaffen, und wann sie sich zu kontrahieren habe. Danach tritt Blutfülle in einem Organ ein oder Blutleere. Weil aber diese Urteile nur als Reflexe, also schematisch vor sich gehen, geschieht das manchmal nicht zweckmäßig, und so ent- stehen Entzündungen, Eiterungen, Ohnmächten (Blutleere des Gehirns) und damit auch schwere Schädigungen. Von diesen Eigenschaften kann man weder die Peristaltik *) noch die reflektive Regulation nachmachen, wohl aber die Elastizität, und die Industrie benützt denn auch tatsächlich geflochtene, daher elastische Röhren für gewisse Zwecke. Ein anderer Umstand aber ist bislang noch ihrer Aufmerksamkeit entgangen. Alle Blut- gefäße setzen bei Verzweigungen stets mit einer kleinen Erweiterung an, was zur Folge hat, daß der Abfluß beschleunigt wird und Stauungen ver- mieden werden. Überall, wo die mechanische Lage einer Zirkulation ge- geben ist, müßte man sich daher dieses biotechnischen Mittels zu gleichem Zweck bedienen. Tatsächlich erfüllen ihn die Muffen an den Zusammen- setzungen der Kanalisationsrohre. Sie vermindern auch bei den Verzwei- gungsstellen die Reibung und dadurch Anhäufung der in ihnen zirkulieren- den Stoffe genau so wie die gleiche Funktionsform die Reibung der Blut- zellen auf ein Minimum herabsetzt. Nimmt man die Pläne altdeutscher Städte, also etwa Hildesheim, Frankfurt a. M., Nürnberg oder Nördlingen zur Hand, so wird man in ihrer Altstadt den Verlauf der Gassen und den Ansatz der in sie mündenden Gäßchen das Gesetz der Blutgefäße wieder- holen sehen. Überall besteht die Neigung, die Abzweigungsstelle mit einer kleinen Erweiterung zu versehen. Es ist nun nicht anzunehmen, daß die alten Stadtbaumeister sich dessen bewußt waren, wie sehr sie dadurch dem regen Verkehr in der quetschenden Enge dieser kleinen Gäßchen eine Er- leichterung verschafften, wohl aber haben es unter dem Zwange der Not *) -- Rhythmus der Muskelbewegung, der sich als Puls zeigt und aus zwei Elementen besteht, der Herzsystole als Kontraktion des Herzmuskels und dem Dikro- tismus als Kontraktion der Muscularis der Adern. 91 die modernen Stadtarchitekten gelernt, und namentlich in den Weltstädten (man sehe sich auf das hin den Hausvogtei- oder Nollendorfplatz in Berlin oder die Place de l'Opera in Paris an) trachtet man wenigstens an den ver- kehrsreichsten Plätzen dem Verkehr diese Reibungsverminderung zu ver- schaffen. Ich würde vorschlagen, das biotechnische Vorbild der Arterien an allen Straßenabzweigungen anzuwenden, zum mindesten, wenn die Bo- denpreise es an der Oberfläche verbieten, in der Kanalisation, da dadurch ein rascherer Abfluß erzielt werden wird. Mit den organischen Röhren hängt aufs engste das Herz zusammen, das sich als verdickte Qefäßschlinge aus einer Erweiterung der wichtigsten Arterie, nämlich der /lö/-/«, heraus- bildete, dessen Funktion als Pum- pe heute schon je- dem Volksschüler klar gemacht wird, als Zeichen dessen, wie eine „Kryptobiotech- nik^' unvermeid- lich schon in der gesamten Physio- logie enthalten ist. Es ist nicht notwendig, daß ich meinen kost- baren Platz der Schilderung des- sen widme, wie sehr auch das menschliche Herz mit seinen Klap- penventilen Vor- bild und Parallele der Technik ist, denn man kann das ja in jeder leidlichen physio- logischen Anato- mie nachlesen. Nur auf das we- niger Bekannte Abb. 33. Der anatomische Bau der Insekten. I. Die Innenorgane der Honig- biene (Apis mellifica). O Augen mit dem durch den Augenlappen in Verbindung stehenden Oehim, von dem Nerven nach oben zu den Antennen ausgehen. Das strickleiterförmige Nervensystem setzt sich durch den Körper mit vielen ausstrahlenden Nerven fort, besonders gut sichtbar im Bruststück (Thorax;, von dem die drei Beinpaare ausgehen. Im Abdomen befinden sich außerdem die zwei großen luftgefüllten Tracheenblasen (1) mit dem weit verzweigten Netz der Atmungsröhren (Tracheen). Die Eingeweide sind seitwärts heraus- geschlagen und beginnen am Kopf mit den Speicheldrüsen, aus deren Kranz das lange Schlundrohr in den Vorderdarm (Kropf v) führt; dieser geht in den Mitteldarm (Chlydusdarm) [m ) über, an den sich die Malpighi'schen Gefäße (p), der Rektaldarm (r) anschließen. S der Giftstachel in der Verbindung mit der Giftblase (g) und Giftdrüse (d). II. Ein Längsschnitt durch ein geöffnetes Männchen des Ligusterschwärmers (Sphinx ligustri). Die Maxillen sind aufge- rollt, von der Antenne ist nur ein Stück gezeichnet. L der Lippentaster. Q das Gehirn, mit dem die Ganglien (N) der Brust und des Bauches in Verbin- dung sind. O Oesophagus, das in den Kropf und Mitteldarm (M) führt. V Mal- pighi'sche Gefäße. E Enddarm, A After, C Hoden. Auf der Rückseite liegt das lange gekamraerte Herz (H). Originalzeichnung. 92 und Unbekannte möchte ich hinweisen, daß eine solche Druckpumpe auch im Baum, in allen Gefäßpflanzen funktioniert (vgl. Abb. 31), allerdings mit einer Leistung und Mechanik, die noch zu den dunkelsten Rätseln der Bio- logie gehört. Können doch die Riesen der Baumwelt, wie eine 120 m hohe Mammutfichte (WelUngtonia) oder ein 150 m hoher australischer Eu- kalyptus, nicht minder gut auch eine an 200 m lange Liane sich anstands- los das Wasser aus dem Boden bis zu ihrem letzten Blatt pumpen, ohne daß uns die Kraftquelle der Leistung verständlich ist. Aber auf eines möchte ich dabei aufmerksam machen. Die Leistung von Druckpumpen hängt be- kanntlich mit von der Wandstärke des Druck- und Saugrohres ab. Es ist nun auffällig, daß die Tracheen (Abb. 31), wie man mit einem sehr mißver- ständlichen Wort die Saugrohre der Pflanzen benennt, besondere spiralige oder netzförmige Wandverdickungen haben. Die biotechnischen Versuchs- Laboratorien, die es hoffentlich in Verbindung mit Fabriken bald geben wird, werden sich veranlaßt sehen, Pump- und Brunnenrohre nach diesem Modell auf ihre Leistungsfähigkeit zu prüfen. Meine Vorversuche haben Hoffnung gemacht, daß sich durch diese Konstruktion bei gleichem Druck in Pumpenleitungen die Hubhöhe steigern, mindestens Material sparen läßt. So denke ich mir die nächste biotechnische Arbeit. Durchgehen müßte der Techniker mit seinem Wissen die gesamte tieri- sche wie pflanzliche physiologische Anatomie, und überall an tausend Stel- len würde ihm das Gegenstück seiner Erfahrungen vermehrt und bereichert durch neue Anregungen entgegentreten. Der Ernährungsvorgang der Pflanzen wäre ihm ein noch ganz unbe- ackertes Feld, so viel Arbeit auch die Pflanzenphysiologen schon hinein- gesteckt haben. Während bei dem Tier Ernährung und Blutzirkulation auf das Innigste ineinandergreifen und der Nahrungssaft, der schließlich aus dem Aufgenommenen entsteht, als Lymphe in einen Zustand gerät, daß man ihn ebensogut als Nahrung wie als farbloses Blut ansprechen könnte, ist zwar bei der Pflanze im Eiweißsaft der Siebröhren ebenfalls etwas der Lymphe Entsprechendes vorhanden, aber die Zirkulation scheint doch zu fehlen, wenn auch die neuesten Untersuchungen von Ch. Böse ein rhyth- misches Pulsieren in der Pflanze unzweifelhaft dargetan haben. Im Tier sind die Kreislauforgane ein höchst verwickeltes Kanalsystcm, durch das des Herzens oder des Rückenorgans (s. Anatomie der Insekten Abb. 33) Pumpwerk das Blut treibt, während zahlreiche präzise funktio- nierende Einrichtungen die Stromgeschwindigkeit, den Druck und die Ver- teilung regeln. In der Pflanze ist insofern ein Kreislauf vorhanden, als durch die Transpiration des Wassers aus den Blättern eine Zirkulation er- möglicht wird, durch die Wasser mit Mineralsalzen, also eine Nährlösung aus den Wurzeln in das Laub befördert und eine aus Zucker und Eiweiß bestehende Lösung durch bestimmte Zellen von oben nach unten geschafft werden. Dieser Funktion angemessen findet man die verschiedensten Röhren- 93 Einrichtungen nach Art der Kammerfilterpressen, die man gehöfte Tüpfel in der Sprache der Botanik nennt, außerdem eingeschaltete Siebe und Filtermem- branen. Dazu kommen noch osmotische Techniken. (So wandert dxtGlykose.) Die „Funktion der pflanzlichen Ernährung" ist natürlich dabei auch ein Stoffwechsel. Und er vollzieht sich in prachtvollen Formen chemischer Syn- these*), also atomarer Variation, deren Nachahmung heute noch hoffnungs- los erscheint. Gelänge diese Biotechnik, dann wäre mit der synthetischen Herstellung von Mehl, Zucker, Holz und Fett, sowie Eiweiß aus Oasen und Erdsalzen den Menschen alle Ernährungssorge genommen. Diese Photosynthese, die sich der Lichtwellen als Energie bedient, indem sie namentlich die weniger brechbaren zu einer Verbindung von COg und HgO bei Herstellung von CgHioOö (Kohlehydrat) heranzieht, ist noch nicht die endgültige Leistung der Pflanze, denn auf einem noch unbekannten Wege wird mit den Kohlehydraten außerdem Stickstoff, Phosphor und Schwefel in einer höheren Synthese zu Plasma verbunden, das zuerst die Vorstufe von Asparagin annimmt. Hier klaffen betrübliche Mängel des Wissens; das We- sentliche, was man weiß, beschränkt sich darauf, daß offenbar die Nitrate, Phosphate und Sulfate des Magnesiums und Kalis die Materie dieser Syn- these liefern, weshalb wir durch die Biotechnik des Dungens diesem Prozeß nachhelfen können, ferner daß die Oxalsäure hierbei ein durch Kalk zu bin- dendes, sonst schädliches Nebenprodukt ist, weshalb auch der Kalk beim Düngen nicht entbehrt werden kann. Die Funktionsform, in der das alles sich vollzieht, sind offenbar die Kolloidstruktur und die Formen der Va- kuolenbildung des Plasmas mit seinen osmotischen Membranen und ver- bindenden Plasmodesmen, durch die die Zelle instand gesetzt wird, wie in einem wohlassortierten Laboratorium gleichzeitig nebeneinander Oxydatio- nen und Reduktionen, analytische und synthetische Prozesse auszuführen. Dazu das Chlorophyll mit seinem plasmatischen Substrat (vgl. Bd. I S. 207 und Abb. 79), das in mehreren Integrationsstufen die Photosynthese von der Funktion im kleinsten Raum der Zelle an zu einem Kreislaufprozeß ge- staltet, der das ganze Erdenleben in sich schließt. Denn diese Farbstoff- träger im Protoplasma, die je nach der Funktionsbesonderheit, nämlich der Wellenlänge des verwendbaren Lichtes durch Zusatzstoffe blaugrün, braun (Kieselalgen [Bd. I Abb. 65] und Brauntange) oder rot (Rottange des Meeres) sein können, bilden Singulationen jeder denkbaren Art und Komplikation. Sie erscheinen als Chromatophor in hundert Formen in der Zelle, sie bil- den durch den Zusammenschluß der Zellen Lager wie im Kreise der Algen und Flechten (vgl. Bd. I Abb. 93) und Lebermoose (Abb. 34) oder in Ge- stalt komplexer Zellsysteme Blätter, die wieder ganz unbeschreiblich viel- gestaltig sein können (vgl. Abb. 47). Aus den Blättern setzen sich die Laub- kronen zusammen in Vereinigung mit den durch ihre Funktion variabel ge- •) Durch Oxydasen, Amylasen, Zymasen usw. 94 Abb. 34. Vergrößerter Querschnitt durch das Lager des Brunnenlebermoose» (Marchantia polymorph«), als Beispiel der biotechnischen Einrichtungen einer einfacheren Pflanze. Der Querschnitt stellt einen In- terzellularraum mit assimilierenden Zellen, der aufgewölbten Epidermis und einer Spaltöffnung dar. Un- ter dem primitiven „Schwammparenchym" liegt ein farbloses netzförmiges verdicktes Parenchym. Funk- tionell stellen diese Differenzierungen folgende biotechnischen Einrichtungen dar: Die Verarbeitung der Kohlensäure geschieht in den retortenförmigen Lichtkraftmaschinen (= Assimilationszellen), die zu zweit oder dritt so angeordnet sind, daß sie durch die glasartig durchsichtige Decke die Betriebsenergic, das Licht genügend erhalten. Diese Decke ist in Bogenwölbungen konstruiert und ruht auf vier bis sechs (in der Zeichnung sind nur zwei sichtbar) Stützpfeilern mit je einem abacusartigen Aufsatz. Die Wandung dieser hohlen Stützsäulen ist nach dem technischen Okonomiepririzip konstruiert; es sind Füllungen her- ausgenommen, dadurch Material erspart, ohne der Festigkeit Abbruch zu tun. In die Decke eingelassen ist ein Ventilationsschacht, dessen Bauelemente verzahnt sind. Dadurch findet ungehemmte Kohlensäure- und Wasserdampfzufuhr statt, zugleich ist Atmung möglich. Die kleinen Lichtkraftapparate enthalten die photo- chemischen Einrichtungen zur Zerlegung der Kohlensäure (Clilorophyllkörner). Diese haben die Gestalt von transportablen, selbsttätig sich ins Lichtoptimum setzenden Scheiben. Diese Apparate slt/cn auf einem Pflaster kleiner Zellen, durch deren feinste Poren, auch auf osmotischem Weg die Assimjlaie abgeleitet wer- den. Die darunter stehenden Zellen haben wieder die Festigungseinrichtungen der Stützpfeiler. Eine Zelle davon enthält Schleim, der außerordentlich viel Wasser speichern kann und davon zu trockenen Zeiten ab- gibt. Es sind also auf dem Bilde nicht weniger als 15, dem Menschen bekannte, aber von ihm nur teilweise in seiner Technik verwandte biotechnische Einrichtungen dargestellt. (Original.) stalteten Stielen, Zweigen, Stengeln, Ästen und Stämmen. Dadurch entsteht ein neues biologisches Individuum, die Einzelpflanze, deren Habitus (vgl. Abb. 36) auch eine Funktionsform des Chlorophylls auf sehr hoher Stufe ist. Aus Einzelpflanzen setzt sich das dem Naturfreund und Künstler so wohlbekannte Mosaik der Vegetationsdecke, gegliedert in Pflanzenvcrcine, in den der Moose, der Wiese (Bd. I Abb. 8), des Unterholzes (Abb. 22), der Parklandschaft, des Waldes, des Moores usw. zusammen. Und es entsteht eine Flora, die auch nur ein Glied, durch viele Ringe zusammengeheftet mit anderen Gliedern der Lebensdecke ist. 95 Und auf jeder Stufe dieser Hierarchie sind die Funktionsformen biotech- nisch durchgeprägt in einer Vollendung, welche die Pflanze für immer zum Musterbeispiel und unerschöpflichen Studienobjekt unseres neuen Wissens- zweiges machen wird. Ist doch mit diesem neuen Blick auch die ganze Biologie wieder zum Neuland geworden, jungfräulich, unberührt und dank- bar, hingegeben auch den einfachsten Methoden. Man muß die ganze Bo- tanik, Zoologie und Anatomie neuerdings biotechnisch durcharbeiten. Das Blatt allein schon bedeutet biotechnisch genommen eine Wissensfülle, die hier nicht einmal im Umriß ausgebreitet werden kann, ebensowenig wie etwa Kolumbus nach allen seinen Fahrten nicht imstande sein konnte, nur annähernd zu beurteilen, was er mit seinem Neuindien entdeckt hatte. Dem Techniker würde es auffallen, daß das Blatt in seinem Bau bis in die letzte Einzelheit hinein (vgl. Abb. 34) ein System von Funktionen darstellt, die alle nach dem Einen: optimale Leistung streben. Ich werde ja in den folgenden Kapiteln zum Glück wiederholt Gelegenheit nehmen können, ver- schiedene dieser Funktionen noch näher zu analysieren. Hier aber möchte ich immerhin in Erinnerung rufen, daß nicht nur die Formen, die Trocken- heits- oder Transpirationsanpassungen des Blattes ^s), sein anatomischer Bau ebenso wie der der assimilierenden Zelle Ausdruck der Funktion im Sinne unserer Gesetzlichkeit sind, sondern auch die Maßverhältnisse in Größe und Stellung und die Bewegungen, angefangen von der einfachen Phototaxis der Blattgrünkörner bis zu den Wachstums- und aitiogenen Bewegungen der Blattstiele und Sprosse. Auf diesem Wege wird es niemand leugnen, daß die Tropismen und Nastien (Abb. 36) der Pflanze Funktionen ihres Zellplasmas, ihr gesamtes „inneres" Regulieren und Funktionieren, das sich in dem „Wurzelhirn'' und den Scheitelzellen der Sprosse36u.43) seine Zentren schafft, ein Organ zur Verwirklichung ihres Daseinsoptimums ist. Als eine ungeheure Fabrik voll von den wunderbarsten Einrichtungen und Maschinen wird ihm das Blatt und die ganze Pflanze vorkommen, in der oft sogar die äußeren Formen mit denen unserer Industriewerke übereinstimmen, wie z. B. der Ventilationsschacht im Lager der Brunnenlebermoose, der auf Abb. 34 dargestellt ist, zumeist aber Erfindung über Erfindung verwirklicht ist, von der sich die Anthropotechnik nichts träumen läßt, deren Problemstellung sie oft sogar nicht einmal noch empfunden hat. Was ist eine Erfindung? Nach so viel Einsichten in ihr Wesen ist es nicht schwer, die Frage zu beantworten. Erfindungen des Menschen entstehen dann, wenn der menschliche Orga- nismus im Sinne der Weltgesetzlichkeit, nämlich funktionsmäßig tätig ist. Man macht stets eine Erfindung, wenn man das Funktionsgesetz auf eine Beziehung des Menschen zur Umwelt anwendet. Darum fallen die biotech- nischen Erfindungen mit den anthropotechnischen zusammen. Man wird da- her von selbst zu Erfindungen kommen, wenn man die Funktionsformen der Pflanze bei identischem Funktionsverhältnis auf die Materialien überträgt, welche uns zur Verfügung stehen, wenn man sie nicht mit identischem Ma- 96 ^^LjbP^ü^^SSS^j.%' ^ '^ '^i^SBI ^^t^ssc^ ^^ 'H^^^^^^HHj^^^H^^&^^^^^^^^Pi Hl fe C ^ ^ ü ^ I •': "^ I- ? 5 <.. = i >^: f '>^ Ü- -c S g = •= H .Ei- '^ £ "^ = "^ £ •< üj u. '.^ — C 7 Eines der unten), d. Abb. 37. Blütenstand des Lerchensporns (Corydalis cava) iußeren Kronblätter ist gespornt (gut sichtbar an der ersten und zueilen Blüte i-eitert und birgt darin Honig. Originalaufnahme von Frau Ur Friedrich, München. Vergrößert h. sackartig terial wiederholen kann. Erfindungen im gleichen Reichtum birgt für den technisch geschulten Blick auch der tierische Organismus. So haben wir den tiefsten Sinn der aller Bildung bekannten Tatsachen erfaßt, daß die Lunge ein ßlaschalf^. die Gliedmaßen der Tiere Hebel, die Oelenkrolle des Menschen, wie schon ihr Namen andeutet, eine Rolle (vgl. Abb. 38) in physikalischem Sinn, das Auge der Säugetiere eine Camera obscura und das Ohr ein Saiteninstrument ist. Nur müßte der Satz, um vollständig der Wahr heit zu entsprechen, um- gekehrt werden, denn Ohren, Augen, Füße und Lungen und die ganze Biotechnik waren früher schon da als des Men- schen Technik, und man muß eigentlich sagen: Die Camera obscura ist ein Auge, der Blasebalg eine Lunge, von der man künstlich nur die Eigen- schaften nachmacht, die man für einen gegebenen Zweck brauchen will. Noch nie hat der Mensch etwas anderes getan, nie wird er etwas anderes machen können, als das Fiinktionsgesetz mit den ihm zu Gebote stehenden Materialien zu verwirklichen, so wie der Organismus, ja die ganze Welt nie etwas anderes getan hat, als der Funktionsform ein Sein verliehen. Darum muß beides, Biotechnik und Menschentechnik, in identischen Funktionen ablaufen. Wenn nach den Sachs'schtn Versuchen, die im Jahre 1010 Thoday be- stätigte, die Sonnenblume (Helianthus) pro Quadratmeter Blattflächc ihr Gewicht in der Stunde um 1,684 g vermehren kann, ist das der Beweis einer so vollkommenen Technik, daß man mit vollem Recht das Blatt als eine der Abb. 38. Die biotechnische Einrichtung des menschlichen Oberarmes. a c bedeutet den Vorder-, d c den Oberarm. Der Armbeugemuskcl (Biceps, b) kann wegen der Art seines Ansatzes nur wenige Zentner heben, während der Wadenmuskel bei voller Ausnutzung seiner Kon- struktion 5030 kg heben kann. Damit dies der Biceps könnte, müßte er bei a der unteren Abbildung inseriert sein und in der Richtung a a' wirken können. Da er aber nicht am Ende des Hebeis, sondern bei b der unteren Abbildung angreift, und nicht in der optimalen Kraftrich- tung b b wirkt, sondern im unvorteilhaften Winkel b d, kommt also die Komponente b e zur Geltung, während die Komponente b g für die Hebung verloren geht. Hieraus folgt, daß der Armbeugcmuskel nicht zum Heben von Lasten da ist und unzweckmäßig d. i. unorganisch ver- wendet wird. Dagegen ist er optimal ausgenutzt und von eminente Leistungsfähigkeit für das Emporheben des Körpers bcii (Nach V. Gräber). Klettern. Franci, Bios II 97 bewundernswertesten Fabrikeinrichtungen der Welt bezeichnen kann. Durch diese Fabrikation speichert z. B. die Waldfläche Bayerns jährlich acht Mil- liarden Kilogramm Kohlen auf, eine Leistung, die man wirklich nicht unter- schätzen darf. Überträgt man sie auf die ganze Pflanzenwelt, steht man vor der Tatsache, daß die Pflanzen ein ganz wichtiges Glied in der Erhaltung der irdischen Harmonie sein müssen, da sie allein die Vermehrung der durch die Vulkane, die Heizung der Menschen und die Atmung der Lebewesen ausgehauchte Kohlensäure verhindern und dadurch einer sonst unvermeid- lichen Verschlechterung des Klimas und einem Kohlensäuretod des irdischen Lebens vorbeugen. Das winzige „Stoma^^ die Spaltöffnungen des Blattes, durch welche die Kohlensäure ins Innere des Blattes eindringt (vgl. Abb. 34), das feine S}'- stem von Lücken, durch welches die Luft in der Pflanze zirkuliert, sie machen den Biotechniker auf eine neue Eigenheit der organischen Techniken auf- merksam, die in der menschlichen Tätigkeit keineswegs in dem Maße ein- geführt ist wie in der Natur, nämlich auf die Verkettung der Techniken, wo- durch höchste Ökonomie durch die Verwendung derselben Funktionsform als Durchgangspunkt verschiedener, manchmal einander sogar entgegen- stehender Prozesse erreicht wird. Wohlverstanden, nicht so ist das gemeint, daß eine Funktionsform mehreren verschiedenen Funktionen dient, denn un- verbrüchlich gilt der Satz, daß jede Funktion nur eine ihr zukommende Form haben könne, sondern das Bewundernswerte liegt darin, daß die gleiche Funktion als Teilvorgang in verschiedenen Prozessen eingeordnet und dann ein Organ zu verschiedener Zeit in anderem teleologischen Zu- sammenhang in Anspruch genommen wird. Die Spaltöffnungen dienen z. B. von Sonnenaufgang bis Untergang der Rohstoffzufuhr für Assimilations- zwecke, später aber nicht mehr, weil nicht assimiliert wird. Die gesamten 24 Stunden aber dienen sie zugleich der Luftzufuhr zum Zwecke der Atmung, also der Energiegewinnung für die Fabrikation, außerdem der Entfernung der verbrauchten Luft, und als dritte Funktion, für die sie durch Schiebe- türen, oft besondere Schutzvorrichtungen angepaßt sind, auch der Entfernung des Wasserdampfes (buchstäblich des Betriebsabwassers) durch Transpira- tion. Dem Biotechniker werden, wenn er diesen Prozeß der Atmung durch- gängig in den lebenden technischen Einrichtungen verfolgt, auch da sofort bei den Wirbeltieren Verbesserungen auffallen, gegenüber den Exhaustoren und Gebläsen, die in der Menschentechnik die Funktion der Atmung ausführen. Die tierischen Exhaustoren arbeiten nämlich nur mit einem einzigen Rohr. Die Lunge ist ein Blasebalg mit einer einzigen Öffnung, worauf hiermit zum Nachdenken und der eventuellen Verbesserung der Blasebälge aufmerk- sam gemacht wird. Auch der Fortpflanzungsvorgang bietet, von dem Gesichtspunkt seiner technischen Ausführung aus gesehen, Anregung über Anregungen. Auch in ihm sind wieder zwei Funktionsketten mit Vorliebe so durcheinandergescho- 98 ben, daß es für zwei Arbeiten nur eines Organes bedarf. So verwenden Vögel und Reptilien zur Ausscheidung und Fortpflanzung nur eine gemein- same Kloake, was entsprechend dem „weh' dir, daß du ein Enkel bist", in der stammesgeschichtlichen Vererbung so weit nachwirkt, daß selbst der Mensch in seinem Körper für die Eierstöcke noch keine besonderen getrenn- ten Organe der Ausführung ausgebildet hat, sondern die edelsten Organe der Zeugung in unappetitlicher Nachbarschaft der Auswurföffnungen für die Verdauungsabfälle und Abscheidungen bergen muß. Doch man sieht an dieser Unvollkommenheit höchst belehrend in die absolute Gültigkeit des Funktionsgesetzes hinein, da man aus der vergleichenden Anatomie des Ge- nitalsystems von den Fischen bis zum Menschen unwiderleglich erkennen kann, wie sich jede Funktionsänderung sofort ihre Organabänderung erschafft. Im einfachsten Fall werden z. B. bei den Rundmäulern unter den Fischen die Eier durch den Porus abdominalis direkt in das Wasser entleert. Aber schon bei den Selachiern, also den Haien, bleibt die Leibeshöhle der Auf- bewahrungsort der Keime. Und nun sieht man Schritt für Schritt, wie sich aus der Funktion neue Organe herausbilden. Der Alüller^sche Gang, der der Leitung der Eier nach auswärts dient und im ersten Fall nichts als eine Abspaltung des Urnierenganges (Wo///'scher Gang) war und dadurch die Entstehung der Genitalien aus den Harnorganen verrät (daher Urogenital- system), wird schon bei den Lurchen erweitert, um die in ihm herabgleiten- den Eier anzusammeln, damit der Organismus sich nur in größeren Zwischen- räumen mit dem Eierlegen zu bemühen braucht. Da haben wir also schon den Beginn der Uterushildung, die dann zu einer so fundamentalen Umge- staltung der ganzen Organisation führte, wie sie die Amnioten kennzeichnet. In ihrem Kreise, namentlich bei den höheren Säugetieren sind die äußeren Geschlechtsteile, im besonderen Penis und Vagina, einfach das Optimum von Funktionsformen in bezug aufeinander, weshalb man sich hier auch längst gewöhnt hat, aus der Form sogar Rückschlüsse auf die Funktion zu ziehen, was doch der echt biotechnische Gedanke ist.") Der gleiche Organkomplex ist überdies noch geeignet, eine zweite, dem Denker allerdings selbstverständliche, dem Erleben dagegen sehr wichtig er- scheinende Konsequenz des Funktionsgesetzes so recht nachdrücklich vor Augen zu führen. Das ist die Rückentwicklung der nicht junkiionierenden Teile. Angesichts der durchgängigen Bilateralität der Wirbeltiere sind die Mül- /er'schen Gänge so wie die Nieren auch paarig angelegt. Aber was sieht man bei den Vögeln? Sie besitzen nur ein ausgebildetes Ovarium aus Grün- den, die offenbar mit ihrer Lebensweise zusammenhängen. Das der rechten Seite wird zwar angelegt, dann aber bis zum Verschwinden rückgebildet. Der rechte Müller'sche Gang, dem dadurch keine Funktion zufällt, wird von den bekannten Freßzellen in seine Bestandteile zerlegt und diese anderweitig ver- wandt, der linke dagegen, dem alles an Funktion zufällt, entwickelt sich übermächtig, liefert in besonderen, neugebildeten Drüsen die Eiweißschichten, 7* 99 die Schalenhaut, mit seinem uterinen Teil sogar die Kalkschale und deren Farben, was alles dem Vogelei zukommt. Ein Gegenstück hiezu bieten die Säuger' Noch die Beuteltiere unter ihnen verfügen über einen paarigen Uterus, von den Plazentalien an aber verwachsen diese beiden zu einem Uterus du- plex, der sogar bei den Nagetieren noch paarig in den Muttermund ragt. Erst bei den Primaten, also auch bei dem Menschen, ist die einheitliche Ge- bärmutter ausgebildet, die aber immer entsprechend ihrem Ursprung asym- metrisch ausgebildet ist. Weil beide Eierstöcke vorhanden sind, bleiben auch beide Eileiter funktionstüchtig, das heißt wohl ausgebildet. Diese Zusammenhänge, im Sprichwort sogar in den Volksmund überge- gangen (Arbeit stärkt die Glieder), wurden sehr früh durchschaut und von den Franzosen Jean de Lamarck und E. Geoffroy de St.-Hilabe zu einer Theorie der direkten Bewirkung (Lamarekismus), beziehungsweise der Lehre vom Gebrauch und Nichtgebrauch der Organe verdichtet, die in einem ge- wissen Sinn der Mutterschoß der objektiven Philosophie gewesen ist, da ich auf dem Umweg über den Lamarekismus zu ihrer der- zeitigen Formulierung ge- langt bin. Die Biologie hat sich von diesen Grundlagen aus schon längst eine Funk- tionslehre erarbeitet, die in ihren Ansätzen als Entwick- lungsmechanik (durch Roux) und als experimentelle Mor- phologie (namentlich durch den Münchner Botaniker K- Goebel) nur darauf wartet, einheitlich zusammengefaßt und dargestellt zu werden. In der funktionellen Histo- logie der Tiere und Pflan- zen hat diese Richtung ein klassisches Arbeitsfeld gefun- den, um ihre Thesen von der Funktion als trophischer Reiz und der direkten An- passung mit zahllosen Be- legen stützen zu können, die der Biotechnik ebensoviele der unschätzbarsten Vorar- ^^^ ^^ ^^^ ^U^^j^ menschliche Kiefer. Fund aus der Grube beiten bedeuten. Hier war Orafenrain bei Mauer (Homo Heidelbergensis) im Vergleich zu j ^ , * . ,,r ,ct dem Unterkiefer eines Orangs (unten). Man beachte die pri- es, wo der bChweiZer WOLJJ mltlve Gestaltung und das Fehlen des Kinns. 100 den zu so großer Bedeutung gelangten Beweis des funktionsmäßigen Um- baues der Knochentrajektorien (vgl. Abb. 16) fand, der seitdem dermaßen zum gesicherten Bestand der Erkenntnis wurde, daß der Münchner O. Walk- hoff aus der Röntgendurchleuchtung paläoanthropologischer Kiefer (vgl. Abb. 39) die Behauptung wagen konnte, die Vorfahren der Kulturmenschen aus den Zeiten des Paläolithikums hätten noch gar keine artikulierte Sprache besessen. In dieser meines Wissens nicht abgelehnten Methodik steckt die vollkommene Anerkennung des biotechnischen Grundgedankens. Es wird aus der Funktionsform auf die Funktion unbedenklich unter der Voraussetzung zurückgeschlossen, daß zu jeder Funktion (in diesem Fall also zur artiku- lierten Sprache) gesetzmäßig nur eine Funktionsform gehört, es wird also die Formulierung angewandt, die wir dem Funktionsgesetz gegeben haben. Hierher gehören die berühmten vorderbeinlosen Känguruhhunde von E. Fuld^^), die bekanntermaßen das erste unbestreitbare Beispiel der Lamarck- schen direkten Anpassung sind. Diese Tiere erlitten typische Veränderungen in der Mechanik des anatomischen Baues ihrer Hinterbeine infolge der ver- änderten Funktion, da sie sich anders bewegen mußten. Diese Funktionenlehre wird auch dem sogenannten Konvergenzgesetz, das bisher schon einigemal flüchtig unseren Gedankenweg kreuzte, seine befrie- digende Einordnung als Konsequenz des Funktionsgesetzes ermöglichen. Unter Konvergenz verstand man bisher die Feststellung der Tatsache, daß trotz verschiedener Abstammung die gleiche Lebensweise dennoch zum gleichen Anpassungstypus führe, und zitierte gewöhnlich als die klassischen Beispiele den Fledermaus-, Vogel- und Insektenflügel, die Fischähnlichkeit der Wale und Delphine u. dgl. mehr. Eine Erklärung war nicht möglich; man sagte sich nur, daß die Erscheinung irgendwie in den Kreis der direk- ten Bewirkung fallen müsse. Von unserem Standpunkt aus, der sich mit dem der auf ganz richtigen Wegen wandelnden Entwicklungsmechanik und experimentellen Morphologie deckt, ist das auch wirklich der Fall. Kon- vergenz ist für die Biotechnik nur der Ausdruck dessen, daß gleiche Funk- tionen tatsächlich immer und überall gleiche Funktionsformen nach sich ziehen. Nur ist dieser Gesichtspunkt weit höher gewählt und erlaubt es, die Konvergenzerscheinungen in der ganzen Natur sowohl bei Tieren wie bei Pflanzen aufzusuchen und sie sogar bei der vergleichenden Betrachtung lebender und lebloser Funktionsformen zu verstehen. So ist denn mit dieser Idee dem Denken ein Werkzeug gegeben, aus der Ähnlichkeit der Formen Schlüsse auf die Funktionen ziehen zu können. Man versteht seitdem auf den ersten Blick, warum die Formen der tierischen Geschlechtswerkzeuge im Bau der Blüten wiederkehren, wozu man die bei- gegebenen Abbildungen einer Berberisblüte (Ab. 40), eines Fruchtknotens (Abb. 35) und eines Blütenstandes des Lerchenspornes (Corydalis, Abb. 37) als Vorschule für ihre Betrachtung in der Natur eingehender studieren möge. Nicht auf eine leere Ähnlichkeitsjagd begibt sich damit der biotcchnisc': 101 denkende Forscher nach Art derer, in der sich die Biologie alter Zeit zu gerne gefiel, wenn sie in der Signatur lehre dem Grundsatze des similis si- milibus gemäß nach der Leberlappenform der H epaücablätter ihnen Be- ziehungen zu Leberleiden zusprach oder nach Art der ägyptischen Mytho- logie den Skarabaeuskäfern (Abb. 21) wegen ihrer kugeligen Mistpillen eine symbolische Bedeutung für die Weltkugel andichtete, sondern sehr wohl und bis in die feinsten Beziehungen motiviert weiß man nun, warum die Gestaltungsverhältnisse des pflanzlichen Fruchtknotens bei Blütenpflan- zen die gleichen sind wie bei Moosen (vgl. Abb. 35), deren Archegon mor- phologisch doch eine ganz andere Bildung ist, warum aber im Prinzip ein Abb. 40. Zwei Einzelblüten des Sauerdorns (Berberis vulgaris). Die inneren gelben Blütenblätter tragen je zwei Nektarien, zwischen welche sich die Staub- fäden mit ihren zwei Staubbeuteln in ungereiztem Zustande schmiegen (links). Bei Berührung des Staubfadens (was durch besuchende Insekten leicht geschieht) führen die Staubfäden Bewegungen aus, die rechts dargestellt sind. Durch diese gamotropen Bewegungen wird der Besucher aus den mit Schlitzen versehenen Staubbeuteln mit Pollen überstäubt. Etwas vergrößerte Origiiialzeichnung nach der Natur. Fruchtknoten gestaltlich mit einem Uterus der Wirbeltiere übereinstimmt und die Blütenöffnung überraschend den weiblichen Genitalien der Tiere (Abb. 40) (besonders auffällig ist dies bei gewissen Orchideen) ähnlich sind, warum Spermatozoiden im Pflanzen- und Tierreich bei völligem Mangel an Verwandtschaft oft größte Obereinstimmung zeigen (Abb. 20), bei naher Verwandtschaft z. B. im Kreise der Gliedertiere aber auch ganz verschieden sein können. Ein dickes Buch könnte man füllen mit den Tat- sachen, die von hier aus verständlich werden. Ein besonders glänzendes Kapitel wäre darin jenes von den Parasiten, die im Tier- und Pflanzenreich eine Fülle von konvergenten Merkmalen (Wurmgestalt, Saugfäden ^9), vgl. Abbildung 26) aufweisen. Verständlich wird nun auch ein vielstudiertes 102 Abb. 41. Schwebeanpassuiigeii mariner Planktonkrcbse. Etwas vergrößert. l Weibchen des Ruderfüßlers Setella gracilis. 2 Weibchen von Calocalanus. 3 Weibchen von Oithona pliimifcra. Originalzeichnung. Phänomen, nämlich das der Schwebeanpassungen und Schwiinmvorrich- tungen im Tier- und Pflanzenreich. Die merkwürdige Lebewelt des Planktons in Meer und Sülhvasser (Ab- bild. 41) überrascht seit fast zwei Menschenaltern die Forschung mit immer neuen und seltsamen Anpassungen, die diesen drolligen Kleinwesen, die sich 103 Abb. 42. Klein krebsclien des Brackwassers (Artemia salina; in einem mit Queller (Salicornia) bestandenen Tümpel. Das mittlere Pärchen in Begattung. Etwas vergrößerte Originalzeichnung. in der unglücklichen Situation steten Schwimmenmüssens befinden, ganz gleichmäßig zukommen, ob es sich nun dabei um Algen, Urtiere, Würmer oder Krebse handelt. (Vgl. hierzu die Abbildungen 41, 42 und 49). Gemeinsame Züge sind ihnen allen aufgeprägt. Sie streben alle nach mög- lichster Oberflächenvergrößerung, die besonders durch ,, Ausleger" oder fall- schirmartige Schvvimmsäume, blattartige Ausbreitung, Entwicklung von Schau- feln und enormen Borsten nach Art der auf Abb. 41 dargestellten Meeres- krebschen erreicht wird. Woher stammt aber diese Notwendigkeit? Sie alle (mit Ausnahme der mit Gasballons im Meere obenauf schwimmenden Si- phonophoren) sind spezifisch schwerer als das Wasser. Die Wirkungen dieses Übergewichtes müssen also vom Organismus selbst überwunden wer- den. Und das geschieht zumeist durch die Form. Die Sinkgeschwindigkeit ist von der spezifischen Oberfläche und der horizontalen Projektion des Körpers abhängig. Das sind also die Punkte, an denen der nach teleo- logischem Prinzip arbeitende Körper der Organismen eingreifen muß, um die Sinkgeschwindigkeit auf Null zu reduzieren. Daher sehen wir die Form- veränderungen, im besonderen die Vergrößerung der Oberfläche bei den der Sinkgefahr ausgesetzten Planktonten. Und gemäß der Tatsache, daß die Viskosität, also die Tragfähigkeit des Wassers bei 25 « C nur die Hälfte des- 104 sen ist wie bei null Grad, entstehen so ganz im Einklang mit dem Funktionsgesetz soge- nannte Temperatiirvari- ationen, also z. B. die Ceratien (Abb. 28), die im Winter drei, im Som- mer aber vier Hörner haben, oder die reizen- den Hyalodaphnia- krebschen, deren drol- liges Helmchen nur in der Winterzeit aufge- setzt wird, während die kleinen Köpfchen im Sommer unbewehrt sind. Die Konvergenz zwi- schea Pflanzen (Dino- flagellaten) und Tieren (Krebsen), die durch hundert andere Bei- spiele aus dem großen Bilderbuch der Plank- tologie belegt werden könnte, liegt nun auf der Hand. Es liegt nahe, daß das Denken bei Betrachtung dieser Erscheinung auf den Gedanken gerät, auch für die so vielerörterte Mimikry zwischen den Organismen die gleiche Erklärung anwenden zu können. Unter Mimikry oder schützender Nachäffung versieht man bekanntlich die Tatsache, daß Tiere und Pflanzen die Gestalt und die Farben anderer, oft sogar unbelebter Dinge annehmen. Daß sie solches tun, um sich vor Nach- stellungen ihrer Feinde zu schützen, das war eben die unberechtigte, weil ganz willkürliche Annahme des älteren Darwinismus, die der Mimikrytheorie so viel Feinde geschaffen hat. Von dieser Annahme und auch von dem Ein- wurf, daß nicht alle Tierformen Sehgeschöpfe sind wie wir, sich daher bei ihrem oft farbenblinden Auge, ihrem gleich den Ameisen für ultraviolettes Licht empfänglichen Sehvermögen und ihrem staunenswerten Geruch von dem optischen Bild nicht so täuschen lassen wie der Mensch, wollen wir ganz absehen; Tatsache ist, daß die das „wandelnde Blatt" genannte Hcu- schrecken(Pterochroza-)arten auf ihren Flügeln bis in die feinsten Lin/cl- Abb. 43. Der große Fetzcnfiscli (I'bylloptcryx cques Caihr.) citi Bei- spiel vollkommener Schutzaiipassuiijj im Tangwald. OrijjinaUeichnun^'. 105 heiten Struktur und Farben von Laubblättern, oft sogar welke samt den Fraßgängen, Schimmelpilzen und Tautropfen imitieren; Tatsache ist, daß die Stabheuschrecke (Bacillus) einem dürren Zweig zum Verwech- seln gleicht, so wie Rindenwanzen der Baumrinde, daß die überall zu findenden Spannerraupen nicht nur Form und Farbe von Stengeln und Ästchen haben, sondern auch holz- steif, ganz gegen die Art der sonsti- gen Raupen ihren Körper nach Art von Zweigchen hinaushalten; unleug- bar ist es ferner, daß die einhei- mische Motte, welche die Zoologen Tortrix acellaria nennen, im Ruhe- zustand einem Häufchen Vogelkot zum Verwechseln ähnlich sieht, und daß der südamerikanische Spinner Aides Kokons anfertigt, in denen Nachahmungen der Schlupfwespen- Löcher angebracht sind. Auch im Reich der höheren Tiere fehlen Fälle von Mimetismus nicht. Der auf Seite 105 abgebildete Fetzenfisch (Phyl- lopteryx eques) lebt zwischen Mee- restangen und nimmt ihre Gestalt und Farbe an, der Polarfuchs ist schneeweiß so wie der Schneehase, der Löwe ist wüstenfarben, und der österreichische Zoologe P. Kammerer, der den Gedanken der Mimikrykonvergenz auch streifte, hat mir einmal Sala- mander gezeigt, die er jahrelang auf dunkler Erde hielt, und die ganz schwarz wurden, während die auf hellem Boden orangefarben blieben. An den Tatsachen läßt sich also nicht zweifeln. Sehr wohl muß man da- gegen, wie im ganzen Problem der Funktionsformen, die aktiven von den passiven Anpassungen unter den Schauspielern der Natur trennen. Wenn der /4/fifesspinner künstlich die Kokons mit Löchern der Schlupf- wespen, die seine größten Feinde sind, ausstattet, so tut er dasselbe wie die Maskenkrabben, die den Seetangen ähnlich sehen, zwischen ihnen leben und, wenn sie einmal gezwungen sind, auf fremden tanglosen Boden hinaus zu wandern, dann ein Seetangstückchen mit den Scheren abkneipen und schützend über sich halten. Sie tun dasselbe wie eine Raupe, die zwischen Abb. 44. Erdpyramide. Motiv vom Ritten bei Bozen. Originalzeichnung. 106 Abb. 45. Schema einer Gitterbrücke, die nach dem Prinzip einer Pflanzcnzelle durchbrochen ist, d. h. nur entlang den Druck- und Zuglinien feste Elemente enthält. (Vgl. Abb. 31 und 34). Originalzeichnung. Knospen lebend, sich auf ihren Stacheln Knospen aufspießt uns sich so mas- kiert. Die Wespen handeln tatsächlich nicht anders, wie die Soldaten im verflossenen Kriege, die nicht nur ihre Kanonen und Tanks grün anstrichen, sondern selbst mimetische Schutzgewänder anzogen. Das alles aber ist ein ganz anderes Problem als die Mimikry; es gehört in das Kapitel der Intellektleistungen und ist nichts anderes als eine Anwen- dung der Kenntnisse von der Mimikry der anderen, die sich ebenso gut auch auf der anderen Seite, nämlich bei den Feinden findet. Darum ist es gar kein Gegenbeweis gewesen, als man hervorhob, daß die angeblich ge- schützten Mimikrysten doch gefressen werden. Daß ein Schwindler durch- schaut und verhaftet wird, ändert eben nichts an der Tatsache, daß er doch ein Schwindler ist. 107 Abb. 46. Die Biotechnik der Tiere. Der Kopf eines Fledermausflohes mit kammarligen Ein- richtungen zum Zerteilen der Haare seines Opfers. Schwach vergrößerte Originalzeichnung. Die wahre Mimikry dagegen ist keine Intellektleistung, sondern eine funktio- nelle Anpassung wie die, daß alles, was trägt, zu einer Säule wird, mag das nun Eis oder Erde, ein Baumstamm oder das Bein eines Storches sein, und mag die „bewirkende Ursache" nun die Wärme, die mechanische Kraft des Wassers oder ein biologisches Bedürfnis heißen. Die Erdpyramide, die ich hier (Abb. 44) habe abbilden lassen, ist eine solche Säule. Zu Hunderten stehen sie bei Bo- zen, im Wallis und in anderen Gebirgs- tälern an Orten, wo in weichen Lehm größere Felsblöcke nach Art der in Band 1 Abbildung 70 dargestellten Breccie einge- backen sind. Der Regen und die Schmelz- wasser waschen die lösbaren Bestand- teile einer solchen Moräne aus. Wo ein größerer Block liegt, übt er die Schutzfunktion aus, und die unter ihm steckenden Partikel bleiben unversehrt. Je weiter die Erosion fort- schreitet, desto ausgebildeter erhebt sich die Säule. Genau so kommen aber an den Gletscherrändern die Gletschertische zustande, nur daß hier Eis das Material und das Abschmelzen des Eises ohne schattenspendenden Hut die bewirkende Kraft ist. Die tragende Funktion läßt aber auch in den Zell- elementen eines Baumstammes die funktionierenden nach dem Gesetz von Druck und Zug zu bestimmten Systemen zusammentreten, wie der /^OMAr'sche Versuch mit Gummi (vgl. Kap. I) bewiesen hat, und verleiht ihnen die Säulenform, indem sie sich zu Ringen zusammenschließen, in denen die Festigungselemente (vgl. Abb. 31) — Stereome nennt sie der Pflanzen- anatom — die Anordnung befolgen, die der Mensch nachgemacht hat, als er die Konstruktion der I-Träger erfand. Das Trajektoriensystem in anderer Anwendung steht damit vor uns, und vi'enn man eine I-Träger-Gitterbrücke (vgl. Abb. 45) aus Eisenschienen erbaut, wissen die wenigsten, daß damit eine Biotechnik als Konvergenzerscheinung ins Leben getreten ist. So wie das stete Durchkämmen der feinsten Haare den Kopf des Fleder- mausflohs zu dem drolligen Kamm, der auf Abbildung 46 vor uns steht, um- gestaltet oder die Funktion des Laufens, Schwimmens oder Fliegens die ent- sprechenden Gliedmaßen und die Körpergestalt der Läufer, Schwimmer oder Flieger, wofür das Tier- und Pflanzenreich in vielen Konvergenzerscheinungen ein wahres Album aufschlägt, so veranlaßt das hier der Beurteilung Vor- gelegte, um zu seiner Zusammenfassung zu gelangen, den Gedanken wirk- lich ernstlich zu erwägen, ob die wahren Nachahmungsfälle denn nicht 108 eigentlich bloß Fälle ausgeprägter Konver- genz sind? Ist es wirk- lich so unmöglich, daß die gleichen Faktoren der Umwelt, die das Blatt und die auf Blät- tern lebende Raupe be- einflussen, beide in ge- wisse ähnliche Gestal- tungen bringen? Für eine Anzahl der noch nach der obigen Kri- tik bestehen bleibenden Mimikryerscheinungen muß diese Erklärung ohne Zweifel zutreffen. Allerdings ist es eine ihrer Konsequenzen, die mit in Kauf genommen werden muß, daß dann eine Art Mimikry auch im Unbelebten vorkom- men müßte. Nun gibt es Derartiges tatsäch- lich, und man hat nur nicht genügend darauf geachtet. Die Überein- stimmung von Erdpy- ramide und Gletscher- tisch ist nichts ande- res; Rundhöcker, ent- standen durch abschleifendes Eis (Abb. 3), und Gerolle, hervorgerufen durch abscheuerndes Wasser (Abb. 6) sind echte Mimikryformen, auch die Kugcl- form der Sandkörner und der sich im Winde zurechtschleifendeii Eiskörner oder die der schönen rundhöckerigen Wolken des Cumulustypus, der von den Luftströmungen zurechtgebosselt wird. Die Wellenzüge des bewegten Meeres und die aus Erdkrustenbewegungen hervorgegangenen Wcllcnzüge der Gebirge (Abb. 9), die von manchem Aussichtsberg so unabweislich ins Auge fallen, dazu die Wellenzüge der Dünen und Barchane im großen (vgl. Bd. I Abb. 68) und der Rippelmarken im kleinen — das alles sind Fälle von Mimikry im Anorganischen. Und es ist nur die notwendige Be- schränkung auf das Wesentliche, die mich abhält, ln"er Hundertc von Fällen Abb. 47. Ein Blutenstand von Ceropegia Sanilersoni. Die Corolla i>t zu einem Regenschutzdach geworden, das die Niederschläge von den tief an der Basis der Blütenröhre stehenden Staubblättern abh.ilt. Originalzeichnung. 109 zusammenzustellen, die sich bis auf die „Mimikry^^ im molekularen und ato- maren Bau (Isomerie!?) erstrecken könnten. Ob nun das Mimikryproblera mit der Konvergenzerscheinung restlos geklärt ist oder nicht, Tatsache ist, daß das Konvergenzphänomen (für das die objektive Philosophie der Wissen- schaft erst die Augen richtig zu öffnen heißt) von ungeahnter und allge- meiner Verbreitung als eine Konsequenz des Funktionsgesetzes ist. Nach dieser Vorbereitung hat man denn erst auch das richtige Verständ- nis, daß auch alle technischen Leistungen, mögen sie nun der zellulären, der histologischen oder individuellen Integrationsstufe entstammen, auch zu Konvergenzerscheinungen fähren müssen. Die vielen, deren Aufmerksamkeit die Biotechnik bisher erregt hat, haben wohl die Bilder und nicht ableugbaren Beispiele mit Erstaunen gemustert, als sie sahen, daß das Herz eine Pumpe ist, die Pflanze Wasserleitungsröhren besitzt und die Ahornfrüchte Propellerflügel, der Haifischschwanz ebensogut eine Propellerschraube ist wie gewisse Flagellaten im ganzen, daß der innere Bau des Ohres (Abb. 8) ein Saiteninstrument ist, daß gewisse Pflanzen Honig- sporne in Form von Trinkhumpen (Abb. 25) und Regenschirme (Abb. 47) besitzen, daß die Gelenke der Tiere und die Kugelgelenke der Mechaniker identisch sind (Abb. 38), die Bienen ganz ähnliche Schutzwälle aus Wachs (Abb. 48) um ihr Flugloch aufführen wie gewisse Pflanzen um ihre Tran- spirationsöffnungen, sie haben sich ungläubig und mit Recht mißtrauisch gegen eine Behauptung von so ungeheuerer Tragweite auch gesagt: Zu- fälle können so viele und so frappante Übereinstimmungen doch nicht alle sein. In dem Werk über die technischen Leistungen der Pflanzen sind rund hundert Erfindungen angeführt, die sowohl dem Prinzipe nach im Pflanzen- leib wie in der menschlichen Technik verwirklicht sind, und wenn ich, der ich kein Techniker, sondern Biologe bin, auch manches nicht richtig ge deutet und mißverstanden haben mag im guten wie im schlechten Sinn, so sieht man doch daraus, sowie aus der praktischen Anwendbarkeit mei- ner daraus gezogenen Vorschläge, daß in diesen Dingen ein Gesetz walten muß, um das sich die Mensch- heit mit allen Kräften bemühen soll. Ob sie nun die Art des Denkens, die ich von da ab eingeschlagen habe, rechtfertigt oder nicht, ob sie die ob- jektive Philosophie annimmt oder andere Konsequenzen aus diesen Tat Sachen zieht als ich, darüber kann Abb. 48. Flugröhre brasilianischer Bienen an einem man nie mehr wieder hinwegkom- ^^""^ ^'^ '"'^S^JSlZt^"'^^''' 110 men: daß die zellulären und histologischen Bauten und Leistungen der Protoplasten und Organe dieselben mechanischen Zusammenhänge auf- weisen wie die von den Tierindividuen und von den Menschen primitiver und kultivierter Art verwendeten Geräte, Mechanismen, Schutzbauten, Waf- fen, Maschinen, überhaupt Einrichtungen materieller und geistiger Art, daß sich also die einen ganz gut als Vorbilder für die anderen eignen. Es liegt hier eine Konvergenzerscheinung größten Maßstabes vor, und die gesamte Kultur erscheint nur als eine Fortsetzung und Kopie der natürlichen Gesetze, soweit sie Haltbares, Zweckmäßiges, Lebensförderndes hervorbringt. Jede Kritik der Biotechnik und damit der objektiven Philosophie, aus der sie folgerichtig abgeleitet ist, muß sich, wenn sie die Lehre treffen will, gegen diese Sätze wenden; alle anderen sind nebensächlich, können fallen, weggenommen, durch andere ersetzt werden, ohne daß dadurch die Bio- technik ins Wanken gerät und mit ihren Konsequenzen aufgegeben zu wer- den braucht. Ich wiederhole gegenüber gewissen Kritikern der Biotechnik, daß es für die Richtigkeit des biotechnischen Gedankens gar nichts aus- macht, ob der Tragmodul des Stahles den von lebensfrischem Bast über- trifft oder nicht, ob die Hydathoden wirklich nach dem Prinzip der Feuer- spritze, also einer hydraulischen Presse oder nach dem einer anderen Ma- schine arbeiten, ob die Dinoflagellateneinrichtungen durch die Turbinen nachgemacht sind oder vielleicht noch gar nicht in der menschlichen Tech- nik existieren, „ob die Ozeandampfer relativ schneller fahren" oder die schifförmigen Flagellaten (das etwa sind die Einwände, die mir bisher gegen die Biotechnik zu Gesicht gekommen sind»«). Das alles sind nebensäch- liche Einzelheiten; wichtig und wesentlich dagegen ist, daß eine allgemeine und erstaunlich große Konvergenz zwischen Einzeller, Gewebe, Pflanze, Tier und Mensch in den „Funktionsformen" besteht. Eine alte Gelehrtenanekdote sagt zwar, daß wenn die Menschen eine neue Idee nicht mehr als staatsgefährlich (als Pythagoras seinen Lehrsatz fand, opferte er den Göttern eine Hekatombe Ochsen, seitdem zittern alle Ochsen, so oft etwas Neues entdeckt ward) empfinden, sie zu schreien pflegen, das Neue sei nicht wahr, und wenn ihnen das auch widerlegt wird, dann sagen sie: die Sache sei ja alt! So wird man denn im letzten Stadium des Kampfes wider die objektive Philosophie und ihres Abkömmlings auch sagen: durch Simon Schwendencr (schon 1871), durch Culmann und andere, durch die funktionelle Anpassung überhaupt, sei der biotechnische Gedanke längst geschaffen worden. Ich verneige mich respektvoll vor jedem meiner Vorläufer, freue mich aber trotz- dem dessen, daß die Menschen nicht mehr länger zugewartet haben mit jenen Ansätzen wirklich Ernst zu machen, sie in lebendige Wirkung zu über- setzen und sie in eine Philosophie einzuordnen, und daß gerade ich es war, dem das vergönnt gewesen, und der auch schon mit Früchten dieses Ver- dienstes einigermaßen belohnt zu werden beginnt. Nun aber hoffe ich, daß 111 man es nicht mehr übersehen wird, welch frappante Konvergenz zwischen dem Menschen und den ihm untergeordneten Integrationsstufen besteht. Man wird von nun an eben endlich sehen, daß der Arm des Menschen und die Werkzeugmaschinen nach ein und demselben Prinzip gebaut sind (Abb. 38), daß der Arm aber als natürliches Hammerwerk mit seinen Muskeln ganz anderes leistet als die Maschinen [die Wadenmuskeln des Menschen sind z.B. imstande 5000kg zu heben (V. Graber)]. Man wird hoffentlich einsehen, warum der Mensch erst dann „fliegen" konnte, als er die Gesetze der Flug- maschinen der Natur auf seine Sonderverhältnisse anwendete. Die Idee des Lenkballons ist trotz aller Zeppeline nicht die optimale; die vielen Zeppelin- unfälle beweisen es, und eines Tages wird man die Lenkballone wieder auf- geben, zum mindesten nur für bestimmte Sonderzwecke verwenden. Denn der Lenkballon löst die Bewegungsproblematik für die Luft so wie es die Biotechnik in den später abgebildeten Siphonophoren und mit Gasblasen schwebenden Spaltalgen für das Wasser gelöst hat. Die Gesetze, welche das „Naturgeschehen" zwangen, andere Wege zu gehen, werden daher auch das Menschenschaffen dazu zwingen. Dagegen ist O. Lilienthals Werk über den Vogelflug als Grundlage der Fliegekunst ein unverfälscht biotechnisches Werk gewesen, und bekanntlich baut sich alle Aviatik auf diesem unglück- lichen Berliner auf. Schon die eine Tatsache, daß die Flugmaschine zum horizontalen Flug nur Vn der Arbeit des Luftballons bedarf (K. Steiger), entscheidet den Wettkampf zwischen beiden definitiv. Tatsächlich hat man die Rumplertaube genau nach den Samen der Zffwow/flpflanze konstruiert auf Grund der Angaben, die das Göttinger botanische Institut lieferte. Die 62 Prozent der Tierwelt, die außer den Pflanzensamen das Fliegen gelernt haben, worunter allein 248000 Insekten- und 12 000 Vogelarten sind, haben dieses Problem besser gelöst als der Mensch, der, wie der französi- sche Großmeister der Aviatik, Bleriot im Jahre 1909 ganz richtig sagte: in erster Linie dabei die Vorgänge in der Natur so getreu als möglich kopieren mußte und sich namentlich die Eule, die Pflanzensamen und die Libelle als Modell wählte, mit dem Endresultat: je vogelhafter seine Maschine sei, desto besser sei es auch für ihre Leistung. Man lasse sich dabei nicht irre- führen, daß der Mensch keine Flügelbewegung, sondern Schrauben anwendet. Die Schraube funktioniert (vgl. Anmerkung 40) genau wie der Niederschlag des Flügels, und die Gleitflächen des Flugapparates sind letzten Endes nichts anderes als steife Flügel zum Gleitflug, der nebst dem Segelflug auch für den Vogel die ausschlaggebende Leistung ist. In höheren Luftschichten segeln alle Vögel, da jeder angeblich horizontale Wind doch 3— 4° Neigungs- winkel besitzt (Lilienthal); mit anderen Worten sie machen biotechnischen Gebrauch von den Gesetzen der schiefen Ebene, genau so wie der Mensch. Nur ist dieser noch nicht so weit gekommen im Fliegen wie seine Vorbilder, wofür die ungeheuren von den Ringversuchen der ^ Vogelwarte Rossitten nachgewiesenen Flugleistungen der Zugvögel das beste Zeugnis sind. Flug- 112, Abb. 49. Die Kleinwelt des Süßwassers Technische Einrichtungen heimischer Süßwassertiere und Pflanzen. Das Blascnkr.iut (l'tric\ilaria), links, bildet an seinen Blättern zum Tierfanjr eingerichtete „Blasen" mit vcntilartiKcn Klappen. Die Wasserspinne (Argyroneta aquatica), rechts oben, füllt eine von ihr verfertigte „Taucher- glocke" mit Luft, um darin unter Wasser lauern zu können. Die Larven der Köcherflicgen (Phry- ganceen), am Boden, bauen aus abgebissenen Pflanzenstengeln, Sand- oder Quarzkörnchen und der- gleichen zum Schutz Gehäuse, in denen sie umherwandern. Original von C. Winkler ibb. 50. Rückschreitende Erosion. Auflösung eines Wasserfalls in eine Reihe von Fällen. Motiv vom Kesselbachwasserfall bei Kochel in Bayern. Onginal- aufnahme leistung vieler tausend Kilometer (Rossitten bis Afrika) sind einwandfrei beobachtet worden.") Übertroffen hat der Mensch solche Flugleistungen keineswegs, die, wie GouLd berichtet, einem Riesen-Sturmvogel vom Kap der guten Hoffnung bis Tasmanien drei Wochen hindurch in Kreisen ein Schiff zu begleiten erlaubten. Man wird hoffentlich jetzt dazu gelangen, das Werk der Tiere und Pflan- zen bewußt fortzusetzen, das schon längst in angewandter Biotechnik be- steht, um Nahrungs- und Schutzbedürfnisse zu befriedigen, sich vor Feinden zu schützen, sogar das Leben heiterer und reicher zu gestalten. Es gibt schon längst eine höhere Integrationsstufe von Biotechnik, die eigentlich nichts an- deres als die Kultur- und Kunstgeschichte der Tierwelt ist, die tausendmal beobachtet und erforscht, in hundert Monographien dargestellt und merkwür- digerweise noch niemals durch ein geistiges Band mit der menschlichen ür- und Kulturgeschichte verknüpft wurde, trotzdem diese die gerade Fortsetzung dieser Linie, nichts als ihre endlich bewußt gewordene Entfaltung ist. Wieder zwingt der Reichtum des Seienden hier, den Inhalt von Büchern auf Seiten zusammenzupressen, und nur erinnern kann ich daher daran, daf» gemäß dem biotechnischen Konvergenzgesetz genau nach den Prinzipien der cyto- und organogenetischen Leistungen, die z. B. die Waffen der Pflanzen allein bestimmen, die Tiere prinzipiell die gleichen Mittel als Waffe anwen- den. Ein Beispiel möge hierfür an Stelle von vielen stehen. Die Brennessel (Urtica) schützt sich durch Brennhaare, die ein kleines mehrzelliges Organ nach dem Prinzip einer gläsernen Phiole voll Schlangengift sind. Genau dasselbe Mittel, nämlich ätzende und brennende Drüsensäfte, wenden die Medusen im Meere an. Aber die Äolidier unter den marinen Nacktschnecken gehen einen Schritt weiter und üben mit dem Vergiften der Feinde eine aktive Biotechnik. Sie fressen nämlich nesselnde Polypen, nehmen sie in Darm- blindsäcke auf, die sie bei Angriffen ihren Gegnern entgegenstrecken, damit sie danach schnappen. Das ist zugleich ein Fall von Anwendung von Werk- zeugen im Tierreich, die zwar nicht häufig, aber der definitive Beweis dafür sind, daß man die Anfänge der technischen Kultur wirklich, wie H. Spencer wollte, im Tierreich finden kann. Die anderen berühmten Belege dieser Be- hauptung sind die von F. Doflein beobachteten Weberameisen, die spinnende Puppen verwenden, um Blätter zusammenzuheften, die kleine Raubwcspo (Ammophila), die mit einem Kieselsteinchen in den Mandibein den Boden stampft und glättet, in dessen geheimem Gang sie ihre Nachkommenschaft verborgen hat, und der Affe, der sich eines Stockes bedient und auch in der Wildnis mit Steinen wirft. Hierher gehören auch die entzückenden Laubenvögel (Ptilonorhynchus holosericeus und Chlamyderas maculata), die Tanzsäle erbauen, um erotische Bekanntschaften zu schließen. In diesen Gebäuden sind die Prinzipien der Statik richtig angewendet, es sind auch die Erfindungen verwendet, die zum Dachbauen, Tapezieren, Legen von Bodenmatten gehören. Ja, hier beginnt zum erstenmal wirkliche gewollte Franci, Bios H ^ 113 Kunstausübung, denn sie schmücken diese Tanzhäuser mit bunten Lappen, Federn, sie suchen auch glitzernde Steine, überreichen solche den Weibchen, die dadurch ebenso geködert werden wie menschliche „Tanzweibchen" durch Brillanten (Schomburgk). Offen ist hiermit das unermeßliche Museum tierischer Kunstfertigkeiten. Man denke nur an den Nestbau der Vögel, Fische, Säuger, an die Leistungen der solitären und sozialen Immen, an die Kultur der Ameisen und Termiten mit ihren Häusern, Städten, dem Bau überwölbter und gepflasterter Straßen (vgl. Abb. 48), der Züchtung von Pilzkohlrabi, der Haltung von Blatt- läusen als Milchkühe, an die Ameisengäste, den erwiesenen Getreidebau Abb. 51. Primitive Lehmburgen in Innerafrika, die sich von der Konstruktion von Ter- raitenbauten nur durch die Rohrbedachung unterscheiden. Nach Heinrich Barths Zeich- nung vom Dorfe Duna. gewisser Arten, an die Brotbereitung, an ihre Trillersprache, an die von Prof. V. Fritsch neu entdeckte Bienensprache, um zu ermessen, was der Be- griff der untermenschlichen aktiven Biotechnik alles umfaßt. Die Tiere gebrauchen die Gesetze der Mechanik, Dynamik und Statik, die sich in den biotechnischen Leistungen der Zellen und Gewebe kund- geben, und sie arbeiten nach denselben Prinzipien, nach denen die Menschen ihre Kulturwerke schaffen. Die sozialen Insekten besitzen auch Kulturen, in deren Bann sie leben, so wie die Völker in den ihrigen. Zwischen einem Termitenbau und den Lehmburgen der afrikanischen Szolaleute in Togo ist kein prinzipieller Unterschied, und wie ähnlich sind doch diese (Abb. 51) den Befestigungswerken des europäischen Mittelalters, von denen sie un- zweifelhaft unabhängig entstanden sind. Dabei sind solche aktive Bio- techniken keineswegs das Privileg gewisser höchstentwickelter Ausnahms- wesen, sondern kennzeichnen mehr oder minder alle Insekten, ja sie be- ginnen schon bei den Einzellern. Die kleinen Wurzelfüßler, die in jedem 14 Ackerboden und im Humus des Waldes ihr stummes Spiel treiben (vgl. Abb. 23), bauen sich aktiv mit Hilfe ihrer glasklaren, beweglichen Schein- füßchen ein Gehäuse, zu dem sie Quarz- und ülimmersplitter zusammen- suchen, um sie zu kunstgerechten Mosaiken zur Verstärkung der Wand des Häuschens dort anzukleben, weshalb man ihnen mit Recht den Namen Mosaiktierchen (Dijjlugia) gegeben hat. Von dieser Stufe zum Eolithen, zum Schaber und Kratzer und zum Stein- beil des Steinzeitmenschen war nur ein Schritt. Wieder werden im Waffen- handwerk, auf der Jagd, im Wohnbau, Nahrungserwerb, in Tänzen, Ge- sängen, Sprache, Schmuck und Kleidung dieselben Prinzipien angewandt, die in der Funktion des Plasmas von jeher gegeben waren, und die heutige Kultur des Menschen ist nur das Ende einer Kette, die mit den Winden, den Wellen, den Gestirnen und Himmelsnebeln begann und von uns jetzt, wo wir die ganze Reihe bis zu ihren Ursprüngen überblicken, als das Wclt- gesetz der Funktion erkannt wird. Vom Anorganischen bis zu den Vor- bildern im Bienenstaat (Abb. 48) und Ameisennest hat der Mensch in seinen technischen Leistungen stets nur die Natur kopiert, und — was viel wichtiger ist — er kann prinzipiell nie etwas anderes machen. Es gibt eine Anzahl scheinbar höchst komplizierter Techniken, auf denen Wissenschaften und große Industrien beruhen, deren Grundgesetz trotzdem in den einfachen Naturvorgängen des Alltags verwirklicht ist. Daß die Spek- tralanalyse und alle Anwendungen des Spektrums nur Nachahmungen der Gesetze sind, die sich im Regenbogen äußern, wurde schon erwähnt. Daß aber beim Anblick der marmorglatten Wände im Becken eines Wasserfalles (vgl. Abb. 50), wo sich der Wassergischt und die Steine im Kreise drehen, jemals einer auf den Gedanken geraten wäre, daß ihm damit das Modell einer Schleifmühle und eines Polierwerkes verraten sei, ist doch wohl nicht vorgekommen. Und doch ist es so. Auch aus dem Golfstrom hat noch nie- mand die Konsequenz gezogen, daß sich durch zirkulierendes heißes Wasser eine Warmwasserheizung einrichten läßt. Stets hat sich bisher die Mensch- heit auf den Zufall, diesen großen Helfer des Technikers, verlassen, dem, wenn man die Geschichte der Erfindungen studiert, bisher fast alle die großen bis auf ihr Werden zurückverfolgbaren Erfindungen zu danken sind. Der Ausgang der Magd von James Watt, der ihn zum Hüter des Koch- topfes werden ließ, an dem er dann merkte, wie der Dampf den Deckel lüpfte, dieses Histörchen zur Entdeckung einer der folgenschwersten aller Erfindungen, oder die Legende vom zufällig Schwefel, Salpeter und Kohle reibenden Berthold Schwarz, sie müssen nicht wahr sein und verkünden doch eine große Wahrheit, nämlich die jämmerliche Geistesverfassung des Menschengeschlechts, das hungernd und frierend in der großen Nacht steht und sein Schicksal, seine Lebensverbesserung wie ein Lazzaroni dem Zufall in die Hand gibt. Der andere Faktor in der Erfindungsgeschichte war da- gegen stets die meist vergessene und nur widerwillig zugestandene Nach- 115 ahmung der Natur, also die Biotechnik. Wenn man die natürlichen Gräben, welche die Erosion schafft (Abb. 4), künstlich als Kanal mit leichtem Ge- fall nachahmte, dann war das ebenso Biotechnik, wie man sie in von Lilienthal und Bliriot eingestandener Weise bei der größten Erfindung der Gegenwart: der Fliegetechnik übte. Und in der Urzeit hat der Mensch — man denke nur an die Gärung, die Pfahlbaudörfer, das Zaungeflecht und derlei mehr — seine Technik den Tieren einfach abgesehen und sie gleich ihnen verbessert. Errechnen und berechnen kann man nur die Verbesserungen und neuen Anwendungen, aber alle großen Erfinderideen, gerade die größten sind allem Rechnen entrückt, außer in der Nachprüfung, die aber durch die Praxis sicherer ausgeübt wird, wie die Erfindergilde schmerzlich genug weiß. Diesem menschenunwürdigen Kulturzustand wird nun die objektive Philosophie für immer ein Ende machen. Das ist heute vorläufig ihre wichtigste Bedeutung. Durch die Biotechnik wird die Möglichkeit, das Leben optimal zu ge- stalten, unvergleichlich erweitert. Ausgeübt werden Techniken von dem ganzen Weltall, das hat sich durch die vorhergehenden Betrachtungen sichergestellt. Schon die Million verschiedener organischer Formen, die man kennt, allein birgt in sich eine solche Fülle technischer Probleme, daß ganze Generationen von Forschern dadurch immer noch mühelos Entdeckungen machen werden einfach dadurch, daß sie sie beschreiben und nachrechnen. Dabei ist die Sachlage so, daß alle diese technischen Lösungen grundsätzlich optimale Lösungen sind, denn es gehört erstens an sich zum Wesen der Funktion, daß sie nicht ins Sein tritt, bevor nicht ihre wesentlichen Vorbedingungen erfüllt sind, zweitens sorgt der stete funktionelle Wettbewerb dafür, daß nur jene Einrichtungen erhalten bleiben, die den schärfsten praktischen Prüfungen gewachsen sind. Die Prüfungsabteilungen der Patentämter sind durch die Bedingungen der Natur noch bei weitem überboten. Das Zeitalter der Erfindungen liegt also keineswegs hinter uns, sondern die größten und allgemeinsten Erfindungen sind erst noch zu machen. Sie werden auch gemacht werden, aber auf keinem anderen Wege als auf dem der Biotechnik, die die materielle Existenz der Menschen auf neue Grund- lagen stellen wird. Damit scheint dieser Gegenstand für denjenigen abgeschlossen, dem es um eine Erkenntnis der Gesetze der Welt zu tun ist. Aber das ist nur scheinbar so. In Wirklichkeit beginnt die wahre Bedeutung des Gesetzes, das hinter der Biotechnik steht, so richtig erst in dem Augenblick, in dem man es von den materiellen Dingen auf die geistigen Leistungen überträgt. Denn es ist doch klar, daß, so wie auch die Sinnesfunktionen nichts als Biotechniken sind, auch die auf ihnen beruhenden seelischen Funktionen dem gleichen Gesetz Untertan sein müssen. Betrachtet man irgendein beliebiges Sinnesorgan des Menschen, der Tiere 116 oder der Pflanzen, in welchem Kreise es bis hinunter zu den Einzellern (vergleiche Band I Abbildung 79) alle denkbaren Abstufungen gibt, so wird man finden, daß es das teleologische Prinzip, das jeder Technik zugrunde liegt (Technik bedient sich wohl der Mechanik, geht aber ihrem Wesen nach über diese hinaus), deutlicher denn sonst erkennen läßt. Wählen wir als Beispiel das Ohr (Abb. 8) des Menschen, so mag an diesem etwa Fol- gendes auffallen. Schon die Windungen der Ohrmuschel sind ein Apparat, um die Schallwellen optimal auf das Trommelfell zu übertragen. Es ist er- staunlich, daß man wohl wiederholt durch Zufall (Ohr des Dionysos) Ge- bäude nach diesem Grundsatz errichtete, nicht aber Konzertsäle, Theater, Vortragsräume, Schulen so baut, daß das Publikum im „Tympanon" sitzt, oder daß es noch niemandem eingefallen ist, an dem Schalltrichter des Tele- phons für Ferngespräche diesen Gedanken anzuwenden, um diese , .hörbarer" zu machen. Die Schallwellen kommen wahllos vom Trommelfeil durch die Vermittlung der Gehörknöchelchen (deren Biotechnik noch ganz dunkel ist) an die Flüssigkeit, welche die Schnecke (s. d. Bild) erfüllt. Die Flüssigkeit gerät wieder durch die Übertragung in Schwingungen, die jede Frequenz von eins bis zu vielen Tausenden in der Sekunde aufweisen müssen. Nun ist, um im Jargon der Histologen zu sprechen, an der tympanalen Wand des Ductus cochlearis das Epithel des Ganges zu einem Neuroepithel von ganz bestimmtem Bau umgestaltet (das Organon spirale, gemeinhin als Corü- sches Organ bekannt). In diesem innersten Gehörorgan ist nur das Binde- gewebe der Träger der eigentlichen Funktion. Es ist nämlich die Membrana basilaris, die eigentliche bindegewebige Unterlage (die letzten Endes bloß ein Periost ist) aus starren geraden Fasern aufgebaut, die sich zwischen dem Ligamen spirale und Labium tympanicum ausspannen. Diese 13 000 bis 24 000 CorWszhtn Fasern *2) sind das schon einmal erwähnte Harfenvor- bild. Sie geraten in Schwingungen, und diese werden — um von unwesent- licheren Einzelheiten des enorm komplizierten Organs abzusehen — von dem Sinnesepithel der „Haarzellen" aufgenommen, die innig mit den Fasern des Ramus cochlearis nervi acustici, die an ihnen enden, verbunden sind. Der Acusticus (Gehörnerv) führt dann bekanntlich ins Gehirn. Die Gehörempfindung wird nun nach den unbestrittenen Untersuchungen von Helmholtz^^) als eine Resonanz, also ein Mitschwingen aufgefaßt, bei der sich die oben erwähnten Fasern der Basilarmembran wie verschieden abgestimmte Resonatoren, also wie schwingende Saiten verhalten. Sie sind abgestimmt (wie der Kohärer in der drahtlosen Telegraphie) durch ihre ver- schiedene Länge auf bestimmte Eigentöne; jede Faser wird durch den ihr zukommenden Ton in Mitschwingungen versetzt, diese werden vom Nerv als Reiz wahrgenommen. Man hört demnach nicht die Wellen der Luft, son- dern nur eine von unserem Ohr vorgesehene und auch vorgeschriebene Aus- wahl. Darum ist das Unterscheidungsvermögen für Töne von Mensch zu Mensch verschieden (daher die Unterschiede der musikalischen Begabung). 117 So ist es auch erklärlich, warum auch mit dem allerbesten Gehör ein Schwingungsunterschied von 10 oder 20 Schwingungen, im oberen Bereich der musikalisch verwandten Töne Unterschiede von 800 Schwingungen (Schäfer, Guttmann) gar nicht wahrgenommen werden. „Gehör" bedeutet also nicht Feststellung wirklicher Qualitäten des Weltenseins, sondern nur die Konstatierung: „ich habe diese oder jene Struktur", die ich erworben habe, um über die für meine Zoesis wichtigen Geräusche orientiert zu sein. Und genau so verhält es sich nach der Erkenntnis von der Spezifizität der Sinneswahrnehmungen auch mit dem Sehen, Tasten, Fühlen, Schmecken, kurz mit dem gesamten Erleben der Außenwelt. Man erlebt sich und pro- jiziert sein Erleben und dessen Verknüpfungen als Welt. Das ist alles frei- lich nicht neu, mußte aber hier aufgefrischt werden, um das Verständnis für geistige Biotechnik richtig erwecken zu können. Sinnesorgane sind Einrichtungen zur „Weltselektion^' im Dienste der Zoesis. Daran wird man nach dem Ausgeführten nicht zweifeln können. Mit ihnen verbunden aber ist eine andere technische Einrichtung des Kör- pers, die in ebenso vielen Integrationsstufen wie die Sinnesorgane selbst, durch die ganze Organismenkette hindurch vorhanden ist. Im Einzeller sind die Sinnesorganellen wie Geißel und Stigma durch fibrilläre Differen- zierungen mit dem Zellkern verbunden, in der höheren Pflanze sind teil- weise Reizleitungsstränge (Nemec, Fenner) bekannt geworden, teilweise der Zusammenhang zwischen Reizbeantwortungen (als Anzeichen von Sinnes- funktion) und der Unversehrtheit gewisser Teile, wie der Narbe oder der Vegetationskegel"). Wenn also auch kein Gehirn vorhanden ist, so scheinen doch Reflexzentren vorhanden zu sein. Bei den Tieren üben schon im Kreise der Coelenteraten (schon bei den Medusen), gewisse Zellen die Tech- nik der Umsetzung der Reize in Reizhandlungen aus. Man nennt sie Gang- lien oder Nervenzellen (vgl. Abb. 33) und kann nun bei dem Studium der vergleichenden Anatomie mit größtem Interesse Schritt für Schritt ver- folgen, wie sich die im Körper eines Süßwasserpolypen (Hydra) noch ganz zerstreut stehenden Ganglienzellen zu Nervenknoten, zu einem Schlund- ring, zu einem Bauchmark, vereinigen, von dem aus Leitungsfasern alle funktionierenden Organe kontrollieren; man sieht, wie eine Arbeitsteilung einsetzt, jedes Organ seinen Ganglienknoten erhält, die sich einander ko- ordinieren und subordinieren, wie das supraoesophagale Ganglion allmäh- lich immer mehr ein Primat erhält und sich als Gehirn (vgl. die Abbil- dungen der Rädertiere Abb. 33 und Band I S. 82) dann zum Zentralorgan des gesamten Nervenlebens aufschwingt. Da man an zahllosen Anzeichen, als Reflex, Instinkt, Triebhandlung, als Sprache und Kunstfertigkeit, bei den Mitmenschen auch als Intellekthand- lung, geistige Betätigung, im eigenen Icherleben endlich als bewußte Emp- findung, Wille, Gefühl, Gedanken, Bewußtsein die Funktionen dieser Nervenzellen erlebt, so zweifelt man nicht mehr daran, d-aß das seelische 118 Leben auch eine Funktion des plasmatischen Lebens sei. Auch haben Aus- fallserscheinungen bei teilweiser Zerstörung gewisser Ganglien über die Lokalisation dieser Funktionen Klarheit gewinnen lassen, und so hat sich eine ganze große Wissenschaft: die Gehirnphysiologie und die Psycho- logie aufgebaut, von denen die erstere den Zusammenhang zwischen physi- kalischen Änderungen und den Leistungen, die andere den Oesetzes- zusammenhang der Leistungen erforscht. Es bedarf dessen gar nicht, sich in die dichtverschlungenen Irrpfade dieser Wissenschaften zu verlieren, sondern es genügen einige einfache Erwägun- gen, um zu erkennen, daß schon bei dieser unanzweifelbaren und de facto auch nicht angezweifelten Sachlage der Wille, die Vorstellungen, die Ge- danken Funktions formen einer lebendigen Betätigung sind, weshalb auf sie logischerweise die Gesetze der Funktionsformen, unter anderem auch die der Biotechnik zutreffen müssen. Dieser einfache Satz hat verschiedene Konsequenzen von außerordent- licher Tragweite. Wenn z. B. Schopenhauer, mit dem die objektive Philo- sophie durch manche grundlegende Überzeugung verbunden ist, den Willen als Grunderscheinung des Weltphänomens fassen und der Welt als das „Ding an sich" gegenüberstellen will, verstößt er gegen das Funktions- gesetz. Diese Behauptung des großen Frankfurter Philosophen von dem Primat des Willens ist keine Notwendigkeit, sondern entspringt der Will- kür. Ihr kann der objektive Philosoph nicht unbedingt folgen, für ihn ist sie eine Versuchshypothese. So ordnet sich notwendigerweise auf Grund dieser Erwägungen das gesamte geistige und damit kulturelle Leben dem Rahmen der Welt und ihren Gesetzen ein, damit auch der Wille, der nur eine Funktion des Lebens ist. Man mißverstehe nicht, es wird hier nicht die theoretische Unmöglichkeit jeder Metaphysik behauptet. Denn ebenso- wenig wie für meine Denkungsart das Vorhandensein eines allgemeinen Willens in der Natur eine Notwendigkeit ist, ebensowenig empfindet sie den Zwang, die Wiederkehr geistiger Fähigkeiten und damit auch des Willens für die suprahumanen Singulationen zu bestreiten. Der objektiven Philosophie ist das Gebiet des geistigen Lebens aber nur das einer Psycho- technik, weshalb sie von den Geisteswissenschaften und dem Kulturleben, also von dem Menschen in seiner Lebensführung fordert, sich den Gesetzen des Biotechnischen als Teil der Weltgesetze zu unterwerfen. Sie lenkt den Blick darauf, daß man hier der tiefsten Wurzel nachgraben kann, warum das Psychische auch das Teleologische kat exochen*) ist (das psychische Problem ist überhaupt nichts anderes als das teleologische Problem); sie fordert von ihren Anhängern für das Geistesleben die gleiche Betrach- *) Die biozentrische Beschaffenheit des Intellekts, d. h. die Notwendigkeit, alles Erleben in Beziehung zum Ichgefühl zu bringen, zwingt zur teleologischen Methode, nämlich zu einer Betrachtungsweise des „als ob", aus der au:h die entsprechende Handlungsweise aller „Personen" folgt, deren Seinsprozeß ja auch biozentrisch abläuft. 119 tungsweise wie für das Naturdasein und erklärt diese Forderung mit der soeben klargelegten Sachlage.*) Ein so wichtiger Punkt ist damit für unser Denken erreicht, daß ich nicht umhin kann, nochmals mit der größt- möglichen Klarheit das Prinzipielle des Standpunktes der objektiven Philo- sophie herauszuarbeiten. Es kann kein Zweifel sein, und kein denkender Biologe zweifelt auch daran, daß das „Erleben" den teleologischen Faktor in sich schließt. Teleologie ist nun einmal vom Leben unzertrennlich, und jede Analyse des Lebensgeschehens enthält einen grundsätzlich mecha- nistisch nicht analysierbaren Rest**), der eben das eigentliche Problem der Biologie ist. Dieser über den einfachen Kausalzusammenhang hinausgehende Rest ist schon längst von scharfsinnigen Biologen, namentlich von //. Driesch (auch A. Pauly, A. Wagner u. a.) erkannt worden. Driesch hat versucht, dieser Erkenntnis die Formulierung zu geben, daß er diesen Rest als eine En- telechie im Sinne von Aristoteles faßte**) und dadurch der Biologie ent- rückte, ihn ins metaphysisch Weltenschöpferische verwies. Im Verfolg dieser Denkungsart wird er notwendigerweise ganz von dem Aristotelismus und seiner Metaphysik in Beschlag genommen, so daß neueste theosophische Schriftsteller ihn bereits für sich zu reklamieren versuchen.*«) Auch Scho- penhauer hat diesen Rest erkannt; ist doch gerade er es, was er als das aktive, aktivierende im Organismus, als den Willen in seiner „Welt als Wille und Vorstellung" bezeichnet. Ja, mit ausgezeichnetem Scharfsinn hat er sogar gesehen, daß dieses Moment üb€r das Biologische hinausreicht (s. hierüber die Anmerkung 44) und das ganze Weltphänomen umfaßt.*«) Ich habe ihn ja gerade deswegen, weil er eine biologische Funktion auf die ganze Welt ausdehnt und sie dadurch biologisiert, den „biologischen Philosophen" genannt. Aber auch er faßt diesen Willen als den meta- physischen Urgrund des Seins und verläßt so das, was man wirklich wissen kann. Auch er schafft also eigentlich einen Gott damit, der eben nur das eine Attribut Willen hat. Die objektive Philosophie teilt nun verschiedene dieser Grundlagen mit H. Driesch und Schopenhauer. Mit Driesch sieht sie das mechanisch***) Unerklärbare des Lebens ein. Aber sie geht mit Schopenhauer weiter und findet noch ganz anders als er Teleologisches im Weltphänomen, auch im sogenannten mechanischen Geschehen. An gehörigem Orte (s. S. 71) hat •) Darum wird und muß im Programm der Entfaltung der objektiven Philosophie auf dieses Werk, das schon mehrfach erwähnte über die „Gesetze des Denkens und Schaffens" (dann die Soziologie, Ästhetik und Ethik) folgen, in dem die gleichen Weltgesetze, die hier auf die Naturtatsachen angewandt wurden, für die Oeisteswelt und die Kulturerscheinungen geprüft werden sollen. **) Alles übrige an ihr löst sich in physikalische (mechanische) und chemische Teil- fragen auf. ***) Mechanisch stets als rein kausaler Zusammenhang verstanden. 120 der Leser diese Hinweise schon gefunden. Eine der auffälligsten waren die Störungen am Himmel; ein teleologisches Phänomen, das jetzt die Aufmerk- samkeit der ganzen gebildeten Welt erregt, äußert sich in der Notwendigkeit auch Zeit und Raum relativistisch zu betrachten. Daß dies die Einführung der Biologie in die Physik sei, habe ich in meiner Einführungsschrift zu diesem Werk zuerst ausgesprochen*^), und mit großem Vergnügen sehe ich, wie man nun von Seiten des Empiriokritizismus sich dieser meiner Meinung anschließt und sie auch in der Schulphilosophie rechtfertigt. An diesem Punkt aber zwingen uns die heutigen Einsichten, die Schopen- haaer'sche Annahme einzuschränken. Man hat keine zwingende Notwendig- keit, zu sagen: Die Ursache der Weltteleologie oder allgemeinen Relativität sei der Wille, sondern in Wirklichkeit, wenn man bei der reinen Erfahrung bleiben will — und zu mehr hat man kein Recht — , kann man nur sagen: das Lebenszentrum (daher blozentnsche Erkenntnistheorie), das sich in meinem Ichbewußtsein mir als unmittelbare und einzig unmittelbare Ge- wißheit fühlbar macht, ist die Ursache, warum mir alles nur in bezug auf mich und daher auch teleologisch vorkommt. Weil unser „Ich" psychischen Gesetzen Untertan ist (wir nennen nämlich die Ichgesetze psychische Ge- setze), finden wir mehr als bloß Kausalzusammenhänge, deshalb ist uns die Welt psychisiert, biologisiert, relaiivisiert, daher besteht für uns die Not- wendigkeit, die Zusammenhänge biozentrisch zu orientieren. Die objektive Philosophie ist sich dessen, man kann es nicht deutlich genug wiederholen, bewußt, daß mit dieser Auffassung in keiner Weise ein Grund erkannt ist, warum das „Ich" diesen Gesetzen folgt, und wo- her das Ich stammt. Für die Metaphysik bleibt durchaus der Weg offen. Nur ist Metaphysik nicht jedermanns Geschmack, und ich halte es be- züglich der Metaphysik mit Kungh-Tseu, der einem Schüler, als ihn dieser nach dem Leben nach dem Tode befragte, antwortete: Du kennst ja das Leben noch nicht! Wie den Tod kennen? Wenn es einmal feststeht, daß der menschliche Intellekt nur eine relative Erkenntnisfähigkeit besitzt, dann ist es eine Forderung der intellektuellen Redlichkeit, auf die Erkennt- nis „absoluter Wahrheit" zu verzichten. Das praktisch Unmögliche wollen ist keine Beschäftigung für ernste Leute. Und man kann diesen Verzicht umso leichter leisten, als Wissenschaft und Denken noch genug Arbeit haben, um das menschliche Leben annähernd optimal zu regeln. Dieses Ideal, die Hilfsbereitschaft für den Menschen, um seine Funktionen und damit ihn in seiner Art möglichst vollkommen zu machen, das ist das ausgesprochene Endziel der objektiven Philosophie. Erst wenn es einiger- maßen erreicht sein wird, dann würden und dürfen Kräfte frei werden für metaphysische Fragen. Erst dann kann man überhaupt die Frage auf- werfen: Ist denn eine Metaphysik praktisch möglich? Bei solcher Gesamtanschauung des Weltproblems, wonach Welt die Summe des in unserem Bewußtseinserlebnis sich Abspielenden ist, kann 121 dem Denken kein anderer Charakter zugeschrieben werden, als der, den die gesamte Biotechnik hat; die Vorstellungen und ihre Verknüpfung sind funktionelle Anpassungen zur Orientierung im Dasein zum Zwecke seiner Erleichterung. Denken ist also keine Fähigkeit zur Durchdringung und Beherrschung der Welt, sondern nur zur richtigen Einstellung innerhalb der Zoesis. Das muß immer wieder mit allem Nachdruck gesagt und fest- gehalten werden, sonst hören die Irrtümer und damit die Leiden der Menschheit durch falsche Einstellung nie auf. Von da aus versteht man erst, warum sich alles „Vorstellen" stets der Bilder bedienen, der Willen stets auf ein Objekt gerichtet sein muß, warum die Welt der Begriffe und der Sprache prinzipiell die Gesetze der Biotechnik wiederholt (wie in dem Werke über die Gesetze des Denkens des Näheren auszuführen sein wird). Sinnestätigkeit, Denken und Erkenntnis sind die Signalkombinationen zum alleinigen Zweck der Lebensförderung; nie liegt in ihnen etwas anderes als eine Aussage, die sich auf das Verhältnis des Erlebens zum Lebens- milieu bezieht, ob das nun im engsten oder weitesten Sinn genommen wird. Das ist es, was durch die Kant-M ach' sehe Erkenntnis vom relativistischen Charakter des Erkennens ausgesagt wird. Wegen dieses technischen Charakters des Erkennens kann das Denken nun grundsätzlich nichts anderes liefern, als Übertragungen der biotech- nischen Leistungen ins Vorgestellte, also Mechanismen aus Begriffen, Gü- tern, Tönen, Zahlen, Organisationen aus Menschen, Bausteinen, Maschinen- elementen, kurz allen möglichen Materialien, eine Panmechanik, in der sich immer in allem wieder nur unsere eigenen biologischen Gesetze wiederholen. Ich höre welche, die sagen, hiemit werde der Anschluß an den Mecha- nismus als Weltanschauung, also an den platten Materialismus vollzogen. Aber die so sprächen, würden nur ihr völliges Unvermögen zum richtigen Verständnis beweisen. Die objektive Philosophie ist gerade die Welt- anschauung des geistigen Gesetzes. Sie ist mit aller Schärfe überzeugt da- von, es gebe nichts Reales, wie nur die Vorstellung, die das einzig sicher Erlebte ist. Gerade ihr ist eigentlich alles „Geist". Und außer dem Lebensgefühl ist ihr nur eines gewiß, das bereits in ihrem Lieblingswort ausgesprochen ist. Das ist nämlich die Gesetzmäßigkeit in den Zusammen- hängen des Erlebens, jene, welche sie die Weltgesetze nennt. Alles übrige bleibt für sie offen und ignotus. Sie leitet ebensowenig zum Materialismus wie zur Mystik, denn wenn sie Aussagen macht über eine Endlichkeit der Welt, eine ewige Wiederkehr des Gleichen, über Knäuelung und Weltrhyth- men, über Weltseele und Weltkörper oder den Begriff einer objektiven Gottesvorstellung, so hat das niemals anderen Sinn, als daß die Vorstellungs- welt dem Zwang unterliegt, sich die Erlebnisse in solche Kategorien zu- sammenhängend zu ordnen. Das hat alles nur den Sinn und ist von ihm 122 aus zu kritisieren, daß bei solchen Arten von Zuordnung sich die Erleb- nisse des Bios lückenlos zusammenschließen. Wenn unser Handeln in einem Sinn verläuft, der funktionsmäßig, d. h. logisch von diesem Well- bild abgeleitet ist, werden unsere Taten reibungslos sich mit ihren Folgen in diesen Bios eingliedern und keine Erlebnisse nach sich ziehen, die als Leid empfunden werden. Das wird dann das einzige untrügliche Kenn- zeichen sein, daß das Handeln und die ihm zugrunde liegende Erkenntnis richtig war. Die Erzeugung einer Weltharmonie, zuerst als Harmonisierung des Innenlebens, dann als harmonische Einstellung zum Lebensmilieu, schließ- lich als Wirken auf Mitmenschen und Umwelt im Sinne der Weltharmonie, das ist für mich und meine Anhänger das sigillum veritatis. An den Taten eines so Gebildeten, zur Erkenntnis Durchgedrungenen wird man ihn erkennen. Das ist ihm der tiefste Sinn des Funktionsgesetzes. Anmerkungen und Zusätze 1 (Zu S. 5). Die Joule'scht Zahl (J), die das mechanische Wärmeäquivalent aus- drückt, wurde ursprünglich in der Form ausgedrückt, daß angegeben wurde, wieviel Kilogrammeter Arbeit man aufwenden muß, um eine Kalorie (= 1 g 15" Wasser um einen Grad zu erwärmen) zu erzeugen. In dieser Form lautete sie Da aber wegen der Schwerkraftwirkungen der Gesteine (vgl. Bd. I S. 67) ein Kilo- gramm nicht überall gleichschwer ist, betrug die Joule'sche Zahl z. B. in München 426,82, in Berlin 426,62. Daher nahm man das Erg (gewonnen aus dem Begriff Dyne, die Einheit der Kraft, die der Masse von 1 Gramm in einer Sekunde 1 c/m Beschleunigung erteilt, da 1 Erg = 1 Dyne X 1 cm) als Einheit und kam so zur Formel : J= 4,1861. 10' 5g. 2 (Zu S. 6). Vgl. dazu W. Meurer, Ist Wissenschaft überhaupt möglich? Leipzig. 1920. In diesem Werk findet sich eine prinzipielle und wesentliche Annäherung an den Standpunkt der objektiven Philosophie insofern, als der Verfasser in einer dialek- tisch geführten, erkenntnistheoretischen Untersuchung zu dem Schluß kommt, daß wenigstens alle wissenschaftliche Beobachtung wissenschaftlich wertlos sei, denn sie muß das Wichtigste unbeobachtet lassen. Zu sich selbst könne man nicht objektiv sein. Aber er gerät nicht auf den an sich so einfachen Gedanken, daß Wissenschaft ihren Sinn nur dadurch erhalte, daß sie im Erleben nach einheitlichem Gesichtspunkt Ordnung schafft, nämlich eine Harmonie herstellen hilft zwischen den zu Gesetzen zusammengefaßten inneren und äußeren Erlebnissen, indem sie eben deren „Gesetze'' feststellt. So wird sie zur Gehilfin der Lebenslehre, als welche sich die Weisheit ge- genüber der stets bloßes Wissen bleibenden Philosophie darstellt. 3 (Zu S. 8). Vgl. hierzu L. Boltzmann. Vorlesungen über Gastheorie. 2. Band. Leipzig 1896—98. — Auch zu der neueren Entwicklung, die daraus hervorging: E. Zermelo, Über den Satz der Dynamik und mechanischen Wärmetheorie (Widmanns Annalen 1896). M. Planck, Theorie der Wärmestrahlung. Leipzig 1906. 4 (Zu S. 10). Das Entropiegesetz reicht nämlich, wie aus dem Gesagten auch schon zu entnehmen ist, weit über das Gebiet der Wärmelehre hinaus. Seine wahre Formu- lierung sollte also heißen: Irreversibilität der Naturvorgänge. Fast von allen Pro- 123 zessen (es ist eine Denkforderung der objektiven Logik, daß es bei allen der Fall sei) zeigt sich eine derartige Oerichtetheit. Manchmal so mit den Händen zu greifen, wie im Fall der Lösungen. Lösungen finden statt, ohne daß wir eine Energieleistung anwenden müssen. Anders bei dem umgekehrten Prozeß. Die Ausfällung kostet ein mehrfaches an Energie als die Lösung brauchte. Und so ist es bei der Diffusion und vielen anderen Vorgängen. 5 (Zu S. 11). Über die Darstellung mathematischer Funktionen in den Natur- wissenschaften vgl. G. Loria, Spezielle algebraische und transzendente Kurven. Leip- zig 1910/11. 6 (Zu S. 19). Vgl. Mäller-Pouillet, Lehrbuch der Physik. — Auch H. Starke, All- gemeine Wellenlehre. 7 (Zu S, 22). Literatur über Meeresströmungen s. O. Krümel, Handbuch der Oze- anographie. 2. Bd. 2. Aufl. 1911, auch A.Maury, Physical Geography of the Sea. 1855. 8 (Zu S. 25). Allerdings wendet sich das aus noch unbekannter Ursache in den Höhen zwischen 12 bis 30 000 m Höhe. Die Julitemperatur von —56,8°, die in 12 000 m Höhe gemessen wurde, sank bei 26 000 m auf — 42,3o. Bei 29 000 m war dieser „Wärmemantel" der Erde allerdings bereits durchbrochen, und die Tempera- tur betrug in dieser Höhe bereits wieder — 63,4°. 9 (Zu S. 26). Wenn also ein Kubikmeter Luft von 20" und 17,1 Gramm Wasser- gas sich mit einem Kubikmeter Luft von 0/ und 4,4 Gramm Wassergas mischt, wird das Gemenge 10" haben und 21,5 Gramm Wassergas halten sollen. Das kann es nicht, denn lOgrädige Luft kann nur 18,8 g HjO aufnehmen. 2,7 g werden also aus den 2 Kubikmeter Luft ausgeschieden, mit anderen Worten: es regnet. 10 (Zu S. 30). Vgl. dazu Rolland, Geologie du Sahara algerien. Paris. 1890. — L. Cholnoky, Die Bewegungsgesetze des Flugsandes. (Földtani Közlöny, Ung.) 1902. — Jordan, Physik, Geographie und Meteorologie der libyschen Wüsten 1876. 11 (Zu S. 36). Als Probe dieser Versuche, die Ideen der objektiven Philosophie in adäquate Formen zu gießen, seien folgende Verse von A. Harrar hierher gesetzt: Zwiegespräch: Ich: Du, der du warst, ich weiß nicht wie und wann. Du, der du bist, was Zeit nie werden kann. Du, der mit tausend Leben um mich ringt, Du, der in tausend Toden niedersinkt — Wo such' ich dich? Du meiner Sinne ungewisser Schein, Du Weltgeburt und Weltvergessensein, Du Sturm, der sich aus kaum bekanntem Saum Letzter Erkenntnis stürzt in fremden Raum — Wo find' ich dich? Es: Du bist — ich war. Du wirst — ich bin und bin. Zeit ist nicht Zeit, und Sinne sind nicht Sinn. Aus dir, du Form, die ewig wird und bricht, An deiner Dunkelheit zünd' an das Licht Und suche mich! Dein Einst, aus dem du selber dich erfüllt, Ist Spiegel, der den Weltentag enthüllt. Was über deinen Spiegel flieht und flammt. Bin ich, aus dem dein tiefstes Du entstammt — Nun finde mich! 124 12 (Zu S. 37). Hiervon ist er durch die Unvollkommenheit der Musikinstrumente heute allerdings noch weit entfernt. Alle Musikinstrumente sind nur imstande, an- nähernd Harmonien zu erzeugen. Am meisten gelingt dies den Saiteninstrumenten, allen voran der Violine und der vox humana. Am wenigsten dem als Zeichen der eingetretenen Musikbarbarei am weitesten verbreiteten Klavier, auf dessen Verhält- nisse heute die gesamte Komposition eingestellt ist. (Nach dem Klavier wird alles gestimmt und singen gelehrt!) Denn da dieses Instrument unveränderbare „feste" Töne hat, ist es ein aus seiner Konstruktion fließender Zwang, die Intervalle zwischen zwei Tönen gleichgroß zu machen. Darum nennt man sie die Intervalle in der gleich- schwebenden Temperatur. (Vgl. Bachs Wohltemperiertes Klavier.) Mechanisch wird so als Wert des Intervalles 1,05946 festgelegt, was einem gewissen mittleren Zur sammentreffen mit den wirklich reinen Harmonien entspricht, aber schon einem wirklich feinhörigen Ohr unerträglich ist, daher Klaviermusik immer etwas Unvoll- kommenes und Unreines besitzt. Die Differenzen zu den pythagoräischen Intervallen, welche die Weltgesetzlichkeit weit besser ausdrücken, sind z. B. für die Quinte statt 1,5 (3/2) bei Pythagoras nach der gleichschwebenden Temperatur 2Vi2 = 1,4983. Oder für die Sexte verwenden wir 1,68 statt 1,67. Wir kennen also nur ein annähern- des Musizieren, das die Zukunft als barbarisch verabscheuen wird. Vgl. HelmhoUz, Die Lehre von den Tonempfindungen, auch Lord Raleigh, Theorie des Schalles. 13 (Zu S. 44). Vgl. Ph. Undrd, Über Relativitätsprinzip, Äther, Gravitation. Neue Aufl. Leipzig. 1920. In dieser Abhandlung versucht Unärd, die Ablenkung des Lichtes durch das Schwerefeld der Sonne durch eine vielleicht (!) vorhandene Son- nenatmosphäre anzuzweifeln, und erklärt die Störungen der Merkurbahn lieber mit den in Bd. I S. 18 gekennzeichneten hypothetischen „Massen" von Seeliger. Dagegen betont er sehr richtig, daß durch die Ersetzung des Wortes Äther durch das Wort Raum die geheimnisvollen Eigenschaften dieses Äthers nur einen neuen Träger, nicht aber eine Erklärung gefunden haben. 14 (Zu S. 45). Die Äthertheorie faßt diesen nicht als elastische, sondern als elek- tromagnetische Substanz, in dem die Fortpflanzung der Bewegungen durch das Zu- sammenwirken von elektrischen und magnetischen Verschiebungen geschieht, setzt also den Äther als Elektrizitätsträger, daher als aus Elektronen zusammengesetzt, vor- aus. So kam auch Lorentz zu seiner Auffassung von der Kontraktion dieser Elektro- nen, die den bekannten Anstoß zur ganzen Relativitätstheorie gegeben hat. Die Dif- ferenzen zwischen einer atomistischen und ätherelektronistischen Auffassung des Lich- tes sind also gar nicht so enorm, wie man es gemeinhin hinstellt. 15 (Zu S. 46). Die maßgebenden Abhandlungen hierüber veröffentlichte Flzeaa in den Comptes rendus von 1851, Michelson und Morley im American Journal of Science 1886, dann Lorentz in dem Werke: Versuch einer Theorie der elektrischen und opti- schen Erscheinungen in bewegten Körpern, Leiden 1895 (auch in The theory of Elektrons, Leipzig 1909), an das Einstein mit seiner Abhandlung in den Annalen der Physik (1905) anknüpfte. 16 (Zu S. 54). Vgl. hierzu sowie zum Abschnitt Magnetismus: G. Mie, Lehrbuch der Elektrizität und des Magnetismus. 1910. — E. Cohn, Das elektromagnetische Feld. 1900 — H. Du Bois, Proprietes magnetiques de la matiere. Paris. 1900. 17 (Zu S. 56). Vgl. über Röntgenstrahlen die grundlegende Abhandlung von W. C. Röntgen in Wiedemanns Annalen Bd. 64 und /. Stark, Die Prinzipien der Atomdynamik II, ebenso W. Friedrichs, P. Knipping und M. v. Laue, Interferenz der Röntgenstrahlen in Sitzber. d. bayr. Akad. d. Wiss. 1912. 18 (Zu S. 59). Die Erdwärme (die höchsten Temperaturen der Luft in der Sonne können bis 80" C ansteigen; ich selbst fand in der Sinaiwüste 62»^ C noch erträg- lich) ist nicht die direkte Strahlungswärme der Sonne, sondern das Resultat eines komplizierten Prozesses. Die Lufthülle der Erde wirkt (Tyndnll) wie eine Glas- scheibe, welche wohl Wärmestrahlen, die unser Auge als Licht empfindet, durchläßt, 125 dagegen nicht die dunklen Wärmestrahlen, welche von der Erde selbst ausgehen. Daher sind wir im Freien in derselben Lage, wie die Pflanzen in einem Treibhaus, das nach den gleichen Prinzipien gebaut ist, oder wie in einer Glasveranda. 19 (Zu S. 59). Man verbindet die Orte mit gleicher Temperatur durch Isothermen und verrät dadurch, daß die unter ewigem Eis bedeckten Länder westlich des Smith- sundes im Polarkontinent einen Jahresdurchschnitt von — 20'' C, der Sudan zwischen Chartum und Timbuktu eine Jahresisotherme von über 30*' Hitze hat. Die größten Temperaturextreme an einem Ort erlebt etwa Jakutsk in Sibirien, wo bei mittlerer Jahrestemperatur von — 11,2°, die mittlere Januartemperatur — 42,8°, die mittlere Julitemperatur aber -|- 18,8° beträgt. Übrigens hat auch Deutschland (z. B. Braun- schweig) immerhin noch eine Jahresschwankung von 49°. Das mittlere Maximum von Timbuktu als den heißesten Ort der Erde (nicht Arabien, wo Dschidda „nur" 40,8° erreicht) beträgt 47,4°. (Europa in Madrid 39,6°, übrigens Berlin noch 33,0°.) Das mittlere Temperaturminimum kulminiert mit Werchojansk in Sibirien mit — 63,9°. (Europa mit Moskau —30,5°, Berlin —15,4°.) Die größte Hitze im Schatten maß man am Roten Meer, in Zentralafrika, im Innern (Australiens und in Arizona, wo überall wiederholt 50° erlebt wurden. Die größte Kälte an der Jana in Sibirien, wo — 60° — 65° Kälte vorkommen, desgleichen am Bärensoo in Nordamerika ( — 58°). Vgl. van Bebber, Die Verteilung der Wärmeextreme über die Erdoberfläche (Petermann's Geograph. Mitteilungen 1893). 20 (Zu S. 59). Man täusche sich nicht darüber, daß es prinzipiell niemals gelingen kann, den absoluten Nullpunkt herzustellen, da dies doch nur in das Reich der extra- zoetischen Fiktionen gehört, so wie der Begriff absoluter Masse oder Zeit oder Raum. Abgeleitet wurde er aus dem Gay-Lussac^ sdntn Gesetz d. h. aus der Tatsache, daß sich die Spannung der Gase unabhängig von dem Druck mit jedem Grad Celsius um 1/273 ändert. Somit mußte die Spannung bei — 273° Null sein. Oder, da die „Span- nung" nur das Sammelwort für die Molekülstöße ist, müßten die Molekülbewegun- gen bei dieser Temperatur sistiert sein. Man kann diese Temperaturen daher nur an- nähern und hat dies auch durch Verdampfung von flüssigem Wasserstoff bis zu 16° absoluter Temperatur, also — 257° C getan. 21 (Zu S. 60). Es ist hierbei die Temperatur des Weltraumes mit 142^ unter Null angenommen nach dem Vorgange von Pouillet, der sie nach der Sternenstrah- lung, nämlich nach der Wärmemenge, schätzt, die mit Ausnahme der Sonne von den anderen Himmelskörpern zur Erde gelangt. Dieser Wert ist aber keineswegs sicher, und tatsächlich wissen wir über die Temperatur des Weltenraumes gar nichts Sicheres. 22 (Zu S. 61). Vgl. im besonderen /. Breuer und S. Freud, Studien über Hysterie. 3. Aufl. Wien 1913. — W. Fließ, Der Ablauf des Lebens. Grundlegung zur exakten Biologie. Wien 1906. — W. Fließ, Das Jahr im Lebendigen. Jena 1918. — O. Kam- merer, Das Gesetz der Serie. Stuttgart 1919. 23 (Zu S. 62), Conf. Koffka, Experimentaluntersuchungen zur Lehre vom Rhyth- mus. (Zeitschr. f. Psychologie, Bd. 52.) 24 (Zu S. 62). Behn, der deutsche Rhythmus und sein Gesetz. 1912. 25 (Zu S. 64, 65, 66). Vgl. W. Ostwald, Allgemeine Chemie, Bd. II. — Woher, Die Katalyse. I. 1910. — Älter auch: Bredig, Anorganische Fermente. 1910. — Vgl. auch C. Berthelot, Chemische Mechanik, gegründet auf Termochemie. 1879. 26 (Zu S. 68). Meine erste Publikation hierüber datiert vom Jahre 1917 (Mitteilun- gen des K. K. Techn. Versuchsamtes in Wien. 1917). Die Hauptarbeit ist: R. Franci, Die technischen Leistungen der Pflanzen. Leipzig (Vereinigung d. wissensch. Ver- leger) 1919. In gemeinverständlicher Form unter erweiterter Ableitung des Funk- tionsbegriffes behandelt in: Die Pflanze als Erfinder. Stuttgart (Kosmos) 1920. 7. Aufl. 27 (Zu S. 68). Vgl. W. Roux, Der züchtende Kampf der Teile oder die Teilaus- lese im Organismus. Leipzig 1881. — Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungs- mechanik der Organismen, I— II. Leipzig 1895. 126 28 (Zu S. 72). So entscheidet sich z. B. der Streit zwischen Roux und den Psycho- morphologen durch diese Einsicht auf die Weise, daß beide Teile recht haben, weil beide Teile etwas anderes meinen. Roax hat durchaus recht, wenn er bei funktio- neller Anpassung an das Gesetz der Funktionsformen denkt und wir {A. Pauly und ich) die seinerzeit die Polemik im Archiv für Entwicklungsmechanik und der Zeit- schrift für den Ausbau der Entwicklungslehre (1902) führten, hatten recht, weil uns die biologisch bedingten Anpassungen von autoteleologischem Charakter allein vor- schwebten. Daß Roux in dem von ihm angenommenen Sinne denkt, beweist er durch seine Lehre von der tropischen Wirkung des funktionellen Reizes. Er macht darin die „inneren" Zustände der Gewebe für die Hyperämie verantwortlich, welche das Ausführungsmittel solcher Umbauten ist. Er sagt demnach: Die Substanz, welche funktioniert, handelt selber. So gestaltet sich das Dauerfähige selbst. Und hält ganz logisch das teleologische Geschehen zugleich für das Mechanische. Mit anderen Wor- ten, er sieht sehr wohl, daß das Teleologische schon im mechanischen Gesetz darin stecken kann. Vgl. R. France, Funktionelle Selbstgestaltung und Psychomorphologie (Archiv f. Entwicklungsmechanik 1908). 29 (Zu S. 77). Vgl. hierzu Gurwitsch, Morphologie und Biologie der Zelle. 1904. — A. Meyer, Morphologische und physiologische Analyse der Zelle der Pflanzen und Tiere. Jena. 1. Teil. 1920. 30 (Zu S. 77). Vgl. O. Bütschll, Untersuchungen über mikroskopische Schäume und das Protoplasma. Leipzig. 1892. — R. Francö, Beiträge zur Morphologie und Phy- siologie des Scenedesmus. (Acta mus. Natur, hung. Budapest 1892). — M. Fayod, La structure du protoplasma vivant. (Revue gen. de Botanique 1891). — G. Entz, Die kontraktilen und elastischen Elemente der Vorticellinen. (Mathem. naturwiss. Berichte aus Ungarn 1892). — E, Altmann, Die Elementarorganismen und ihre Beziehungen zu den Zellen. Leipzig. 1890. Angesichts der für die gesamte Lebenserkenntnis enorm wichtigen Frage nach der wahren Struktur des Protoplasmas und der Elemen- tarorganismen kann die objektive Philosophie an dieser Frage nicht ohne ausgiebige Erörterung von ihrem Gesichtspunkt aus vorübergehen. 31 (Zu S. 79). Die hier vertretene Theorie der archiplastischen Metabolie ist in „Atome" von Einsicht zersprengt in der gesamten cytologischen Literatur vertreten. Allenthalben sieht man Abbildungen, auf denen alveoläre und fibrilläre Cytoplasma- teile nebeneinander beobachtet sind. A. Strasburger glaubte schon 1908 eine solche Metabolie beobachtet zu haben. Auch die Einsicht, daß die Chondriosomen (== Mito- chondrien) ihre Form nach der jeweiligen Zellbeanspruchung wechseln, geht durch die Literatur. Sichergestellt ist jedenfalls ihre Umbildung zu Spirillen in Spermien und zu Myofibrillen in Muskelzellen. Es gibt sogar stützende archiplastische Skelet- fasern als Zeichen, wie durchgängig das Gesetz der funktionellen Anpassung den cytoplasmatischen Bau bestimmt. Auch den Botanikern ist es durchaus geläufig, daß die Zellmembran ein Abdruck ihrer Funktionen sei. Die restlose Aufhellung der cytologischen Histologie wird aber natürlich erst dann gelingen, wenn die Funktionen (man denke an die Kernteile) der Elemente durchschaut sind, wovon man heute aber noch weit ent- fernt ist. 32 (Zu S. 80). Durch diese Studien sonderten sich namentlich neun Haupttypen für druckfeste Konstruktionen: L Typ von Surirella, IL Typ von Mastogloia, IIL Nitzschiatyp, IV. Eunotiatyp, V. Cymatopleuratyp, VI. Cratlculatyp, VII. Stauronelstyp, VIII. Pmnulariatyp, IX. Tip. von Fragilaria Harrisonii. Von diesen ist I der Durch- schnittsfall für normale Beanspruchung, Typ 11 für konstante Belastung geeignet, Typ III bis VII sind Spezialformen für besondere Druckverhäitnisse, Typ VIII für be- sonders große Formen konstruiert, Typ IX noch unverständlich. Einen Teil dieser Konstruktionseinrichtungen ahmt der Mensch bereits nach. So 127 die Herausnahme der Füllungen aus Wänden in der Baukunst oder die Kantenver- stärkungen in Form von Beschlägen bei Koffern und Kisten. Dieses eine etwas spezieller ausgeführte Beispiel möge ahnen lassen, mit welchem Reichtum an Vorbildern und Anregungen man bekannt wird, sobald man sich dem Sein mit dem Gedanken nähert, in ihm ein technisches Musterbuch zu sehen. 33 (Zu S. 83). Die genaueren Ausführungen dieses Gedankens sind der Inhalt einer objektiven Soziologie, welche im Rahmen des Gesamtwerkes der objektiven Philosophie auch vorgesehen ist. Vorstudien dazu enthält meine kleine Schrift: R. Franci, Der Weg zur Kultur. 2. Aufl. (11—15. Tausend) Prien. 1923. 34 (Zu S. 88). Vgl. V. Graber, Die äußeren mechanischen Werkzeuge der Wirbel- und der wirbellosen Tiere. Leipzig. 1886. I— II ein ausgezeichnetes Werk, das ge- radenwegs die Bahn zur Biotechnik einschlägt. Andere Vorläufer, die immer nur das Weltgesetzliche daran nicht erkannten, sind S. Schwendener, Das mechanische Prinzip im anatomischen Bau der Monokotylen, Leipzig 1874. — A. Dingler, Die Be- wegung der pflanzlichen Flugorgane 1889. — Kapp, Philosophie der Technik, Leip- zig, der die Biotechnik auf den Abweg des metaphysischen Begriffes der „Organ- projektion" führte. — Reulaux, Kinematik im Tierreiche, Braunschweig. 1900. H. V. Meyer, die Statik und Mechanik des menschlichen Knochengerüstes. Leipzig 1873. — O. Fischer, Kinematik organischer Gelenke. Braunschweig, 1907. Außerdem viele Abhandlungen von O. Thilo über Sperrgelenke bei Fischen, die das Vorbild des Valeschlosses sind. Man hat also zwei Menschenalter verstreichen lassen, ohne diese Erkenntnisse auch wirklich fruchtbar zu machen. 35 (Zu S. 90). Vgl. A. Pauly, Darwinismus und Lamarekismus. München 1906. — H. Driesch, die „Seele" als elementarer Naturfaktor. Leipzig 1904. — 36 (Zu S. 96). Näheres hierüber vgl. R. France, Das Leben der Pflanze. Bd. I— IL Stuttgart. 1921. 2. Aufl. 37 (Zu S. 99). Vgl. hierzu E.Klotz, Der Mensch, ein Vierfüßler. Leipzig. 1908. Ein beachtenswertes Werkchen, in dem der Verfasser den Beweis für eine notwen- dige organischere Art des Begattungsaktes liefert. 38 (Zu S. 101). Vgl. E. Fuld, Ober Veränderungen der Hinterbeinknochen von Hunden infolge Mangels der Vorderbeine. (Archiv f. Entwicklungsmechanik 1901.) 39 (Zu S. 102). Diese Konsequenz des biotechnischen Gedankens habe ich näher ausgeführt in meiner Abhandlung, R. Franci, Der Parasitismus als schöpferisches Prinzip. (Zentralblatt für Bakteriologie, Parasitenkunde und Infektionskrankheiten. Band 50. 1920.) 40 (Zu S. 111). Daher besagt auch der Einwand nichts, daß die Vorstufen des Men- schen kein elektrisches Licht, keine Klaviere, Automobile u. dgl. Erfindungen mehr hergestellt haben. Wer diesen Einwand vertritt, der hat darauf vergessen, daß jede Erfindung nur eine Anpassung, also die Befriedigung eines Bedürfnisses ist. Sie muß daher aus der Bedürfnislage heraus beurteilt werden; nur von da aus kann sie optimal gewertet und verstanden werden. So haben z. B. die Zweihufer (Pferde!) keine harten Hufeisen von Natur aus, und der Mensch muß durch den Hufbeschlag scheinbar einer Unvollkommenheit der technischen Leistungen des Plasmas nach- helfen. An diesem Beispiel ist die Sachlage besonders durchsichtig. Der Huf des Pferdes ist technisch vollkommen zulänglich in der Zoesis des Pferdes, nämlich auf dem weichen, rasenbedeckten Boden der Steppe, wo sich das Wildpferd aufhält. Wir haben es als Haustier in eine neue, unnatürliche Lebenssituation gebracht mit unserem Granitpflaster in den Städten und harten Landstraßen. Darum müssen wir seine natürlichen Anpassungen erweitern, können es aber — und das beachte man wohl! — wieder nur im Sinne der Biotechnik tun. Das Hufeisen ist eine Kopie des Hufes, nur aus härterem Material hergestellt. Einen Einwand gegen die Biotechnik machte man mir gelegentlich des Vortrages, den ich in der Technischen Hochschule in Dresden im Jahre 1920 über sie hielt: der 128 Organismus wende nirgends die technische Form des Rades an, obwohl dies oft in seiner Bedürfnislage gefordert sei. Demgegenüber ist zu sagen: die Organismen ver- wenden sehr wohl das Rad, das ja technisch nur eine Abart der Kugel ist, inden» sie die Funktion des Rollens ausüben. Es rollen auf den Steppen die kugelig, oft auch radförmig verschlungenen Sprosse der sogenannten Steppenhexen (z. B. Ra- pistrum perenne, der Windsbock) unter dem Winde dahin, dadurch für die Verbrei- tung der Pflanze sorgend. Auch Schnecken, Ammoniten, Foraminiferen (vgl. Abb. 58 in Bd. I) benützen die Radform aus allerdings noch undurchsichtigen Gründen, die sogar eine Biotechnik verwirklichen, von der der Mensch an seinen Rädern erst seit neuerer Zeit Gebrauch macht. Sie haben nämlich sämtlich zur Stützung ihres Rad- gehäuses gebogene Speichen, und damit einen statischen Vorteil, von dem der Mensch bei den Schwungrädern ebenfalls profitiert. Räder sind übrigens unter den pelagischen Lebewesen auch die Cyclotellen und Coscinodiscen; an den Pianorbis- schnecken des Süßwassers kann man beobachten, wie sie bei einer Störung ihre Rad- form verwerten und zum Schutz kopfüber in die Tiefe rollen. Nach E. Mach gibt es in der Natur keine rotierende Bewegung und angeblich auch keine natürliche Schraube und kein Zahnrad, weil das Rotieren die Aufhebung der Massenkontinuität zur Folge hat. Dieser Einwand beweist erstens, welch hohe Mei- nung Mach von der Technik der Natur haben mußte. Denn nur äußerste Geschwin- digkeiten der Rotation, die wir in unserer Technik gar nicht erreichen können, wür- den rotierende Gegenstände zerreißen. Außerdem ist das Fehlen der Rotation im Bio- technischen doch höchstens nur ein Beweis dessen, daß Rotieren keine optimale Tech- nik darstellt; derselbe Effekt kann mit geringerer Kraftanwendung erreicht werden, wie die Schwanzflosse der heterozerken Fische (Haie) beweist, durch deren Antrieb diese Tiere auch den Dampfern tagelang folgen können, weil deren Bewegung voll- kommen den gleichen Effekt bewirkt, wie die rotierenden Schiffsschrauben. Das gleiche gilt für den Vogelflügel, dessen Funktion dem Vogel den Vortrieb verleiht, der im Flugapparat durch eine oder mehrere Schrauben nachgeahmt und noch immer nicht erreicht wird. Außerdem ist endlich die Behauptung, der Organismus kenne keine Schraube und kein Zahnrad, auf Unkenntnis der Natur aufgebaut. Schrauben- förmige Spermatozoiden sind auf Abb. 20 dargestellt, und Sperrvorrichtungen, die auf dem Prinzip des Zahnrades beruhen, hat O. Thilo von Fischen beschrieben. Eines seiner Modelle ist im Münchner Deutschen Museum als vorläufiger Embryo von des- sen biotechnischer Abteilung aufgestellt. 41 (Zu S. 113). Vgl. hierzu K.Graeser, Der Zug der Vögel. Leipzig. II. Auflage. 42 (Zu S. 117). Vgl. H. V. HelmhoUz, Die Lehre von den Tonempfindungen. 5. Aufl. Braunschweig 1896. — Auch E. Waetzmann, Die Resonanztheorie des Hörens. Braunschweig. 1912. Auch in den abweichenden Theorien (Ewald's Schallbildtheorie) leugnet man nicht die Grundlage des biozentrischen Selektivhörens, auf das es in un- serem Gedankengang allein ankommt. 43 (Zu S. 96 und 118). Solche Untersuchungen liegen vor von A. Wagner, Über die Anpassungsfähigkeit von Myriophyllum verticillatum (Ztschr. f. A. d. Entw. 1909), von mir selbst R. France, Die gamotropen Bewegungen von Parnassia palu- stris (Zeitschrift f. d. Ausbau d. Entwicklungslehre 1908). Vgl. auch E.Ungerer, Die Regulationen der Pflanze. Ein System der teleolog. Begriffe. Berlin 1919. 44 (Zu S. 120). Aristoteles nennt Entelechie das Formungsprinzip, schlechthin die Verwirklichung von Zwecken, wodurch er klar zu erkennen gibt, daß ihm das Teleo- logische in der gesamten Weltgestaltung klar bewußt war. Entelechie ist ihm daher auch die Gestaltungsseele des Leibes. Vgl. H. Driesch, Die „Seele" als elementarer Naturfaktor. Leipzig 1904. — Philosophie des Organischen. Leipzig 1— II. 1909. — Wirklichkeitslehre. Leipzig 1917. 45 (Zu S. 120). Dies tut namentlich K. Jelllnek in seinem äußerst kenntnisreichen Buch: Das Weltengeheimnis. Stuttgart. 1921. Franci, Bios 11 ' 129 46 (Zu S. 120). Vgl. dazu die Abhandlung: A. Schopenhauer, Ober den Willen in der Natur, in den Schriften der Naturphilosophie und Ethik von 1854. Vgl. auch den Abschnitt: Objektivation des Willens im tierischen Organismus, in den Ergän- zungen zum zweiten Buch der W. a. W. u. V. und Kap. 23: Über die Objektivation des Willens in der erkenntnislosen Natur. 47 (Zu S. 121). S.R.Franci, Zoesis. Eine Einführung in die Gesetze der Welt (München 1920) und als Bestätigung des Kernsatzes dieser Schrift, die nur eine Er- weiterung meines auf dem Jahrestag der Schopenhauer-Gesellschaft in der Dresdner Technischen Hochschule gehaltenen Vortrages ist: /. Petzold, Die Stellung der Rela- tivitätstheorie in der geistigen Entwicklung der Menschheit. Dresden 1921, wo in Abschnitt 34 ganz im Einklang mit mir die Forderung gewollter „invarianter Natur- gesetze" aufgestellt, in Abschnitt 35 der mir am meisten am Herzen liegende Punkt zugegeben wird, daß sich durch die neuere Physik diese der Physiologie annähert, also biologisiert wird (S. 121). Und ganz folgerichtig zieht hieraus Petzoldt die Konsequenz, daß aus dieser Verknüpfung der unbegründete Gegensatz von Natur- und Geisteswissenschaften überwunden werden wird. Das Qesestz des Optimums Definition der Mechanik — Die Gesetze der Mechanik — Das Träe^heitsprmziD — Das Kräfteparallelogramm — Die Theorie der komplexen Systeme — Bedeutung der Mechanik — Feststellung der optimalen Seinsarten — Geologie als Mechanik der Gesteine — Strategie als Mechanik von Menschenmassen — Volkswirtschaft als Me- chanik des Waren- und Geldverkehrs — Mechanik als Regellehre aller Systembezie- hungen (Panmechanik) — Darstellung des Optimumgesetzes mit seinen Konsequenzen der Selektion und des kleinsten Kraftmaßes — Definition und Geschichte des Opti- mumgesetzes — Alle Prozesse des Organismus verlaufen optimoklin — Die Tropis* men und Reflexe als optimokline Reaktionen — Intellekt und Gehirn als Mittel zur Erreichung des Optimums — Denken als biologische Funktion — Das neue Weltver- ständnis der objektiven Philosophie — Optimoklines Geschehen im Anorganischen — Optimokline Bewegung — Das Optimumgesetz in der Talentwicklung, im freien Fall, in der Erosion — Das Optimum im Lachambre'schen Reflexionsversuch — Die Transmutation als Mittel des optimoklinen Geschehens — Der Kosmos kennt nur Kreislaufprozesse — Kritik des Begriffs der schöpferischen Entwicklung — Fehlen der schöpferischen Entwicklung in der Klimatologie, in der Geologie, in der Geoge- nesis — Die populären Ansichten vom Stammbaum des Lebens — Die populäre Ent- wicklungslehre — Kritik dieser Lehren — Die Kräfte der Erdumgestaltung sind konstant — Abbrechende Entwicklungen in der Vulkanbildung und Verlandung der Seen — Der Begriff der Kumulation an Stelle der Entwicklung — Kritik der biologischen Ent- wicklung — Die ontogenetische Entwicklung als Entfaltungsprozeß — Entfaltung des Menscheneies — Der Wechsel der Generationen in der Ontogenie — Generations- wechsel bei Pflanzen — Erklärung der Zellteilung als Knospung — Zurechtbestehen der Abstammungslehre — Entstehen und Kritik der Mutationen — Bedeutung der Vererbung — Das Mendelgesetz als Regler der Vererbung — Die Vererbung erwor- bener Eigenschaften als Tatsache — Die Beweise der Abstammungslehre — Der ge- netische Zusammenhang des Menschen mit den Tieren — Definition und Ursachen der Menschwerdung — Die biologische Funktion des Menschengeistes ist die Schaf- fung einer Zivilisation — Übereinstimmung mit H. Vaihinger — Die objektive Phi- losophie als Mittel zum Optimum der Menschwerdung — Die Kultur als übergeord- nete Stufe der Zivilisation — Die Welt als konstantes System von Transmutationen — Konkordanz der Ontogenie, Phylogenie und Regeneration — Die Gesetze der Re- generationen — Umkehrung der Entwicklung — Entwicklung als Ausgleichvorgang — Die Fortpflanzung als optimokline Geschehensart — Die Gesetze der vegetativen und sexuellen Fortpflanzung — Die neue Auffassung der Fortpflanzung — Erklärung der Parthenogenesis — Die Sexualität als optimokliner Faktor — Lob der Geschlechts- liebe als Mittel, um zum Optimum zu kommen — Ursache des Aussterbens der Arten — Kritik der Anpassungs- und Organisationsmerkmale — Zusammenfassung der Ent- wicklungserscheinungen als Äußerungen des Optimumgesetzes — Kritik der H. Spcn- 131 c^r'schen Entwicklungsphilosophie — Die Baer^sche Formel als Ausdruck optimokli- nen Geschehens — Auch Spencer faßt Entwicklung nur als optimokline Entfaltung des Weltsystems auf — Zusätze und Anmerkungen. Ich schlage vor, einen Augenblick stehen zu bleiben und zurückzublicken. Was ist, dem Streit der Meinungen entrückt, als das Wesen dessen erkannt, was als Weltbild in unser Erleben jeden Augenblick tritt? Die Welt ist eine Stufenleiter von Integrationsstufen, deren große Gliede- rung etwa durch die Begriffe: Materie, belebte Materie, Psyche, Kultur, Kosmos, Bios bestimmt wird. Freilich sind das nur die Protagonisten eines unendlich getürmten Systems von Integrationen, die das Sein durch ihre Funktionen, gemeinhin Eigenschaften genannt, festlegen. Die Natur und Vielheit dieser Funktionen unterliegt bestimmten Regelungen der Zu- sammenhänge, von denen sich alle denjenigen unterordnen, welche die Erhaltung des Seins, im besonderen die Erhaltung der Materie und der Energie bewirken. Das ist der ganze Sinn des physikalischen und des chemischen Geschehens. Die Funktionen sind also der Ausdruck eines Ge- schehens, und dieses Geschehen ist nicht erfolglos. Sein Resultat kann nur ein einziges sein. Wir sehen es auch stündlich vor Augen. Es ist die Erhaltung des Seins, die Dauer der Welt. Dem dient nun das gesamte, ganz unaussprechlich verwickelte Getriebe der physikalisch-chemischen Gesetze, dessen rein beschreibende Darstellung man in den gemeinbekannten Lehrbüchern finden kann, wobei das biologische Geschehen keine Ausnahme bildet, sondern nur Chemophysik in der be- stimmten, sattsam erörterten teleologischen Konstellation ist, von der das Geistes- und Kulturleben die uns bewußt gewordene Anwendung bildet.*») Man darf also den Begriff weiter fassen und sagen: das Weltgeschehen wird von uns in Formen erlebt, die seine Dauer bewirken. Es vollzieht sich nämlich in fortwährenden Kreisläufen, in einer immer wiederkehren- den Verkettung von Beziehungen, die eben ihrer Regelmäßigkeit halber mathematisch faßbar ist*), und die Gesetze der Mechanik genannt wird. Die Mechanik regelt im weiten Bereich des Erlebens die Beziehungen zwischen Form und Funktion (Sein und Geschehen) und ist eine allgemeine Beziehungslehre. In der Schuldefinition, daß sie die Lehre vom Gleichgewicht und der Bewegung der Körper sei, steckt schon insofern das Richtige, als Gleich- gewicht nur eine bestimmte, nämlich eine optimale Beziehung der Körper, beziehungsweise der Bewegungen gegeneinander ist. Und sie braucht nur insofern eine Erweiterung, als die Anwendung auf Körper nur eine ihrem Wesen nach ganz ungerechtfertigte Beschränkung einer mathematischen, also jeder Abstraktion fähigen Wissenschaft ist. Wer sich bei dieser Sach- *) Mathematisch = das zahlenmäßig Faßbare. 132 läge die Gesetze der Welt klar machen will, muß demnach die Gesetze der Mechanik kennen lernen, denn sein Erleben wird von ihnen geordnet. Als ihr Grundgesetz und gleichzeitig als den einzigen Erfahrungssatz, der ihr zugrunde liegt, hat Heinrich Hertz^^) den Satz herausgeschält, daß überall da, wo zwei Körper demselben System angehören, die Bewegungen des einen durch die Bewegungen des andern mitbestimmt sind. Es sind demnach Gesetzesbeziehungen zwischen Teilen, welche durch sie näher aus- gedrückt sind. Und diese Teile werden von ihr in den Begriff System ge- faßt, der zunächst nichts anderes umschreiben soll als eine Summe von Teilen, die in irgendeinem Zusammenhange stehen. Jeder Vorgang ist nichts anderes als eine Verschiebung in den Beziehungen dieser Teile. Jedes System und jeder Vorgang ist durch andere Systeme und Vorgänge bedingt. Mit anderen Worten: alles steht unter gesetzmäßigen Zusammenhängen. Die wichtigsten drei dieser Gesetzeszusammenhänge hat schon Newton erkannt und als die wesentlichen Sätze, die Prinzipe bezeichnet.") Es sind das bekanntlich das Prinzip der Trägheit, das des Kräfteparallelogramms und das von Actio et Reactio, d. h. von der Gleichheit der Wirkung und Gegenwirkung. Hierzu gesellte Robert Mayer dann noch den Satz von der Erhaltung der Energie, und als Ableitungen aus diesen vier großen Haupt- gesetzen erkannte man noch die Prinzipe von der Bewegung des Schwer- punktes, den Flächensatz, ohne den die Astronomie nicht auszukommen vermag, jenen der virtuellen Verschiebung, den Satz vom kleinsten Zwang und kleinsten Kraftaufwand, das D'Alembert'scht und das Hamilton'sche Prinzip, welche aber alle teilweise sich decken und nur verschiedene For- mulierungen desselben Gesetzes sind. Das ist das gesamte Um und Auf der Mechanik. Von diesen ist das Trägheitsprinzip oder das der Beharrung nichts an- deres als das Seinsgesetz, in die physikalische Fachsprache übersetzt, wo es dann folgendermaßen klingt: Ein Körper behält seine Geschwindigkeit nach Größe und Richtung unverändert bei, solange keine Kraft auf ihn wirkt. Mit anderen Worten: A ohne Änderung bleibt A. Das Prinzip der Gleichheit von Wirkung und Gegenwirkung ist ohne weitere Erörterung verständlich, während das Kräfteparallelogramm nichts als die Konstatie- rung der Tatsache enthält, daß, wenn ein Körper gleichzeitig die Geschwin- digkeit AB und AC besitzt, er durch diese beiden nach AD gelangt. Mit anderen Worten: er beschreibt den unter den gegebenen Verhältnissen möglichst vorteilhaften, kurz ausgedrückt, den optimalen Weg. Daß dem 133 so ist, wurde den Menschen schon von je klar, z. B. als sie durch Anwen- dung dieses Gesetzes die günstige Flugbahn eines Geschosses (seine opti- male, ballistische Kurve) ermittelten; was aber bisher noch von niemandem bemerkt wurde, das war die Tatsache, daß Im Satz vom Kräfteparallelo- gramm eine Anerkennung des Optimumgesetzes steckt als einer grund- legenden Tatsache des Naturgeschehens. Letzten Endes aber ist es auch wieder nur eine Folgerung aus dem Träg- heitssatze, da es doch nichts anderes besagt, als daß jedes freie System in seinen Bewegungen einer Gleichgewichtslage zustrebt, die dafür den Aus- gleich darstellt. Dieses Gleichgewicht ist aber die günstigste unter allen in der betreffenden Sachlage möglichen Situationen, d. h. ihr Optimum. Zu- gleich jedoch ist es die Tendenz zur Restitution des Ursprünglichen, also der Ausgleich aus den Widerständen, welche die Beharrung den neuen, angreifenden Kräften entgegensetzt. Die Mechanik betritt mit dieser Ein- sicht nur den Weg, den auch die objektive Philosophie eingeschlagen hat, als sie in der Analyse des Seinsgesetzes unter anderem auch das Optimums- gesetz fand. In diesen Punkten würden weitere Erörterungen nur offene Türen ein- rennen. Ganz anders jedoch, wenn wir nun daran gehen, die Bedeutung dieser mechanischen Gesetze für das Verständnis des Weltphänomens ein- gehender zu untersuchen. Hat nämlich schon Hertz, ausgehend von seiner Massedefinition (Masse hat nur das Merkmal eindeutiger raumzeitlicher Bestimmtheit), alle Naturerscheinungen auf Bewegungen materieller Systeme zurückgeführt und damit dem Sinn von „Erklärung" den neuen Wert ge- geben, daß eine Erscheinung dann als erklärt gelten könne, wenn man sie durch Bewegungsgleichungen darstellen könne, so ist damit doch noch nicht der höchste Wert dieser Zusammenhangsätze erreicht. Es wäre eigentlich der nackte und absolute Materialismus, den zuerst Descartes auch unverhohlen aussprach, und der dann eben von Lagrange, Kirchhoff, Helmholtz und Hertz als seinen Heroen auf seine denkbar schärfste Formel gebracht wurde, daß durch die Mechanik eine einheitliche Naturerklärung möglich sei. Als Letztes der Natur gelten für sie die Massen- punkte der Systeme und die in Bewegungsgleichungen auflösbaren Zu- sammenhänge, denen sie unterliegen. Die gesamte Naturwissenschaft wurde dadurch zur angewandten Mechanik. Dadurch waren Natur und Naturwis- senschaft auf das schärfste umgrenzt und wie durch eine unübersteigbare Mauer vom Geistesleben und den Geisteswissenschaften abgeschlossen. Jener der Kultur so überaus schädliche Zustand war damit hergestellt, der die materialistisch-mechanistisch gesinnten Naturforscher selbstzufrieden auf ihren Erfolgen ruhen ließ, wenn eine Erscheinung auf mathematische For- meln zurückgeführt war, und sie den seelischen Erscheinungen, ja auch nur den teleologischen Zusammenhängen gegenüber mit dem Gefühl der Pflichterfüllung erklären ließ, ihre Beachtung und Erforschung lehnen wir 134 ab, „das ist nicht unser Fach", denn das ist nicht Naturwissenschaft. Und dabei war es schon vor einem Menschenalter W. Wandt in seiner Logik klar, daß die mechanischen Gesetze selbst, s. z. B. das von der Erhaltung der Energie, teleologisch seien, weil ja, wie er sich ausdrückt, „der Ge- danke der Erhaltung schon notwendig den des Zweckes in sich schließt", eine Teleologie, die übrigens ebenso auch für das Kräfteparallelogramm (s. die obige Formulierung) oder das HamlUon'szht Prinzip, beziehungs- weise das des kleinsten Kraftmaßes gilt. Der Zweck, die Teleologie aus der Naturwissenschaft auszuschließen, war also ohnedies nicht erreicht. Das alles kam von der völlig willkürlichen Einschränkung der Mechanik auf Systeme von Massenpunkten, die zur Einengung des Naturbegriffes auf solche materielle Systeme führte. Man merkte gar nicht das in den vor- stehenden Zeilen wiederholt und als selbstverständlich Betonte, daß die mechanischen Gesetze nicht bloß die „Punktsysteme'^ regieren, sondern eine Zusammenhangslehre allgemeinster Art sind. Alle Systeme, seien sie nun homogener oder komplexer Natur, also alle Mannigfaltigkeiten und Vielheiten von Teilen werden durch sie in ihrem Bestände gesichert. Das gilt für alles, was sich als Vielheit fassen läßt, vor allem auch für die menschlichen Vorstellungen. Aus der Biozentrik heraus muß schon diese Regelung aller Zusammenhänge anerkannt, und die Gültigkeit der Mecha- nik als einer Panmechanik auch für die Geisteswissenschaften angenommen werden. Nur mißverstehe man mich nicht. Wir haben keine andere Möglichkeit, die Besonderheiten von komplexen Systemen, genauer ausgedrückt, den Begriff des Seins anders zu erfassen, als durch das Trägheits-, Kreislauf-, Funktions-, Optimum-, Wechselwirkung-, kleinstes Kraftmaß- usf. Prinzip und sind daher gezwungen, sie einheitlich auf unsere seelischen Leistungen und natürlichen Erfahrungen anzuwenden, wenn sich beide decken und reibungslos aufeinander anwenden lassen sollen. In der Beschaffenheit unseres Intellekts ist diese Mechanik begründet; er, der auch die Lebens- erfahrung aus dem Komplex des „Seienden" so selektiert, daß nur mecha- nisch geordnete, komplexe Systeme für uns erkennbar sind, funktioniert auch als Schöpfer nur nach seinem, nämlich nach dem Gesetz der Mechanik. Das ist ein Schritt über Hertz und Mach hinaus, und er kann nicht getan werden ohne eine Schleppe weitreichender und in die gesamte Kultur ein- greifender Folgen. Denn auf einmal ordnen sich nun lange Reihen von Be- griffen verständlich, aber in neuer Ordnung. Denn, wenn die Mechanik der Moleküle das ist, was man gemeinhin Physik nennt, so ist die Mechanik des Atombegriffs der Umfang der Chemie als eines Teiles der Physik. Mechanik der Schichten liefert die Tektonik, Mechanik der Raumgitterelemente ist die Kristallotik, Mechanik der Himmelskörper ist Astronomie, Mechanik der Zahlen ist Mathematik, Mechanik der Soldaten ist Strategie und Taktik, die der Menschenmasse die eigentliche Staatswissenschaft; Mechanik der Ge- 135 danken heißt Logik, die der Rechtsbegriffe ist Jurisprudenz, die des Geldes ist Wirtschaftslehre, die der Töne ist Musik. Eine Panmechanik ist der Weltprozeß. Natürlich gehen alle die genannten Kulturleistungen und Naturwissen- schaften über die bloße Verwirklichung der mechanischen Prinzipe hinaus, aber den Weltgesetzen entsprechen sie — und das ist es, worauf es mir ankommt — nur so weit, als sie Mechanik in sich enthalten. Und so weit sind sie auch mathematisch faßbar.*) ^o) Sie alle handeln so wie alles Lebende. Sie wenden selbst Mechanik an, um ihr Dasein dem Optimum näher zu führen. Und mitten unter ihnen tut das auch der Mensch. Es haben eben nicht bloß die Organismen ihre „Biotechnik^^ , sondern auch er hat seine Technik; nicht nur sie haben teleologisch geregelte Antworts- reaktionen auf ihre Sinneswahrnehmungen, sondern auch er hat seinen Ver- stand; nicht nur sie haben Gemeinschaften und Künste, sondern auch er hat sein Staatsleben und seine Zivilisation. Aber alle Leistungen bei Zelle, Pflanze, Tier und Mensch sind unterworfen den großen mechanischen Gesetzen, die ihnen Wirkung und Dauer sichern, wenn sie befolgt werden, sie aber der Zerreibung und Haltlosigkeit ausliefern, wenn eine Vielheit sich anders zu regeln versuchte, als nach diesem Zusammenhangsschema, das nicht deswegen wirkt, weil es gut ist, sondern das eben die einzige Möglichkeit ist, durch die eine gute Wirkung zustande kommen kann. Da ist ein großer gemeinschaftlicher Gesichtspunkt gewonnen, unter dem Natur und Kultur zur Einheit zusammenfließt und durch den die uralte, dem Optimum des Menschen unsagbar schädliche Trennung und das Sich- nichtkennen und Nichtverstehen von Natur- und Geisteswissenschaften end- lich einmal einer objektiven einheitlichen Betrachtungsweise weicht. Eine neue biozentrische Einstellung für "das Erleben (eine biozeritrische Kultur- wissenschaft) ersteht damit, wie sie Comte und Spencer, Häckel und auch Spengler neuestens^i) wohl geahnt und angestrebt haben, die aber bisher nur geringe Überzeugungskraft besaß, weil sie nur auf Ähnlichkeiten, auf Analogien, nicht aber auf zwingender Logik aufgebaut war. Es ist etwas *) Eingesehen hat man das für Naturwissenschaften längst und, seitdem Laplace seine berühmte Micanique Celeste geschaffen hat, wurde es immer mehr das ausge- sprochene Ideal aller Naturwissenschaftler, in ihrer Disziplin so viel Mechanik und Mathematik als nur möglich anwenden zu können. Man schwelgte in den Begriffen Entwicklungsmechanik und Mechanismus des Lebens, auch Mechanismus des Geistes- lebens bis zur völligen Verkennung dessen, daß alle Mechanik in dem Maße mehr unter der Herrschaft biologischer Beziehungen steht, als die Komplexe, die von ihr geregelt werden, mehr Analogien zum Menschen aufweisen. Man hatte sich dermaßen hineingedacht in eine Maschinentheorie des Lebens, daß es H. Driesch und seinen Bundesgenossen einen langen und zähen Kampf kostete, ihre Zeitgenossen zu über- zeugen, daß die lebenden Maschinen nicht bloß mechanischen Gesetzen folgen, son- dern auch durch teleologische Zusammenhänge geregelt sind. 136 Abb. 52. Modell zur Erklärung der Faltung der Gesteinsschichten Jura- und Kreideschichten sind in Hauptdolomit einge- faltet und bilden eine „Mulde"; im hinteren Teil des Modells bilden die „Raiblerschichten" einen „Sattel", der auf dem Wettersteinkalk aufliegt. (Vgl. Abb. 54.) Original im Deutschen Museum zu München Abb. 53. Die verworfenen Schollen der Abbildung 54 sind durch die Erosion zer- schnitten Original im Deutschen Museum zu München Abb. 52—54. Die Entstehung des Qebirgsreliefs in den vier Phasen der Schichtung, Faltung, Verwerfung und Erodierung Abb. 54. Verwerfung von Gesteinsschichten in der Längs- und Querrichtung An der Quervervverfung ist im linken Bild die Scholle B in die Tiefe gesunken (vgl. da/u Abb. 5J. die du gleiche Sachlage ohne Verwerfung darstellt). Original im Deutschen Museum /u München Abb. 55. Die Erscheinungen der Gebirgsabtragung: Zerklüftung, Grat- und Grat- turmbildung, Entstehung von Kaminen, Schuttreißen, Aussiebung des Gerölles, Selektion der Gipfel, Talbildung Motiv aus der Palagruppe in den Südalpen. Der Campanile di Val di Roda von der Croda da Pala. Originalaufnahme ganz anderes, wenn es heißt, die Staaten der Tiere sollen unser Vorbild sein, denn wir sind doch auch eine Tiergattung, wie im besten Fall die Argumentation der Genannten lautet, als wenn die Formel so gestellt wird: Dem einheitlichen Gesetz, nach dem allein wir leben können, müssen auch unsere Werke folgen, sollen sie nicht in stetem Gegensatz und Rei- bung zur gesamten übrigen Welt stehen und dadurch zu einer Quelle der Disharmonie werden, die unsere Gesamtleistung mindert. Man muß also die Weltgesetze erforschen, um die Gesetze unserer Werke ihnen angleichen zu können! In der Sprache der Mechanik gesagt: der Teil eines Systems muß sich, wenn er sich nicht in seinem System zerreiben soll, den Gesetzen dieses Ganzen einordnen. Oder in der Spruchweisheit der objektiven Philosophie wieder als der Satz, mit dem ich die Menschheit allerorten ständig um- stellen möchte, den man an jedem Rathaus und Parlament, an jeder Schule und jeder Kirche und an jedem Vergnügungsort anbringen sollte: Man kann nicht richtig leben, wenn man die Gesetze der Welt nicht kennt. Diese neue Kulturwissenschaft wird genau so, wie sie Maschinen der Orga- nismen und Maschinen der Menschen miteinander verglichen hat, auch dazu kommen, die Leistungen der Pflanzen, Tiere und Menschen in der Organi- sation von Vielheiten, im ethischen Verhalten, in der Gesamtlebenseinrich- tung miteinander zu vergleichen, nicht wie etwa naives Mißverständnis glauben kann, damit der Mensch die Tiere nachahme, sondern um festzu- stellen, ob es verschiedene Methoden darin gibt, und wenn ja, welche von diesen die optimale ist. Diese Arbeit ist nun freilich nicht die Aufgabe eines Werkes, das der Feststellung der Weltgesetze gewidmet ist — handelt es sich doch dabei nur um die Anwendung dieser Gesetze auf die kulturellen Leistungen — es gehört daher in den Komplex, den ich in diesem Werke wiederholt mit dem Namen: Gesetze des Schaffens umgrenzt habe. Freilich, die Wissen- schaft der nach uns Kommenden wird nicht umhin können, die natur- und die menschengeschaffenen Werke gleich einheitlich und untrennbar zu be- handeln, und wird die Trennungslinie Natur- und Geisteswissenschaft eben- so auslöschen, wie unser Geschlecht die Scheidewände zwischen dem Tier- und Pflanzenreich niedergerissen hat. Wir aber, die wir erst die Methoden des neuen Denkens feststellen, können das noch nicht vollziehen, ohne die Geister zu verwirren. Denn noch sind sie spezialisiert, und tatsächlich würde ein erheblicher Teil der philologisch-historisch Gebildeten die Sprache der Naturdinge in unseren Ausführungen nicht verstehen, wohl auch um- gekehrt. Diese rein wirkungspädagogische Erwägung hindert mich daran, hier nun, wie es eigentlich vom logischen Fluß der Gedanken gefordert würde, in einen Beweisgang einzutreten, der nacheinander an den Verbin- dungen der Atome, den Faltungen, den Sätteln, Mulden, Synklinalen, an überkippten, geschleppten und verworfenen Gesteinsschichten (Abb. 52/54) 137 Abb. 56. Die Wage zeigt an, daß die gleiche Masse oben im Hause ein anderes Gewicht besitzt als unten im Keller (Jolly'scher Ver- such). Dadurch ergibt sich bei einer Höhendifferenz von 5,3 m und 1 kg Gewicht bereits 1,51 Milligramm Differenz als Zeichen des- sen, daß jedes Gewicht vom Ort abhängig, also relativ ist. Durch das Anbringen einer Bleikugel unter dem untern Gewicht läßt sich dieses noch vermehren. Das Gewicht ist also auch von der Umwelt abhängig. Relativität der Schwerkraft (Nach Graetz.) die mechanischen Grund- gesetze von Masse, Träg- heit, Wechselwirkung, der Erhaltung der Energie usw. zeigt und dadurch beweist, daß die großen Sätze der Tektonik und der Stereo- chemie nichts anderes denn die mechanischen Prin- zipi'in angewandt auf die Atome und Gesteine sind. So wie der Identitätssatz der Mathematik (a = a), die Gleichungstransforma- tionen, die Tatsachen der Gravitation am Himmel, die von Newton gelöste Auf- gabe des Jak. Bernouilli über die Brachistochrone, d. h. die Linie der kürze- sten Fallzeit, nichts als an- dere Ausdrucksformen der mechanischen Weltgesetze sind. Wenn Napoleon in sei- ner Kriegführung das Prin- zip zum Siege brachte und es bei Austerlitz und Wag- ram ebenso glänzend be- wies wie durch sein spä- teres Versagen und die Nie- derlagen von Leipzig und Waterloo, die so, wenn auch in negativem Sinn, bestätigen, daß man mög- lichst starke Massen dem Feind gegenüberstellen muß, ein Sieg nur durch Anwendung aktiver Ener- gie, nämlich durch eine Offensive zu erringen sei, so tat er mit dieser be währten und darum seitdem in die gesamte Kriegführung übergegangenen Strategie nichts anderes, als daß er dem mechanischen Weltgesetz auf seinem Gebiet zum Durchbruch verhalf, eine Denkungsart, die bei der Er- 138 örterung der Hlndenburg^ sehen Zangentaktik gelegentlich der Schlacht von Tannenberg bis in das letzte deutsche Dörfchen drang. Natürlich hat die Kriegführung, genau so wie jede andere „Schule", auch eine Fülle von Prinzipien hervorgebracht und erprobt, die sich mit den mechanischen Ge- setzen nicht decken.*) Sie hat zur Zeit der Lenkung der deutschen Reichs- kriege durch den Wiener Hof die Institution des Reichskriegsrates ins Leben gerufen, der taktische Fragen brieflich entschied. Und sie hat natür- lich damit die Erfahrung gemacht, daß Österreich Jahrhunderte hindurch sprichwörtlich immer besiegt und der Begriff Reichskriegsrat zum Gegen- stand des Gespöttes wurde. Oder sie hat im byzantinischen Spätreich den Männern die Waffenübung, also die Energieentfaltung, untersagt und bei dem Türkeneinfall dennoch geglaubt, Energie entfalten zu können. Tat- sächlich haben dann die Männer von Byzanz Weiberkleider angezogen, um nicht kämpfen zu müssen. Wenn die klassische Nationalökonomie von dem freien Spiel natürlicher Gesetze das Optimum und die Harmonie aller wirtschaftlichen Interessen erwartet und wenn sich dieser „Manchesterschule" Fr. Lists System der nationalen Wirtschaft und die sozialistische Theorie mit dem Glauben gegenübergestellt haben, daß die Rechtsordnung nicht das Ergebnis freien naturgesetzlichen Kräftespiels sei^^), so läßt sich hierüber der Entscheid innerhalb der Volkswirtschaftslehre niemals fällen. Denn objektiver Richter darüber ist allein die Wirklichkeit der Welt: das Sein, wie es sich gefügt hat. Die „nationale Absperrung" trägt stets den Todeskeim alles wirtschaft- lichen Gedeihens, die Kriegsdrohung in sich, und die willkürliche „Rechts- ordnung" des rein marxistisch regierten Sowjetrußland führte zum vollen Gegensatz jedes Wirtschaftsgedeihens. Beide nationalökonomischen Rich- tungen können sich aber auch auf keines der Weltgesetze stützen, als deren Vollstrecker sie sich fühlen; ihre Stützen sind die Doktrinen Hegels, der mit vollem Bewußtsein die Unabhängigkeit des Menschen von der Welt proklamiert. Man untersuche die Wege des Waren- und Geldverkehrs auf die in ihnen am wirksamsten sich äußernden Prinzipien, und man wird die Anziehungs- kraft der großen Zentren, das Bestreben den kürzesten Weg einzuschlagen, den Austausch von Wirkung und Gegenwirkung, die raumzeitliche Einord- nung als typischen Weg, bei widerstrebenden Einflüssen den des Kräfte- parallelogramms, kurz alle Prinzipien der Mechanik darin wiederfinden. Ein Kaufmann versuche ihnen entgegenzuarbeiten, er versuche nur, nicht in •) Die logischen Anwendungen der Mechanik auf allen Gebieten menschlicher Be- tätigung sind noch niemals systematisch durchdacht worden. Es fehlt daher, bevor dies geschieht, an dem praktischen Beweismaterial, daß nur die Verwirklichung der Weltgesetze das Haltbare und Gesicherte an den wissenschaftlichen und künstleri- schen Behauptungen bedeutet, so naheliegend und selbstverständlich dieser Satz einem einsichtigen Kopfe auch sein mag. 139 allem den Weg des geringsten Widerstandes, nicht den der Maximalarbeit, des Gesetzes von Actio und Reactio (es ist der des do ut des) einzuschla- gen, und seine Bilanz wird ihn auf das Nachhaltigste belehren, wie viel Ursache er hat, sich auf das Genaueste mit den Weltgesetzen vertraut zu machen, die von seinem Standpunkt aus nichts als eine optimale Anleitung sind zur besten Art, Geschäfte zu machen. In eine vollständige Analyse der Zivilisation müßten diese Gedanken münden, wollte man mehr tun als nur gerade auf sie hindeuten, und schon dadurch würde ihre Erörterung den wahren Zweck dieses Werkes zerstören.^^) Was hier vorläufig genügt, das ist, gezeigt und auch verständlich gemacht zu haben, daß die Weltvorstellung, der Bios, ein komplexes System ist, in dem im Großen ebenfalls dieselben Beziehungsregelungen herrschen, wie in dem so gut durchforschten komplexen System der materiellen Punktsysteme. Nicht die „Welt" ist Mechanik, sondern Mechanik ist nur die Regelung der Weltfunktionen vom Kleinsten bis ins Größte auf allen Integrations- stufen. Daher können mechanische Gesetze auch niemals etwas über die Weltursache, die Ursache der Erscheinungen aussagen, wie der Materialis- mus fälschlich geglaubt hat. Die mechanischen Gesetze sind vielmehr nur Aussagen über unser Innengesetz, das durch Mechanik umschrieben wird und die Ursache ist, warum alles nur in diesen Formen erlebt und ge- schaffen wird. Alle bekannten sechs Gruppen seelischer Erlebnisse: Emp- finden, Vorstellen, Denken, Fühlen, Triebe und Wollen und die aus ihnen hervorgehenden Leistungen sind nur Zustände eines Ichs, dessen Funktio- nieren in der durch die mechanischen Gesetze normierten Weise vor sich geht. Diese Erkenntnis ist der sichere Weg, um „weltgemäß" (die theo- logische Anschauung würde sagen: gottgefällig, d. h. reibungslos) leben zu können. In der Theorie der komplexen Systeme liegt der Schlüssel, damit der Mensch sein erlebtes Sein vollständig erfüllen lerne, daß er ganz der werden kann, der er eigentlich ist. Damit schließt erst endgültig die Analyse des Funktionsgesetzes, und die letzten Perspektiven bis zum Rande dessen, was uns als Welterkenntnis zu- gänglich ist, tun sich auf. Das Problem der objektiven Philosophie hat nach den vorangegangenen Erörterungen damit die folgende Form: Die einzige haltbare Erfahrungsgrundlage ist, daß unser Erleben (Welt- bild) aus verschiedenartigen Teilen aufgebaut ist. Es ist ein komplexes System. Es gibt also ein Verhältnis zwischen dem Ganzen und seinen Teilen. Welcher Art ist das? Ein Verhältnis von Wirkungen und Gegenwirkungen. Die Teile beeinflussen sich; das All beeinflußt die Teile. Demgegenüber sehen wir uns genötigt, die Teile, um sie als solche im Sein erfassen zu können, als Individuen zu fassen. (Ursache der Singulation.) Erleben wir ja doch nicht eine wirkliche Welt, sondern nur eine durch die Organisation 140 unseres Körpers bestimmte Scheinwelt. Diese Individuen haben gesetzmäßig nur eine Form, die, welche eben ihrem Wesen entspricht (Identitätsform), und die bei „Bewegungen" (Verschiebungen des Systems) zur Wiederher- stellung der Ruhelage sich ändert. Diese Änderungen sind die Prozesse. Die Prozesse ruhen nicht, bis nicht ein Ausgleich erreicht ist, und sie er- reichen das erfahrungsgemäß (Parallelogramm der Kräfte!) auf dem best- möglichen (optimalen) Wege, weil jeder andere immer wieder Störungen auslöst, zwangsläufig die entstehenden Formen immer wieder zerstört, bis eben die optimale Form erreicht wird. Die Störungen bewirken also eine stete Transmutation zu ihrem Ausgleich, die als Entwicklung erscheint, ohne daß aber durch sie etwas Neues ins Sein gesetzt wird. Dagegen geht ,^- --.^^ aus der steten gegenseitigen Störung all- mählich die optimale Form hervor, so daß dadurch stets eine Weltselektion, die das Optimale übrig läßt, im Gange ist. Die Prozesse vollziehen sich nun im Rahmen des kleinsten Kraftmaßes, das untrennbar zum Optimum gehört, als kür- zeste Prozesse (Prinzip des kleinsten Zwanges [ Minlmumprinzip ] ). Daß sie selektiv zum kürzesten Prozeß werden, ist ihr Gesetz. Dadurch sondern sich überhaupt Weltgesetze aus, wie aus dem ^"^- -' " kleinsten Widerstand gegenüber der Iden- Abb. 57. Schema der harmonischen Bewegung, titätsherstellung die Formen der Welt Näheres siehe Anmerkung 58. ^^^^^ natürlich die Naturformen), die stets Funktionsformen in mechanischem Sinn, also technische Formen sind. (Vgl. Bd. I S. 88.) Dadurch geht die Welt auf jeder Integrationsstufe und diese alle zu- sammen einem Zustand vollständiger Ausgleichungen entgegen, einer Har- monie, die im einzelnen auf jeder Stufe (wenn sie sich einmal eingestellt hat) zwar zerstört wird, falls die Oberstufe die Harmonie noch nicht er- reicht hat, die aber doch unverkennbar der Endzustand ist, durch den allein wir Dauer begreifen können. Alles Sein, in jeder seiner Integrationsstufen, mit jeder seiner Funktionen drängt zur vollen Entfaltung, nämlich zu seinem Optimum. Das ist es, was man in der Terminologie des Hegelismus Entwicklung nannte. Aber dieser Prozeß ist nur innerhalb eines gewissen Rahmens möglich, nämlich bestimmt durch Selektion und das kleinste Kraftmaß. Und bewahrt wird das Sein nur durch die Harmonie. Das Disharmonische drängt sonst immer wieder zu neuem Geschehen. Die Anwendung des Optimumgesetzes auf das Sein fährt zu den Tat- sachen der Selektion. Die Anwendung des Optinwmgesetzes auf die 141 -/^^taTrrmff ^ ^^ \ / ^ \ 1 t=fy, \ / f==^ \ / ^== b. '_^ ! Q ,r- — '^^ ^ — —- 1 / \ / \ / \ / \ / Funktion leitet zum kleinsten Kraftmaß, weil dieses das Optimum der Funktion ist. Harmonie aber ist das oberste der großen Weltgesetze, weil Harmonie auch das Maßverhältnis von Sein, Integration, Funktion, Optimum, Selek- tion und kleinstem Krajtmaß bestimmt, wodurch allein die Dauer herge- stellt wird. So ist auch zwangsmäßig die Abrundung dieses Werkes nicht in unser Ermessen und Belieben gestellt, sondern vorgezeichnet und aus den Grund- lagen gegeben. Die Theorie der komplexen Systeme fordert, daß Entwick- lungen im System laufen, also kein konstantes System denkbar ist, bevor nicht die Funktionen seiner Teile bestmöglich entfaltet sind, also das Optimum der Funktionen erreicht ist. Darum sehen wir, wie jedes Sein in allen Seinsstufen zum Optimum, d. h. dem vollen Sein drängt. Diese Entfaltung zum Optimum ist aber nur in einer bestimmten Folge möglich. Durch Zerstörung der nicht optimalen Seinsformen (Selektion) reduziert sich der Prozeß auf den geringsten Widerstand. Aber auch die optimalen Systeme kämpfen untereinander, bis ihr Gleichgewicht hergestellt wird: das Optimum der optimalen Systeme, das man Harmonie nennt. Die Rangordnung der weitern Probleme lautet demnach: 1. Optimumgesetz (Entwicklung). 2. Selektion. 3. Gesetz des kleinsten Widerstandes. 4. Har- monie. Finden wir diese Erscheinungen wirklich im gesamten Bereich des Bios, wie wir Sein, Integration und Funktion darin gefunden haben, dann sind sie Weltgesetze, und auch der Mensch muß ihnen folgen. Wir werden unsere Lebensordnung dann aus ihnen ableiten. Die Vorfragen des Optimumgesetzes. Optimum übersetzt sich mit dem Ausdruck: das Bestmöglichste und be- tont in dem allerdings schwerfälligen und darum nicht geeigneten Wort besser als im Lateinischen das Relativistische dieses Begriffes, der ohne Bezugs- setzung keinen Sinn hat. Schon dadurch verrät sich, daß er ein eminent bio- logischer Begriff ist, worin auch seine wahre historische Wurzel steckt. Op- timum ist die verkörperte Physiologie, und, wenn auch der philosophische Vater des Gedankens von der bestmöglichen Welt Leibniz mit seiner „Theo- dicee" ist, so steckt dahinter dennoch Physiologie trotz des scheinbar meta- physisch-theologischen Gewandes. Denn was soll es einen anderen als einen Lebenssinn haben, wenn Leibniz sagt: Gott habe unter allen möglichen Welten die beste dadurch verwirklicht, daß er die Unvollkommenheit, sowohl das metaphysische, wie physische und moralische Übel zum Vehikel der Bes- serung machte. Das Böse ist doch nur Abwesenheit des Vollkommenen, eine Notwendigkeit, welche die Harmonie der Monaden und damit des Universums nicht hindern kann, dafür die Entwicklung auslöst, die zum Vollkommenen führen muß. Man sieht, wie in den Leibniz'schen Gedankengängen dem 142 Menschenleben die Tendenz zum Optimum seiner Artung genau so zuge- schrieben wird, wie von der modernen Physologie. Es war daher auch nur logisch, daß diese Idee zu ihrem Ausgangspunkt zurückfand. Bekanntlich be- herrschte der durch sie geschaffene Optimismus die Geister während des ganzen Auf klärungszeitalters; er ist der Urheber des Glaubens an das Gute und Vollkommene im Menschen bei Herder und Rousseau, auch bei Kant, wo das Optimum als Sieg der Vernunft über das rein Natürliche aufgefaßt ist. In allen diesen Geistern und den von ihnen beherrschten Zeiten wirkt er als Fortschrittsglauben, der dann als Tendenz sowohl auf die Sozialisten (Saint-Simon) wie durch deren Vermittlung auf Comte, die Engländer Dar- win, Spencer und somit Häckel und Huxley überging, die dann zu den Fanatikern des Entwicklungsglaubens wurden. Die wahre Grundlage, auf die sich das alles reduziert, ist das Erlebnis, daß jeder Prozeß des Organismus nicht maßlos weiter drängt, bis er dem Organismus schadet, sondern sich rechtzeitig auf ein gewisses Mittelmaß einstellt, das ihn in Harmonie mit den anderen Funktionen erhält, wobei der Maßstab in der Lebensfähigkeit des ganzen Organismus gegeben ist. Das Optimum wird durch den physiologischen Prozeß zwar nicht immer erreicht, wohl aber immer angestrebt. Jeder physiologische Prozeß ist optimoklin. Das bekannteste Beispiel hierfür hat der Forschung von je die Pflanzen- welt und die niedere Tierwelt geboten. Ist ein Pflanzenteil in dauernden Schatten geraten, so daß seine Blattgrünapparatur nicht vollbeschäftigt ist, dann löst diese Sachlage Wachstumsentwicklungen aus. Der betreffende Sproß oder Keimling „vergeilt". Das heißt, er bleibt nicht nur bleich und von einer gewissen schlaffen Beschaffenheit durch die mangelnde Funktion, sondern beginnt übermäßig zu wachsen. Und zwar nicht nur in dem Rahmen seiner ursprünglich vorgesehenen Gesetzlichkeit, sondern auch phototrop, worunter die Tatsache verstanden ist, daß er sich über die Intensität ver- schiedener Lichtquellen, ebenso über deren Einfallswinkel und Richtung orientieren kann. Die Pflanze wächst nämlich in der „bestmöglichen" Richtung, dort angelangt setzen in ihr neue Prozesse ein: Ein bestimmt ge- richtetes Wachstum der Blattstiele an gewissen Stellen, wodurch die Blatt- spreite eine Drehung ausführt, die ihre Hauptfläche in einem Winkel von 90° gegen die Richtung der Lichtstrahlen (also in optimale Lage) bringt (Abb. 36). Damit nicht genug, verlassen nun innerhalb der Zellen der Blatt- spreite die Blattgrünkörner ihre Lage und wandern aktiv wieder in einer dem Optimumgesetz entsprechenden Weise. An den Laubbäumen kann man diese Vorgänge in feinster Abstufung jederzeit beobachten. Die Aste richten sich mit ihrem Wachstum bereits nach dem Optimum des Lichteinfalls, die klei- neren Zweige füllen die großen Lücken, die das Stockwerk des über ihnen noch stehenden Laubwerkes läßt, die Einzelblätter werden vom Wachstum ihrer Stiele in jeden noch verbleibenden Lichtwinkel geschoben. Vom größ- ten bis ins kleinste beherrscht das Optimumgesetz den Wuchs der Bäi-me. 143 Dort aber — und gerade darin zeigt sich seine durchgängige Gültigkeit — wo die Lichtmenge das optimale Bedürfnis übersteigt, setzen wieder Bewe- gungen, also Prozesse ein. Änderlingsalgen, die man im Dunklen gehalten hat und einseitig beleuchtet, eilen ins Licht. Geraten sie aber in zu grelles Licht, machen sie kehrt und fliehen ebenso intensiv. Nur in einem gewissen Lichtoptimum sammeln sie sich an. Da man dies Aufsuchen einer optimalen Lage Tropismus nennt, spricht man in diesem Fall von einer Umkehr des Phototropismus vom Positiven ins Negative. Die wahre Ursache der Er- scheinung ist, daß das Optimumgesetz auch in der Chemie gilt. Das Chlo- rophyll arbeitet ebensowenig richtig unter der Mechanik von Wellen, für die es nicht abgestimmt ist, wie bei ungenügenden oder übermäßigen Licht- quanten; sein Arbeitsmaximum liefert es nur bei einem qualitativen wie Mengenoptimum, seine Funktion beginnt überhaupt erst bei gewissen Nähe- rungswerten um dieses herum. Genau das gleiche erkennt man an allen Tropismen der Pflanzen und der Tiere (vgl. Abb. 58). Sie sind das Mittel, der Prozeß, der in Gang gesetzt wird, um das Optimum zu erreichen. Der Polyp, der seine Funktionen optimal nur bei einer gewissen Einstellung zum Licht ausführen kann, kriecht durch ein ihn daran hinderndes Sieb ohne weiteres durch; dreht man ihn um, beginnt er sofort neue optimokline Bewegungen, wodurch das merk- würdige Bild der Abbildung 58 zustande kam. Nur wenn das Optimum erreicht ist, dann hören die Prozesse auf, die Bewegungen von Pflanze und Tier werden sistiert, der Ruhezustand tritt ein. Die Tropismen vollziehen sich nicht immer so einfach; es gibt zusammen- gesetzte, automatisch ausgelöste, vererbbare, die Reflexe genannt werden; es gibt Reflexketten und von da über die Instinkte bis zu den bewußten Handlungen eine nirgends abreißende, sondern sich von einem auf das andere bauende Komplikation von Reizbeantwortungen, die alle zielstrebiger, finaler Natur sind und niemals etwas anderes erstreben und auch erzielen, als das jeweilige Optimum im stets wechselnden Getriebe der Lebensbedingungen. Auch auf diesem Wege läßt sich ein Verständnis anbahnen, wozu die Or- ganismen Tropismen, Sinnesorgane, Rejlexzentren, Ganglien, ein Gehirn und die Denkfunktion besitzen und was die Rolle des Menschengeistes für den Menschen ist. Was wir schon im Rahmen der Biotechnik sahen, wie- derholt sich hier. Kann das alles etwas anderes sein, als die technischen Hilfsmittel und die Funktion, um in der stets wechselnden Lebenslage je- weils die bestmögliche Einstellung, das Optimum zu erreichen? Was die objektive Philosophie auf anderem Wege erkannt hat, findet da- mit wieder Bestätigung. Der Intellekt hat deshalb keine Fähigkeiten zur ab- soluten Erkenntnis, sondern muß alles relativistisch erkennen, weil er eben nur biologische Zwecke hat. Nicht zur Welterkenntnis dient es, sondern nur zur Orientierung in der Welt. Seine Grenzen sind dort, wo die Lebens- interessen des Menschen die ihrigen haben.") 144 Abb. 59. Die Erscheinungen der Erosion an einem Modell. Erstes Stadium. Erster Beginn der Talbildung Hl ^Ini .^'iU Mb 3[ ■ ■ ^^^^^^^^Hl' <- . ''^^■■v •- j, ■^^1 -Jj ^^^^^1 ^^H ■Jll%. MP Kl V J H i^K I^Hl nP^ jr 1 ffifl H ^K fKm [*' ■'^ _l 1 VB i ^ «y^ fei 1 y Abb. 60. Die Erosion. Zweites Stadium Fortgeschrittene Erosion mit Haupt- und Seitenabbildungen. Das Modell entspricht insofern nicht der Wirklichkeit, als es nur die Tendenz der erodierenden Kräfte, ihr Werk auf dem kürze- sten Wege auszuführen, also senkrecht einzuschneiden zeigt, während ihnen in Wirklichkeit das Nachrollen des Gesteins, also die Böschungsbildung im Sinne des Ausgleichs entgegen- arbeitet. Berg- und Talformen sind also nur dann so übersteilt, wenn es sich um sehr hartes oder sehr weiches Gestein (Breccie, s. Bd. I Abb. 70) handelt Ein überragender Gedanke von kolossaler Tragweite ist das, dessen Aus- bau Generationen von Forschern und Denkern beschäftigen wird. Nerven- zellen and Gehirn als Organ, der menschliche Intellekt als Mittel zur Er- reichung des menschlichen Optimums ^s), das ist einer der wichtigsten Sätze, den dieses Werk erarbeitet hat. Mit ihm steht und fällt die ganze Bedeu- tung der objektiven Philosophie. Wer ihn annimmt, nimmt dadurch ein ganzes Kulturprogramm von unermessener Ausdehnung an, einen grund- legenden Standpunkt für die Beurteilung der idealsten wie der realsten Fragen, von der Metaphysik bis zum letzten Handgriff des alltäglichen Lebens. Werte und Ideale haben ihre Rangordnung geändert, die von Nietzsche prophezeite und mit der Relativisierung der Moral auch im Sinne der objektiven Philosophie angebahnte „Umwertung aller Werte" hat dann tatsächlich begonnen. Unverrückbar und felsenfest ist damit der Mensch auf seine Mutter Erde, in die Umwelt, an die er angemessen ist, gestellt. In ihr allein kann er ganz „Mensch" werden, vollkommen, in aller Schönheit, Macht und Harmonie den Begriff „Mensch" ausspannen und damit sein Optimum, das höchste Ziel menschlichen Strebens erreichen. Dazu hat er den Verstand, das dunkle wogende Meer der Gefühle in seiner Brust, seine Talente, das tiefste Unter- bewußte, das ihn mit dem All verbindet, Intuition und die Begnadigungen des Herzens. Unermeßlich weit aber überspannt ihn nun auch ein Himmel, zu dem er wieder mit vollstem Wissen als „modernster" Mensch vertrauend und gläubig im großen beseligenden Gefühl der endlich wiedergefundenen „Gotteskindschaft" und der Einheit mit dem All aufblicken kann. Was ihm versagt ist, das erfüllen jene Stufen des Weltenbaues, in den er als Atom und Baustein eingeordnet ist, und dessen Gesetz gerade deshalb das seine ist. Gewiß, er vermag nichts auszusagen über die großen metaphysischen Fragen, über Ursprung und Zweck der Welt, über seine eigene Zukunft nach der Spanne des Lebens, ebensowenig wie es einer Zelle oder gar irgendeinem Molekül in seinem Inneren zukäme, zu wissen von seiner Her- kunft oder gar zu bestimmen über seine Taten. Im Kosmischen, in den Weltwelten, den hyperkosmischen Organismen, dort werden die Antworten gegeben vom Weltengeist auf solche Fragen, und ihnen hat der Mensch schweigend, verehrend das Unerforschliche, sich unterzuordnen. Sichtbar ist ihm die Existenz des Weltengeistes als Weltgesetz, sein Gefühl erahnt ihn als das göttliche Prinzip des Seins und wenn er nur sich optimal ein- fügt in den um ihn gespannten Rahmen Welt, aus dem er durch keinen Tod fallen kann, dann hat er alles getan für alle Zeiten und mag sich auf den großen Kreislauf verlassen, der ihn angemessen dem, was er war, wieder ins Leben und unter Umständen in Höheres bringen muß. Aus diesem Wissen heraus bildet sich das neue Weltverständnis einer ob- jektiven Philosophie, eine neue Kulturordnung und Lebensregelung, Aufgaben für den inneren und äußeren Menschen, ein hochragender Bau einer neuen Franci, Bios \\ 10 145 Wissenschaft, einer neuen Technik, einer neuen Kunst, einer neuen Gesell- schaftsordnung, einer neuen Ethik, die zu einer Religion von erhabener Tiefe und Ausgeglichenheit, voll unergründlicher Geheimnisse und Tröstungen der Seele leitet. Von allem Guten, das je auf Erden war, nimmt diese neue Lebenslehre für den Menschen das Beste und konserviert es liebe- und ver- ständnisvoll, für alles Leid hat sie Güte, Verständnis und Heilmittel, für seinen höchsten Flug weiß sie Ziele und für sein gesamtes Können einen lockenden, reich, glücklich, gesund machenden Preis: das Optimum. Indem ich in heilig ernster Stunde diese Sätze niederschreibe, den Blick auf den unendlichen Himmel und den blühenden Garten der Erde darunter gerichtet, bin ich mir wohl bewußt, daß von hier aus eine Umwälzung und Änderung der Menschheit ausgehen wird, die die Jahrtausende nicht zu er- schöpfen vermögen, — und ich will nur hoffen, daß wenigstens einiges von diesem Gefühl der felsenfesten Überzeugung und inneren Überwindung des Leides aus diesem Buche auf die übergehen möge, denen ich es als das Vermächtnis einer um ihre Ewigkeit ringenden Menschenseele gebe. Zahllose Organismen handeln optimoklin, ohne ein Gehirn, überhaupt ohne auch nervöse Differenzierungen zu besitzen. Schon im Kreise der Hohltiere besitzen z. B. die wunderbaren Staatsquallen nur mehr ein ganz einfaches, in Ganglien aufgelöstes Nervensystem und die Schwämme gar keines mehr. Ebenso fehlen alle derartigen Einrichtungen den Urtieren (Abb. 23 und Bd. I Abb. 77 und 79) und den Pflanzen in allen Abteilungen ihres weiten Systems mit Ausnahme der Nervenfibrillen, die von Nemec und Fenner, auch von neueren Forschern seitdem als Verbindung zwischen Sinnes- und Erfolgsorganen nachgewiesen wurden. *6) Und dennoch ist das Leben aller dieser Wesen ebenso eine Kette von allerdings einfachen Tropis- men und Reflexhandlungen, die immer nach dem von W. Pfeffer in seiner Pflanzenphysiologie mit aller Schärfe herausgearbeiteten Schema verlaufen, daß das Bedürfnis Prozesse erweckt und beschleunigt, die auf Wiederher- stellung des Gleichgewichtes abzielen. Diese Regulationen entspringen den Reizreaktionen, es ist also die Empfindungsfähigkeit, wenn man will, kann man auch sagen die Reizbarkeit der Pflanze und des Plasmas überhaupt das Mittel, durch das die Organismen ihr Optimum erreichen können und durch das die Entwicklungen ausgelöst werden. Mit anderen Worten, auch hier ist das Seelische das Mittel des Lebens, um zu seinem Optimum zu gelangen. Optimoklin ist aber auch das Anorganische, und demgemäß sieht man überall in der Welt Entwicklungen nach Art der Reizreaktionen, nämlich induziert verlaufen und sofort stillestehen, sowie ihre Ursache befriedigt ist. Daß dieses finale Geschehen die Physik beherrscht, wurde uns schon bei Ableitung des Kräfteparallelogramms, also eines der ganz grundlegen- den Prinzipien der physischen Welt klar, als wir uns davon überzeugten,^ 146 daß dieses Prinzip der Zusammensetzung, wie man es auch genannt hat, stets das Optimum des Geschehens *«) hervorruft. Auch ein fundamentales Prinzip der Chemie, nämlich das der Maximalarbeit, fällt mit dem des Optimums zusammen. Seitdem der französische Chemiker Berthelot'-''') im dritten Satz seiner grundlegend gewordenen Thermochemie behauptete, daß jede chemische Veränderung die Erzeugung solcher Verbindungen anstrebe, bei denen die meiste Wärme frei wird, die also in Bezug auf chemische Arbeit das Optimum darstellen, haben sich zwar vielerlei Ausnahmen von diesem Gesetz herausgestellt, aber zugleich auch, daß es beim absoluten Nullpunkt der Temperatur vollkommen richtig sei, daß also die vorkom- menden Temperaturen eben nur „Störungen" und nicht mehr bedeuten. Einmal darauf aufmerksam geworden, wird man aber das Optimumgesetz in der physikalischen Welt allerorten wiederfinden. Wem sind im Gebirge nicht schon die prachtvollen Geröllreißen nach Art der in Abbildung 55 wiedergegebenen aufgefallen (vgl. auch Bd. I Abb. 74), in denen, auf das Allerfeinste aussortiert, von unten nach oben die größten Felstrümmer all- mählich in feinen Sand übergehen. Diese Trümmerhalden, vom Menschen an Bahndämmen, Bergwerkshalden, bei der Müllabfuhr der Städte nach- geahmt und in ihrer Gesetzlichkeit angewandt, sind ein Produkt des Stein- schlages durch die Verwitterung; ihre Form wird durch die Gesetze der Schwerkraft bestimmt, die es festlegen, daß der Böschungswinkel solcher Halden niemals mehr als 45" beträgt. Einmal erreicht, ändert er sich ohne äußeres Zutun nicht mehr. Aber bevor er erreicht ist, überschreitet jede neue Zufuhr von Material die unterwertigen Winkel und steilt sie auf. Greift nun aber, wie man das im Hochgebirge und an alten Flußufern allerorten sehen kann, die Erosion in die Böschung ein und übersteilt sie, dann stürzen die darüber stehenden Blöcke nach, eine „Talentwicklung'' setzt ein, bis wieder die optimale Böschung erreicht ist. So bildet jeder Fluß sein Tal V-förmig (Abb. 4), wobei die Schenkel des V maximal einen Winkel von 45° beschreiben. Ist das erreicht, dann ist das Tal in der Sprache der Geographen „reif"; bis dorthin „entwickelt" es sich und zwar, wie wir gesehen haben, optimoklin mit der gleichen Teleologie und Umkehr des Geschehens wie bei einem lichtsuchenden Organismus. Das Optimumgesetz spricht sich auch im „freien Fall" aus, für den der kürzeste Weg der senkrechte, also der Winkel von 90" ist. Das ist so ge- wohnt, daß es selbstverständlich erscheint, während es in Wirklichkeit eine Besonderheit der Welteinrichtung ist. Nichts anderes als der Ausdruck des vorteilhaftesten Geschehens. Ausgeprägt ist das in hundert und aber hun- dert Formen in der gesamten Welt, in Wasserfällen, Klammen, Felsmauern, Canons, Stalaktiten und Mauern und Türmen. Hier steckt die Erklärung für die Mühe, die sich der Baumeister gibt mit Richtscheit und Senkblei. Denn nur was senkrecht steht, bleibt stehen und ist noch tragfähig für höhere Aufbauten; was nicht senkrecht steht, ist nicht haltbar. 10* 147 Die vielen merkwürdigen Lehren der Erdkunde über die Erosion und die SchoUenbräche gehen alle auf diese wenigen Grundsätze zurück. Unter Erosion (vgl. Abb. 59—60) versteht die Geologie bekanntlich die Tatsache, daß die lebendige Kraft des Wassers den gesamten Verwitterungsschutt ständig wegräumt und dadurch auf alle Höhen des Festlandes ständig ab- tragend wirkt. Während die Abrasion durch die Schubkräfte die Meeres- küsten reinspült, arbeitet die Erosion unter dem Diktat des Fallgesetzes stets optimoklin und sucht den senkrechten Weg in die Tiefe. Sie ruht nicht, bis nicht der Ausgleich erreicht ist. Kein Geschehen im Kosmos ruht, bis nicht die Ursache, die es ins Leben rief, den Ausgleich mit seiner Wirkung ge- funden hat. Die Vorbedingung der erodierenden Wirkungen sind nun die Sonnenwirkungen auf das Gestein. Die Hitze dehnt die Felsen aus, die nächtliche Abkühlung zieht sie so zusammen, daß Sprünge, feinste Risse entstehen. In den Wüsten, wo die Temperaturdifferenzen zwischen Tag und Nacht 60—80° betragen, sieht man allenthalben abgesprungene Gesteins- stücke. In einem Wädi des Sinai sah ich ein Gegenstück zu dem jedem Geologen bekannten Bilde, auf dem ein durch diese Wirkungen wie eine Orange zersprungener, kugeliger Steinblock zu sehen ist. Wo Winterfrost herrscht, vollendet das beim Frieren sich ausdehnende Wasser das Werk der Verwitterung. Dazu kommen die IJthobionten^^), die Gesellschaft der Bakterien, Spaltalgen und Flechten, die jeden an der Luft liegenden Fels besiedeln und chemisch zermürben. So zermorscht wird dadurch der eisen- harte Fels, daß wir auf einsamen, selten bestiegenen Gipfeln im Vorder- karwendel an der tiroler Grenze auf Graten durch einfaches Angreifen ganze Steinbauten zum Einsturz brachten. So kommt es zum Steinschlag, der den Schutt am Fuße der Wände anhäuft (vgl. Abb. 55). Mit diesem Material wirtschaftet die Erosion. Schon oben in der luf- tigen Höhe wirkt sie durch den Kohlensäuregehalt des Regens lösend auf fast alle Gesteine, namentlich aber auf die kalkhaltigen; tiefer unten ver- trägt sie mit den Wildbächen und kleineren Rinnsalen bis zu den großen Bergströmen alles gelockerte Material und benutzt dieses selbst als Vehikel, um die kantigen Trümmer zu Gerollen zurecht zu schleifen (vgl. Abb. 6), auch diese zu Kies, Sand und Schlamm zu zerreiben und immer wieder zu verfrachten. Und dazu nagt das Wasser immer in die Tiefe; wo noch ein bißchen Gefälle ist, entfaltet es seine Macht; wo aber alles eben ist, auch da steht es nur oben still, in der Tiefe sickert es immer noch erdwärts und löst an dem Untergrunde. Gar nichts kann dieser Tätigkeit widerstehen; sogar im Granit graben sich Regenrillen ein; bestimmt wird der Wirkungs- grad vom Gefälle und der Weichheit des Gesteins. Die Gesamtmacht ist unermeßlich, denn 30600 Kubikkilometer (ä 1000 Millionen Kubikmeter) Wasser fließen jährlich in den Flüssen dem Meere zu, und, wenn trotzdem in der Hochgebirgshöhe von 1800—2400 m die Gebirge durch die Erosion in je 1100 Jahren nur um einen Meter ihrer Gesamthöhe abgetragen wer- 148 den, so genügt das, um ein Gebirge wie die Alpen in vier Jahrmillionen spurlos von der Erde verschwinden zu machen. Ihr Optimum erreicht die Erosion in den weichen Gesteinen, namentlich im Kalk. Dort sind die be- rühmten Schaustücke der Alpen, die Klammen (Abb. 50) und Erdpyramiden (Abb. 44), aber auch im Sandstein nagt sich das Wasser die bizarrsten Türme (Bd. I Abb. 69) und Wandgebilde heraus. Stille steht die Erosion erst in den Ebenen, und eigentlich wird das AntUtz aller Gebirge von ihr geprägt und damit das Relief des gesamten Festlandes. Das alles steht also unter der Herrschaft des Optimumgesetzes. Wohin man sieht, fällt der Blick auf die Zeugen seiner Macht. Und daß seine Wirksamkeit im Anorganischen auch nicht denkbar ist, ohne die teleologischen Prinzipien unseres Denkens zu Hilfe zu nehmen, dafür bietet sich im Erfahrungsfeld der Physik ein überwältigendes Beispiel durch den Lachambre'schen Re- flexionsversuch, das in der Fachliteratur unter dem Namen des Fermat- schen Prinzipes der schnellsten Ankunft bekannt ist. Dieses Fermat'sche Theorem ist für die gesamte Optimumfrage des An- organischen so wichtig, daß man ihm notgedrungen größte Aufmerksamkeit schenken muß. Schon im Jahre 1662 hatte der französische Physiker Lachambre bewiesen, daß ein Lichtstrahl bei der Reflexion, um unter Ver- mittelung des Spiegels von einem Punkt zu einem anderen zu gelangen, nicht den kürzesten, sondern den zweckmäßigsten, nämlich jenen Weg wählt, der die kürzeste Zeit braucht. Der französische Bearbeiter des Dio- phant, H. Fermat, zeigte dann, daß auch der gebrochene Strahl den zeit- lich kürzesten Weg einschlägt, um von einem Punkt des einen Mediums nach einem vorgeschriebenen Punkt des zweiten Mediums zu gelangen, wenn beide Medien durch eine ebene Fläche getrennt sind. Es liegt also zweifellos hier eine Kundgebung dafür vor, daß auch das Geschehen der anorganischen Natur für uns nur bei Annahme biozentrischer Vorstel- lungen ausdeutbar ist; die schnellste Ankunft wird unter allen Umständen durchgesetzt, wenn es auch nur durch eine besondere Modifikation geht. Immer sieht man — und dieser Gedanke soll uns nun in die Tiefe des Optimumproblems leiten — , daß durchgängig in jeder Art von Weltge- schehen, im biologischen wie im anorganischen Haltlosigkeit, U nstabilität herrscht, stets neue Kombinationen auftreten, wenn in einer Beziehungs- verkettung nicht die Formel des Optimalen verwirklicht ist. Diese Er- scheinung haben die Denker schon von je erkannt, und sie war es, die sie ohne Kenntnis der richtigen Zusammenhänge auf den Gedanken brachte, daß ein ununterbrochener Transmutationismus, eine stete Entwicklung das ganze Weltbild beherrsche. (Vgl. hierzu Bd. I S. 76-79.) Wie alt der Entwicklungsgedanke eigentlich ist, soll uns hier nicht näher beschäftigen, hat man doch schon in besonderen Werken«") diese Historie zusammengestellt. Ob nun wirklich der Streit als Vater aller Dinge des Heraklit und das Werden des Anaxagoras die erste Ausprägimg des Enf- 149 Wicklungsgesetzes sind, oder ob sich schon früher in der ägyptischen*) und indischen Philosophie dahin zielende Gedanken finden, Tatsache ist, daß nicht etwa erst Herder, Kant, Laplace, Lamarck, Hegel, Darwin, Häckel^^) seine Urheber sind, sondern daß er zu den Orundüberzeugungen des menschlichen Denkens gehört, die sich allerdings erst in der Gegenwart zu solchen Extremen verdichtet haben, wie ihnen Ed. Bernstein Ausdruck ver- leiht, wenn er sagt: im Kulturellen sei der Weg alles, das Ziel nichts. Nur fortwährend Fortschreiten, das sei das Glück . . . Der Fortschritt wird da- durch selbst zum Ziel gemacht. (Vgl. Anmerkung 61.) Es ist nun bei einer objektiven Betrachtung dieser absoluten Entwick- lungslehre sehr leicht, in ihr verschiedene Elemente differenten Ursprunges, die auf bloße gleiche Bezeichnung hin miteinander verwechselt werden, auseinander zu halten. Da wäre als erstes der überall wahrnehmbare Trans- mutationismus des gesamten Seins, dessen Zusammenhang mit dem Opti- mumgesetz auf den vorstehenden Seiten geklärt wurde. Er ist unverkenn- bar — ebenso unverkennbar aber ist auch, daß er kein Prinzip des Seins darstellt, sondern nur eine Folgeerscheinung der allgemeinen, optimoklinen .Welteinrichtung ist. Alles, was noch nicht sein Optimum entfaltet hat, leistet dem gegenseitigen Druck, der Reibung der Vielheit weniger Wider- stand, als die Optima der Dinge. Daher vollziehen sich an den Pessima, wie man den Gegensatz der Optima nennen könnte, die meisten Zusammen- brüche und Änderungen. Wenn an den Weltnebeln Kräfte angreifen und auf Grund einfacher, durchschaubarer, mechanischer Notwendigkeit diese eine Spiralform an- nehmen, dann ist darin nicht eine „Entwicklungstendenz" sichtbar, sondern nur eine Disharmonie im Bau des Nebels, die zu einem Potential und zur Einleitung des Ausgleichs führte. Wer das nicht einsieht und daran noch zweifeln wollte, der betrachte nur die große Magelhaen'sche Wolke am südlichen Himmel, die spiralige Anordnung besitzt, trotzdem sie aus Nebel- flecken, Sternen und Sternhaufen, also schon aus den fertigen Produkten besteht, die nach der Kant-Laplace'schen Kosmogenie erst durch den Prozeß entstehen sollten. Die „Entwicklung" geht also dort weiter, trotzdem ihr „Zweck" schon erreicht ist. Die Laplace^soht Hypothese aber ist in den letzten Jahren Gegenstand so vieler Angriffe gewesen, daß sie trotz der Poincarä-Darwin'schen Modi- fikation ^2) immer mehr durch neuere Versuche (wie z. B. die von Lokyer *) Es ist unbegreiflich, warum man die aus den ägyptischen Inschriften und Pa- pyri, sowie dem Legendenkreis des Herodot und Pythagoras so deutlich zu uns spre- chende ägyptische Philosophie noch nicht gereinigt, zusammengestellt und rekon- struiert hat. Schon bei meinen gelegentlich meiner orientalischen Studien angestellten Vorarbeiten ergab sich mir das Vorhandensein mehrerer geistigen Schichten, die bis zu den Alexandrinern, bis zu Philo und Plotin nachwirken. Wer leistet diese für die Urgründe unseres ganzen Denkens bedeutungsvolle Arbeit? 150 oder Hörbiger) ersetzt wird. Die Tatsache, daß die Planeten und Monde nicht in einer Ebene rotieren, daß Uranus und Neptun und viele Monde anders laufen, als es ihnen die Annahme einer einheitlichen Entstehung er- laubt u. dgl. mehr, machen sie dem logischen Verstand zur Unmöglichkeit. Jedenfalls hat keine der alten und neuen Kosmogonien es nötig, irgendein Entwicklungsprinzip in seine Rechnungen einzustellen; überall genügt das Element der Störung und Ausgleichung, um den Weltprozeß verständlich zu finden, von dem jede astronomische Einsicht sich mit der von S. An- lienius im Einklang fühlt, daß weder die Gegenwart des Kosmos ein Ziel der Weltenbildung sei, noch ein solches Endziel sich überhaupt im Ge- sichtskreis des Denkens zeige, sondern nur ein steter Kreislauf von Welt- nebeln, Sonnensystemen, Zerstreuung von deren Energie in den kalten Weltnebeln«3) und Wiederbeginn der Prozesse durch deren hiemit erklär- bare Spannungsdifferenzen. Wenn von Kosmos und Entwicklung gespro- chen wird, tut dies der Astronom nur mit dem Empfinden, von den Sta- dien eines Kreislaufprozesses zu reden. Ist nun damit eigentlich jede Art physischer Entwicklung auf einer höheren Integration gegenstandslos geworden, so pflegt auch in der an- organisch irdischen Welt dieser Begriff nur einen vergleichsweise bildlichen Sinn als Bezeichnung des Transmutationismus zu besitzen. Man hat in der französischen Gelehrten-Republik, deren beweglichem Geist der Begriff der Entwicklung besonders sympathisch ist (weshalb auch Bergson mit einer evolution creatrice operiert), in den letzten Jahrzehnten sogar von einer „Entwicklung der Materie^' gesprochen ß*), hat aber, bei Licht besehen, dar- unter nur die Zustandsänderungen um den hypothetischen Äther ver- standen, wobei angenommen wird, daß die Radioaktivität die Materie „zersetzt" (dissoziiert), und daß durch stete Umwandlungen (von Gas, Flüssigkeit, festen und kristallinischen Zuständen) unter dem Einfluß der Temperatur (man denke an Quecksilber oder an die Tatsache, daß das Bolometer am Platin gestattet, eine Erwärmung, also Zustandsänderung festzustellen) sich ein Kreislauf der Erscheinungen durch die ganze Welt der Materie wälzt. Gerade dadurch aber wird anerkannt, daß es eine schöpferische Entwick- lung der Materie nicht gibt, und daß die Änderungen stets nur die Beant- wortungen von Störungen sind. Es war sehr wertvoll, diese Frage, mit der sich auch die der „Entwicklung" der Elemente erledigt, einmal durch- zudenken, denn gerade dadurch hat es sich mit jeder wünschenswerten Deutlichkeit herausgestellt, daß in unserem ganzen, sowohl im sinnen- fälligen, wie im bloß vorgestellten Weltbild das Verhältnis der Einheiten zueinander nicht ein skalares (rein zahlenmäßiges) ist, sondern stets das der Kräftefunktion, also des Potentials. Alle rein mechanischen Vorgänge be- stehen lediglich bei Erhaltung der Energie aus einem Austausch zwischen lebendiger und toter (also Spann-) Kraft oder, wie der Physiker sagt, 151 zwischen kinetischer und potentieller Energie. Alles Sein ist mit einem Potential wirkender Kräfte verbunden.*) ^^) Dadurch wird jedoch jede Änderung nur zur Transmutation im Sinne des Funktionsges€tzes, nicht zu einer schöpferischen Bereicherung der Welt, bloß zur Entfaltung ihrer Wesenheit. Und so kommt es, daß, wie schon (Bd. I S. 190) an dem Beispiel der Petrographie gezeigt wurde, nicht nur im Kosmischen, Chemophysikalischen, sondern auch im Meteorologischen und Geologischen jeder Begriff einer anderen Entwicklung, als der sich in Kreisläufen abspielenden Transmutation, fehlt. Wenn die Palaeokllmatologie uns an den Resten der Devonwälder (Abb. 62), der Steinkohlenzeit, der Buntsandsteinwüste und Jurariffe, der Braun- kohlenswamps und der Dryastone des Diluviums auch unwiderleglich eine stete Klimaänderung beweist, deren schon skizzierter Ablauf, wenigstens nach Eckardt etwa für Europa in folgender Kurve verläuft: Archaikum = ? Kambrium = Eiszeit (Eisdecken am Nordkap, China, Australien) Silur-Devon = wahrscheinlich gleichmäßig warm (klimatisch karbonisch) Karbon = wahrscheinlich gleichmäßig warm Dyas = wechselnd, Eiszeit (Permokarbone Eiszeit in Indien, Afrika) Trias -Jura = warm Kreide = Abkühlung (Frostspuren auf Blättern) Tertiär = Wiedererwärmung Diluvium-Gegenwart = Eiszeit, langsame Wiedererwärmung dann ist es unmöglich, darin einen „Entwicklungsgang" zu erkennen, um- somehr als alle Zeugnisse der Vorzeit darin übereinstimmen, daß die ge- samtklimatische Situation der Erde sich niemals wesentlich von der heu- tigen unterschieden hat und das irdische Klima schon seit dem Palaeozoi- kum ein durchaus solares ist, also ganz von dem Verhältnis Erde — Sonne geregelt wird.**) Daß in die Geologie unter dem Einfluß der biologischen Entwicklung der Begriff Evolution überhaupt hineingebracht wurde, hat seine historische Ursache und entstammt dem Kampfe gegen die Kataklysm£ntheorie Cu- viers, der aus den französischen palaeontologischen Funden voreilig verall- gemeinernd den Eindruck gewann, daß mit jeder Erdperiode eine von Grund *) Daher kommt, ganz im Einklang mit der Panmechanik, der Begriff von Schwere- feld (Potentialfeld, Feldstärke) ebensogut in der Gravitationslehre, wie aber auch in der Meteorologie (magnetisches Feld), in der Biologie (Einflußsphäre des Zellkerns, Polarität usw.), in den Geisteswissenschaften (man durchdenke die Begriffe Schwer- gewicht von Rechtsgründen, moralische Einflußsphäre, politische Spannung, Massen- wirkung usw.) zur Geltung, *'■) Allerdings behauptet Sartorius von Waltershausen, daß diese Wirkung bis zum Mesozoikum gewährt habe, was aber schwer vereinbar mit der Berechnung ist, daß erst bei Rotglut in 30 m Tiefe die Sonnenstrahlung ausgeglichen sein könnte. 152 Abb. 61. Saurier der Triaszeit Auf dem Felsen sitzt ein Panzermolch (Mastodonsaurus), links vorn ein Kammdrache (Dimetrodon), rechts ein Wangensauricr (Pareiasaurus) H^H^^^^sA ^j. h\^ H^H [j^l .\bb. 62. Rekonstruktion einer Devonlandschaft nut bauinartii^en Bärlappgewächsen auf neu entstehende Fauna vernichtet und durch Vulkane, Erdbeben, Über- schwemmungen begraben wurde. Demgegenüber brachte Lyell^^) den Grundsatz des non vi, sed saepe cadendo, die „Häufung kleinster Wirkungen" in unbeschränkt angenommener Zeit zur Geltung. Damit war ein besonders folgenschwerer Satz: „die Geologie sei eine gewaltige Entwicklungsreihe im Anorganischen" postuliert. Tatsächlich hat aber die Geologie sowie die Klimatologie niemals etwas anderes festgestellt, als daß im Gesamtbau der Erde sowie in dem der Atmosphäre verschiebende Kräfte tätig sind, hier die Temperaturdifferenzen entspringend aus der Stellung der Erdachse zur Erdbahn und die Erdrotation, dort die Kräfte der Erdumgestaltung, von denen die einen das aufbauen, was die anderen lösen. Der Ausdruck Ent- wicklung hat hier eben nur den Sinn des Anderswerdens, wie denn über- haupt die große Tat Fritz Mauthners, der zuerst auf den gleitenden, mehr- deutigen Sinn fast aller Worte und die mangelnde Eignung der Sprache als Werkzeug des Denkens aufmerksam machte*), noch lange nicht für die menschliche Erkenntnis fruchtbar geworden ist. Eine gewisse Richtung der populären „Weltenschöpfung" machte es sich freilich leicht, aus den Tatsachen der Tektonik und Stratigraphie eine Geo- genesis zurechtzulegen, die nach einem bekannten energetischen Gesetz noch in ihren Auswirkungen in der populären „Aufklärungsliteratur" fleißig von einem Kompilator dem anderen nachgeschrieben wird und dadurch zu den Säulen volkstümlicher „monistischer Glaubenslehren" gehört, während in der Wissenschaft selbst dieser Standpunkt längst überholt ist. Dieses malerische Bild sieht etwa so aus: Unser Planet war eine Feuerkugel, die nach den Gesetzen der Entwicklung allmählich abkühlte. Dann kam der Augenblick, in dem sich das Wasser niederschlug und dadurch die Wiege vorbereitet war für die ersten Lebewesen. Klimaunterschiede bestanden noch nicht. Auch das Klima mußte sich zu seiner heutigen Vielfältigkeit erst ent- wickeln. Einzelne dieser „Schöpfungsgeschichten" erörtern allen Ernstes die Frage, ob es schon „damals" Stürme und Regengüsse gegeben habe. Nun konnte das Wasser seine Nivellierungsarbeit beginnen; es entstanden die ersten Sedimente und damit das Buch der Schichten, in denen der fort- geschrittene Forscher von heute die „Entwicklungsgeschichte der Erde" so zungengeläufig liest. In diesen Erdschichten niedergelegt sind die „Doku- mente der natürlichen Schöpfungsgeschichte", die einer gläubig aufhorchen- den Generation es schonungsvoll klarmachte, wie im Archaikum zuerst die Wirbellosen entstanden und es nur Kryptogamen gab, wie noch der Stein- kohlenwald eigentlich ein Farn- und Bärlappwald gewesen (vgl. Abb. 62) ohne Vögel, Säugetiere, ja selbst ohne Echsen, wie so Blatt um Blatt im *) Von Gnaden welcher Tatsache die ganzen „Richtungen" von Exegese, juristischen Kommentaren, Rechtsstreiten und theologische Disputationen, auch ein erheblicher Teil der ganzen historischen Philosophie lebten. Man denke nur an die historische Bedeu- tung von homousie und homoeusie, an die Pälikommentare und die christliche Homiletik. 153 Zauberbuch der Entwicklung sich umwendet, langsam und zielstrebig alles zur Gegenwart drängt, die großen Jurasaurier (Abb. 61) kommen, aus ihnen sich der Zweig der Sauropsidier ablöst, die zu Vögeln werden, wie aus den eierlegenden Vögeln durch Vermittlung von Tieren nach Art des Schnabel- tieres (Ornithonhynchus) eierlegende Säuger, dann Beutler, dann die Schreckenstiere der Braunkohlenzeit (vgl. Bd. I Abb. 81) und endlich die Fauna der Gegenwart hervorgehen, währenddessen in der Kreidezeit die ersten Blütenpflanzen erscheinen und sich die ganze Blumenpracht der Gegenwart entfaltet. Wunderbar folgerichtig erschien dieses Bild vom Stammbaum des Lebens, in dessen Krone sich ein Zweiglein erhob, an dem der Mensch selber hing, Untertan dem gleichen Gesetz wie das All, aus dem er stammt, und wunderbar genug in seinen tiefsten Rassen den Tieren ana- tomisch, geistig, sogar blutsmäßig noch näher stehend als uns, der Krone dieser ganzen langen Entwicklung, auf deren Klärung die zweite Hälfte des XIX. Jahrhunderts ebenso stolz war wie auf die damals rapid einsetzende Industrialisierung, die ganz im Sinne der Zeit ebenso als „notwendiger Fortschritt" gepriesen wurde. Die ganz Kühnen malten gleich mit großem Pinsel und trugen grelle Farben auf: Panrevolution, Entwicklung ist alles, und in einem Atemzug wurde die Abstammung der heutigen Kultur vom Urnebel als bewiesene Tat- sache hingestellt, wobei stillschweigende Voraussetzung war, daß die heu- tige Kultur und namentlich ihre Träger schon kraft des in ihnen wirksamen Entwicklungsgesetzes in allem klüger, tüchtiger, vollkommener, ein höherer Typus Mensch sein mußten, als jeder ihrer Vorfahren. Das war die Zeit, in der man eifrig das Alte demolierte und gering schätzte. Was alt war, war darum wertlos. Die Schlagworte: „Neuzeitlich, der Zeitgeist, der Fort- schritt", die fürchterliche Phrase vom „modernen Menschen" waren — und sind noch — in aller Munde und halfen den Menschen, sich von der Tradition zu befreien, oberflächlicher zu werden. Unter der Herrschaft des Entwicklungsgedankens schätzte man eben nicht mehr das Beste, sondern das Neueste, man wollte nicht absolut gut und tüchtig, sondern modern sein, und es begann die Zeit, in der man arbeitete, um zu arbeiten, und die Änderung um jeden Preis zum Leitwort des Daseins machte. Heute denkt man im Wissen um die Dinge der Welt anders. Die Leit- sätze hierüber habe ich schon in der Einleitung dieses Werkes (Bd. I S. 94) auseinandergesetzt; hier brauche ich nur zu vollenden. Die Geologie als solche kennt wohl einen steten Transmutationismus, eine Kumulation, aber keine Entwicklung im Sinne einer Vervollkommnung. Der von den Schöp- fungsgeschichten geschilderte Vorgang hat sich nicht einmal, sondern oft abgespielt und ist heute ebenso wie jederzeit in seinen Anfangs- wie End- stadien begriffen. Eine Abnahme der vulkanischen Kräfte ist ebensowenig wie ihre Zunahme zu merken, und über die Erkaltung von Sonne und Erde kann man sich, wie ich in diesem Werke schon mehrfach andeuten konnte, 154 gar keine definitiven Vorstellungen machen. Es gibt gar keine Abkühlung des Erdenklimas, und nichts deutet in ihrer Vergangenheit auf eine heißere Sonne (Eckardt). Irgendein Einfluß der Erdwärme auf die Tier- und Pflanzenwelt ist überhaupt noch nicht nachgewiesen. Es gibt wohl Klima- schwankungen, aber nirgends kontinuierliche, einseitige Änderungen.") Wenn man die Pendulationstheorie (vgl. Bd. I S. 69) nicht annimmt, hat man für das regellose Wandern der Klimate und damit der Faunen und Floren, auch der Transgressionen und Schollenbewegungen gar keine Erklärung. Und wenn man sich ihr anschließt, dann ist es keine Entwicklungslinie, sondern ein regelloses, in alle Zeiten fortwährendes Pendeln, das man angenommen hat. Wenn auch S. Anhenius eines seiner Hauptwerke: ,Das Werden der Welten' genannt hat, so entfaltet er darin doch nur das Bild eines Kreis- laufes. Die Sonnensysteme zerstreuen ihre Materie im Weltenraum; die Nebel fangen die Meteoriten und Kometen ein, der Strahlungsdruck hält der Gravitation, die Wanderung der Gase hält der Wärmevergeudung das Gleich- gewicht. Dadurch ist steter Ausgleich, eigentlich das Optimum der Welt gewährleistet. So hat die Kosmologie Möglichkeiten, um das Sein ohne Entwicklung zu erklären. Die Kräfte der Erdumgestaltung sind konstant. Es hat sich kein Anzeichen gefunden, daß die Sedimentation, die Erosion oder Abrasion, die Deflation, die Transgressionen, der Vulkanismus, die Erdbeben, die Senkungen und Hebungen, die Auffaltungen und Brüche je- mals mächtiger gewesen sind oder jetzt zunehmen. Es ist keine einheitliche Entwicklungslinie im irdischen Geschehen erkennbar. Wohl aber ist eine immer wiederkehrende Transmutation ganz unleugbar da. Sie spielt sich vollkommen nach dem Weltgesetz der Mechanik ab, wofür namentlich Fal- tung und Gebirgsbildung geradezu Schulbeispiele sind. Unverkennbar stehen sich in der Wirkung gewisse Zusammenhänge gleichsam wie Antagonisten gegenüber. Die Sedimentation und danachfol- gende Auffaltung baut auf, die Erosion baut mit der Verwitterung ab, wo- zu sich die scheuernde Kraft des Meeres und des Windes gesellt. Vulka- nismus und Erdbeben schaffen nichts Neues, sondern wirken nur wie ein Pflug, der Erdinneres verwitterungsreif macht, wobei aber zu bedenken ist, daß niemals tiefere Schichten als die der Magmaherde (vgl. Bd. I Abb. 71) das Licht der Welt erblicken. Wohl kommen durch die He- bungen Tiefenschichten zur Oberfläche, aber dies Auf- und Absteigen hat auch seine Grenze und entblößt nur einen sehr dünnen Mantel der Erd- kugel. Zur Zeit, als man noch mit dem Entwicklungsgedanken spielte, befreun- dete sich alle Welt mit der Schrumpfungstheorie des österreichischen Geo- logen E. Sueß, hinter der der Glaube an eine einheitliche Erdentwicklung im Sinne eines Alterns steckt. Diese Lehre hielt die Gebirge für Runzeln der erkaltenden Erde, der die Gesteinsdecke allmählich zu weit wird. Es müßte, sollte sich das bewahrheiten, ein kontinuierlicher Wärmerückgang 155 vorhanden sein, und auch die Gebirgsbildung in alten Zeiten geringer ge- wesen sein, dagegen mit fortschreitendem Alter der Erde immer mehr zu- nehmen. Beides ist, wie man mit jeder Sicherheit weiß, nicht der Fall. Die Beweise für die erstere Behauptung möge man oben nachschlagen; ein Beweis gegen den zweiten Satz sind die Stümpfe der karbonen Faltenzüge (des appalachisch-amerikanisch-variskischen Gebirges). Dieses läßt sich seit dem Devon bis zum Perm auf der ganzen Erde in einer Ausdehnung ver- folgen, welche die heutigen Hochgebirge übertrifft. Dazu läßt sich aus den abgetragenen steilen Falten berechnen, daß diese Hochketten der Stein- kohlenperiode*) zumindestens so hoch wie der Himalaya waren, wenn sie ihn nicht übertrafen. Die Summe des aufgefalteten Erdmateriales überstieg die der jungtertiären Auffaltungen, deren Reste heute als Himalaya, Kor- dilleren, Kaukasus, Alpen usf. bezeichnet werden. Dabei besteht mehr Wahrscheinlichkeit als das Gegenteil, daß es im Präkambrium ebenfalls enorme Hochgebirge gegeben hat, woraus ein vernichtender Schluß gegen die Schrumpfungslehre zu ziehen ist. Ob nun die an ihre Stelle gesetzte Anschauung, daß glutflüssige Magmamassen zur Oberfläche streben und dadurch die Auffaltung und Überschiebung (man denke an die der Alpen!) bewirken, zurecht besteht oder nicht ««), daran läßt sich nicht rütteln, daß eine einheitliche Linie, wie sie der Entwicklungsgedanke fordert, darin nicht zu erkennen ist. Allerdings darf man nicht übersehen, daß tatsächlich überall, wo man Einblick in die Tiefenstruktur der Erdrinde erhalten hat, sich ähnliche Bilder boten wie auf Abbildung 52—54, d. h., man sieht einen Faltenwurf, der nur durch horizontale Schubkräfte zu deuten ist, durchbrochen von einem System von Spalten und Verwerfungen, das Sueß ganz trefflich mit den Einbrüchen eines gefrorenen und dann abgelassenen Teiches (vgl. Bd. I Abb. 15) verglich. Aber gerade das, daß nun wohl ein Teil, aber nicht alle Ozeane Senkungsgebiete sind, sondern gerade ihr größter, der Pacific, eine ursprünglich vorhandene Hohlform, welche auch alle Wandlungen des Erdreliefs unverändert überlebt, wenn sich gleichzeitig herausstellt, daß die großen Ebenen (Rußland, die süd- und nordamerikanischen Steppen- gebiete, die afrikanische Steppe) keine Senkungsfelder, sondern Stellen des Erdfriedens sind, dann ist mit aller nur wünschenswerten Sicherheit nach- gewiesen, daß Schrumpfungen (Brüche), von innen heraus wirkende Kräfte, Senkungen, Ruheperioden längster Dauer (die sarmatische Ebene ist seit dem Carbon ungestört geblieben), also eine Fülle verschiedenster Ursachen nebeneinander bestehen, zusammen- und gegeneinander an dem Antlitz der Erde bosseln «»), woraus der einzig zulässige Schluß ist: eine einheitliche Entwicklung des Erdreliefs gibt es ebensowenig, wie es eine materielle, *) Ausführliches über ihre Naturgeschichte findet man in den Grundlagen zur objek- tiven Philosophie. S.Teil. (München. Die Lebensgesetze einer Stadt. München 1920.) 156 eine geographische, eine klimatische Entwicklung dieses Planeten im Sinne der klassischen Entwicklungslehre gibt. Wohl aber geht aus diesem Tatsachenmaterial etwas anderes hervor: der Transmutationismus ist von bestimmten Ursachen abhängig, denn ganz offensichtlich wechseln Stellen der Erdruhe mit großer Bewegtheit, so- wohl räumlich, wie zeitlich. Mit anderen Worten, die Änderungen sind die Folgen von gelegentlich wirkenden, aus anderen Gebieten stammen- den Ursachen. In lokalen Erscheinungen und bei zeitlich kurzer Betrachtung gibt es so auf Erden zahlreiche Tatsachen, die sich als Entwicklung deuten lassen, aber jeden Anschluß verlieren und nur den Charakter einer Reaktion be- sitzen, wenn man sie mit Rücksicht auf das Ganze betrachtet. So macht z. B. jeder Vulkan den Eindruck einer ganz zielstrebigen Entwicklung, aber er ist doch nichts als das Ventil lokaler Spannungen. Manchmal stellt er eine Gleichgewichtslage her (solcher Art ist der Feuersee auf Hawai), und dann fehlen ihm alle explosiven Äußerlichkeiten. Nach Ausgleichung der Störung, die ihn ins Leben gerufen hat, schließt sich jede dieser noch so feurigen Essen, und viele (man blicke auf das Ries in Bayern und die an- schließenden schwäbischen Vulkane) verstummen dann für immer. Eine ähnliche abbrechende „Entwicklung" tritt uns in der Verlandung der Teiche und Seen (Abb. 63) entgegen. Dem Geographen ist es längst klar geworden, daß nicht nur das Meer seine Transgressionen hat, sondern auch kein stehendes Gewässer der Erde konstant bleibt. In allen vollzieht sich unter dem Einfluß ihrer Bewohner jene Änderung, die man Verlandung nennt, und die eigentlich nichts anderes als eine Art Humusbildung ist. Die zahl- losen Kleinlebewesen, die das Wasser bewohnen, erfüllen dessen Bodensatz mit einer wachsenden Schicht ausgelebter Reste, die sich zu oft meterdicken Faulschlammdecken anhäufen. Mit ihrem Fettgehalt sind sie nicht ohne gewichtige Gründe als Bildner des Petroleums angesehen worden. Dieser Detritus wird vom Ufer her die Wiege der weiteren Besiedelung; Arm- leuchteralgen, Wassermoose, Schilf und Röhricht, der schöne Wasserstern, Froschbiß und Pfeilkräuter, die Wasseraloe, Fieberklee und viele andere Gewächse dieser Art schmücken den Rand der Gewässer, trinken aber so ganz allmählich sein Wasser auch aus. Inseln aus Faulschlamm und dem Wurzeltorf dieser Gewächse entstehen, und je nach dem Klima verwandeln sich Teich und See in einen Sumpf oder ein Hochmoor, dessen weitere Etappen dann saure Wiese oder Heide genannt werden. Am Schluß dieser Entwicklung steht, wenn man sie nicht vorher beeinflußt, stets der Wald. Auf diese Weise sind in der nacheiszeitlichen Periode in Oberbayern Hunderte von Seen verschwunden; das gleiche Schicksal blüht allen Seen der Erde, soweit man Anhaltspunkte für Änderungen ihres Daseins gefunden hat. Aber es wird doch im Ernst niemand hier von Entwicklung im Sinne von Evo- lution sprechen; es sind, um den Ausdruck von H. Driesch hierfür zu ge- 157 brauchen, vielmehr typische Anhäufungen (Kumulationen) kleiner Wirkungen, aus denen die Wirkung sich summiert. Und auch dieses Addieren hat sein Ende, wenn das Waldstadium erreicht ist. Die Tatsache, daß es solche „Schlußvereine" im ökologischen Entvi^icklungsgang gibt — solche sind außer dem Wald die Felsenflur mit Zwergsträuchern (vgl. Abb. 55) in der Hoch- gebirgszone und die Moostundra im polaren Bezirk — erledigt den Entwick- lungsbegriff sogar im Bereich seiner Hochburg, nämlich im Biologischen. Die biologische Entwicklung wird freilich das letzte Gebiet sein, auf das sich die Evolutionisten vor der Kritik des Entwicklungsgedankens (die, wo- für jeder Tag neue Beweise bringt ^o), mächtig einsetzt), zurückziehen wer- den, denn hier liegen in der Ontogenie, im Werden des Hühnchens aus dem Ei und in der großen Abstammungskette von den einfachen Säugern bis zu den menschenähnlichen Affen die Tatsachen handgreiflich vor Augen. Trotz- dem genügt es aber, irgendeinen ontogenetischen Prozeß kritisch durchzu- denken, um zu erkennen, daß in ihm etwas ganz anderes vorliegt, als der Begriff Entwicklung besagen will. Entwicklung hat in dem Sinn, der allein werbende Kraft als Fortschrittsschlagwort hat, nie etwas anderes bedeutet, als eine Bereicherung der Welt mit vordem nicht Dagewesenem, nicht aber einen Vorgang gleich dem Aufbau etwa eines Faltbootes, das man zunächst bis zum Fluß in einem Tornister zusammengelegt mit sich getragen hat. Wird die Welt durch Entwicklung nicht reicher, dann wird sie durch die Entwicklung auch nicht anders. Der Vorgang aber, durch den etwa der Mensch oder ein Säugetier — um bei einem Beispiel zu bleiben — immer wieder aus einem Ei hervorgeht und in seinen Potenzen in ein Ei zusammenschlüpft, ist im Prinzip nichts an- deres als das Auseinandernehmen und Zusammenlegen eines Faltbootes. Das höchst dotterarme Menschenei (vgl. Bd. I Abb. 95) wird bekanntlich von der Eierstockdrüse in regelmäßigem Turnus abgeschnürt und wandert durch die Eileiter in die Gebärmutter und gelegentlich der Menses dann durch die äußeren Geschlechtswege ins Freie, wo es verkommt. Auf diesem Weg, den es dem Mutterkörper gegenüber als selbständiges Individuum beschreibt, wächst es etwas, bis zur Halbmillimetergröße, heran und wird gewöhnlich von den sich nach dem Coitus in den Tuben aufhaltenden, gleichfalls im weiblichen Organismus wie etwa Infusorien in einem Wassergraben leben- den und beweglichen Spermafäden aufgesucht und dort befruchtet (vgl. S. 225). Ist das geschehen, schließt es sich ab und scheidet Stoffe aus, die auf den Frauenkörper so wirken, daß die Menstrualblutung unterbleibt. Noch stehen sich aber beide Wesen, der Zellenstaat und seine nicht mehr einzel- lige, bald zur Morula (vgl. Bd. I Abb. 24) heranwachsende Knospe als Fremdwesen gegenüber. Rein mechanisch durch die Flimmerbewegung in den Tuben wird in 5—8 Tagen der werdende Embryo bis in den Uterus ge- spült, und dort erfolgt erst die Nidation, d. h. sein Verwachsen mit dem Mutterkörper, dem er nun als zweite Generation an 270 Tage lang aufsitzt. 158 Die sich in ihm abspielenden Vorgänge, im besonderen dies Durchlaufen der Morula-, Blastula- und Gastrulastadien, die Herausbildung der Keimblätter und deren Differenzierung zu den Organen ^i), also die gesamte Organo- und Histogenesis ist nun keineswegs ein rein mechanischer, nicht abänder- barer Vorgang, da es gelungen ist z. B. bei Seesternen auch nach Teilung der Eier, bei Fröschen nach Teilung der Embryonen abgeänderte, aber immerhin Ganzbildungen zu erhalten, woraus hervorging, daß die gestalt- liche Leistung der Teile in den Entwicklungsphasen durch übertragene Zu- sammenhänge des ganzen Systems mitbestimmt werden. Wie A. Cohen-Kysper hervorhebt, dem man eine der wertvollsten Ana- lysen (vgl. Bd. I S. 98) des ontogenetischen Entwicklungsprozesses ver- dankt, ist damit auch die stammesgeschichtliche Entwicklung auf die gleiche Basis gebracht, und das sogenannte biogenetische Grundgesetz (vgl. Bd. I S. 92) verständlich ge- worden. Denn die Or- ganismen gleicher Ab- stammung sind insge- samt wieder eine Ganz- heit, ein System, das die gestaltlichen Lei- stungen der Teile, das ist diesmal das Indivi- duum,mitbestimmt,wes- halb die verschiedenen Formen in ihrem Pha- senablauf anklingen. Erst nach der Ein- nistung des mensch- lichen Embryos im En- dometrium der Gebär- mutter verwachsen die zwei Generationen zeit- weilig. Es ist an sich sehr merkwürdig, daß die Embryologie den Ausdruck gebrauchen kann, daß der Keim sich mit seiner Cho- rionschale durch Auflö- sung der Zellen eine Nisthöhle nacfe, daß er Abb. 64. Längsschnitt durch die weibliche Blüte des Mooses Funaria • • c hygrometrica mit den Archegonien, aus denen die Eizelle hervorschim- sich alsO WlC ein Sa- niert, Saftfäden (Paraphysen) und einem Kranz von Blättern. (Vcrgl. „Pnlrnrn \n cpinpr Milt- Abb. 65.) Nach der Natur gezeichnet bei schwacher Vergrößerung. mcnKOrn in bCUlCl l^\u\ 159 ter einpflanze und zunächst einmal Fruchtfutter, das heißt Schleimhaut- trümmer fresse, bis aus einem Plasmodiumvorstadium der Mutterkuchen fertig ist, der dann bis zur Abnabelung bei der Geburt durch Blut für die Atmung und Ernährung des Fötus sorgt. Und noch merkwürdiger, aber unbezahlbar im Sinne unseres Gedankenganges ist die Tatsache, daß schon in den allerersten Stadien dieses Werdeganges, schon in der Ovulation, eigentlich bereits bei der Morulabildung, sich die Gechlechtszellen früher als alle anderen herausdifferenzieren ^2)^ ja (nach Port) vielleicht sogar als Reste des Eies gedeutet werden können. Das Kontinuum von Ei zu Ei ist damit gewahrt; dazwischen liegt jeweils nur ein Anpassungs- und Aus- weitungsvorgang zur Entfaltung der im Ei liegenden Potenzen. Wie ich in meiner „Vergleichenden Biologie" des näheren ausführte, sind die Verhält- nisse auch im Tierreich, den Menschen inbegriffen, nicht anders beschaffen wie im Reich der Pflanzen, deren merkwürdiger Generationswechsel seit den Bemühungen des deutschen Botanikers Hofmeister und seiner Zeit- genossen unbezweifelbar und klar vor jedermanns Augen liegt. Betrachtet man den Lebenskreis eines Mooses oder Schachtelhalmes (Abb. 67) oder eines Farnes, wie solches den Nichtbotanikern zuliebe auf den Abbildungen 65 u. 74 dargestellt ist, wird man sich unschwer von dem Vorhandensein dieser zwei Generationen überzeugen. Man sieht die pracht- vollen, bischofstabartig eingerollten Wedel der Farne (Abb. 66) sich zu ihrem entzückenden Laubwerk entfalten, an dessen Unterseite ohne jeden Geschlechtsakt, einfach durch Knospung die braunen Sporen entstehen. Läßt man diese aber keimen, dann erlebt man das Absonderliche, daß aus ihnen ein Vorkeim hervorgeht, an dem sich Geschlechtsorgane bilden: An- theridien und Archegonien mit Spermatozoiden und Eiern, die sich mitein- ander vereinigen. Erst aus dem befruchteten Ei keimt wieder die wedel- tragende Farnpflanze. Bei den Moosen ist das Verhältnis etwas anders. Aus der Moosspore entkeimt ein Vorkeim, aus dem ohne weiteres die Moos- pflanze als Geschlechtspflanze wird. Auf dieser aber entsteht die Sporen- kapsel, die Sporen erzeugt (Abb. 65). Bei den Blütenpflanzen ist dieser Rhythmus der Generationen nicht ver- schwunden, sondern nur vereinfacht. Die Geschlechtsgeneration (Gameto- phyt) beschränkt sich auf Eizelle und Pollen selbst, und das, was man ge- meinhin Kraut, Strauch, Baum nennt, das ist die ungeschlechtliche Gene- ration (Sporophyt), die als Zeichen dessen imstande ist, sich auch durch Ausläufer nach Art der abgebildeten (Abb. 68) oder durch Brutknospen fortzupflanzen. Gegenüber den Archegoniaten, wie man Moose und Farn- pflanzen zusammen einheitlich benannt hat, erfährt die vegetative Entfal- tung eine Verschiebung zugunsten der ungeschlechtlichen Generation; die geschlechtliche beschränkt sich schließlich auf einige Zellen, was man bei den Pflanzen mit Scharfsinn (Wettstein) mit der fortschreitenden Anpassung an das Landleben in Zusammenhang gebracht hat. 160 Abb. 65. Blüten und Sporciikapsclii der Laubmoose Das Wiederlonmoos (Polytrichum commune) treibt im Frühjalir Sprosse mit üeschlechtsorRaiicn, deren feinerer Bau auf Abbildung 64 dargestellt ist. Aus deren Befruchtung entwickeln sich die Sporcnkapscin, die im unreifen Zustand mit einem fädigen Mützchen zugedeckt sind. Etwas vergrößerte Naturaufnahme von Frau Dr. A. Friedrich, München Wenn man diese Verhältnisse nun mit denen der Säugetiere vergleicht, ist die gleiche Gesetzmäßigkeit unverkennbar, dagegen die Selbständigkeit und das eigentümliche Verhältnis des Embryos zur Mutter erst jetzt rich- tig verständlich. Zwei Generationen wechseln auch hier ab, die eine ein- (und wenig-) zellige (Gametobiont) und eine vielzellige nach Befruchtung aus dem Gametobionten hervorgehende (der Sporophyt oder Prolobiont)'), die durch Knospung, gleichsam als Ausläufer wieder in den Generations- organen den Gametobionten hervorbringt. Als Knospung muß man nämlich die Zellteilung bezeichnen, durch die der Prolobiont sein System aufbaut. Beobachtet man solche sich teilende Zellen (vgl. Abb. 74), so sieht man ganz im Gegensatz zu den Befruchtungs- und Konjugationsvorgängen (Abb. 78), bei denen neue Elemente zu den vorhandenen dazukommen und die Erbmasse wirklich vermehrt wird, daß der ganze umständliche Appa- rat der Mitose nur die Technik gleichmäßiger Verteilung der vorhandenen Materie besorgt. Die sich teilenden Zellen sind Abschnürungen, Knospen, Ausläufer, die sich nicht ganz selbständig machen, sondern in Verbindung mit dem System bleiben, dem sie entsproßten. So oft sich das auch wie- derholen mag, die Ganzheit bleibt doch nur das erweiterte und in Arbeits- teilung getretene, befruchtete Ei, das aus sich nur herauswickelt, was darin lag, das aus sich entfaltet, was darin zusammengelegt war und im Game- tobionten durch den Geschlechtsakt jeweils noch dazu gelegt wird. Das hat die Biologie von heute auch eingesehen, und gerade die neueste Botanik gewöhnt sich daran, die Pflanze als Ganzheit einheitlich zu werten und auf ihre einheitlichen Reaktionen hin so zu prüfen, wie es die Menschenbeurteilung in ihrer Welt niemals anders gekannt hat. Und von dem Leben dieser Generationen spinnt sich nach gleichem Gesetz der Faden weiter in die Geschlechterketten, die jeweils durch Anpassung ihre Formen- bildung ändern, trotzdem aber, und das wird von der objektiven Philo- sophie trotz aller Kritik der Entwicklungslehre keinen Augenblick be- stritten, mit den Ahnen so untrennbar zusammenhängen wie die Erdbeeren eines ganzen Gartens, die aus einer Ausläuferranke einer längst zugrunde gegangenen Stammpflanze hervorgingen. Die Entwicklungslehre ist ein Irrtum in der Fassung, wie sie heute noch herrscht, die Tatsache der Abstammung, das Verdienst Lamarcks aber bleibt unbestritten! Es ist nun gar kein Zweifel daran möglich, daß Tiere und Pflanzen genetisch mit- einander zusammenhängen, und daß alles, was heute lebt, direkter Nach- komme der Tiere und Pflanzen ist, die vordem auf Erden lebten. Wir haben zwar keine Anhaltspunkte dafür, ob nicht doch etwas von der Kata- strophenlehre des Cuvier zurecht besteht, ob nicht das eine oder das andere •) Nach Proles: die Knospen, weil er durch Abschnürungen aus der Eizelle sich entfaltet. Auch das Ei und das Spermatozoid (die Gametobionten) werden von ihm durch Sprossung erzeugt. Francs, Bios U 161 Mal die Kette riß und Lebenszusammenhänge neu entstanden. Sind sie einmal entstanden, können sie öfters auch entstanden sein. Kein logischer Widerspruch hindert diese Annahme. Ich sage nicht, daß es so ist, ich sage nur, man weiß weder pro noch kontra etwas. Aber jedenfalls spricht alles dafür, daß die Kette der Schöpfung schon seit langem besteht, und daß nicht nur Menschen durch Dokumente ihr Geschlecht auf das XI. und XII. Jahrhundert zurückleiten können, sondern auch die Menschheit auf Urzeiten, und daß die Säuger, ja die gesamten Wirbeltiere, um die Sache vorsichtig auszudrücken, gemeinsamen Ursprung haben. Es können keine begründeten Zweifel ausgesprochen werden, daß ein Transmutationismus unter gewissen Umständen besteht und vererbt wird. Sowohl die Tatsache der Artensprünge (Mutationen) wie der Vererbung sind wirkliche Beobachtungs- und experimentell prüfbare Tatsachen (vgl. Abb. 69). In den Gärten des Pariser Luxembourg entstand eines Tages an einer gewöhnlichen Rose das erste Exemplar der Moosrosen, dessen Nachkommen heute jeder Gärtner kennt. In Amsterdam zeigte mir der holländische Botaniker Hugo De Vr/es die Nachkommen jener vielen Nachtkerzenarten (Oenothera Lamarckiana), die er eines Tages in Hil- versum in der Nähe von Haarlem als wildwachsende Pflanzen entdeckte, und die nun in seinen Kulturen schon jahrelang die sprunghaft abgeänderten Eigenschaften beib€hielten. Denn das und nicht die Abänderung macht das Wesen der sogenannten Mutationen aus. Plötzliche Änderungen an einem Lebewesen gibt es viel häufiger; aber diese Modifikationen oder Fluk- tuationen, wie man sie benannt hat, und wie sie namentlich den Gärtnern und Tierzüchtern wohl bekannt sind, vergehen immer wieder und hinter- lassen in den Nachkommen keine Spur. Sie bereichern die Art nicht, die Mutation aber bereichert sie, sie macht die Welt mannigfaltiger, sie voll- bringt das, was man so gerne dem Entwicklungsgesetz in die Schuhe ge- schoben hätte. Den ursprünglichen Einwand, daß Mutationen zu selten seien, um durch sie die Eigenschaftenvielheit der Lebewelt erklären zu können, mußte man doch allmählich in dem Maße zurückstellen, in dem man Mutationen kennen lernte: die Kaktusdahlie, die in Amerika entstand, das Merinoschaf, das von einem 1838 geborenen Widder mit langen, seidenartigen Haaren stammt, bestimmte Insekten und dergleichen mehr. Aber, und das ist mir das gegen- wärtig Wichtigste, es zeigte sich neuestens auch, daß die Mutationen aus be- stimmten Ursachen erworbene, also durch Lebensumstände bedingte Eigen- schaften sind, und das entrückt sie wieder dem Bereich des Entwicklungs- begriffes. Der Holländer P. C. van der Wolk''^) hat die Einwendungen*), *) Johannsen wendete ein, die Oenotheraabänderungen seien verwickelte Neukom- binationen genotypischer Elemente, die schon in der Stammform vorhanden waren, auch hielt man sie für Bstarde und Rückschläge von in Amerika einheimischen Pflan- zen, da die Nachtkerzen der Adventivflora angehören und aus Nordamerika stammen. 162 die man gegen die De VnVs'schen Oenotheraversuche ins Treffen führte, zerschlagen durch die Beobachtung eines gewöhnlichen Ahorns, der be- schnitten wurde und nun aus den Knospen in der Nähe der durch einen Bacillus infizierten Schnittwunden abgeänderte Blätter und Blüten hervor- brachte und diese jahrelang vererbte. EXirch künstliche Infektion mit dem Spaltpilz wurde stets das gleiche Ergebnis erzielt, sodaß man hier die erste Mutation vor Augen hatte, deren Ursache bekannt war. Aber auch zugleich die Sicherheit, daß die einzige Art von Eigenschaftenmehrung die Dauer hat, dadurch bedingt Ist, daß sie in einem U rsaclienzusammenhang mit den Lebensumständen steht, also mit dem „Entwicklungsgesetz" als solchem nichts zu tun haben kann! Die Vererbung selbst, an die solche Eigen- schaftenbereicherung gebunden Ist, kann kein entwickelnder Faktor sein; sie Ist nur eine Einrichtung, die das vorhandene Quäle konserviert und anders gruppiert; durch Vererbung Ist aber noch nie etwas vordem nicht Dagewesenes In die Welt gekommen. Auf wenig biologische Fragen hat die Forschung wohl so viel Mühe verwendet, wie auf das Studium der Vererbung, und trotzdem kann man sagen, daß auch selten eine Arbeit so steril geblieben ist, wie die Ver- erbungsforschung. Hätte nicht ein günstiger Zufall dem österreichischen Ordenspriester Gregor Mendel das Zahlengesetz der Vererbung (Mcndel- gesetz) in die Hand gegeben, durch das wenigstens die Verteilung der Erbmasse berechenbar geworden ist, seitdem der Wiener Botaniker C. v. Tschermak*) die Mendelversuche in wissenschaftliche Form kleidete, so wäre die ganze Arbeit im Dickicht der Vererbungshypothesen stecken ge- blieben. Der Kern dieses Mendelgesetzes regelt bekanntlich die Merk- malverteilung bei Rassekreuzungen. Unter gleichbleibenden Lebensbedin- gungen zeigte sich bei Kreuzungen ein bestimmtes, verfolgtes Merkmal in den Mischlingen; in der Enkelgeneration nur 50 Prozent gemischtrassige Exemplare, dagegen je 25 Prozent reinrassige Exemplare der beiden Aus- gangsrassen, die also wieder entmischt werden. Diese Aufspaltung be- weist die in der Menschengeschichte längst klar gewordene enorme Be- deutung der Großeltern für die Eigenschaften, außerdem aber, daß durch Vererbung keine „Mischung", sondern nur eine Durcheinanderschüttelung der „Merkmale (Gene = Erbeinheiten) entsteht, niemals etwas Neues, son- dern nur Kombinationen des Alten, die langsam auch wieder die ursprüng- lichen Zustände herstellen. Die Vielgestaltigkeit der Lebewesen ist ein Würfelspiel aus freien Mischungen und Trennungen von verhältnismäßig wenigen Grundanlagen. Wäre also nicht die Bereicherung durch erworbene Eigenschaften, so gäbe es überhaupt nur unveränderliche Arten. An dieser tausendfach bestätigten Mendelregel läßt sich nicht rütteln. Sie ist der feste Kern der Vererbungslehre geblieben, der von den übrigen *) Mit H. De Vries und C. Correns zusammen. 163 Annahmen nur in wechselndem Reigen umtanzt wird. Es ist an sich hiefür ebenso nebensächlich, ob man die Teilstücke gewisser Fäden in den Zellkernen von Ei und Spermafäden, ebenso in den sich teilenden Zellen (die sogenannten Chromosomen, vgl. Abb. 74), als die Träger der Vererbungseinheiten ansieht, wie daß man nach dem Beispiel des Münch- ner Zoologen Semon die Vererbung auf eine psychologische Basis stellte und ihre Gesetzmäßigkeit mit der des Gedächtnisses analog auffaßte {Mnemelehre). So sehr das auch berechtigt ist, so wenig führte es über das hinaus, was man schon wußte, nämlich über die Tatsache, daß Vererbung wie Gedächnis immer nur reproduzieren, aber nicht schöp- ferisch sind. Erst die Vererbung erworbener Eigenschaften bereichert die Mannigfaltigkeit, und so spitzen sich also die den Kern dieser Fragen erfassenden Arbeiten darauf zu, ob es Belege für diese theoretisch unab- weisbare Möglichkeit gibt oder nicht. Im allgemeinen schien die Er- fahrung ihr zu widersprechen. Täglich erlebt man es im Kreis des Menschenlebens, daß ein Vater mit einem amputierten Arm oder Bein nor- male Kinder zeugt. Das klassische Beispiel sind die Orientalen, die trotz- dem sie nun seit mehr denn hundert Generationen die Beschneidung üben, dennoch Kinder mit einem rassenmäßig normalen Präputium in die Welt setzen. Trotzdem ist heute die Frage der Vererbung erworbener Eigen- schaften auch praktisch in bejahendem Sinn gelöst. Nicht nur in jenem spitzfindigen Sinn, daß — wie der österreichische Vererbungsforscher P. Kammerer sehr richtig bemerkt — jeder Mutationsfall eine Vererbung er- worbener Eigenschaften bedeutet, sondern auch experimentell beliebig zer- gliederbar im Fall des oben beschriebenen van der Wo/Ä'schen Falles. Ein anderes Beispiel ist die von Kammerer selbst untersuchte Verlänge- rung der Ein- und Ausströmröhren der Darmscheiden (Cione intestinalis), die man ja auch experimentell erzeugen kann, und die prompt vererbt wird. So steht denn die Frage derzeit so, daß man nur sagen darf, es werden zwar nicht alle beliebigen Veränderungen, die den Körper treffen, vor allem nichtbiologisch passive Merkmale vererbt, wohl aber das Aktivgut, das der Organismus selbst eingebracht hat, in verschiedenen gut durch- analysierten Fällen. Aber auch da scheint die Einschränkung zu gelten, daß sich nicht die individuellen Variationen — das, was die Vererbungs- wissenschaft jetzt mit einem guten Ausdruck den Phänotypus nennt — vererben, sondern die Arteigenschaften, d. h. der Genotyp. Und Muta- tionen sind dann genotypische Variationen (Johannsen). Das haben — und der Kenner der Wissenschaftsgeschichte wird hiebei ein Lächeln nicht unterdrücken können — die praktischen Pflanzen- und Tierzüchter, die Bauern, die Urmenschen schon lange vor aller Wissenschaft gewußt und durch die Tat bewiesen. Sie haben nämlich alle Kulturpflanzen und Haustiere auf diese Weise gezüchtet: das Pferd aus dem Wildpferd der Steppe, den Haushund aus dem Torfhund der Glazialzeit, das Getreide 164 ■±mm Ofl - Pr • '^ r^^ir H^^B^Hj^mHH^r.'T'-' ^ '^^^tuiK&kj-'- _ ■> V^^B^^^^Hi^^HKSF^ / £fi^^^^^^^^^lvlt^ ^•^. X ^^'''''"^^/f ^- A Aifr\ y^ %^^,^^^ ^. J? V*jil! i* >:'^h-\ 'i 1: ^^5 " X'^^B^tf^ M^^Bi,iV- ..Ti jCl/^^i^b^&i^ > O Abb. 69. Sprungartige Abänderung. Huktuation eines Blattes der Eiche (Quercus) Auf dem etwa 50jährigen Baum, dessen normale BläUer unten wiedergegeben sind, fand sich ein Zweig mit Riesenblättern, wie oben abgebildet. Der Baum stand in einem Eichenwäldchen bei Groß-Haiern in Mün- chen. Originalaufnahme von Frau Dr. A. Friedrich, München aus wilden Gräsern Vorderasiens, die Edeläpfel aus den Holzäpfeln des heimischen Waldes, die Zuckerrübe aus der holzigen Meerstrandrübe usf., indem sie unter vielen, vielen Exemplaren ständig Auslese hielten, und zwar nicht unter den gelegentlichen Modifikationen, sondern unter den genotypen Variationen, die das erworbene Mehrgut auch vererbten. Man hat also von je praktische Mutationslehre getrieben, und das menschliche Wissen hat sich wieder einmal wie bei allem erst nachher Rechenschaft abgelegt, Klar- heit verschafft und eine Theorie gebaut über das, was man getan hatte. Damit ist aber von unserem Problem alles abgeschält, was die Ent- wicklungslehre im Darwin-Häckel'schen Sinn darum gehäuft hat, und übrig bleibt nun nicht eine „Entwicklung der Lebewelt vom Urtier zum Menschen" durch einen geheimnisvollen Entwicklungstrieb, sondern die Tat- sache, daß alles Lebende Eins ist, eigentlich ein in viele Individuationen zerspaltenes Plasmawesen, das seinen Genotypus ständig reproduziert, aber durch Anpassungsarbeit, durch jeweilige Reaktion auf ganz bestimmte, konkrete Reize, die als Nötigung wirkten, diesen Genotyp vielfach in den Formen vom Urtier bis zum Menschen variiert. Wenn also auch die Ent- wicklungslehre fällt, an ihrer Stelle bleibt doch die Abstammungslehre be- stehen. Denn an dem Zusammenhang zwischen großen Reihen von Pflan- zen und Tierarten läßt sich nicht zweifeln. Die Beweise dieser Abstammungslehre sind oft und in glänzender Form, namentlich in England von Huxley, der sich nicht umsonst den General- agenten Darwins nannte, in Deutschland von C. Wiedersheim, K. Guenther, W. Boelsche und E. Häckel ausgebreitet worden, ja hierin ruht sogar das wirkliche und unvergessene Verdienst Häckels, groß genug, um ihm die Dankbarkeit noch mancher Generation zu sichern. Aber es ist auch auf wenigen Gebieten der Naturerkenntnis, vielleicht nur noch in der Ätherfrage oder einst um den „tierischen Magnetismus" jetzt um den Ok- kultismus, so beharrlich Irrtum und Wahrheit durcheinander gemengt worden, wie um die Abstammung des Menschen, die „Affenfrage" und alle diese hypothetischen Stammbäume, die es glücklich fertig gebracht haben, daß, gleichwie kein Forscher von Reputation sich heute gerne mit den landläufigen Okkultisten zusammen nennen lassen mag (sehr zum Schaden der wirklichen Erkenntnis), so auch eine merkliche Abneigung gegen alle diese Stammbaumfragen und populäre „monistische" Propa- ganda einzusetzen beginnt. Tatsache ist, daß es keine Berechtigung gibt, zu sagen, von den Urtieren bis zum Menschen sei die einheitliche Abstammung nachgewiesen. Es ist vielmehr im Gegenteil noch völlig offen, ob die Tierwelt einen monophyletischen oder polyphyletischen Ursprung besitzt, so wie auch im Pflanzenreich die Stämme der Flagellaten, der Siphoneen, der Schizo- phyceen, der Archegoniaten nicht auseinander oder von einfacheren Formen abgeleitet werden können. Dagegen gibt es in beiden Reichen, die auch 165 nicht gut auf einheitliche Urformen zurückgeführt werden können, lange Formenreihen, die sich über Arten, Gattungen, Familien und Klassen er- strecken, deren Blutverwandtschaft ganz unzweifelhaft ist. So ist, und das mag wohl in der ganzen Abstammungslehre das prinzipiell Wichtigste sein, der genetische Zusammenhang des Menschen mit der Tierwelt unzweifel- haft. Nach einem volkstümlich gewordenen Wort ist die Blutverwandtschaft zwischen den niedrigsten Menschenrassen wie also etwa den Weddas, den Buschmännern oder den Hottentoten und den Menschenaffen, wie Schimpanse, Gibbon oder Orang größer als zwischen den tiefstehendsten Menschen und den Vertretern europäischer Kultur.'*) Das ist ein Satz von ganz außerordentlicher Tragweite, ich will es gestehen: er ist viel- leicht der wichtigste der gesamten biologischen Erkenntnis. Bestände ein -prinzipieller Unterschied zwischen Mensch und Tier, wäre ein einheit- liches Denken überhaupt nicht möglich. Die zweifellose Abstammungskette der höchsten Säuger geht aber bis weit in die niederen Wirbeltiere, mit einigen Konzessionen tatsächlich bis zum Lanzettfischchen {Branchiostoma, in der ganzen älteren Literatur noch Amphioxus genannt) zurück. Dann folgt allerdings eine sehr wesent- liche Lücke, die noch durch nichts denn Worte überbrückt ist. Genau so sind die Blütepflanzen und bei einigen Konzessionen die ganzen Kormo- phyten, also alle Pflanzen, von den Rosenblütigen angefangen, die zweifels- ohne im pflanzlichen Lebensbereich das darstellen, was der Mensch im Tierischen ist, bis hinab zu den Lebermoosen (vgl. Abb. 34) von einheit- licher Abstammung, und kein Begriff ist durch die Gesetze des Pflanzen- lebens mehr gerechtfertigt, als der in der Botanik so gebräuchlich gewor- dene der „natürlichen Pflanzenfamilien" (vgl. nochmals Anmerkung 74 Schluß). An dem Prinzip also läßt sich nicht zweifeln, und dem gegenüber ist es wahrlich nebensächlich, in welchem Umfang es angewendet werden kann. Diese Abstammungstatsache ist es, die durch die jedem auch nur halbwegs Naturgebildeten bekannten Erscheinungen der biogenetischen Rekapitulation (vgl. Bd. I Abb. 26), der merkwürdigen Festhaltung von fremden Larven- formen, der rudimentären Organe, durch die Mischbarkeit der Blutsera und gewisse Tatsachen der Tiergeographie belegt wird. Wenn die Wale zwar keine hinteren Gliedmaßen, wohl aber unter der Haut verborgene Reste eines Beckengürtels, sogar manchmal von Schenkelknochen besitzen, oder wenn die Weibchen des kleinen Frostspanners (Cheimatobia brumata), die nicht fliegen, dennoch kleine Flügelstummel aufweisen, wenn der Mensch in der halbmondförmigen Falte im Auge ein Organ entwickelt, das ihm keiner- lei Dienste leistet, oder wenn der menschliche Embryo ein ausgesprochenes Schwanzskelett und das Skelett des Menschen deswegen auch bald 33, bald 34 Wirbel besitzt, weil bei vielen Menschen ein Kaudalwirbel mehr vor- handen ist, so sind alle diese „Rudimente" nicht anders zu verstehen, als 166 daß die Vorfahren aller dieser Organismen eben anders gestaltet waren."') Wenn dagegen der Mensch gewisse Einzelheiten und Organanlagen mit den Amphibien bezw. Reptilien teilt, so die vorhin genannte Plica semi- lunaris oder das Foramen entepicondyloideum humeri oder das primitive Verhalten des Canalis facialis oder die in alternierenden Reihen sitzenden, auf ein Schuppenkleid zurückweisenden Haargruppen oder den Muse, orbi- talis, der schon bei Fischen angebahnt ist oder Organe gleich der Zirbel- drüse bezw. dem Pinealorgan mit den Fischen der Devonzeit, da diese schon ein entsprechendes Scheitelloch in den Schädeldecken besitzen, wenn er mehrfach Zähne bekommt, ein Milchgebiß, die eigentlichen Zähne und die Weisheitszähne nach Art der Fische und Reptilien, die sich eines un- beschränkten Zahnersatzes erfreuen — , so kann die Folgerung aus alledem nichts anderes sein, als daß seine Vorfahren so oder ähnlich gestaltet waren und diese Eigenschaften noch beibehalten haben in einer verküm- merten Form, wie sie funktionslosen Organen zu eigen ist. Genau das- selbe besagen die schon traktierten (Bd. I S. 91—94 Abb. 26) Beweise aus dem Gebiet der Entwicklungsgeschichte oder die Tatsache, daß die jedem Seefahrer bekannten Entenmuscheln (Lepas), die in Wahrheit Krebse sind (Cirripedia), diese ihre Abstammung durch die krebsartigen Larven (Naii- plien) beweisen; genau das gleiche, die berühmte Folge der Vorahnen des Pferdes oder das Auffinden von Zwischenformen zwischen Vögeln und Reptilien nach Art des Urvogels (Archaeopteryx). Nicht minder be- weiskräftig sind die Beobachtungen der Tiergeographie. Die Juwelen der Vogelwelt, die Kolibris, sind mit ihren gesamten 400 Arten ausschließ- lich auf Amerika beschränkt. Die Affen Südamerikas werden als Neuwelt- affen besonders und einheitlich unterschieden, so sehr tragen sie gegen- über den anderen Affenarten ihr besonderes Gepräge. Die palaearktische Fauna dagegen greift reichlich nach Nordamerika hinüber. Das ist nur unter Annahme der Abstammungslehre verständlich, da Nordamerika bis in die geologische Neuzeit mit Sibirien verbunden, Südamerika aber isoliert war. Auch der ganz isolierte Kontinent Australien hat seine Sonderfauna in den Beutlern, die früher überall verbreitet und verdrängt, dort ihr Asyl gefunden haben. So ist denn gar kein Zweifel an der inneren Einheit unseres Geschlechts mit der lebenden Natur mehr möglich, und die ergreifenden Worte, die Goethe zu Eckermann sprach, als er ihm von dem Siege der zum Ab- stammungsgedanken drängenden Denkrichtung in Frankreich berichtete: „Dieses Ereignis ist für mich von ganz unglaublichem Wert, und ich juble mit Recht über den endlich erlebten allgemeinen Sieg einer Sache, der ich mein Leben gewidmet habe, und die ganz vorzüglich auch die meinige ist" — sie müssen jedem Menschen in seinem eigensten Interesse ganz aus seiner tiefsten Seele gesprochen gelten, denn hier erfaßt das Denken wirklich einen der Grundsteine, auf denen der ganze Bau unserer Vorstel- 167 lungen vom Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt ruht. In diesem Abstammungskomplex inbegriffen ist doch auch eine der Fragen aller Fragen, nämlich die der Menschwerdung, die Ursache des Auftauchens des Menschenkopfes aus trübem Elend des bloß tierhaften Lebens. Man gebe sich nämlich nur keiner Täuschung hin: so vollendet auch die Biotechnik des tierischen Körpers funktioniert und den Verstand mit einer Überfülle der sinnigsten und leistungsfähigsten Erfindungen fasziniert, so trist und jämmerlich beginnt das Dasein auf der erreichten neuen Integrationsstufe des Zellenstaates. Das Leben der Tiere, auch der höchststehenden, ver- läuft nun einmal unbeschreiblich primitiv. Gerade, da ich diese Zeilen nie- derschreibe, komme ich von einem Erholungsspaziergang heim, auf dem ich sinnend der Flucht eines Hasens vor dem ihn vergeblich verfolgenden Hühnerhund und den Störchen zusah, die vom Dache unseres Rathauses im Gold der Abendsonne den Flug antraten, um sich noch einen Bissen vor der sinkenden Nacht zu erjagen. Und diese Wunderwerke — was ist doch ein Hase und ein Storch für ein komplizierter Organismus! — sind genötigt, der eine stets voll Angst, unsicher, gehetzt, in einer Welt voll hasenlüsterner Ungeheuer vorsichtig umherzuschleichen in diesen Tagen des Vorfrühlings, auf der Suche nach junger Saat, Klee, Baumrinde, die er furchtsam, mit Erde verunreinigt, zerkaut, um dann in einer mit den Krallen mühsam zurechtgekratzten Erd- mulde die schreckenerregende, lange Nacht zu verbringen, stets gewärtig, von einer Katze, einem Marder, von Wiesel, Fuchs, Uhu und Krähen selbst da überfallen zu werden, wo ihm kein Mensch droht. So elend ist dieses ungeschützte Vagantendasein, daß es längst keine Hasen mehr gäbe, würde nach dem alten Neckrätsel sich Meister Lampe nicht jedes Jahr versech- zehnfachen. Und der Storch, der ein König ist in seinem Revier gegen die Hasen, an deren Brut er sich oft genug vergreift, wie kläglich vergeht dennoch sein Abend! Hinaus, auf gut Glück fliegt er da, ein armseliger, kultur- loser Wilder, der hungrig sucht und mit verirrten Bienen und Schnecken und Regenwürmern vorlieb nimmt, wenn er kein Mäuslein oder Vogelnest oder Frösche erbeuten kann. Was ist das für ein Leben, zuckende, leben- dige Frösche hinabzuwürgen und Sumpfwasser zu trinken und dann die kalte, regnerische Nacht zu verbringen, ungeschützt, zusammengekauert auf einem miserablen Astehaufen, bis ihn wieder der Hunger hinaustreibt zu neuer, rastloser Jagd! Was ist doch dieses Städtchen dagegen für ein Wunderwerk von Leistungen auf der gleichen Integrationsstufe! Sie alle, diese tausend Familienväter, die es bewohnen, brachten an dem Tage, da sie auf die Welt kamen, nicht mehr mit als Hase und Storch und jedes Tier. Im Gegenteil, schutzloser und unbehilflicher ist der kleine Mensch als das junge Tier. Und ursprünglich ist das Leben des Menschen auch nicht anders verlaufen wie so ein Tag der wilden Tiere. Ohne Obdach oder nur 168 in feuchten, schmutzigen Höhlen wohnend, nur vertrauend auf die Kraft seiner Muskeln, die Schnelligkeit seiner Beine, die Kraft seiner Zähne, die Schärfe seiner Augen und die Erfindungen seines Hirnes, begann er seine Laufbahn tierisch als Tier unter Tieren, so wie sie auf ewiger Jagd nach Nahrung, auf immerwährender Flucht vor Feinden, und was hat er aus seinem Leben zu machen verstanden! Es ist ein ganz falscher Begriff, das geht mir in dieser Stunde auf, von dem Menschen eine Übergeistig- keit, Urteile über Welt und Leben, Einsicht in die letzten und höchsten Fragen zu verlangen; er hat genug, er hat sogar Unerhörtes geleistet mit seiner Zivilisation und der Organisation des bürgerlichen Daseins, eine Leistung, die ganz ebenbürtig neben den Anpassungen und Funktionen der Zellen und des Weltenbaues steht. Das muß alles nicht sein; Geist, Genie, Erfindung, Liebe, Güte und Aufopferung in unermeßlichen Mengen ist schon in allem, was einen Menschen in seiner einfachen Alltäglichkeit umgibt: im Obdach, im Haus mit Treppe, Kammer und Stube, mit Herd und Bequemlichkeiten, im Ge- rät, mit dem er sich umstellt, in Tisch und Stuhl, Schrank und Bett, oft genug mit feinem Sinn köstlich gearbeitet, auf das scharfsinnigste einge- richtet, fein zueinander abgestimmt; in der Kleidung, schmeichelnd, warm und kühl, wie er es wünscht, seine Körpervorzüge hervorhebend, seine Mängel höflich verdeckend. Wie wunderbar, daß jeder enthoben ist der ganzen unerträglichen Mühsal, sich das alles selber schaffen zu sollen, wozu weder des Lebens Dauer, noch des Armes Stärke, der Hand Geschick, am wenigsten aber des Hirnes Befähigung zureichen würde. Denn in dem Gerät des Alltags sind Erfindungen, Einfälle, Verstand, Erfahrung, Geist von hundert Generationen und zehntausend Köpfen hineingearbeitet, mehr als in die geistreichsten Bücher, wenn man damit den reinen Naturzustand vergleicht. Vergißt man nicht jeden Tag darauf, daß der Mensch seine Zoesis in einer schlechthin genialen Weise ausgemessen, bis an ihre äußersten Gren- zen hinausgeschoben und wahrhaft optimal durchgearbeitet hat! Welche Hilfsbereitschaft, welches Pflichtgefühl, welche Unsumme vornehmster Ethik ist doch hineingebaut in seine sozialen Organisationen! Da das Rathaus; es sorgt für mein Licht, die Sauberkeit meiner Straßen, die Schönheit der Gärten, in denen ich lustwandle, die Sicherheit meines Eigentums; dort das Krankenhaus, die Schule, die Kirche, das Armenhaus, der Arzt, der Rechtsanwalt, die Feuerwehr, die zahllosen Handelsleute, durch die bei einer einzigen Mahlzeit alle Klimate und Erdteile mir ihre Produkte senden, da Post und Eisenbahn, das Theater, die Musiker, die Zeitung, die Lehrer, die Bücher, die Dichter, — ein Kosmos, ein wohlgeregelt Abbild der Welt zu meinen Diensten! Und ich brauche als Gegenleistung nur in dem, was ich kann, tüchtig sein und fleißig acht und zehn Stunden im Tage, und dieser ganze Zaubergarten, diese Quintessenz von tausend und abertausend 169 gescheiten, genialen und fleißigen Hirnen dient mir jeden Tag vierzehn und sechzehn Stunden lang. Das ist die eigentliche Leistung des Menschenhirnes; dazu ist es da. Diese Welt zu schaffen war die Aufgabe und Möglichkeit seiner Integrations- stufe; als primus unter den Tieren hat der Mensch diese Aufgabe nahezu optimal gelöst. Das verstehe ich unter Menschwerdung. Dieser Prozeß, der wunder- barste und komplizierteste unter allen biologischen Vorgängen, muß an der Abstammung gemessen werden; dann hat man wieder Güte, Liebe, Ver- ehrung, Bew^underung und volle Hingabe für das, was der „Mensch" eigent- lich ist. Was uns so oft mit den Mitmenschen unzufrieden sein läßt, die bewegliche Klage, welche die über ihr Geschlecht Hinausgehenden so oft anstellen, daß die Menschen nicht verstehen und nicht hören auf ihre Worte von Vollendung und Ideal, von Jenseits und höchster Pflicht im Schönen, Guten und Lebensfördernden, daß sie immer wieder lieber in ihre Bürger- lichkeit und den Kreis ihrer Zoesis zurückkehren und noch das Leben eines jeden, der sie über diesen Kreis hinausführen wollte, zu einem Martyrium machten, das ist von nun an für mich und jene, die mich verstehen, als Irrtum unseres eigenen Mißverständnisses erkannt und überwunden. Solches ist eben nicht die biologische Funktion des Menschengeistes.*) Mit seiner Zoesis rundet sich des Menschen Wesen. Was darüber hinaus- geht, gehört einer höheren Integrationsstufe als der Mensch an! Ein ge- heimes Zeichen an der Stirn kündet unter Tausenden von Menschen dem Suchenden, wenn er wieder einen von jener höheren Artung gefunden hat, die eine neue Seinsstufe vorbereiten, eine Geistwerdung, eine Kultur, wenn Zivilisation die Menschwerdung gewesen ist. *) Mit der objektiven Philosophie geht darin ganz konform die Philosophie des Als ob von H. Vaihinger. In der sehr guten Selbstdarstellung seiner Lehre sagt Vaihinger hierüber folgende ausgezeichnete Sätze: „Es ist die alte Klage, daß der menschliche Geist an enge Schranken gebunden sei, von denen höhere Geister nicht eingeengt seien. Meiner Meinung nach aber liegen jene Grenzen des Erkennens nicht in der spezifischen Natur des Menschen im Gegensatz zu anderen, eventuell höheren Gei- stern, sondern jene Schranken liegen in der Natur des Denkens überhaupt, d. h. sie müßten, wenn es höhere Geister gäbe, auch diese und sogar den höchsten Geist be- grenzen. Denn das Denken dient ursprünglich nur dem Willen zum Leben als Mittel zum Zweck und erfüllt auch nach dieser Seite hin seine Bestimmung. Nachdem aber das Denken nach dem Gesetz des Überwucherns des Mittels über den Zweck sich von seinem ursprünglichen Zwecke losgerissen und sich zum Selbstzweck gemacht hat, stellt es sich auch Aufgaben, denen es nicht gewachsen ist, weil es selbst überhaupt nicht für sie gewachsen ist, und schließlich stellt sich das so emanzipierte Denken Aufgaben, die in sich selbst sinnlos sind, wie z. B. die Fragen nach dem Ursprung dessen, was wir Materie nennen, nach dem Anfang der Bewegung, nach dem Sinn der Welt und nach dem Zweck des Lebens. Betrachtet man das Denken als eine bio- logische Funktion, so erkennt man, daß das Denken sich damit unmögliche Aufga- ben stellt und über seine natürlichen Grenzen, die jedem Denken als solchem gezogen sind, hinausstrebt." (Die Deutsche Philosophie d.Gegenwart. II.Bd. Leipzig 192LS.29L) 170 So weit wir nun auch noch von einer wirklichen Kultur entfernt sein mögen, die biologische Funktion des Menschengeistes ist ihrer Vollendung nahe. Jedenfalls ist das, was noch fehlt zur wirklichen Erfüllung des menschlichen Seins und seiner Funktionen, zum wahren Optimum und zur definitiven Harmonisienmg, so drückend und unerträglich es sich auch manchmal auf die Seele legen mag, weit geringer als das, was schon erreicht worden ist. Die objektive Philosophie mit ihrer Lebensregclung ist nichts anderes als eines der Mittel, durch die das Optimum der Mensch- werdung und des Menschenseins erreicht werden kann und soll. Was dar- über hinaus ist, gehört zwar auch noch in ihren Gesichtskreis, bezieht sich aber nicht mehr schlechthin auf die Menschheit als solche und als Masse, sondern zielt auf die den Menschen übergeordneten Integrationsstufen, zu- nächst auf die schöpferischen Menschen. Immer wieder ist es uns bei der Erforschung der Weltgesetze ent- gegengetreten, wie die eine Seinsstufe in die andere sich verwandelt, nicht durch eine geheimnisvolle, von selbst eintretende „Entwicklung", sondern durch eine bestimmte Leistung, die Früchte trägt, wenn man sie mit Er- folg tut, und die unsichtbar ist, wenn sie unterbleibt. Haben wir nicht an Atom und Molekül gesehen, daß das Zusammenwirken nach bestimmtem Gesetz die höhere Stufe der Materie mit ihren bestimmten neuen physi- kalisch-chemischen Eigenschaften schuf, daß die vektoriell gerichteten, be- stimmten neuen Raumgitter von Molekülen den Kristall und seine Wunder- welt aufleuchten lassen; sah man nicht in der Organismenbildung, wie dieser Weg der Assoziierung vor sich geht? Daß die Zellen, die sich unter bestimmte lenkende, denkende unterordnen, dann zu einer höheren Stufe aufsteigen, als jede einzelne von ihnen es jemals kann? Klar vor- gezeichnet ist damit der Weg. Die „Geistwerdung", die Kultur in unserem Sinn*), wenn nun einmal für die höhere Stufe der Menschwerdung diese Bezeichnung festgehalten werden soll, kann darnach wohl nur das Resultat einer Vereinigung und Organisation unter der Leitung jener sein, die über die bloße Zoesis hinausgekommen sind. Wobei es freilich ein Problem für sich ist, ob die körperliche Organisation des Menschen überhaupt noch mit einer solchen weiteren Spannung der Ziele in Harmonie gebracht werden kann, ob Geist im Menschenkörper nicht Widernatur ist, und ob nicht erst die Menschenform in eine neue Verwandlung, vielleicht in das *) Kultur wird dadurch festgelegt als die Arbeit an dem Optimum des Ganzen, dem wir angehören, oder, wenn man so sagen darf, als die Harmonisierung des Bios — während Zivilisation das Optimum in der Zoesis der Menschheit anstrebt. Insofern ist Kultur der höhere und keineswegs jedem zugängliche Begriff, wenn auch jeder, der zivilisatorisch tätig ist, zugleich auch damit kulturell schafft. Denn die volle Er- füllung des Begriffes Mensch ist die Vorbedingung zur Harmonisierung des Men- schen im Weltganzen. Ein Kleinbürger, der sich ein ihm angemessenes organisches Haus baut, schafft damit auch Kultur, ohne zu wissen, daß er es tut. 171 „Werk" übergegangen sein muß, um auf der höheren Integrationsstufe wieder mit Erfolg nach Verwirklichung der uralten Gesetze des Optimums zu ringen. Nicht hier im Rahmen einer allgemeinen Untersuchung der Weltgesetze kann diese nur für die Innenorganisation des Menschendaseins Wert ha- bende Frage in ihrer vollen Tragweite erörtert werden, hier ist sie nur als ein Grenzgebiet erreicht; ihr wahres Entfaltungsgebiet ist der Teil der objektiven Philosophie, der sich mit den Gesetzen des Denkens und Schaffens beschäftigt, aber es durfte auch nicht ganz an ihr vorüber- gegangen werden, denn sie bewies, wie mit der optimalen Entfaltung der Zoesis die „Menschwerdung", das, was eine ältere Terminologie die Ent- wicklung des Menschen genannt haben würde, abgeschlossen wäre. Zweifellos ist es freilich, daß unser Tasten und Gestalten auf der über- geordneten Seinsstufe von dem Erreichen des Optimums ebenso entfernt ist, wie das kulturelle Leben der Tiere und des Urmenschen ^^) von dem seinen, wozu es erst in der Kultur des Menschen namhafte Ansätze er- reicht. Es ist aber ebenso zweifellos, daß das Erreichen des optimalen Gleichgewichtes in der Lebensregelung des Menschen den steten Krisen und Änderungen, die der Mensch so hoffnungsirrend seine Entwicklung nannte, ein Ziel setzen wird. Denn — und damit schließt sich nun dieser große Kreis von Gedanken, der mit der Betrachtung der Rolle des Denkens für das Menschenleben anhob — überall in der Welt des Wirklichen sieht man, wie mit dem Erreichen des Gleichgewichtes alle Transmutationen sistiert werden. Mit anderen Worten, wie ich bereits auf Seite 94 des ersten Bandes nachweisen konnte, es ist erstaunlich, daß man sich auch nur kurze Zeit darüber täuschen konnte, daß alle sogenannte Entwicklung durchwegs bedingt sei, daher diskontinuierlich abläuft und sofort aussetzt, wenn die auslösenden Ursachen fehlen. Was dort gesagt ist von der Umkehrbarkeit von Entwicklungsvorgängen des Organismus und der Inkonstanz der phylogenetischen Entwicklung, wird hier nach all dem Vorangegangenen endlich den Punkt nach dem Entwicklungssatz setzen. Was ich hier vorbrachte, das sind die Gründe, warum ich bekennen muß, was meine Überzeugung ist: Entwicklung im Hegel-Häckel-Huxley sehen Sinn existiert nicht. Die Welt als Ganzes ist vielmehr ein konstantes System, das solange überall und dort Trans- mutationen unterworfen ist, wo es nicht seinen partiellen Ausgleich und nicht den totalen Ausgleich der Teile erreichte, das daher im Ganzen stets optimoklin gerichtet ist. In der Sprache der älteren Philosophie würde dieser Satz so lauten, daß die Entwicklung nicht dem Weltbegriff immanent sei. An diesem Begriff aber hält die Naturforschergeneration fest, die von den genannten Führern erzogen wurde, wobei sie oft einen plum- pen Materialismus mit einer wahrhaft metaphysischen Überzeugung auf das Erstaunlichste verbindet. So hat man (z. B. C. Nägeli) in der 172 Abb. 70. Ein Wetterbaum in den Hochalpcn (sotjcn. Rohne) als Va Unbilden, denen die Bäume im Gebirge ausgesetzt sind Motiv vom Brandkogel im Wilden Kaiser in Tirol. Orifjiiial Abb. "'2. Die Kälk'aiipA^siin.L;- der Christrn'.io (Helleborus \iridis) Die Pflanze hat hei starkem Frost die Blätter gesenkt, wodurch ein Teil vor dem Erfrieren geschützt war. Originalaufnahme von K. Siegle, Pforzheim Biologie einen „Trieb nach Vervollkommnung" angenommen, an dem letzten Endes eigentlich, wenn auch verkappt, diejenigen festhalten, die sich „innere Ursachen" als Motor für den „Aufstieg" der Lebewelt vor- stellen. Die objektive Denkweise kann natürlich auch diesen Vervollkommnungs- trieb nicht anerkennen. Ihr ist das, was man Entwicklung nennt, nur eine bedingte Erscheinung. Sie war erst gegeben als Ausgleichsvorgang, als der Weltprozeß in Gang kam, um die Störungen auf dem Wege zur Harmonisierung zu überwinden. Sie ist eines der Mittel, deren sich die Weltmechanik bedient, um die optimokline Richtung einzuhalten. Darum verläuft — was so viel bewundert und niemals verstanden wurde — die Mechanik der Ontogenie, Phylogenie und Regeneration der Organis- men in ihren Erscheinungen mit einander parallel. Ihr Endziel ist eben in allen drei Fällen nur der Ausgleich der Störungen, und sie stehen still, wenn wieder der Ausgleich erreicht ist. Durch Störungen wird jeder dieser Prozesse in Bewegung gesetzt, durch Verstärkung der Störungs- ursache werden sie beschleunigt; in dem Maße, in dem optimale Zustände angenähert werden, werden sie verzögert oder aufgehoben. Das sind experimentell prüfbare Sätze, zu deren ausführlicher Belegung es freilich nicht weniger Seiten, sondern eines umfangreichen Sonderwerkes bedürfte. Was dort ausgeführt werden kann, muß hier mit einigen Hin- weisen erledigt werden. Das wichtigste in dieser Hinsicht, was nach den Vorarbeiten dieses Ab- schnittes noch zu tun übrig blieb, ist die Feststellung, daß sich Regene- rationen ganz nach dem Gesetz der Ontogenie vollziehen. Die Tatsache der Regeneration ist weit über den Kreis der Biologen jedermann be- kannt, der es einmal beobachtet hat, wie einer Eidechse der verloren ge- gange Schwanz nachwächst oder am eigenen Körper eine defekt ge- wordene Hautstelle sich wieder „regeneriert". Im Pflanzenreiche sind diese Regenerationen nicht so auffällig. Wenn irgendwann die Maikäfer einen Baum kahl fressen, ersetzen die Blätter nicht die verloren gegangenen Stücke, sondern es treiben dann die am Stamm und an den Asten ver- teilten Reserveknospen aus, und das ist keine Regeneration. Es ist eben die Pflanze, wie man an jedem Wetterbaum im Hochgebirge sehen kann (Abb. 70), eigentlich so etwas wie ein Tierstock, eine Koralle, ein dezen- tralisiertes Gemeinwesen, das ständig da abstirbt und dort zuwächst, für dessen Lebensbetrieb also eine Verletzung von Teilen keine Störung be- deutet. Darum antwortet darauf, ganz wie es unsere Auffassung verlangt, die Pflanze nur unter Umständen mit einem Prozeß, wenn ihr Betrieb ge- stört ist. Die Wettertanne (Abb. 70) erträgt es ohne weitere Reaktion, wenn ihr der Sturm Aste knickt und sie an der Luvseite „windschert", wenn aber ein Vögelein sich an der Fichte auf den das Wachstum führenden Gipfelsproß setzt und ihn versehrt, dann richten sich die Seitenzweige senk- 173 recht empor und übernehmen die Führung des Wachstums. (Kandelaber- bäume). Oder, wie die einzigartige und darum höchst beachtenswerte Photographie einer Nießwurz (Helleborus viridis) auf Abbildung 72 zeigt*), die Pflanze handelt in diesem Fall durch Herabsenken der Blatt- stiele sofort, wenn ihr in einer Frostnacht der Tod droht; ähnlich reagiert z. B. das in Abbildung 36 dargestellte Oeranium auf Verletzung. Dem- gemäß gibt es, wie namentlich die Botaniker Goebel und Voechting in schönen Versuchen gezeigt haben, auch bei den Pflanzen Regeneration, die sich bis zur Wiederherstellung von Keimblättern oder der Hervorbringung einer ganzen Pflanze aus einer Weinranke steigern kann. In anderen Fällen wird, wie ich an Erbsenkeimlingen beobachtete, die Zerstörung eines Kotyledos durch eine Entwicklungsbeschleunigung allein ausgeglichen. Immer ist in diesen Fällen die Regeneration nur ein Sonderfall des all- gemeinen Wachstums, das schon bei jeder Zellteilung (Abb. 74) durch die allein es (abgesehen von einigen Fällen von Streckung, z. B. bei Pilzen) stattfindet, und die stets mit Regeneration, nämlich die der jeweils geteilten Zellhälften, verbunden ist. Gesetze dieser Regeneration (vgl. Abb. 71) sind, daß je einfacher organisiert ein Lebewesen ist, desto größer auch seine Restitutionsfähigkeit ist. Beim Menschen beschränkt sie sich auf eine sehr eng umschriebene Heilung von Wunden; einen Regenwurm oder eine Hydra aber kann man in fast beliebig viele Stücke zerschneiden, die den- noch alle wieder zu Ganzbildungen regenerieren. Eine zweite Regel be- sagt nun: daß, je jünger ein Organismus sei, desto mehr sei er fähig zum Wachstum und zur Regeneration. Ferner zeigte sich, daß je umfang- reicher der Substanzverlust ist, desto größer ist auch die Beschleunigung des Wachstums, also die Energie der Regeneration. Ein Krebs regeniert beide Scheren schneller als eine, ein Molch ersetzt ein Bein schneller als den verlorenen Fuß.") Dazu ergab sich die Tatsache, daß die Regeneration keineswegs auf die lebenden Systeme allein beschränkt ist, sondern auch den Kristallen eignet (vgl. dazu Bd. I S. 126). Einmal darauf aufmerksam geworden, wird man finden, daß ihre Mechanik und Teleologie letzten Endes auch in den vektoriell nicht gerichteten Systemen wiedererkennbar ist. Die Wiederher- stellung der Kugelform bei einem gestörten Tropfen oder an einem ein- gedrückten elastischen Ball ist im Prinzip auch etwas wie eine Regenera- tionserscheinung. In allen Fällen aber ist, wie ein Durchdenken der Regenerationsgesetze unwiderstehlich zu sagen nötig, die Regeneration stets eine Transmutation, ein Prozeß, der auf Nötigung hin eingeleitet wird, der *) Ich verdanke sie Herrn K- Siegle in Pforzheim, der im August 1914 vor seinem Auszug ins Feld mir seine sehr wertvolle Photographiensammlung übersandte „zur Verwertung in wissenschaftlichen Werken, falls er nicht mehr zurückkehren sollte". Da er seit 7 Jahren verschollen ist, erfülle ich nun dieses Legat, zugleich als ehrendes Denkmal für seinen Urheber. 174 also stets bedingt ist.*) Daß sie sich bei weniger differenzierten Organis- men vollkommener betätigt, ist leicht erklärlich, wenn man bedenkt, daß jede Entwicklung zuerst, wie namentlich die Regeneration der Iris von Triton (vgl. Bd. I S. 93) bewies, und wie ich schon ausführlicher dar- gelegt habe, von einer rückläufigen Differenzierung eingeleitet wird. Diese rückläufige Differenzierung ist aber auch, wie Cohen-Kyspcr nach- gewiesen hat, bei jeder normalen Entwicklung vorhanden, sodaß Regenera- tion und Ontogenese auch darin konform verlaufen. Es gibt ebenso ein rückläufiges Wachstum (Involution) mit einer Größenabnahme, wodurch weniger Zellen neu entstehen als zugrunde gehen. Solches kann man z. B. beobachten an den Froschlarven um die Zeit, da sie ihre Kiemen und ihren Schwanz einschmelzen. Involution tritt auch in jedem Organismus auf, wenn er altert, oder wenn man ihn länger währendem Hunger aus- setzt. Die Abmagerung ist ihr erstes Symptom; im weiteren Verlauf aber kommt es auch zur vollen Umkehrung der Entwicklung mit gleichzeitiger Entdifferenzierung, bis nur wenige, ganz embryonale Zellengattungen zu- rückbleiben. E. Schultz''^) zeigte an Seescheiden (Clavellina), den Strudel- würmern Planaria und Hydren, ebenso wie andere Verfasser an den Meeres- polypen, daß zum Beispiel die letztgenannten Tiere (vgl. Abb. 73) ihren doch ziemlich weit in Fangarme, einen Mund und Magenraum, Stiel und Fußscheibe gegliederten Körper durch Hunger Stufe für Stufe zurückbilden unter Einschmelzen, bis sie schließlich fast wieder ihrem eigenen Ei gleichkommen. Hunger veranlaßt bis zu den höchsten Lebewesen hinauf Entwicklungshemmungen, wofür die schrecklichen Bilder der Kriegskinder in den Jahren 1917—1920 jedermann genügend Zeugnis abgelegt haben mögen. Eine Kaulquappe, die kein- Fleisch erhält, bleibt monatelang mit allen ihren Organen und Geweben in ihrer Größe und ihrer „Gesamt- entwicklung" auf dem gleichen Stadium. Rückläufige Entwicklung setzt aber auch aus entgegengesetzten Ursachen ein. So gibt es Schmarotzer- tiere und -Pflanzen, die aus zu leichter und reichlicher Ernährung ihre Organisation vereinfachen und zu tieferen Differenzierungsstadien hinab- sinken, so wie Hydroidpolypen durch Hunger Larven wurden. Kurz, dieses ganze Beweismaterial plaidiert immer für die zwingend ge- wordene Lehre, daß „Entwicklung" in allen ihren Formen, sei es nun Em- bryogenese, Ontogenese, Phylogenese oder Regeneration, stets nur auf konkrete Nötigung, auf Anstoß und Störung des Gleichgewichtes erfolgt, und daß der hier schon wiederholte Satz, Entwicklung sei eine Reaktion, durch die das sich entwickelnde System seiner Ausgleichslage zustrebt, zu Recht besteht. Leben ist eben auch deshalb eine ständige Trans- *) Was ich schon 1917 in meinem Werke: Der heutige Stand der Darwin'schen Fragen (Leipzig) vertrat, wo ich auch bereits als Vorläufer der objektiven Philoso- phie die Einführung biologischer Gesichtspunkte in die anorganischen Wissenschaften forderte (S. 96). 175 mutation, weil es die ständig versuchte Wiederherstellung des ständig aufgehobenen Ausgleiches ist. Alles dieses Gesagte gilt nun ebensogut für die phylogenetische Ent- wicklung. Auch sie ist inkonstant, auch sie ist nicht plan- sondern zwangsgemäß. Es gibt fast ebensoviele konstante Arten, wie solche, die sich sprunghaft entwickeln. Immer wieder sieht man, daß dort, wo Muta- tionen eintreten (wir wissen bereits, daß die stammesgeschichtlichen Ände- rungen sich nur durch Mutationen vollziehen), diese sich dann explosions- mäßig, überaus stürmisch melden. Die gesamte Systematik der Zoologie und Botanik ist voll von solchen explodierten und merklich überquellenden Formenkreisen. Man braucht hierzu die Fachkenner nur an die Gattung Carabus oder Helix unter den Tieren oder die Gattungen Navicula, Nectria unter den „niederen" und Rubus, Hieraciutn oder Rosa unter den „höheren" Pflanzen zu erinnern. Ihre Existenz bedeutet, daß eine „Entwicklungs- ursache" die Vorgänge in ihnen eben geradezu stürmisch auslöst, und daß der Weg der Fortpflanzung eben deswegen, weil dieses Bild der reichen Formenkreise nicht allgemein ist*), stets zwischen langer Konstanz und gelegentlichen Explosionen wechselt. Die Fortpflanzung, das Mittel der Phylogenie, wird allgemein definiert als das Mittel, um die Art zu erhalten. Diese Definition aber ist kurz- sichtig. Sie übersieht eine zu kurze Linie des Geschehens. Fortpflanzung würfelt nach der Mendel-Regel die Eigenschaften durcheinander. Jedes Würfelspiel aber ist eine Möglichkeit, um einmal die günstigste Variante zur Erfüllung des Seins, also das Optimum des Merkmalsystems hervor- bringen zu können. Mit anderen Worten: auch die Fortpflanzung gehört in die Gruppe der optimoklinen Geschehensarten. Sie ist eines der Mit- tel des Organismus, um sein Optimum zu erreichen. Die Richtigkeit dieses sehr bedeutungsvollen Satzes kann daran ge- prüft werden, daß, wenn er stimmt, die Fortpflanzung sich ähnlicher Mittel bedienen muß, wie die Regeneration, die ja dem gleichen Zwecke: Wiederherstellung der optimoklinen Situation dient. Und tatsächlich sieht man auch im Tier- und Pflanzenreich Wachstum, Regeneration und Fort- pflanzung untrennbar mit einander verbunden und unmittelbar in einander übergehen. Die Hydroidpolypen (Abb. 73) und Medusen oder das merk- würdige Bryophyllum (Abb. 71) schnüren Individuen von sich ab (Strobila der Medusen!) sowohl auf Verletzungen hin, wie man das an dem abge- trennten Blatt des Bryophyllum oder letztlich auch an jedem Begonia- Steckling sehen kann, wie auch aus reinem „Fortpflanzungstrieb" heraus. An manchen Pflanzen stellen sich solche freiwillige Ablösungen oft in absonderlichen Formen ein, wie z. B. an der Abb. 76 dargestellten Kröten- *) Es gibt zahllose Gattungen mit nur einer oder zwei Arten oder Familien mit ganz wenigen Gattungen. Beispiele sind die Moiiotrematen oder Narthecium ossi- fraga, Majanthemum bifoliatum und andere. 176 Abb. 73. Hydroidpolypen von Obclia beruht die von Oswald Spengler verkündete Entdeckung vom Werden, Blühen, Wachstum, Altern und Tod der Völker und ihrer Kul- turen «i), so sehr auch Spengler jeden „Naturalismus" ablehnt. Die Mensch- heit versuchte erst jeden anderen Denkweg zu gehen und läuft auf diesen anderen Wegen heute noch, gepeinigt von dem Selbstgefühl, etwas Be- sonderes und Anderes zu sein als die Welt; sie wird aber doch endlich zu der einfachen Konstatierung zurückfinden, an der sie immer wieder vor- beiging, daß ein alter Baum, etwa eine tausendjährige Eiche oder der nächstbeste Naturwald seine soziale und organisatorische Struktur die Jahr- tausende hindurch ohne jede Änderung aufrechterhält, während die Men- schen ihre soziale Strukhir ununterbrochen umorganisierten; auch jetzt sind sie wieder mitten in einem solchen Umbau darin. Zehnmal haben sie, seitdem sie Erinnerungen haben, ihres Lebens Formen geändert; seit tausend Jahren in diesem Lande allein primitiv, romanisch, gotisch, renais- sancemäßig und barock, rokoko, klassisch, biedermeierisch, historisch und 185 modern gelebt und gebaut, sich immer wieder anders gekleidet, sich immer wieder in anderen sozialen, politischen, gesellschaftlichen Daseinsformen versucht. Ihre Lebenstechnik hat ununterbrochen „lebenstechnisch trans- mutiert", mit Hohn und Dünkel hat man so lange im Gefühl von Fort- schritt und „höherem Menschentum" auf die Vorfahren herabgeblickt, bis sich fast das gegenteilige Gefühl einstellte und man heute nicht mehr im Ernst glaubt, der Mensch der Gegenwart sei in irgend einer Beziehung mehr Mensch als die Menschen von Einst. Der Wald aber, sein Gegenbeispiel, ist als Schlußverein inzwischen un- verändert geblieben und bewies, daß er lebenstechnisch optimal organisiert sei; die Menschheit dagegen muß sich entwickeln, weil sie immer noch nach ihrer „optimalen" Lebensform sucht. Das hat der große Philosoph des Entwicklungsgedankens, //. Spencer, auch eingesehen schon in seinem Erstlingswerk, der „Sozialen Statik", wenn er dort betont, daß der Mensch aus den Notzuständen seines Lebenskreises gezwungen, die steten Ver- änderungen durchläuft, die sein soziales Leben charakterisieren, daß dies aber in optimokliner Richtung geschieht und mit dem sozialen Ausgleich zur Ruhe kommen wird. So paradox das im ersten Augenblick auch erscheinen mag, so muß die objektive Denkungsart gerade bei ihrer Auffassung der Entwicklung als einer Entfaltung, Spencer als einen ihr Nahestehenden reklamieren, trotz- dem er die „Fortentwicklung", wie das Lieblingswort des Spencerismus lautet, zur absoluten Weltparole machte und auf sie seine gesamte Philo- sophie einstellte. Hinter der Spencer^sohtn Entwicklung steckt nämlich letzten Endes nichts anders als das Optimumgesetz des Seins (vgl. Bd. I S. 98). Den Beweis hierfür zu führen, fällt nicht schwer. Ausgangspunkt seiner Auffassung war, wie bereits erwähnt, die Baer^soht Formel: Ent- wicklung sei der Übergang von der Homogenität zur Heterogenität, eine Definition, die von dem deutsch-russischen Zoologen aus der Eifurchung abgeleitet worden war. In der Sprache der Spencer'sch^n Philosophie (bekanntlich immer noch die herrschende im englischen Kulturkreis) ausgedrückt, erkannte nun Spencer alsbald, daß diese Formulierung nicht nur die organische, son- dern auch die unorganische, kurz alle Entwicklung umfasse. Aber in jener Reihe von Artikeln, in der sich die Klärung und die Anerkennung seiner Ansichten vollzog, dringt schon alsbald, wie z. B. in der „Erziehungs- kunst", die Auffassung durch, der Gang des geistigen Wachstums sei eine bloße Entfaltung vom Einfachen zum Zusammengesetzten, ein rein mechanisches Problem von Gleichgewichtsfragen in einem sich differen- zierenden System. Bald taucht nun die Formel auf, Entwicklung sei eine Anhäufung (das nennt er Integration in seiner Sprache) von Stoff unter gleichzeitiger Zerstreuung (Desintegration) von Bewegung (also letzten Endes Energie) aus relativ unbestimmter Ungleichartigkeit, wobei er zu- 186 gleich zugibt,*) daß jedem Werden ein Vergehen, jeder Entwicklung ihre Auflösung gegenübersteht, weil das Universum von antagonistischen Kräf- ten beherrscht wird und einen ewigen Rhythmus von Evolution und Disso- lution durchmacht. Die Grenze der Entwicklung wird erreicht sein, wenn alle Bewegung der großen Massen in eine solche der kleinsten Teile umgewandelt sein wird, wodurch ein allgemeines Gleichgewicht entstehen muß. Die Ent- wicklung verläuft umso schneller, je weiter sie von diesem Ziel entfernt ist, und desto langsamer, je mehr sich die Systeme, in denen sie sich voll- zieht, dem vollkommenen Gleichgewichtszustand nähern. Daß ein solcher erreicht werden muß, daran zweifelt Spencer nicht einen Augenblick. .Wenn er allerdings meint, daß dann sofort die Dissolution einsetzen müsse, so ist damit eine Behauptung ausgesprochen, die über die Erfah- rung hinausgeht und insofern angezweifelt werden kann; daran aber kann nicht mehr gezweifelt werden, daß auch die Spencer'sche Auffassung der Entwicklung gleich der unseren nichts anderes im Geschehen sieht, als eine optimokline Entfaltung der einmal in das Weltsystem gelegten Eigen- schaften. Neues wird auch durch sie nicht in die Welt gebracht — letzten Endes ist also auch der so viel gefeierte Paladin der Entwicklungstheorie der Anhänger eines Konstanzglaubens, der sich mit dem einer ewigen Transmutation logisch vereint. Gewiß bestehen zwischen der objektiven Philosophie und dem Positi- vismus der Spencer'szhtn Richtung eine Reihe von Differenzen, (so, wenn er zwar sehr richtig die biologische Entwicklung durch die astronomisch- geologischen Rhythmen der Erde bedingt sein läßt, dennoch aber das Vor- handensein von Beharrungsperioden leugnet), trotzdem werden die An- hänger Spencers sie überbrücken und in ihrem Weltprinzip unser Opti- mumgesetz wiedererkennen, nach dem jedes Sein in allen Integrations- stufen und mit jeder Funktion drängt. In welcher Funktion aber diese Entfaltung zum Optimum durch die an- deren Gesetze des Weltenseins geregelt und allein ermöglicht ist, das zu untersuchen, ist die Aufgabe der zwei nächstfolgenden Abschnitte. Und erst dann wird es an der Zeit sein, zu betrachten, in welchen Lebensformen sich des Menschen Dasein abspielen muß, wenn er endlich von dem Alp eines „Sich-Entwickelns ohne Ziel" befreit ist und wieder feste, ewige Sterne über sich sieht. *) H. Spencer, First principles. 6. Ed. § 145. 187 Anmerkungen und Zusätze 48 (Zu S. 132). Da dieser Punkt wichtig ist zur gesamten Einschätzung der objek- tiven Philosophie, will ich, zur reinlichen Scheidung vom Materialismus, ihn nochmals hervorheben, obzwar fast keine Seite des vorliegenden Werkes nicht in irgendeiner Form die Scheidung von dem unberechtigten Teil des Materialismus durchführt. Man mißverstehe also nicht. Nicht das wird hier gesagt, daß Leben und Geistestätigkeit auch nur Chemophysik schlechthin sind, sondern, daß es heute zwei Arten von Chemo- physik gibt, eine teleologiefreie (deren Gebiet sehr eingeengt ist, sich vielleicht ein- mal verflüchtigt) und jene teleologisch verkettete, die man Lebenserscheinung und Geistesleben nennt. Also nicht das Leben wird mechanisiert, sondern die Chemophy- sik wird „vitalisiert". Und das ist der grundlegende Unterschied zum Materialismus. Nach Lebensgesetzen hat die Welt verstanden und das Leben geordnet zu werden, nicht nach chemophysikalischen allein. Die Welt ist ein „Erleben", sie ist mehr als ein Kosmos (eine bloß durch mechanische Gesetze geordnete Vielheit), sondern sie ist ein Bios (eine durch Lebensgesetze geordnete Vielheit). Das ist die grundlegende Auseinandersetzung mit dem Materialismus, aus der alles weitere folgt. Der Materia- lismus enthält Wahrheiten, aber er ist nicht die ganze Wahrheit. 49 (Zu S. 133) Vgl. //. Hertz, Die Prinzipien der Mechanik. Leipzig 1894. J.New- ton, Philosophie naturalis principia mathematica. London 1867. 50 (Zu S. 136). Das wird neuerdings von verschiedenen Forschern auch erkannt. So versucht A. Cohen-Kysper (Die mechanistischen Grundgesetze des Lebens. Leip- zig 1914) zu Lösungen ganz im Sinne der objektiven Philosophie zu kommen, und auch L. Kohl, (Das Ziel des Lebens, München 1920), versucht die Mathematik auf den Begriff einer moralischen Energie anzuwenden. 51 (Zu S. 136). Vgl. namentl. A. Comte, Cours de la philosophie positive. Paris. 5. Aufl. 1893. H. Spencer, Grundlagen der Philosophie. 1895. G. Ratzenhof er. So- ziologische Erkenntnis. Leipzig 1897 und Positive Ethik. Leipzig 1900. /. Unold, Organische und soziale Lebensgesetze. Leipzig 1906. O. Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Bd. I. Wien 1917. Ebenso die Schriften der Darwinianer Wolt- mann, Lütgenau und Schallmeyer und Häckels Welträtsel 1899. 52 (Zu S. 139). Vgl. E. Dühring, Kritische Geschichte der Nationalökonomie und des Sozialismus. Leipzig 1900. 53 (Zu S. 140). Die physikalische Beobachtung kann nie ein Korrektiv der „biolo- gischen" Einsicht sein, denn sie zeigt nur, daß sich die „Auswahl" unserer Sinnestätig- keit, also der sinnesphysiologische und psychische Prozeß so abspielt wie das Gesetz der Mathematik, d. h., daß eben das ,„Seelische" immer identisch funktioniert, ob es nun Abstraktionen verknüpft oder Sinneseindrücke. Dies sieht man z. B. aus der üb- lichen Ableitung des Parallelogramms der Geschwindigkeiten. Der Physiker legt sich eben alles nach den ihm an der Erfahrung innegewordenen Denkgesetzen zurecht und schuf sich so seine klassische und jetzt wieder die neue Mechanik, die sich von der alten in nichts anderem unterscheidet, als in der Einsicht von der Biozentrik aller Er- kenntnis, also nur „Relativität" aller Beziehungen. 54 (Zu S. 144). Die Auffassung der „Soziologie als Mechanik menschlicher Bezie- hungen" hat grundlegende soziale und politische Änderungen zur Folge. Denn, wenn die Gesetze aus den Beziehungen der Teile eines komplexen Systems fließen, müssen die Beziehungen der Menschen zueinander nach Notwendigkeiten geregelt werden und nicht bloß gefühlsmäßig wie bisher durch religiöse, geistige, historische Autori- täten. Es werden also z. B. ihre Hauptgesetze die der Regulation und der Korrelation sein müssen, d. h., jedem wird so viel Einfluß auf das Ganze eingeräumt werden müssen, als es seine Potenzen und sein vererbter Funktionskomplex fordern. Damit eröffnet sich ein neuer Forschungszweig, eine bisher unbekannte historische und 188 staatswissenschaftliche Betrachtungsweise, die eine „Technik der menschlichen Bezie- hungen" aus Biologie und Physik genau so schaffen wird, wie sich eine angewandte Chemophysik und Biotechnik so reich als „Technik der Naturkräfte" entfaltet hat. Ein Vorläufer auf diesem Wege ist H.Nienkamp (H. Kliemkc) mit dem aus seinem Werk „Fürsten ohne Krone" hervorgegangenen Frey-Bund, der nach Feststellung dieser opti- malen sozialen Leiter trachtet. Tatsächlich wird die organische Gemeinschaft weit mehr eine Monarchie (aber nicht eine der reinen Vererbung, sondern einer intensiven Aus- lese auf optimales Menschentum hin, wobei die Rassefrage mitspielt) als eine Demokra- tie sein, in der die Majorität (wobei die Elemente gleichgewertct werden) das Handeln des Ganzen bestimmt. Alle Gemeinschaften müssen in diesem Punkt einen Entscheid treffen ; die Menschen werden ihm nicht ausweichen können. Wenn sie der Entscheidung ausweichen, dann werden die Krisen die notwendigen Änderungen selbst herbeiführen. 55 (Zu S. 145). Diese vorsichtige Formulierung bezieht sich auf die Erkenntnis, daß die Gehirnleistungen im Gehirn nur ein spezialisiertes Ausführungsorgan besit- zen, aber unter Umständen vertretbar sind durch andere Körpcrzellen, wie der groß- hirnlose Hund von Goltz und die Versuche an großhirnlosen Fröschen und Tauben von Pflüger und Schrader mit Sicherheit ergeben haben. An der Grundtatsache än- dert sich dadurch nichts, nur die Lokalisationsfrage der Leistungen und das Problem der Vertretbarkeit der Hirnleistungen ist noch im Flusse. 56 (Zu S. 146). Vgl. hierzu R. France, Pflanzenpsychologie als Arbeitshypothese der Pflanzenphysiologie. Stuttgart 190Q. 57 (Zu S. 147). Vgl. Berthelot, Chemische Mechanik, gegründet auf Thermody- namik, 1879. 58 (Zu S. 147). In der Physik ist der Satz von der sogenannten „harmonischen Bewegung" desgleichen nichts anderes, als die Konstatierung, daß Bewegungen unter bestimmten Bedingungen optimoklin verlaufen. Bei der Untersuchung der sogenannten harmonischen Bewegung macht man Gebrauch vom Kräfteparallelogramm (vgl. Abb. 57). Um das zu verstehen, betrachte man die Figur auf S. 141, ;iiif der ein Körper auf der geraden Linie sich abwechselnd auf- und abbewegen soll. Wenn er nun eine Be- schleunigung erfährt, die nach einem festen Punkte hingerichtet und proportional dem Abstand von diesem Punkte ist, dann vollführt er eine harmonische Schwingung, bei der jeder Teil des Weges sich zum ganzen Weg nach dem Gesetz der Harmonie ver- hält, also das günstigste Maßverhältnis verwirklicht. Tatsächlich geben Saiten, die nach diesem Gesetz schwingen, harmonische Töne. Ein fester Körper, der so schwingt, ist absolut elastisch, damit gegen von außen angreifende Kräfte geschützt. Um das auf seine Richtigkeit zu prüfen, beziehungsweise das Tempo der Bewegung zu beschreiben, verwendet man, wie die Figur zeigt, einen Hilfskörper, von dem vor- ausgesetzt wird, daß er sich auf dem gestrichelten Kreis mit solcher Geschwindigkeit bewegt, daß er ihn ganz umläuft, bis der Körper seine Amplitude hin und zurück be- schrieben hat; dann ist auf jedem Punkt des Weges, von denen die Zeichnung emen beliebigen festhält, das Verhältnis nach dem Gesetze der Harmonie oder des goldenen Schnittes festgelegt. Die harmonische Bewegung erfüllt damit das Optimumgesetz. 59 (Zu S. 148). Vgl. R. France. Das Edaphon. Untersuchungen über bodenbewoh- nende Mikroorganismen. 2. Aufl. Stuttgart 1921. 60 (Zu S. 149). Vgl. E. Dacque. Der Deszendenzgedanke und seine Geschichte. München 1903. 61 (Zu S. 150). Es ist kein Zweifel und erfordert genaueste philologisch-historische Belegsarbeit, daß die Wiederaufnahme der Entwicklung (in naturhistorischer Form als Abstammungsgedanke) durch Darwin, Huxley und Hacket nichts als eine Aus- strahlung der Megel'schen Lehren in die Naturwissenschaft ist. Der //^^i^/'schc Grund- gedanke, durch den er über Schelling und Fichte hinausging, ist, daß das von ihm postulierte Absolute nicht Sein, sondern Entwicklung ist. Der Weltprozeß wird von 189 ihm als eine „Selbstentwicklung des Absoluten" aufgefaßt. Schon die Hegel'sche Me- thode, die notwendig dann zu gleichen Resultaten führt, setzt voraus (und zwar will- kürlicherweise, weshalb auch das Finden von Entwicklungssymptomen gar kein Be- weis ist, sondern nur die Konstatierung, daß sich Teile finden lassen, wenn jemand ein Ganzes in Teilen betrachtet), daß jeder Begriff in sich seinen Gegensatz besitze und zu dieser Negation forttreibe*), um bei Erreichung der höheren, die Einheit ver- mittelnden Form, ad infinitum wieder diesen „Entwicklungsprozeß" fortzusetzen. Er setzt also in seiner „Phänomenologie des Geistes" vor dem Begriff dessen „imma- nente Bewegung" voraus. Darum erscheint von da ab immer bestimmender bei ihm der Begriff einer alles durchdringenden Entwicklung, der mit der Verbreitung sei- ner Philosophie allmählich nun auch die gesamte Geistigkeit: Rechtslehre, Politik, Gesellschaftslehre erfaßte, die Schlagworte vom notwendigen politischen, industriel- len, sozialen „Fortschritt" (nicht das Ziel, sondern das Gehen an sich ist dieser Rich- tung das Wichtige) schuf und nun notwendig den Liberalismus, mit Marx den Sozia- lismus, den Industrialismus nach sich zog. Der Darwinismus-Häckelismus war ein- fach nur die Übertragung dieser Lehre und Schlagworte auf das Gebiet der Naturbe- trachtung. Man hatte zwar auch hier gar keinen Beweis für eine andauernde und ziel- los fortschreitende Entwicklung, sah im Gegenteil an der einzigen Erscheinungsfolge, auf die man alles gründete, an der Ontogenie, daß der Entwicklung sehr bald ein Ziel gesetzt war, nämlich nachdem sich der Embryo zur Wiederherstellung der Eltern- form entfaltet hatte; trotzdem herrscht gerade hier unerschüttert und absolut der Glaube an eine allgemeine Weltentwicklung, deren Ziele unerkennbar sind. 62 (Zu S. 151). Poincare zeigte durch mathematische Abteilungen, daß die Mecha- nik der Annahme von Laplace (rotierende Kugeln lösen sich in Schalenringen ab) nur für homogene, nicht aber für komplexe Systeme gilt. Bei diesen müssen Eifor- men entstehen, schließlich hanteiförmige Gebilde, aus denen zwei Kugeln hervorge- hen. Das bestätigt Darwins Sohn, G. H. Darwin, mit seiner Theorie, daß der Mond als Stück der Erde (aus dem Stillen Ozean losgerissen) zuerst irdische Rotation hatte, aber sie so wie diese durch Gezeitenreibung ändert, so daß hierin gar keine Stabili- tät besteht. Vgl. hierzu Gx H. Darwin, Ebbe und Flut. Leipzig 1911 — auch als neuere Kosmogonie H. Hörbiger — P. Fauth, Glazial-Kosmogonie, Kaiserslautern 1913. 63 (Zu S. 151). Dabei wird als neuester Einwand gegen den Wärmetod des Clau- sius von Arrhenius ins Treffen geführt, daß die ein- und zweiatomigen Gase, zu de- nen auch Helium gehört, sogenannte negative spezifische Wärme besitzen. Sie wer- den also umgekehrt wie die anderen Gase durch Wärmeausstrahlung wärmer, durch Wärmeaufnahme kälter. Nachdem nun unendliche Räume des Himmels mit diesen Gasen: Nebulium, Hydrogen, Helium erfüllt sind, kann sich nach Arrhenius das En- tropiegesetz in ihnen nicht praktisch verwirklichen. 64 (Zu S. 151). Vgl. G. Le Bon. L'evolution de la matiere. Paris 1905. 65 (Zu S. 152). Vgl. Clausius. Die Potentialfunktion und das Potential 4. Aufl. Leipzig 1885. — H. Poincare, Theorie du potentiel newtonien. Paris 1899. 66 (Zu S. 153). Vgl. Ch. Lyell. Principles of geology. 1832. 67 (Zu S. 155). Vgl. W. Eckardt. Palaeoklimatologie. Leipzig 1910, S. 6. 63 (Zu S. 156). Vgl. dazu E. Suess. Das Antlitz der Erde. 3 Bde. Prag 1885 bis 1909 und E. Kayser, Lehrbuch der Geologie. 5. Aufl. Stuttgart 1919. 69 (Zu S. 156). Als Beleg diene F. Frechs Übersicht über die Entstehung des Erd- reliefs: Es gibt nach ihm I. Bruchgebiete. Hierzu gehören die Liparischen Inseln (ver- gleiche Bd. I, Abb. 71), die Stellen neuer Meeressenkungen (wie die Adria, das *) Wieviel? Kraft welcher Eigenschaft? Das wird nicht gesagt und ist willkür- liche Fiktion. 190 Schwarze Meeis der Indische Ozean) kontinentale Senken nach Art der afrikanischen Grabensenke (Tanganjikasee) oder des Rheintales. II. Gebirge, die um die Ursprung- hche Lücke des Pazific durch seitlichen Zug entstanden sind. Man vergleiche dazu '■. VH^^^^.^'^^'J^'^ "^^^ ^*"^^ Ozean von Randgebirgen und Vulkanketten umrandet ist. III. Alpine Gebirgstypen. An alten Rümpfen (Variskikum) wird eine plastische Zone aufgestaucht (vgl. F. Frech. Aus der Vorzeit der Erde. II. 1910. S. 2U). 70 (Zu S. 158). Im besonderen tritt neuestens H. Driesch der Auffassung ent- gegen, als sei Entwicklung ein durchgängiges Weltgesetz. Desgleichen //. Ludowici m einem sehr lesenswerten Buch, das sich bemüht, ein durchgängig wirksames Ge- setz des Ausgleiches nachzuweisen, in dessen Formulierung nichts als die Erkenntnis der Harmonie als oberste Zusammenhangsregelung und damit die Anerkennung der objektiven Philosophie steckt. Vgl. H.D/iesch, Philosophie des Organischen 1911. Logische Studien über Entwicklung. (Sitz-Ber. der Heidelberger Akademie der Wis- senschatten 1918—1919) und H. Ludowici, Spiel und Gegenspiel. München 1921. 71 (Zu S. 159). Vom äußeren Keimblatt (Ectoblast) stammen z. B. die äußere Haut und deren Einstülpungen in den Körperöffnungen, das Nervensystem, die Lin- sen. Vom inneren Keimblatt (Entoblast) die Schleimhäute und die in sie mündenden Drüsen (Leber, Pankreas) im ganzen Bereich der Verdauungs-, Atmungs- und Aus- scheidungsorgane. Vom Mittelblatt (Mesoblast) zweigen sich ab die Muskeln, die Auskleidung der Qeschlechtswege, Keimdrüsen, der Niere. Vom Zwischenblatt (Me- senchym) die Bindegewebe, Knochen, Knorpel, Organmuskeln, Blut-Lymphbahnen und Blut- sowie Lymphdrüsen. Nach Keibel und Mall, Franklin: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen. 72 (Zu S. 160). Bei dem Meereswurm Sagitta wies der französische Zoologe Yves Deläge nach, daß schon bei der Bildung der Morula gewisse Zellen als Keimzellen sich isolieren und an der allgemeinen Furchung nicht mehr teilnehmen, sondern das Sondergesetz der Geschlechtsorganbildung befolgen. Auch an der Gastrula des ein- fachsten Wirbeltieres (der Branchiostoma lanceolata) sondert sich das Mesenchym durch Einfaltung von vornherein (nach Hatschek) ab. 73 (Zu S. 162). Vgl. P. C. van der Wölk, in Cultura 1919 — Näheres über Mu- tationslehre, s. in P. Kämmerer, Allgemeine Biologie. Stuttgart 1905. — Vgl. auch V. Hacker, Allgemeine Vererbungslehre. 2. Aufl. Braunschweig 1912. — R. Semon, Die Mneme. 3. Aufl. Leipzig 1911. 74 (Zu S. 166). Vgl. hierzu E. Häckel, Generelle Morphologie. — W. Boelsche, Entwicklungsgeschichte der Natur. E. Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeuge seiner Vergangenheit. K. Guenther, Vom Urtier zum Menschen. Nach den in der anthropogenetischen Literatur gegebenen Stammbäumen hat sich dieser Wissenszweig folgende Vorstellung von dem Stammbaum der Tiere gemacht. Die 12 Menschenrassen der Gegenwart werden durch Vermittlung des Pithecan- thropus erectus abgeleitet von einer hypothetischen, noch nicht gefundenen Vor- stufe (Missing link), die gemeinsamen Ursprung mit den Herrenaffen (Gorilla, Orang, Schimpanse, Gibbon) hat, die also nicht als unmittelbare Vorfahren, sondern als weiterentwickelter Seitenzweig angesehen werden. Die Säugetiere sind mit den Reptilien und Vögeln zusammen als Amnioten gegen- übergestellt den einheitlich abstammenden Anamniern (Amphibien, Fische, Rund- mäuler, Schädellose, Bd. I Abb. 26). Ein Seitenzweig von ganz willkürlicher Insertion sind die Gliedertiere, geschieden in die Krebstiere und die Tracheaten (Protracheaten, Tausendfüßler, Spinnentiere und Insekten) (s. Bd. 1 Abb. 46). Hypothetisch als Vorfahren der Wirbeltiere gedeutet werden die Manteltiere (Tuni- katen) mit den Seescheiden und Appendikularien als Urchordatiere. 191 Eine Gruppe einheitlicher Abstammung sind auch die Weichtiere (Mollusken), die dreierlei Entfaltungsreihen, die Schnecken (Oasteropoden), Muscheln (Lamellibran- chiaten) und Kopffüßler (Cephalopoden) ausgebreitet haben. (Abb. 75). Ein Phylum von unverkennbarer stammesgeschichtlicher Geschlossenheit sind die Würmer (Vermes), wenn auch im einzelnen die Zusammenhänge zwischen Räder- tieren (Bd. I Abb. 82), Ringelwürmern (Anneliden), Rundwürmern und Plattwür- mern noch aufhellungsbedürftig sind. Das gleiche gilt für die Echinodermaten (Bd. I Abb. 46), obwohl der Stammbaum hier von den Seesternen (Asteroideen), Seelilien (Crinoideen) zu den Seewalzen (Ho- lothurioideen) zu den Seeigeln (Echinoideen) weit weniger Schwierigkeiten bereitet. Ganz in sich geschlossen erscheinen auch die Coelenteraten mit den Klassen der Schwämme, Rippenquallen (Ctenophoren), Polypen (Abb. 73), Medusen und der Korallentiere (Bd. I Abb. 24). Um so hypothetischer und zusammenhangloser sind die Urtiere (Protozoen), zwi- schen deren Klassen der Wurzelfüßler (Bd. I Abb. 58) und Flagellaten (Bd. I Abb. 79) zwar die engsten Beziehungen bestehen. Um so strenger geschieden sind die Sporozoen und die Wimpertierchen (Ciliaten Bd. I Abb. 77), deren wahre stam- mesgeschichtliche Stellung heute ebenso unklar ist, wie die der Wenigzeller (Meso- zoen) oder der merkwürdigen Häckelschen Katallakten und Moneren. An dem genetischen Zusammenhang dieser genannten kleineren und größeren Gruppen in sich, Ciliaten, Sporozoen, Rhizopoden und Flagellaten (die man unbedingt vereinigen muß), Coelenteraten, Vermes, Mollusken, Tunikaten, Arthropoden und Vertebraten ist kein Zweifel möglich. Ganz unklar aber ist der Zusammenhang die- ser Q Phyla miteinander. Namentlich zwischen Protozoen und Metazoen klafft eine unüberbrückbare Lücke, wenn auch zwischen Coelenteraten, im besonderen zwischen den höchsten Ctenophoren und den niedersten Plathelminthen einige Fäden den Uebergang vermitteln, so ist wieder die Scheidung von Chordatieren (Wirbeltieren) und Evertebraten eine strenge und vollkommene. Das ist an sich höchst auffällig, so- gar wenn die monophyletische Abstammung zu recht bestehen sollte. Warum sterben die Zwischenformen innerhalb der Klassen nicht so leicht aus, wie die innerhalb der Tierstämme? Das gleiche gilt für die Pflanzenarten, deren Stammbaum einfacher, aber trotzdem namentlich in seinen Anfängen nicht besser durchschaut ist. Im natürlichen System von Ä. Engler, das auf den Stammbaum aufgebaut ist, werden die folgenden XII Stämme des Pflanzenreiches unterschieden: I. Schizophyta (umfassen Spaltalgen und Bakterien (Bd. I Abb. 80). II. Myxothallophvta (Schleimpilze). (Bd. I Abb. 92). III. Flagellatae (Bd. I Abb. 79). IV. Dinoflagellatae (Abb. 28). V. Zygophyceae (Jochalgen und Kieselalgen) (Bd. I Abb. 65). VI. Chlorophyceae (Grünalgen, inkl. der Siphoneen) (Bd. I Abb. 87). VII. Charales (Armleuchteralgen). VIII. Phaeophyceae (Brauntange). IX. Rhodaphyceae (Rottange). X. Eumycetes (Pilze) (Abb. 77) (inkl. Flechten, Bd. I Abb. 94). XI. Archegoniatae (Moose und Farne). (Abb. 64 bis 66). XII. Phanerogamae (Blütepflanzen). (Abb. 40). Es sind hier also ganz andere Gesichtspunkte der Gliederung in Betracht gezogen wie in der Zoologie, was schon an sich ein Verstoß gegen die Gesetze einer einheit- lichen Biologie und daher unzulässig ist. Die Zoologen wählen die Einzelligkeit als ausschlaggebendes Merkmal imd vereinigen ihm zuliebe in den Protozoen Lebens- formen, die ohne Zweifel nicht voneinander abstammen. Die Botaniker legen hier- 192 auf gar kein Gewicht und vereinigen in den Schizophyten, Zygophycecn und Chloro- phyceen unbedenklich typische Einzeller, Coenobien (vgl. Bd. I, S. 220) und Ge- webepflanzen (Ulva, Coleochaete) sowie Zellenlose (Botrydium, Caulerpa). Desglei- chen im Kreis der Pilze. Die Pilze werden auf Grund ihrer heterotrophen Ernäh- rungsweise abgeschieden, obzwar auch unter den Kieselalgen (Nitzschia putrida und die edaphischen Verwandten) genug heterotrophe Formen sind, ebenso unter den Flagellaten, die von Zoologie und Botanik mit Recht in Anspruch genommen werden und auch, ebenso wie die Phanerogamen (Lathreaea, Rafflesia [Bd. I Abb. 88]), Drosera (Abb. 30) sowohl Saprophyten und Parasiten, wie tierisch lebende Formen umfassen. Das ist alles unhaltbar, und die Biologie hat alle Ursache, die phylogenetische For- schung nach den neuen Gesichtspunkten wieder ganz in den Vordergrund zu rücken. Sind schon unter den Stämmen des Tierreiches die verbindenden Brücken spärlich und nicht eben tragkräftig, so sind nur zwischen Archegoniaten und Phanerogamen Fäden da, es fehlt aber jeder Zusammenhang zwischen den alten Thallophyten und den höheren Kryptogamen. Es ist ausgeschlossen, die ersten zehn Stämme des Pflan- zenreiches irgendwie auseinander abzuleiten. Die phylogenetische Situation in der Bo- tanik ist völlig hoffnungslos. Auch R. v. Wettstein (Handbuch der systematischen Botanik. Leipzig IQIO), der sieben Stämme unterscheidet (Myxophyta, Schizophyta. Zygophyta, Euthallophyta, Phaeophyta, Rhodophyta, Cormophyta) und damit ohne- dies allen Möglichkeiten phylogenetischer Zusammengehörigkeit Rechnung trägt, sagt hierüber: „Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß unter den sechs ersterwähnten Stämmen sich Abkömmlinge jener Typen befinden, von denen auch die Cormophyten abzuleiten sind, doch ist es derzeit unmöglich, derartige Typen mit einiger Wahr- scheinlichkeit nachzuweisen, weshalb ich die durchgeführte Trennung vorläufig wenig- stens für richtig halte." Vgl. auch A. Engler und C. Prantl, Die natürlichen Pflanzen- familien. 1899—1900. A. Engler, Das Pflanzenreich. Leipzig 1900. 75 (Zu S. 167), Derartige rudimentäre Organe des Menschen sind das Urhaarkleid (Lanugo) des Fetus, Sohlenhornreste, Montgomery'sche Drüsen, die tierische Thorax- form beim Kinde mit vorschlagendem dorso-sternalem Durchmesser, der Schwund der Bauch- und Halsrippen, die Reste am oberen Ende des Sternums, der Processus para- mastoideus, Reste des Branchialskelettes, Processus coracoideus, dreigliedrige Dau- men, Prävalenz des Malleolus tibialis beim Fetus, die Muse, caudae humanae, die Spuren einer Metamerie der Bauchmuskeln, Muskeln der Ohrmuschel, die Plantara- poneurose, der Muse, flexor pollicis longus proprius, die Zirbeldrüse und der Hirn- anhang (Hypophyse), das Jacobson'sche Organ, das Milchgebiß und die Weisheits- zähne, Thyreoidea und Thymus, Appendix, Sinus Morgagni, Arterienbogen in der Kiemengegend, die Reste des Müller'schen Ganges beim Mann, Clitoris, Nebennieren usw. Vgl. R. Wiedersheim, Der Bau des Menschen als Zeugnis für seine Vergangen- heit. IV, Aufl. 1908. 76 (Zu S. 172). Die ersten Schritte der Menschwerdung sind nach allem, was die vergleichende Biologie der Menschenaffen und die Palaeoanthropologie weiß, etwa in folgender Weise vorzustellen: Die vergleichende Ökologie der Säugetiere beweist, daß kletternde Tiere jeweils die intelligentesten sind, weil Gesicht, Gehör und Tastsinn bei ihnen harmonisch in Anspruch genommen, daher am besten ausgebildet sind. Wenn nun die Proanthropo- iden in einer waldlosen Gegend oder durch Klimawechsel zu einer zweibeinigen Lebensweise gezwungen waren, wie man das gelegentlich an den Menschenaffen auch heute noch sehen kann, dann war damit eine Änderung der Sinne und der In- telligenz gegeben. Schon die Paviane wenden gewohnheitsmäßig in solchen Gegenden jeden Stein um, um darunter Insekten zu finden. Auf die gleiche Weise müssen die Proanthropoiden Franci, Bios II 13* 193 bald mit allen Steineigenschaften bekannt geworden sein, woran man bei Beurteilung der Eolithenfrage denken möge. (Älteste zweifellose Eolithe sind immerhin die alt- pliocänen von Aurillac im Cantal.) Schon Affen schützen sich durch Zweige vor Re- gen und Sonne. Jedenfalls kann der Weg nicht anders gedacht werden, der von der Wissenschaft der Tiere zu jener des Menschen führt. Auf diese Weise muß das erste Werkzeug entstanden sein, und es ist hierfür ganz nebensächlich, wie seinerzeit die Streitfrage, ob die Eolithe von Boucelles aus dem Oberoligocaen die ältesten sind, oder ob die „Menschwerdung" erst in späteren Zei- ten des Tertiaers beginnt, entschieden wird. Wichtiger ist das heute schon Unbe- streitbare, daß bis zur Gegenwart der Begriff Mensch sehr verschiedene Stufen der „Menschwerdung" gleichzeitig umspannt. Noch jetzt leben mit uns Eolithiker; das Neolithikum ist in der Südsee in vollster Blüte, ebenso der Pfahlbau, die Bronze- kultur ist noch nicht überwunden, und die Früheisenzeit beherrscht die Negertech- niken Afrikas dort, wo sie noch europäerungewohnt sind. Und dementsprechend fand auch der Urgeschichtsforscher Rassen der verschiedenen Stufen nebeneinander und im Kampfe miteinander. Neben Madeleinewerkzeugen fanden sich auch Spuren des jüngeren Eolithikums (Archaeolithikums), so wie Australier, Papuas, Alaska-Eskimos oder die Pescheräh des Feuerlandes rezente Steinzeitler sind. So wie sie, schweiften auch Horden von Eolithikern unter den höher Zivilisierten. (Rutot). 77 (Zu S. 174). Vgl. hiezu Th. Morgan, Regeneration. Leipzig 1907 und P. Käm- merer, Allgemeine Biologie. Stuttgart 1915. 78 (Zu S. 175). Vgl. E. Schultz, Über umkehrbare Entwicklungsprozesse. Leipzig 1908. 79 (Zu S. 181). Zu den in Bd. I auf S. 94 genannten Beispielen tritt noch ein un- gemein reiches Material der Palaeontologie. Rezente Gattungen gehen unverändert zurück bis ins älteste Palaeozoikum. Im Silur lebten schon die Gattungen Discina, Krania, Rhynchonella, Leda, Area, Avicula, Dentalium, Patella, Pleurotomaria, Turbo, Trochus, Xenophora. Der heute noch lebende Nautilus findet sich in allen Perioden bis zum Silur. Für ihn existiert also seitdem kein Entwicklungsgesetz. Aber auch für höhere Tiere trifft das zu. Palaeohatteria aus dem unteren Perm stimmt in Vie- lem mit der auf Neu-Seeland noch lebenden Hatteria überein. Die Feinheiten im Aufbau der Echinodermaten sind seit dem Silur die gleichen ge- blieben; sie haben sich auch nicht morphologisch entwickelt. Sogar die Zell- und Knochengewebe devonischer Wirbeltiere und jurassischer Fische stimmen mit denen der Jetztzeit überein. Eine histologische Entwicklung hat nicht stattgefunden. 80 (Zu S. 183). Es wäre hier übrigens zu beachten, welch eigentümlicher Zusam- menhang zwischen den phylogenetischen Merkmalen und der fundamentalen Mecha- nik der Lebensweise besteht. Man bedenke doch, daß alle unbeweglichen oder lang- sam sich bewegenden Tiere aktinomorph sind (Spongiaria, Coelenterata, Echinoder- mata), alle schnell und freibeweglichen dagegen bilateral (Insekta, Vertebrata). Be- sonders schön zeigt sich diese Erscheinung im Kreise der Protozoen (Heliozoen und Radiolarien sind radiär gebaut, die rasch beweglichen Ciliaten bilateral), von denen z. B. der Flagellat Dimorpha mutans in seinem rasch beweglichen Stadium bilateral, im ruhigen Schwebestadium aktinomorph geformt ist. Das gleiche zeigt sich bei Cestus und Leptoplana unter den Medusen. Bilateralität erscheint in diesem Lichte als „technische Form" einer bestimmten Bewegungsart. Wenn dann bilaterale Tiere wieder langsame Bewegungen als Lebensweise an- nehmen, beginnen sie sich einzurollen, man denke an die alten Orthoceratiten und die Ammoniten; während die schnell beweglichen Flügelschnecken (Pteropoden), bila- teral bleiben, rollen sich die Heliciden spiralig auf. Nebenbei gesagt, wer könnte leugnen, daß auch im menschlichen Organismus Anzeichen einer Torsion vorhanden 194 sind. (Nierensitus, Herzsitus, ungleiche Entwicklung der Lungen, Lebcrlappen, Rechts- oder Linkshändigkeit usw.) 81 (Zu S. 185). Vgl. Osw. Spengler, Der Untergang des Abendlandes. Wien 1917. L Bd. Diese Spengler'schen Gedanken von den „physiologischen Funktionen" der Völker kennt das wissenschaftliche Denken allerdings schon seit A. Comte und H. Spencer. Spencers „Soziale Statistik" von 1850 (also vor dem Darwinismus und vor HaeckeVs Auftreten) enthält bereits diese Grundgedanken, wonach der Mensch ganz den Gesetzen des Lebens unterworfen sei, und in seinem Essay über die Entwick- lungshypothese von 1852, der die K. E. v. 5a 3- 3 ^ 3 0 logie zurückwirken. Im allgemeinen bewegt sie sich in progressiver Rich- tung, während an sich der Nahrungsbestand durch keine Notwendigkeit ge- zwungen wird, zuzunehmen oder abzunehmen, jedenfalls in seinem Quan- tum sich nicht parallel mit den auf ihn angewiesenen Organismen verhält. Unter Umständen wird er rascher anwachsen, wie z. B. die Raupen in einem Raupenjahr zunächst einmal schneller zunehmen als die auf sie angewiesenen Singvögel; ebenso oft wird es sich aber ereignen, daß das Nahrungsquantura rapid sinkende Tendenz zu einer Zeit hat, in der die Fortpflanzungstätig- keit überaus rege ist. Man denke an Heuschreckenschwärme, die den Vögeln mühelos Futter verschafften, sie zu nochmaligem Brüten veran- laßten und dann eine verdreifachte oder verdoppelte Vogelbevölkerung vor einen Notstand stellen, wenn die alten Schwärme vertilgt sind und neue nicht mehr nachkommen. Unser Selektionsgesetz, das in jeder Vielheit, auf die eine Kraft wirkt, tätig ist, muß dann die Zahl der Vögel in der Rich- tung eines harmonischen Ausgleiches zur Nahrungsmenge drängen, wenn die Vögel nicht andere Anpassungswege durch ihren Intellekt einschlagen. Nicht anders mit der Pflanzenwelt. Sie, die durch Ausläufer, Sporen und Früchte im allgemeinen die Tierwelt an Fruchtbarkeit um ein Bedeutendes überbietet, würde dem gegenseitigen Wettbewerb um den Boden in einem ungemein scharfen Maß ausgesetzt sein, wenn gerade sie nicht mit einer unerschöpflichen biotechnischen Erfindungskraft ihre Sporen und Früchte mit „Verbreitungseinrichtungen" der verschiedensten Art ausrüsten würde. Wem sind sie nicht bekannt, diese wunderbaren Schleuderfäden, mit denen Schleimpilze und Lebermoose ihre Sporen weit auswerfen (vgl. Bd. I Abb. 92), die „Vogeljrächte'', strotzend, voll saftigen Fleischs (Abb. 84), angetan mit grellen Farben, gefüllt mit Zucker und aromatischen Stoffen, damit die Vögel sich gnädig herbeilassen, solche Früchte, nachdem sie ihren Tribut verzehrt haben, zu verschleppen, eine Einrichtung, die wir als Usurpator stören, wenn wir die Sperlinge von unseren Kirschen und anderem Obst verjagen. Wer von den Naturfreunden kennt nicht die merkwürdigen Flügel der Ahorne, die Luftschiffeinrichtungen der Ringelblumen und ihrer Verwandten, die Kletten, die Schwimmeinrichtungen, kurz das ganze biotechnische Museum pflanzlicher Verbreitungseinrichtungen, alle dazu bestimmt, der Selektion den Boden zu entziehen! Und in diesem Lichte erwacht auch ein ganz neues Verständnis für die Brutpjlegeinstinkte und die Mutterliebe im Tierreich. Der Mistkäfer Copris, der auf unserer Abbildung 21 um sein Ei eine so gewaltige Nahrungspille aus Mist angefertigt hat, die Ameisen und Bienen, die mit Hingebung ihre Brut schützen und füttern, die kleinen Sand- wespen, die sich zu Tode arbeiten, um ihre Nachkommenschaft den ver- derblichen Wirkungen des nackten Kampfes ums Dasein zu entziehen, die nestbrütenden Vögel, die junge Menschenmutter, die lieber selbst darbt und ihr Leben ungescheut aufs Spiel setzt ihrem „Kleinen" zuliebe, das alles Ftanci, Bios II '* 209 sind nicht Gegenargumente gegen das Malthus^sche Gesetz, sondern Mittel des Organismus, um die Selektion, die sich sonst schärfer bemerkbar machen würde, aufzuheben, weil sie eben tatsächlich fühlbar ist. Etwas ganz Wichtiges ist damit festgestellt. Wie ein Schreckgespenst schwebt die Selektion unaufhörlich über allem Lebendigen. Da aber die Lust zum Leben nach Ewigkeit verlangt, so ist im Leben selbst der Not- stand und damit die Verschiedenheit begründet, in die die Selektion ein- greifen kann. Aber diese Ausmerzungsdrohung erklärt nicht das Vorhanden- sein des Teleologischen, dessen wahrer Zweck sich nun plötzlich als „anti- selektive Wirkung" entpuppt und tatsächlich auch eine gewisse Milderung der Ausmerzung der nicht optimalen Fälle erreicht. Diese wird um so wirk- samer sein, je höhere Stufen diese Intelligenz erreicht. Im Bereich des Menschen erhält sich dadurch eine Übervölkerung, die im XIX. Jahrhundert in Europa besonders bedrohlich angewachsen ist und dann wirklich jene Notstände und Krisen heraufbeschworen hat, die Malthus als mechanische Folge der Volksvermehrung ausgibt. An der Übervölkerung gewisser euro- päischer Länder, im besonderen von England, Belgien, Deutschland und' Italien läßt sich ebensowenig zweifeln wie daran, daß Rußland, Ungarn, Spanien, Frankreich und mit Ausnahme gewisser nordamerikanischer und chinesisch-japanischer Distrikte die ganze Erde ohne Krisen und Kriege noch eine weit zahlreichere Menschheit als die 1650 Millionen ernähren könnte, auf die man sie heute schätzt. Wichtiger als Maßnahmen gegen Übervölkerung (neomalthusianische Propaganda) wären daher, vom Stand- punkt der ganzen Menschheit gesehen, Verbreitungseinrichtungen, also der Weg, den die Pflanze eingeschlagen hat. Eine größere Überbevölkerung, wie sie ein Blütenfeld, etwa eine der in Abbildung 79 dargestellten Stein- brech-Matten der Alpen oder der polaren Region darstellt, kann man sich wohl kaum vorstellen, und dennoch vollzieht sich deren Vervielfältigung bei der Fruchtung ganz ohne nennenswerte Krise infolge der nahezu voll- kommenen Verbreitungseinrichtungen. In diesem Sinn ist innerpolitisch die Sledelungsbewegung, außenpolitisch die Kolonisation ein durchaus orga- nischer Gedanke, und von allem Unglück, das Deutschland betroffen hat, wird auf die Dauer das verhängnisvollste der Verlust seiner Kolonien sein. England wäre ohne die weitsichtige Politik seines Kolonienerwerbes schon längst an inneren Krisen zugrunde gegangen. Jedenfalls aber ist Europa im ganzen überbevölkert, und alle seine Leiden, Unruhen und Kriege, die soziale Spannung und Teuerung, die Revolutionen, sein Industrialismus, Materialismus, die stete „Entwicklung" und Zersetzung aller seiner Verhält- nisse, die Demoralisation, die gesamten unleugbaren Verfallserscheinungen haben darin ihre innerste Quelle. Die Tatsache, daß es durch die schreckens- vollen Ereignisse der letzten zehn Jahre um reichlich vierzig Millionen (den Geburtenrückgang mitgerechnet) Menschen weniger zählt, als es ohne sie gehabt hätte, sichern zwar unserer Generation noch auf ein Menschenalter 210 die Erhaltung der Zustände, wie sie zu Beginn des Jahrhunderts bestanden haben; ist aber dieser Verlust ausgeglichen, dann müssen, diktiert von den .Weltgesetzen, entweder neue Krisen eintreten, oder der Zustand der Groß- städte, wo die Geburtsziffer unaufhaltsam sinkt, wird allgemein. So stellt sich die Denkungsart der objektiven Philosophie zu den Problemen des Malthusianismus. Wenn Darwin diese Erfahrungen auf die Welt der Organismen verall- gemeinern wollte, beging er daher einen Fehler, indem sie teilweise weit bessere Mittel hat, um die Folgen der Übervölkerung auszugleichen, als der Mensch sie anwendet. Es wurde daher Ungleiches verglichen, und das mußte zu Irrtümern führen. Der Hauptirrtum war, daß man aus der großen Fruchtbarkeit der Tier- und Pflanzenwelt auf eine besonders scharfe Selek- tion schloß, sich die Welt des Lebens als einen steten Kampfplatz von Gladiatoren vorstellte, wie es in einer sehr bekannt gewordenen Rede- wendung Huxleys hieß, und ihr zutraute, daß sie einfach alle Eigenschaften der Organismen heranzüchtete. An die Stelle der Ausmerzungs- und Auslese- vorstellung trat dadurch der einer Naturzüchtung und „natürlichen Zucht- wahl", einer „schöpferischen Selektion". Dazu geben aber die Weltgesetze keinen Anhaltspunkt. Der ganze Kampf gegen den Selektionsgedanken, an dem sich die Gene- ration von 1890— 1910 beteiligte, und der sich zu den Fronten der deutschen Zoologen Weismann-Plate und Hertwig-Pauly^^) entwickelte, galt diesem Problem. Gekämpft wurde nicht um die Anerkennung der ausmerzenden Wirkung der Selektion, sondern um die Idee der Teleologie. Aber in der Hitze des Kampfes verschoben sich wie in jedem Kampf die ursprünglichen Ziele, und schließlich war die Sachlage darauf zugespitzt, daß Weismann die Allmacht der Naturzüchtung behauptete, Plate die schöpferische Fähig- keit der Selektion und Pauly die absolute Ohnmacht und Unfähigkeit jeder Art von Selektion. Man war von allen Seiten über das Ziel hinausgeschos- sen, und wenn die Selektionstheorie in dem letzten Jahrzehnt sichtlich an Anhängern verloren hat, so steht zu befürchten, daß man mit ihrer Ab- lehnung das Kind mit dem Bade ausgießt. An der längeren Dauer der dem Optimum ihrer Art näherkommenden Lebewesen — so definiert die objektive Denkungsart das Selektionsgcsctz in der Biologie — kann nicht gezweifelt werden. Und zwar aus folgenden Gründen: Grundbedingung einer siebenden Wirkung ist Ungleichheit der Eigenschaften. In homogenen Systemen stellt sich keine Selektion ein. Nun ist doch die lebende Materie auf jeder ihrer Integrationsstufen ein komplexes System. Ob man nun die kleinsten belebten Einheiten, Waben und Fäden oder die Zellorganula oder die Zellen selbst betrachtet, überall walten Differenzen, welche verschiedene Grade von Vollkommenheit und damit Dauer bedingen. Das erweist sich schon an den in der Betrachtung des Funktionsgesetzes kennengelernten Tatsachen der junktionellen An- 14* 211 passung, welche (vgl. Seite 48) von dem Hallenser Anatomen W. Roux mit Scharfsinn bereits als interplasmatisch erkannt wurde.»^) Was er nun mit dem Ausdruck „züchtender Kampf der Teile" belegt, und was Weismann als Germinalselektion bezeichnet, ist die Erfahrung, daß die einzelnen Teile des Zellsystems ungleich funktionieren und dementsprechend einige von ihnen, eben jene, die nicht dem Funktionsgesetz in allem entsprechen, vorzeitig degenerieren. Übrig bleiben die Optimalen. Das hat v. Hansemann an den Zellen des tierischen Eierstockes, K- Theslng an den Samenfäden in der Hodendrüse unmittelbar beobachten können. Erklärt ist damit die Ursache der Ungleichheit nicht, — sie liegt im Vitalen — wohl aber sind ihre Konse- quenzen offenbar. Sie sind gleichsam die Strafe der Weltgesetze für Un- tüchtigkeit. Daher erfolgt in allen nicht funktionierenden Teilen eine Rück- entwicklung. Die Existenz der rudimentären Organe (vgl. diese), das Er- blinden der in den Bergwerken verwendeten Pferde sind dafür ebenso zwingende Belege, wie die jedem Sportliebhaber bekannte Ertüchtigung des Körpers durch Training ein Beweis der Wirkung der Funktion ist. Und was intrazellulär, gilt auch für die Gewebe und die Individuen selbst. Die Un- gleichartigkeit der Leistungen bedingt die verschiedene Dauer. Die Aus- drücke Kampf ums Dasein, Wettbewerb um die Nahrung, Raum, Licht, Luft und Wärme, das sind alles nur Umschreibungen einer weit einfacheren Ge- setzmäßigkeit. Hätte man sich auf diese Formel beschränkt, wäre man nie- mals auf den Gedanken geraten, daß die Selektion ein aktives, entwickelndes Prinzip, daß sie eine „Kraft" sei und Fähigkeiten habe, daß sie die Organis- men vollkommener mache, und was an derlei irrtümlichen Behauptimgen aus dem reichen Schrifttum der Selektionstheorie noch mehr existiert. Wo wirklich ein aktiver Kampf der Organismen gegeneinander stattfindet, hat das an sich mit dem Selektionsgesetz nichts zu tun. So wenn ein Löwe oder Storch, die beide streng auf die unbeschränkte Herrschaft in ihrem Jagdgebiet halten, einen Rivalen, der eingedrungen ist, überfällt und nun ein Kampf auf Leben und Tod beginnt. Oder wenn die Knöllchenpilze eine Wurzel befallen und es ihnen gelingt, auf ihr Fuß zu fassen und die Pflanze dann die Pilze verdaut (vgl. Abb. 26 in Bd. II). Oder wenn die mächtigen, alten Bäume im Walde den in ihrem Schatten stehenden lichtgedrückten Nachwuchs nicht aufkommen lassen, bis nicht der Sturm einen der Waldes- alten fällt, worauf der Kümmerling die Erbschaft im Lichtraum antritt und nun das durch rasches Wachstum nachholt, was er jahrelang versäumte. Das sind nicht gesetzmäßig wiederkehrende, sondern gelegentlich vor- kommende Handlungen, und es gibt außer den gleich zu erwähnenden Ge- schlechtskämpfen keine regelmäßige Konkurrenz unter den Tieren und den Pflanzen. Darin hat sowohl Pauly recht, wie einer der scharfsinnigsten Kritiker des Auslegegedankens, der russische Zoologe Fürst Peter Kropot- kin, der mit vielem Glück an einem reichen Beobachtungsmaterial bewiesen hat, daß dem unfreiwilligen Wettbewerb eine absichtliche „gegenseitige 212 Abb. 83. Wettbewerb der Blattformen um die Belichtung durch Anpassung der Blattform und Mosaikbildung an einem Bachrand. Originalaufnahme Abb. 84. Der Wettbewerb der Samen Vergrößerter Längsschnitt durcli die Frucht des Ackerkümmels (NigcUa). OriKinalaufnahme von Frau Dr. A. Friedrich, München Abb. S5. Smciinthus ocellata in Schreckstellung. Unten Raupe des Weinschwärmers (Chaerocampa Elpcnor) in Schrcckstellung. Nach Weismann Abb. 86. Mimikry der italienischen Sol- daten im italienisch -österreichischen Kriege 1915 1Q18 Versuch, sich im Gewirr der Baumschatten durch ein Zebra- oder Tigermotiv unls Engerli pc läßt dem gt ktenbcl seiihof. ^ = Ol C =i zSlc^ o =■ crq = S = T3 £- ?r 3- IT. ^ßU ¥^ ^ ^im c. =■ ^ S; c- n, ,. r- ! Die auch von Hacket übernommene Darwin' ?,q.\\q. Selektionslehre nimmt an, daß alle Nachkommen eines Elternpaares untereinander und gegen die Eltern ungleich sind. Das ist eine Beobachtungstatsache; ihre Beachtung entspringt auch dem richtigen Gefühl dafür, daß Selektion immer nur in heterogenen Systemen ihre Angriffsfläche findet. Aber die Selektionisten täuschen sich über die Tragweite dieser Veränderlichkeit. Sie machten die willkürliche, daher unzulängliche Annahme, daß alles das, was sie er- klären wollten, nämlich die verschiedenen Eigenschaften, schon da seien als zufällig entstandene Abänderungen in der Nachkommenreihe, die nun die Selektion im Sinn des Optimalen nur mehr heraus zu isolieren braucht. Und das ist falsch. Dieses Irrtums halber bekämpfte man und kritisiert man noch heute die Selektionslehre der Darwinisten. Und auch die objek- tive Denkungsart wendet sich davon ab und weiß sehr wohl, daß Selektion in dem Sinn ein ohnmächtiges Prinzip sei, weil sie nur Bestimmungen über die Erhaltung des im Sinne der Weltgesetze Liegenden trifft, nicht aber selbst der Schöpfer der Welt ist. Für den aber haben sie die Materialisten gehalten, die eine Generation hindurch triumphierend verkündeten, nun sei es verständlich geworden, wie die Welt, wie der Geist entstanden sei. Sie seien aus der Nichtweit, also dem Nichts, aus dem Nichtgeist, also dem Unsinn rein mechanisch herausselektiert worden. Das ist heute längst und schon vor der objektiven Philosophie berich- tigt worden. Erstens hat die Mendel-RtgtX gezeigt, nach welchem Gesetz die kleinen Abänderungen der Nachkommen sich verteilen, und woher sie stammen. Sie deckte das Würfelspiel der Vorfahrenmerkmale auf. Anderer- seits aber haben höchst mühsame und gewissenhaft ausgeführte Unter- suchungen — die Namen Johannsen, Galton und Quetelet, ein Däne, ein Engländer und ein Belgier stehen darin an der Spitze — erwiesen, daß diese kleinen Abänderungen in langen und reinen (d. h. nicht durch Kreu- zung verwirrten) Fortpflanzungsreihen wieder verschwinden. Man bezeich- nete sie deshalb als Ftaktuationen, weil sie die unveränderlichen Typen gleichsam umtanzen (vgl. Abb. 97) in einem Reigen, der sich niemals ändert. Wenn man die soeben genannte Abbildung studiert, ist sie der Nieder- schlag folgender Beobachtungen. Man denke sich einen beliebigen Pflan- zen- oder Tierbestand, eine „Population", wie das die Selektionstheoretiker nennen, und wir untersuchen nun die vorhandenen Abänderungen, z. B. an einer Ernte weißer Bohnen die Samen mit schwarzen Flecken. Wir werden bald Varianten finden, die wir nun der Größe nach geordnet in eine Varia- tionsreihe einordnen. Bald stellt sich dann heraus, und das ist bei allen variationsstatistischen Untersuchungen so, mögen sie sich auf was immer beziehen, daß es bestimmte Variantengruppen gibt, von denen einige sehr zahlreich sind. Diese nennt man die „Mode'' der betreffenden Abänderung (z. B, Schuhform, die „man" trägt), wobei die Formen, die zwischen den Franci, Bios U '^ 225 Abb. 97. Diagramm von fünf reinen Linien (A, B, C, D, E) einer Bohnenrasse, die in Probierzylinder sor- tiert sind nach den Merkmalen. Jedes Merkmal zeigt dieselbe Variationskurve. Die Bohnenreihe A— E ist eine aus der Summe der fünf reinen Linien gebildete Population, deren Variantenverteilung mit der der remen Linien übereinstimmt. Die Variation hebt sich aber wieder auf und führt zu keiner dauernden Ände- rung der Eigenschaften. (Nach Johannsen). Extremen den „Mittelwert" halten, sich sehr häufig mit der Mode decken. Je extremer die Abweichungen sind, desto seltener sind sie auch. Dieser Erfahrungskomplex wird unter dem Namen des QueteleVszhtn Gesetzes begriffen. Man hat es bestätigt gefunden an der Fruchtlänge von Pflanzen, an den Kleidermoden, am Hirngewicht des Menschen, in der Häufigkeit von mathematischen Fehlern [Gauß'schts Fehlergesetz, ausge- drückt durch die binomische Formel (a + b)"], kurz, es hat sich als allge- meines Charakteristikum des Seins erwiesen. Die Ergebnisse solcher varia- tionsstatistischer Untersuchungen, aufgetragen auf ein Koordinatensystem, wobei die Werte auf die Abszisse, die Zahl der untersuchten Individuen auf den Ordinaten eingetragen sind, ergeben Kurven wie die dargestellte, die meist symmetrisch sind und nur einen Gipfel aufweisen. Sie machten das je nachdem schreckliche oder tröstliche Resultat sinnenfällig, daß das Mit- telmäßige in allem die Majorität hat, also das Sein bestimmt. Johannsen wählte nun aus solchen reinen Populationen von Bohnen ein- zelne aus, befruchtete sie mit sich selbst (um eben Kreuzung zu ver- meiden) und unterwarf ihre Nachkommen wieder der variationsstatistischen 226 Prüfung. Wieder ergab sich eine entsprechende, natürlich kleinere Kurve. Und so läßt sich der ganze Bestand in solchen Kurven weiterzüchten, die zusammengenommen wieder die große GaUon-KuT\c ergeben. (Vgl. An- merkung 88.) Wenn man also die Selektion in einer Richtung konsequent fortsetzt, werden die Variationsmöglichkeiten immer geringer (gemäß dem Galton- schen Rückschlaggesetz), niemals wird Selektion eine Steigcrimg der Varia- bilität hervorrufen. Sie liest eben nur das Vorhandene aus, aber sie schafft nichts Neues. Sie arbeitet rein negativ. Damit war auf mathematisch exakte Weise bewiesen, was sich die Logik schon längst sagte, daß die Darwin- sche. Selektionstheorie falsch sei! Nicht die Selektion bereichert die Welt der Organismen an Merkmalen, das tun nur die Mutationen, und diese ent- stammen dem Innenleben, wie auf Seite 162 ausgeführt ist.»!») So hat die V ererbungswissenschaft definitiv gegen Darwin entschieden und damit auch alle darauf aufgebauten Folgerungen sowohl der rein materialistischen wie der HäckePsohtn Schule zu Fall gebracht. Die Übertragung der Züchtertechnik auf die ganze Natur war ein großer Irrtum, und der Begriff des Selektionsgesetzes muß von nun an einen an- deren Inhalt haben, als ihn die materialistische Generation prägte. So rundet sich nun dieser Gedankengang zu Einsichten, die jeder Kritik standhalten, weil sie nichts als eine Beschreibung des in allem Geschehen Wieder- kehrenden sind. Unbestreitbar ist die Verschiedenheit der Individuen in bezug des Er- reichens ihres Optimums auf jeder Integrationsstufe des Seins, soweit sie sich noch zu komplexen Systemen zusammenschließen. Unbestreitbar ist auch die Tatsache, daß je nach dem Grad, in dem ein Seiendes dem bestmöglichen Sein näher steht, es mehr Aussicht auf Dauer hat. Der bes- sere Schwimmer wird sich länger auf dem Wasser erhalten können als der schlechte, das härtere Gestein ist widerstandsfähiger als das weiche gegen die Abnützung, das den Menschen mehr bietende Buch bleibt län- ger im Gebrauch als das unverständliche oder rasch veraltende. Es be- stimmt also der Grad der Optimoklise die Dauer. Das ist zwar kein zwin- gender Schluß, aber eine Erfahrungstatsache von, wie in diesem Abschnitt gezeigt wurde, so allgemeiner Bestätigung, daß sie zur praktischen Ge- wißheit wird. Eine notwendige Konsequenz dieser Tatsache aber ist, daß schon durch das bloße Walten der Zeit infolgedessen nicht alles in einem gegebenen Erlebensmoment Vorhandene erhalten bleibt. Die Welt zerfällt in eine Stufenfolge von Dauerhaftigkeiten, deren Gesetz lautet: Die Dauer regelt sich nach der Annäherung an das Optimum alles Seins: an die Harmonie der Welt. Nur diese letzte Seinsform hat absolute Dauer. Das verstehe ich unter Selektion. Da aber das Optimum durch die Funktionen erreicht wird, so bestimmt deren Art über die Dauer der Seinsstufen. Soweit in 15* 227 diesen Funktionen Wahlfähigkeit, also ein Intellekt sich ausspricht, ist es diesem Intellekt anheimgegeben, die Funktionen des Individuums in der Richtung auf längere Dauer und Reibungslosigkeit zu regeln. Da der Mensch diese Wahlfähigkeit wenigstens teilweise besitzt, liegt es in seiner Hand, sich jeweils so zu verhalten, wie es dem jeweiligen Optimum seiner Situation entspricht. In den unbewußten Funktionen wird das Optimum ohnedies nicht unbegrenzt aufrecht erhalten, ebenso veran- laßt der nicht absolut harmonische Zustand der Umwelt oft genug Störun- gen, die dem System ebenfalls ein Ende bereiten können. Wenn aber auch die wählbaren Handlungen gegen das Optimumgesetz gerichtet sind, treten Entwicklungen und Änderungen ein, die entweder das Handeln wieder optimoklin gestalten oder die Dauer des Lebens abkürzen. So ist es in des Menschen Hand gegeben, entweder durch sein Handeln und Wirken das Weltoptimum, die große Harmonie ihrer Verwirklichung näher zu führen oder deren Werden zu verzögern. Im letzten Fall gerät er in widersinnige Bewegung zur allgemeinen Richtung des Weltgeschehens, und der Teil zerreibt sich am Ganzen. Im ersteren Fall wird der Mensch nach einem zwar nicht absolut, aber relativ weit reibungsloseren Dasein auch nach dem Zerfall seiner Integrationsstufe einen für jedes weitere Sein günstigeren Weltzustand vorfinden. So ist er eingeordnet in ein System, das durchgängig die Dauer alles Ge- schehens nach dessen Annäherung an die Weltgesetze sortiert. Selektion tront wie ein dunkler, aber gerechter und unbestechlicher Richter über der Welt und duldet nur das im Sein, was den Gesetzen dieses Seins gemäß ist. Anmerkungen und Zusätze 82 (Zu S. 199). Es wird eine Aufgabe der vergleichenden Biologie sein, die wirk- lich eine biocoenotische Einheit bildenden d. h. von einander in der Ernährung und in den gegenseitigen Anpassungen abhängigen (Schutz!) Pflanzen und Tiere in ihren natürlichen „Lebensgemeinschaften" zu erfassen. Denn es ist zweifellos, daß z, B. das für Heideboden kennzeichnende Edaphon, die Nostocaeen und Phormidien des Sandbodens, die Flora des Callunetums (mit Calluna vulgaris, Erica tetralix, den Vaccinien, Empetrum, Arctostaphylos, Ulex, Ginster usw.), die spezifischen Heide- moose und Flechten sowie Pilze (Cetraria, Cladonia, Boviste), dazu die Sandlauf- käfer (icindeliden) und gewisse Schmetterlinge (Lycaenen), die Erdhummeln, Heide- schnecken (besonders Helix ericetorum, sericea und andere xerophile Schnecken), die Haubenlerchen, Goldammern, Wachteln und andere Charaktervögel der Heide, die Mäuse und Kaninchen eine ganz geschlossene, gesetzmäßig in sich zusammen- hängende Lebenseinheit bilden. Und was für die Heide gilt, trifft ebenso für Steppe und Wiese, die Felsenflur, den Wald aller Arten, die Brüche, das Moor, den Sumpf, den Teich, die Tundra, die Salzformationen und die Wüste in der Art zu, wie ich es in meinem Buche über München (München, H. Bruckmann's Verlag 1920) und in 228 meinem Werkchen: Die Kultur von morgen. Dresden (C. Rcißner 1922) eingehend bearbeitet habe. Die objektive Philosophie fordert diesen tiefer dringenden biologischen Blick von der Wissenschaft auch namentlich im Hinblick auf die Schule, die nur eine derartig einheitliche und im Hinblick aufs Lebensganze eingestellte Biologie der Heimat brauchen kann. 83 (Zu S. 203). Hierin beruht der ganze Unterschied zwischen der antiken und modernen Mathematik, worauf O. Spengler, wenn auch nicht ganz klar, aber doch scharfsinnig in seinem „Untergang des Abendlandes" (Bd. 1) hingewiesen hat. Tatsächlich hat erst Newton in seiner „Fluxionsrechnung" den Begriff der Diffe- rentiale angewendet, die dann von Leibniz und Lagrange (fonctions derivdes) zur Differential- und Integralrechnung erweitert wurde. Die Griechen gelangten niemals über die bloße Formulierung der irrationalen Zahl (durch den Platoschüler Theatet) hinaus, wie bei Archimedes klar hervorgeht in seiner Abhandlung über die Sandzahl, in der er sich ausdrücklich weigert, das Vorstellbare, also die Zocsis zu überschreiten. Infolge dessen blieb auch die gesamte antike (die Römer waren in den Wissen- schaften reine Barbaren und daher Nachbeter des griechischen Geistes) Wissenschaft im Bereich der Zoesis, ein Beweis, wie wenig die Euklidische Geometrie geeignet ist, zur Grundlage für unsere Mechanik des Himmels zu dienen (vgl. Band 1), die sich daher denn auch, wie in diesem Werke einleitend ausgeführt, die Relativi- tätstheorie für ihr extrazoetisches Weltbild schaffen mußte. Vgl. zum Problem der mathematischen Historie: M. Cantor, Vorlesungen über Geschichte der Mathematik. 2. Aufl. Leipzig. 1902. Zum Begriff der Differentiale: Stolz, Grundzüge der Diffe- rential- und Integralrechnung. Leipzig. 1893—99. 84 (Zu S. 208). Vgl. außer dem im Text genannten Werk von Malthus noch H. Spencer, The theorie of population. London 1852. — G. Stille, Der Neomalthusianis- mus. Berlin 1880. — Kaatsky, Der Einfluß der Volksvermehrung. Wien 1880. — E.Diihring, Kursus der National- und Sozialökonomie. Leipzig. 1892. Während '/g der bewohnbaren Erde nur 1—10 Einwohner auf dem Q ^^ zählen, hat Europa durch- schnittlich 25—50, Vorderindien und China durchschnittlich 50—100. Das Jang-tse- Kiangtal ist mit über 200 Menschen pro D km übervölkert, ebenso die Gangesebene, das Nildelta, Brabant und Flandern, sowie die Gegend von Lyon. 100—200 Einwoh- ner leben im Rheingebiet und seinen Nebenflüssen (Neckartal), in Sachsen und in der lombardischen Tiefebene. 85 (Zu S. 211). Vgl. A. Weismann, Vorträge über Deszendenztheorie. 3. Auflage. 2 Bde. Jena \Q\i. — L. Plate, Selektionsprinzip und Probleme der Artbildung. 4 Aufl. Leipzig. 1913. — A. Pauly, Darwinismus und Lamarekismus. München 1905. 86 (Zu S. 212). Vgl. W. Roux, Gesammelte Abhandlungen über Entwicklungs- mechanik. Leipzig. 1895. 87 (Zu S. 220). Vgl. R. M. Holzapfel, Panideal. 1910. 88 (Zu S. 227). Vgl. hierzu W. Johannsen, Elemente der exakten Erblichkeits- lehre. 2. Aufl. Jena 1913. — Quetelet, Anthropometrie. Paris 1871. — F. Oalton, Hereditary Genius. 1869. — F. Galton, Natural-Inheritance. London 1889. — C. B. Davenport, Statistical methods with Special Reference Biolog. Variation. 2e cdit. New-York 1904. Galton, auf dem nächst Quetelet die ganze Richtung fußt, hat die Beziehungen zwischen Eltern und Nachkommenmerkmalen an 928 erwachsenen Nach- kommen von 205 Elternpaaren berechnet und dabei gefunden, daß jedes Kind vom Mittelwert der Bevölkerung um Vs weniger abweicht als seine Eltern. Das hat sich — wenn auch zahlenmäßig etwas different — für alle Lebewesen herausgestellt, und diese Erkenntnis bildet den Inhalt des Galton'schen Rückschlagsgesetzes, das man in folgenden zwei Sätzen formuliert hat rA:fl/"/"^''<'^>'-- Die Nachkommen weichen weni- ger vom Typus ab, als die Eltern. Sie weichen jedoch nach derselben Richtung vom 229 Durchschnitt ab wie die Eltern. Das gilt aber, wie Johannsen gezeigt hat, nicht für „reine Linien" (Biotypen). Bei diesen vereinigt sich eine fluktuierende Variabilität, ein stetes Anderswerden sehr wohl mit einer bemerkenswerten innerlichen Konstanz der Typen im gesamten Lebensbereich, wie im Text ausgeführt ist. 89 (Zu S. 227). Hierher gehören auch die in ihrem Tatbestand kaum anzweifel- baren Ergebnisse des deutschen Zoologen Th. Eimer, die ihn zu der Überzeugung führten, daß es auch eine bestimmt gerichtete Variabilität gebe. In seiner als Ortho- genese bezeichneten Theorie stellt er z. B. den Satz auf, daß die Zeichnungen der Tiere in den phyletischen Reihen bereits eine Verstärkung in gewissen Richtungen er- kennen lassen, die erst bei einem bestimmten Nachkommen Schutzwirkung üben mögen, bis dorthin also gewiß nicht lebenserhaltend gewirkt haben können. Ganz unverkennbar berührt er damit das Problem der Entfaltung durch Mutation aus inne- ren Ursachen und verdient dadurch eine weit größere Beachtung, als sie dem leider zu früh Gestorbenen zuteil geworden ist. Vgl. Th. Eimer, Orthogenesis der Schmet- terlinge. 1897. 230 Das Gesetz des kleinsten Kraftmaßes Ableitung des Gesetzes aus der Analyse des Seins — Frühere Formulierung des Gesetzes. Lex parsimoniae in der alten Teleologie — Das Hamilton'sche Prinzip — Das Gauss'sche Prinzip des kleinsten Zwanges — Das Ökonomieprinzip von Mach — Das kleinste Kraftmaß ist nur im optimalen Fall realisiert, daher bedingt die Opti- moklise der Welt eine Parsimoklise — Das Trägheitsgesetz eine Anwendung des Ge- setzes vom kleinsten Kraftmaß — Die Gravitation eine Umschreibung des gleichen Gesetzes — Viele Gesetze sind nur Umschreibungen der Parsimoklise — Alle Funk- tionen verlaufen parsimoklin — Alle Naturformen sind Formen des geringsten Wi- derstandes — Sonderanwendungen des Gesetzes — Das Kräfteparallelogramm — Das Fermat'sche Prinzip der schnellsten Ankunft — Der Weg der Strahlen ist stets der kürzeste Weg — Die Parsimoklise im Kristallbau — Der kleinste Widerstand modelliert die Erosions-, Abrasions- und Küstenformen — Das kleinste Kraftmaß in d-er Vulkantätigkeit — Das Ökonomieprinzip im Organischen — Der Bau der Zellen — Das Prinzip des inneren Baus der Pflanzen — Die T-Träger und Trajektorien im Organismus — Der Bau der Insekten als Beispiel des ökonomieprinzipes — Die Par- simoklise in der Technik — Der Begriff der Werkkunst — Die Ökonomie der Ver- kehrslinien des Städtebaues — Das kleinste Kraftmaß als Bedingung des Kunstwerkes — Die dramatische Form als ein Fall von Parsimoklise — Der kürzeste Weg im Denken — Teleologie als die Verwirklichung des kürzesten Weges — Logik als die Linie des kleinsten Widerstandes im Denken — Recht und Ehrlichkeit als Spezial- fälle der Parsimoklise — Die Ethik als ihre Verwirklichung — Die Sparsamkeit und ihre Gesetze im täglichen Leben — Das kaufmännische Denken eine Anwendung des Gesetzes vom kleinsten Kraftmaß — Gemeingültigkeit des Gesetzes — Historische Anwendungen als göttliche Gesetze und kategorische Imperative — Praktische An- wendungen in der Neuzeit als Taylorsystem — Das Taylorsystem des Organismus — Die Notwendigkeit eines kulturellen Taylorismus — Seine Durchführung der größte „praktische" Nutzen der objektiven Philosophie — Die Überwindung des Materialismus durch den Idealismus des Gesetzes und der Aufbau einer vollendeten Zivilisation als Plattform einer Kultur — Anmerkungen und Zusätze. In der Idee eines vollkommenen Seins liegt unabweislich auch die Vor- stellung eingeschlossen, daß dieses Sein an eine Form gebunden ist, die ihre Vollkommenheit mit dem kleinsten Aufwand an Quantität und Quali- tät erreicht und Funktionen ausübt, durch die auf dem kürzesten Wege die Dauer dieses Seins erreicht wird. Das haben wir bereits bei dem ersten Ver- such einer Analyse erkannt (vgl. Bd. I Seite 81), und seitdem ist uns ein 231 solches „Gesetz" des kleinsten Kraftmaßes vielenorts, z. B. gelegentlich der Betrachtung der Funktionen, der Selektion und der aus ihr übrigbleiben- den optimalen Fälle entgegengetreten. Es zeigte sich sogar, daß die An- wendung des Optimumgesetzes auf die Funktionen von ihnen notwendiger- weise das kleinste Kraftmaß fordert; von zwei gleichwertigen Beziehungs- reihen ist die stabilere und darum häufiger vorkommende, schließlich auch allein übrigbleibende stets jene, in welcher die Leistung mit geringeren Mit- teln realisiert ist. Es gehört also der Begriff des kleinsten Kraftmaßes da- durch notwendiger Art zu dem des Seins selbst. Eine so leicht erkennbare Beziehung der Dinge mußte natürlich jedem Kopfe bewußt werden, der das Problem des Seins auch nur einigermaßen durchdachte, und so hat das Gesetz des kleinsten Kraftmaßes seine lange, in diesem Buch der Tatsachen allerdings nur flüchtig erwähnbare Ge- schichte, die als Gesetz der kleinsten Wirkungen von Leibnitz zuerst for- muliert, dann von Maupertuis viel erforscht, als Sparsamkeitsprinzip der Natur (lex parsimoniae) weit in die Zeiten der alten Physikotheologie zu- rückreicht und meist als Beispiel für die Rationalität der Schöpfung und die überragende Weisheit des Welturhebers mit besonderer Vorliebe gepflegt wurde. In irgendeiner Form, als Minimal-Maximalprinzip fehlt diese Vor- stellung seit Helmholtz eigentlich in keinem Denksystem. Wenn ich es auch einer Geschichte der objektiven Philosophie überlassen muß, diesen langen und sehr anziehenden Weg der Klärung eines so wichtigen, wenn auch für die Kultur noch mehr als für das Weltgeschehen bedeutsamen Gesetzes darzustellen, so sei hier doch wenigstens auf einige der wich- tigeren Etappen dieses Weges hingewiesen. Ganz unkritisch wurde das Sparsamkeitsprinzip von den alten Meta- physikern und Theologen in einer ästhetisierenden Form übertrieben, bis dann diese Phraseologie vor der unwiderstehlichen ratio kantischer Logik unhaltbar wurde, wenngleich auch er gelegentlich sich auf den Standpunkt stellt, daß von der „Sparsamkeit der Natur" mit Recht gesprochen werden könne.90) Zugleich aber durchschaute Kant in der Kritik der Urteilskraft den biozentrischen Ursprung dieser Sparsamkeitsvorstellungen, indem er in ihnen nichts als eine „subjektive Maxime der Urteilskraft" sieht.^i) Dieser freie Standpunkt, von dem aus man alle Türen der Erkenntnis offen sah, wurde aber von den mechanistisch naiv denkenden Physikern wieder verlassen, als sie, gleich dem englischen Astronomen Hamilton, in dem nach ihm benannten Prinzip ^2), ebenso dem Franzosen d'Alembert (d'Alembert'sches Prinzip) und dem Deutschen K. F. Gauß (Prinzip des kleinsten Zwanges ^s) zu den Vorstellungen der Minimalprinzipe zurück- kehrten, ohne die auch H. Hertz nicht den Wunderbau seiner Pan- mechanik aufführen konnte (sein Prinzip der geradesten Bahn). Daß es sich hierbei tatsächlich um eine fundamentale Notwendigkeit des Denkens handelt, geht daraus hervor, daß aus diesen Minimalprinzipien 232 die gesamte Mechanik mitsamt dem Relativitätsprinzip abgeleitet werden kann. Deshalb mußten auch die physikalischen Denker, welche die Mechanik mit ihrem Substanzbegriff aufzuheben unternahmen, also E. Mach und R. Avenarius^*) ebenfalls das Prinzip des kleinsten Kraftmaßes stehen lassen. Der Schweizer Denker sah sich sogar bemüßigt, es zur grund- legenden Architektur eines seiner Hauptwerke zu verwenden, und der Österreicher Mach führte es wenigstens in der Form ein, daß er seine empirische Naturauffassung auf zwei „praktische Prinzipien" fundierte: auf das der Einfachheit und der Ökonomie. Beides sind Masken für die Hamil- ton-Gauß'schen Vorstellungen. Wenn, wie Mach sagt, das Ziel der NX'issen- schaft nichts anderes sein kann, als die Erfahrungen durch zusammen- fassende Beschreibungen so zu ersetzen, daß sie durch den geringsten Auf- wand an Gedankenarbeit übersehen werden können, dann macht er das Prinzip des kleinsten Kraftmaßes damit sogar zum obersten Leitmoment der Ordnung, dem er alles unterordnet. Und von da zieht sich ununterbrochen die Verwendung des Begriffes der Sparsamkeit als Merkmal der Vollkommenheit durch das gesamte philosophische Denken der Gegenwart bis zu //. Driesch^^), ohne daß er aber jemals in die zentrale Bedeutung für das Weltbild gerückt wäre, die ihm als einem wesentlichen Merkmal des stabilen Seins zweifelsohne zu- kommt. Es möchte fast scheinen, daß mit dem Durchschnittsdenken zu- sammen auch die philosophische Besinnung die Tendenz zum kleinsten Kraftmaß alles Geschehens als Selbstverständlichkeit aufzufassen geneigt ist, was aber /. Petzoldt in seinem Werk über das Weltproblem (S. 166) schon trefflich abgewehrt hat, wenn er sagt: Sehen wir uns aber solche „Selbstverständlichkeiten" näher an, gleich dem Satze, daß zwischen zwei Punkten die kürzeste Linie die gerade sei, so finden wir, daß sie auf zahl- reichen positiven und negativen Erfahrungen beruhen, die niemand vor- aussehen könnte, wenn er sie erst als reifer Mensch machen müßte. Man könnte sich die Dinge ganz anders denken, als jene Axiome sie beschreiben. Ist demnach zwar die Erkenntnis, daß der Begriff des kleinsten Kraft- maßes sich in vielen Beziehungen finden läßt, schon längst sozusagen zum Gemeingut des wissenschaftlichen Denkens geworden, so fehlt es umso- mehr an der Einsicht, daß eine ideale Ökonomie in den Beziehungen weit seltener erreicht worden ist, denn eine bloße Parsimoklise. Das Geschehen ist nur im optimalen Fall wirklich das der geringsten Mittel, sonst aber verläuft es im allgemeinen nur sparsam (ökonomisch), d. h. dem Ideal- verhältnis zwischen Ergebnis und aufgewendeten Mitteln im allgemeinen nur annähernd. Überschaut man von diesem Standpunkt aus die Welt der Erscheinungen, so wird man zunächst inne, daß alle Funktionen nicht nur optinioklin, sondern auch parsimoklin ablaufen. Angesichts des zu erzielenden Zweckes 233 wird stets nur das unbedingt Notwendige in Aktion gesetzt. Wenn die Mechanik feststellt, daß sich jeder frei bewegliche Körper so dreht, daß sein Schwerpunkt in Ruhelage kommt und dies auf dem Wege des gering- sten Widerstandes erreicht, hat sie damit einen Beweis dieser allgemeinen Parsimoklise gegeben. Wenn man nämlich einen Stab, dessen Schwerpunkt etwa in seiner Mitte liegt, mit zwei Fingern oben so faßt, daß er sich drehen kann, so hat er ein stabiles Gleichgewicht, das er auch sofort ein- nimmt, ohne erst in anderen Richtungen zu schaukeln oder andere Dreh- bewegungen auszuführen. Er beschreibt hiebei den kürzesten aller denk- baren Wege. Bringt man ihn durch Drehen aus dieser Lage heraus, dann stellt er sich von selbst immer wieder auf dem kürzesten Wege in die gleiche Lage des optimalen Gleichgewichtes ein. Hier äußert sich Ziel- strebigkeit zur Erreichung des Optimums, und das kleinste Kraftmaß liegt auf dem Wege dazu. Die Schwerkraft, die auch in diesem Beispiele wirkte, ist überhaupt nichts anderes, als eine Umschreibung des Gesetzes vom kleinsten Kraftmaß, was denn im allgemeinen viele Gesetze und Beschrei- bungen von Naturvorgängen mit ihr teilen. Wenn sich irgendwo im Räume zwei Massenteilchen finden, üben sie auf- einander eine anziehende Kraft aus, die zwar proportional zum Produkt der Massen beider im umgekehrten Verhältnis zum Quadrat ihrer Distanz steht. In dieser Gravitationsdefinition von Newton, welche aufgestellt wurde, um die Planetenbewegungen zu erklären, dann aber auf die ganze Astronomie und zuletzt auf die gesamte Physis übertragen wurde, ist eigentlich nichts als eine (noch dazu nicht ganz zureichende) Beschreibung der Tatsachen enthalten, und sie legt fest, daß diese rätselhafte Fernwirkung den kür- zesten der möglichen Wege zwischen den Massenteilen beschreitet, also dem Ökonomiegesetz folgt. Es sind demnach auch die zwei berühmt gewordenen Newton^sch^n Sätze, sowohl der Satz von der Trägheit, wie das sogenannte „zweite Prinzip", welches aussagt, daß die Kraft, die auf einen Körper wirkt, gemessen werde durch das Produkt aus seiner Masse und der Beschleunigung, wobei die Kraft immer in der Richtung wirke, welche die Beschleunigung hat, des- gleichen nichts als Umschreibungen unseres Gesetzes. Der ohne Kräfte in Ruhe bleibende Körper, so selbstverständlich das auch scheinen mag, wendet tatsächlich das kleinste, in diesem Fall Null betragende Kraftmaß zur Änderung seiner Lage an. Der Begriff der Vektoren aber schließt den des kürzesten Weges, also wieder unser Gesetz ein. Wenn einer daher auf der Trambahn aus dem fahrenden Wagen springt und gewaltig hingeschleudert wird, dann erlebt er es am eigenen Leibe, daß seine Masse auf die öko- nomischeste Weise ihren Platz behalten wollte. Die Trägheit ist der kürzeste Weg und das kleinste Kraftmaß. Noch schlagender wird unser Gesetz offenbar im Kräfteparallelogramm. Die Diagonale ist stets der kürzeste Weg, wenn an einem Punkt zwei 234 Kräfte von verschiedener Richtung angreifen, ebenso ist die Schwingungs- dauer der elastischen Schwingungen (vgl. Abb. 57) der günstigste unter den möglichen Fällen, und die Parabel eines Geschosses die Verwirk- lichung der kürzesten der möglichen Linien. Dasselbe gilt für die Kreis- bewegung oder die Bahn der zentrifugalen Kräfte. Die Gesetze der Vektoren beherrschen den Strahlengang, so wie die der harmonischen Bewegung den Gang der Wellen, von denen sich die Strahlen dadurch unterscheiden, daß sie Vorgänge sind, die sich schnell und gerad- linig ausbreiten, weshalb, strenge genommen, die Optik gar nicht von Strahlen sprechen dürfte. Da aber das Sparsamkeitsgesetz sich in beiden Arten von Bewegung verwirklicht, ist der Unterschied der beiden für uns an dieser Steile gegenstandslos. Wellen entstehen, wie bereits im Funk- tionskapitel (vgl. S. 15) ausgeführt ist, wenn durch eine Kraft das Gleich- gewicht eines Punktes gestört wird und er sich nun eine neue Gleich- gewichtslage sucht, nach Aufhebung der Kraft aber wieder zurückwandert. In beiden Fällen tut er dies auf dem kürzesten der möglichen Wege, also nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. Das Paradigma hierfür ist das schon erwähnte FermaVsche Prinzip der schnellsten Ankunft (vgl. S. 65 und 71). Der Lichtstrahl, der stets den kürzesten Weg nimmt, wenn er auch nicht der schnellste ist, zeugt so un- widerleglich für die Tatsache der Parsimoklise, daß wir uns weitere Exemplifikationen aus dem Gebiete der Funktionen getrost sparen können. Nicht anders steht es auch auf dem Gebiet der Chemie. Das Prinzip der Maximalarbeit (vgl. S. 62), das der französische Chemiker Berthelot für jede chemische Veränderung nachgewiesen hat, ist das Prinzip des größten thermochemischen Effektes, das natürlich wie jedes Maximalergebnis auch in den Satz größter Leistung bei kleinstem Energieaufwand umgebaut werden kann. Der Bau der Kristalle ist durchgängig von dem Gesetz des Optimums und folgerichtig daher auch von dem des kleinsten Kraftmaßes bedingt. Schon ihre Entstehung aus Achsenkreuzen und Skeletten (vgl. das Bild der Schneekristalle, Abb. 31 in Bd. I) bedeutet die sparsamste Verwendung des Materiellen, und die bekannten drei Hauptgesetze, denen sie unterliegen, sind der Weg, um diese Ökonomie in der Raumausnutzung, denen auch die Anordnung der Partikel in den Raumgittern folgt, zu verwirklichen. Schon die Tatsache, daß nicht alle denkbaren, sondern nur bestimmte Raumgitter und Kristallformen verwirklicht sind, verweist unbestreitbar auf den Weg unserer Denkungsart, die in den Kristallen geradezu den Idealfall für öko- nomische Raumerfüllung durch die verschiedenen Arten von Molekülen er- blicken muß und als ihre Hauptstütze die Verwirklichung der Mathematik (Gesetz der rationalen Zahlen!) in den Kristallen ansieht. Damit paßt es sehr gut zusammen, daß der Kristall der Zustand molekularer Stabilität ist; solange die kristallinische Struktur intakt ist, bleibt auch der Kristall un- 235 veränderlich; er geht höchstens in andere kristallinische Seinsstufen über, so z. B. als Anpassung an den Wechsel der Temperatur in andere Tem- peraturformen (vgl. Bd. I S. 119). Erst muß der Kristallbau zerstört, also die optimale Anordnung der Partikel verlassen sein, bevor seine Materie in molekulare Wechselwirkungen eintritt. Es ist nun selbstverständlich, daß das Prinzip des kürzesten Weges, nach- dem es einmal durchgängig die Mechanik und damit den chemophysikali- schen Prozeß bestimmt, auch in allen geologischen, geophysikalischen, meteorologischen, astronomischen und biologischen Beziehungen auffindbar sein muß. Es ist aber immerhin interessant, diese Erscheinungen trotzdem aufzusuchen, umsomehr als sie den betreffenden Wissenschaften meisthin gar nicht bewußt sind, für sie daher eine Art Entdeckung bedeuten, die zu weiterem Forschen und besserem Verständnis leiten wird. Handgreiflich meldet sich das Gesetz des geringsten Widerstandes da zunächst in den Tatsachen der Erosion, die uns schon so vielfach als treffliches Demon- strationsobjekt der Weltgesetzlichkeiten gedient hat. Stets arbeitet die Erosion, und zwar Erosion in weitestem Sinne, also sowohl die Abschleifung durch das Wasser wie durch den Wind oder durch Eis, ebensogut durch das bewegte Wasser im Binnenland wie an der Meeresküste in der Richtung des kleinsten Kraftmaßes, wofür ich zunächst einmal das reichliche Bildermaterial der Abbildungen 98 — 101, dann aber auch Bild 10, 12, 51, 56—58 zu studieren bitte. Es ist höchst geeignet, um Anschaulichkeit zu verschaffen, wie die Gesetze der Funktion und Selektion, des Optimums und des kleinsten Kraftmaßes in der Natur ineinandergreifen und sich verknüpfen zum Wunderwerk des Seins. Stets ist die Erosion in (vektoriell) senkrechter Richtung tätig, bei der Süßwasser- und Gletschererosion also gegen den Mittelpunkt der Erde zu, und sie ruht nicht einmal dann, wenn sie senkrechte Wände eingeschnitten hat, wie es in Bild 50 und 98, die den Kesselbergfall im bayerischen Hoch- land und eine benachbarte Klamm des Lainbaches darstellen, der Fall ist. Denn dann schreitet die Erosion, wie es namentlich auf Bild 50 instruktiv zu sehen ist, noch immer nach rückwärts und zerlegt die Felswand, an welcher der Bach arbeitet, in eine Reihe von Terrassen, die dann in ein- zelnen Fallstufen überwunden werden. Aus jedem Wasserfall wird so all- mählich die Stromschnelle. Dort, wo der Wasserschwall die Felsenwand seitwärts trifft, ist seine Kraft wieder dem Gesetz des kürzesten Weges Untertan, um tiefe Seitenhöhlungen auszunagen, wofür Abbildung 98 (Höhle über dem Wasserstrahl) Anschauung gewähren möge. Natürlich entstehen auf diese Weise auch in den Abflußrinnen der Gletscher (Abb. 99) senk- recht ausgekolkte Höhlungen (sogenannte Gletschertöpfe), namentlich, wenn darin durch die lebende Kraft des Wassers auch scheuernde Steine um- hergetrieben werden, eine Erscheinung, die sich übrigens neuerdings auch an Flußläufen gezeigt hat, in denen sich Kolke von 30—50 m Tiefe fanden. 236 ^Mt Abb. 98. Strudellöcher (Auskolkungen) durch die Kr;ift stronu i ,\ Motiv vom LainbachfaU bei Koclicl in den bayerischen Alpen, uii^ni.il.iiiin.iin > o Z - 2 " n' ^ > 3 n ^^^ E*^i« J^^-:^— F - ■^ '^m^m^ w^'-^- m r^^ "^^r^CH^^^^^Ii^^^^^^^^^^l Hjl^ OyAllfc , ^.. , s .^VmI ^ " Abb. 101. Das kleinste Kraftmaß in der anorganischen Natur Der Mäander eines Baches als der Weg des geringsten Widerstandes. Motiv aus einem Hochmoor im Schwarzwald. Originalaufnahme Es bemißt sich nun der Ort dieser Tätigkeit je nach dem geringsten Widerstand, den das Gestein der Erosion gegenüber leistet, wodurch ja überhaupt die Reliefierung der Landschaft (man sehe sich daraufhin be- sonders Bild 53 und 55 an) zustande kommt. Wie oft sind Bergesgipfel, Grattürme, Klippen und andere aus dem Mittelgebirge emporragende Fels- gebilde nichts anderes als die Zeugen der Gesteinssortierung nach den Härtegraden, selektiv vorgenommen durch die Erosion nach dem Prinzip des geringsten Widerstandes. Es werden dadurch auch scheinbar dem Prinzip des kürzesten Weges so widerstreitende Naturformen geschaffen, wie der anmutige Mäander (Abb. 101), den alle Bäche und Flüsse der Ebene, gleich ihrem der Er- scheinung den Namen gebenden kleinasiatischen Genossen bilden. Der kürzeste Weg ist eben immer nur der kürzeste der möglichen Wege; das darf in den Wirkungen unseres Gesetzes niemals vergessen werden! Der Fluß nagt sich überall dort durch, wo er den geringsten Widerstand findet, schlägt also den Verhältnissen gemäß jeweils den kürzesten Weg ein. Mag dieser, rein mechanisch genommen, auch noch so sehr als Kraftvergeudung erscheinen, so bedeutet er dennoch eine parsimokline Leistung. Genau nach gleichem Gesetz vollzieht sich das Abgleiten eines Gletschers an der Tal- vvand (Abb. 100). Auch hier wird der Ort des geringsten Widerstandes ge- sucht; das härteste Gestein nur gerade angekritzt und poliert, wie das sehr schön an den Trichterwänden der Strudellöcher (Abb. 99) zu sehen ist, das weichere so ausgeschürft, daß dadurch Trogtäler nach Art des obersten Zemmgrundes in den Zillertaler Alpen (Abb. 100) entstehen, in dem das Waxeggkees nun seine charakteristischen Moränen ablagert. So wie die Erosion den Ort der Sättel, Mulden und Gipfel je nach dem Gesteins- charakter determiniert, so bestimmt die viel härter arbeitende Eiserosion die scharfen Hochgebirgsf ormen ; sie spitzt die Gipfel dermaßen zu, wie das dem Bergsteiger von dem Karwendel-, Wetterstein- oder Kaisergebirge in Tirol geläufig ist, und modelliert die großen Wannen, die nach dem Ab- schmelzen der Gletscher übrig bleiben; sie rundet und poliert die „Rund- linge" (Abb. 3 bis 5) und übertieft die Täler, in denen dann die harten Gesteinsmassen als Höcker am Talausgang in landschaftlich so reizvoller Weise übrigbleiben, daß sie, wie zu Salzburg, Kufstein, Sion oder Bellinzona in der Schweiz das Urteil A. v. Humboldts rechtfertigen, hier seien die schönsten Orte im gesamten Bereich der irdischen Schönheit. Bekanntlich wirkt ja dabei nicht das Eis als solches, sondern der feine Schlamm und Grus seiner Grundmoräne, auf dem das Eisgewicht so lastet, wie die Hand des Tischlers auf dem Hobel, wobei das stete Frieren und Wiederauftauen den Felsgrund durch die Zermürbung vorbereitet. Wie stark diese mechanische Wirkung ist, wird durch die Angabe von Heß illu- striert, daß die Gletscher dem Bergkamm in jedem Jahrhundert 1 bis 3 m von ihrer Höhe rauben. 237 Genau so wirkt auch die Erosion des fließenden Wassers nur durch die mitgeschleppten festen Bestandteile, wobei ja nur Vs der Niederschläge sich in lebendiger mechanischer Kraft auswirkt (Vs bleibt Grundwasser, und der Rest aller Niederschläge wird im Gesteinsmantel der Erde chemisch ge- bunden). Dabei hat die Erosion drei Phasen von sehr verschiedenem Wirkungsgrad. Im Sammeltrichter wirkt das Wasser in der bislang be- trachteten Weise einschneidend; im Tobel oder Hals des Laufes nur trans- portierend, im Tal dagegen sogar aufbauend in Sandbänken und Geröll- mengen, die sich kegelförmig ausbreiten. In jeder Phase aber folgt das Wasser dem kürzesten Weg, so daß es unter Umständen auch auf jeden Weg verzichtet und sich dann im Unterlauf zu Sümpfen, sogar zu Seen und Lagunen (Deltabildungen) staut, aus denen es in vielen kleinen Armen seine kürzesten Auswege sucht. Es ist daher jedes Flußnetz eine Karte der Stellen des geringsten Widerstandes, die dabei so fein ausgearbeitet ist, daß Höhenunterschiede von minimalster Größe auf ihr schon sichtbar werden in der Verteilung der Wasserscheiden. Genau nach gleichem Gesetz regeln sich aber auch die Druckunterschiede in der Atmosphäre, wobei Winde und Wolken in der mannigfaltigen Ver- teilung mit der gleichen untrüglichen Bestimmtheit den geraden Weg zum Orte des Minimums aufsuchen, wie ein Wasserlauf die tiefste Lage unter den möglichen, worauf ja übrigens die Anwendung der Libelle als Was- serwage beruht. Auch im Vulkanismus liegt schönes Demonstrationsmaterial zugunsten unseres Gesetzes vor aller Augen. Stets entweichen die im Magma gebun- denen Gase wie der Dampf aus einem Kessel an den Stellen des geringsten Widerstandes, wobei sie das Magma mitzureißen pflegen. Das nennt man dann Vulkanausbruch, dessen Intensität in dem Augenblick sinkt, in dem der Ausgleich zwischen innen und außen einzutreten beginnt. Eine so zum Grundsatz alles physikalischen Geschehens gewordene Art von Beziehungsverkettung muß nun auch im lebendigen Getriebe nach- weisbar sein. Und so Ist das ökonomische Prinzip sozusagen ganz selbst- verständlich eine der obersten Maximen, die sich in allen physiologischen Prozessen erkennen läßt. Längst hat die biologische Forschung sie darin auch erkannt, und es bedarf hier nicht erst des Nachweises, sondern bloß der Erinnerung und des Hervorhebens der auffälligsten solcher parsimo- klinen Erscheinungen. Im besonderen haben als erste Biologen, die dem Okonomieprinzip des Lebens zielbewußt nachforschten, der Schweizer S. Schwendener, dann der österreichische Botaniker G. Haberlandt an den Pflanzen in großen Wer- ken nachgewiesen 9«), daß diese zunächst in mechanischer Hinsicht die An- forderung größtmöglichster Festigkeit mit der einer möglichsten Sparsam- keit in der Verwendung von Mitteln zu vereinigen wissen. In einer un- endlichen Variabilität werden von der Pflanze auf allen ihren Integrations- 238 stufen die Festigungseinrichtungen (Stereome) nach dem Prinzip der Spar- samkeit angelegt. Das zeigt sich schon innerhalb der Zelle selbst. Als klassisches Beispiel dafür habe ich in meinen botanischen Schriften mehrfach die Kicselal^cn- zelle angeführt (vgl. Bd. I Abb. 65, auch Bd. II Abb. 118), welche in ihrem edaphischen Leben darauf angewiesen ist, unter Umständen einem großen Druck zu widerstehen, daher der Festigungseinrichtung bedarf. Des- halb wird in der Membran Kieselsäure ausgeschieden. Es bleiben aber durchwegs die überflüssigen Stellen davon frei, es werden aus der Wand gewissermaßen die Füllungen herausgenommen und nur jene Verspannungs- linien mit festem Material ausgearbeitet, die „gleiche mechanische Leistung bei größter Materialersparnis" gewährleisten. Das gleiche sieht man auch im Zellverband an jenen Zellen, die als ,,Ste- re'iden" tätig sind. Man werfe einen Blick auf den anatomischen Bau von Tannennadeln, Oefäßen, Stämmen und von Fichtenholz, wie sie in Abb. 31 sowie 102, 103, 105 dargestellt sind. Vom Feinsten bis zum Gröbsten wird man darin stets das Prinzip der Ökonomie im Bau (beste Leistung mit ge- ringsten Mitteln) entdecken und es in hundert kleinen Zügen bestätigt fin- den in dem Maße, in dem man sich selbständig in die Bilder vertieft. Mit größter Gewissenhaftigkeit hat man Jahrzehnte hindurch die verschiedenen Arten von Wandverstärkungen in den Pflanzengefäßen (Abb. 31) beschrie- ben und unterschieden, ohne ihren Sinn zu kennen. Mit den „Riefen'' und sogenannten Schalenzeichnungen der Diatomaceen und anderer Einzeller (vgl. Abb. 117 und 23) geschieht dies noch heute; sie werden mit größtem Fleiß beschrieben und untersucht, um systematische Merkmale zur Unter- scheidung aus ihnen zu gewinnen. Die Windeln werden also erzogen, das Kind, ihr eigentlicher Sinn wird völlig übersehen. Noch jetzt fehlt es auch in bezug der pflanzlichen Zellwandstrukturen an einem vergleichenden Studium, welche Vorteile in materialökonomischer Hinsicht den einzelnen Bautypen, also den spiraligen, ringförmigen und sonstigen Arten von Ver- dickung zukommen. Der Bau des Holzes, in den Bild 103 einen über- raschend lehrreichen Blick tun läßt, ist in dieser Hinsicht ein wohlabgcwo- genes System der verschiedensten Zelltypen, deren Form stets aus der Har- monie zweier Faktoren, nämlich der jeweiligen Funktion und dem Prinzip der Ökonomie in der Materialverwertung verstanden werden kann, eine Ar- beit, die, nebenbei erwähnt, noch gar nicht in Angriff genommen worden ist. Das reicht von den feinsten Struktureigentümlichkeiten bis zu den ganz großen Zügen der Organisation. Als Beweis dafür lege ich in Bild 102 den Querschnitt eines dreijährigen Ästchens der Eibe (Taxus baccata) vor. Auch darin redet das Okonomieprinzip ganz unverkennbar. Die Nadelhölzer haben keine besonderen Stereome, wie das Holz der Laubbäume oder die Halme der Gräser und Stämme der Palmen, sondern ihr Holzteil ist als Ganzes die Stütze und in gewisser Weise als Stereom eingerichtet. Als 239 solches stellt er im gegebenen Fall eine Röhre dar, was bekanntlich die günstigste Form ist, um mit kleinstem Materialaufwand die größtmöglichste Festigkeit zu erreichen. Wie aus der Abbildung ersichtlich, ist dagegen die Borke wieder nur ein Agglomerat luftgefüllter, toter Zellen; sie haben eben nicht zu stützen, also wird ihnen nur wenig Baustoff zugemessen. Und in dem Querschnitt einer Fichtennadel (Abb. 105) kann man alles Gesagte nochmals in instruktivster Weise rekapitulieren. Die Festigungsele- mente sind da als verdickte Zellen in einem Längsstrang in das Zentrum verlegt; ganz fein abgewogen sind aber noch einzelne Stränge von Skleren- chymzellen eingeschoben; die Schutzscheide des Gefäßbündels ist einiger- maßen verstärkt, und um die Harzgänge an der Peripherie jeweils ein Mantel von verstärkten Zellen gelegt. Auch unter die Epidermis, die doch großen Anforderungen an mechanischer Beanspruchung genügen soll, ist eine Schichte von Stützzellen eingeschoben. Schon diese komplizierte Archi- tektur verrät es, wie wohlabgewogen ein solcher Bau sein muß, in dem von Fall zu Fall entschieden ist, wo Festigungsgewebe eingelegt werden müssen und wo nicht. Genau so wenden auch die Miniaturbäumchen der Moose wieder auf ihre Weise die mechanischen Prinzipien der großen Bäume an. Wer sich in den sehr instruktiven Längsschnitt eines solchen Moospflänzchens (Abb. 64) vertieft, kann daran raffinierte Anwendungen des Sparsamkeitsgesetzes fin- den. Überall sind Festigungszellen nur dort angebracht, wo die Funktion es fordert, so in dem „Pflaster", auf dem die schweren Krüglein der Arche- gonien stehen, und in dem zentralen Strang längsgerichteter Zellen, der zu- gleich der Wasserleitung dient; oft sind sogar in ausgesuchter Weise ein- zelne Festigungszellen in ganz lockeren Geweben eingestreut, genau so viel, als die Belastung erfordert. Sogar in den Pilzen verflechten sich die Fäden zu Marksträngen, wenn es das Bedürfnis heischt, und so sind im gan- zen Pflanzenreich Skelettbildungen vorhanden, die, wie Haberlandt nachge- wiesen hat, ebenso frühzeitig angelegt werden wie im Körper der Tiere, wo — man sehe sich die Abbildung des Skeletts des Menschen und der Menschenaffen im folgenden Kapitel darauf hin an — aufs feinste ausbalan- ciert, die Materialvergeudung nirgends auch nur mit einem Quentchen Knochensubstanz Verschwendung treibt. Es ist natürlich, wie man bemerkt haben wird, das unerschöpfliche Ge- biet der Biotechnik, auf dem sich das Prinzip der Material- und Funk- tionsersparnis auswirkt. Alle organischen Maschinen, seien das nun die Traggerüste bei Pflanze und Tier oder die Bewegungsmechanismen, die Werkzeugmaschinen der Tiere oder die Schwimm- und Flugapparate, sind gerade auf das hin in einer Weise selektiert, daß sie der nachahmenden menschlichen Technik immer wieder noch als Beispiel dienen können. Um nur einen Beleg für viele herauszugreifen, so sei an die Musku- latur der Insektenbeine erinnert. Es gibt wenige Organe des Tierkörpers, 240 ,- 3 O 2 f E Abb. 104. Die Anpassungen eines Kerftieres Menschliche Filzlaus (Phthyrius inguinalis) mit ihren spezifisch als Klammerorganen umgebildeten zwei Beinpaaren. Schwach vergrößerte Originalmikroaufnahme des biologischen Instituts München Abb. 105. Querschnitt durch eine Fichtennadel Die Anordnung der Zellen und aller Organe verwirklicht das Okonomiegesetz nach Art des Taylor- syslems durch eine musterhafte Arbeitsteilung. Die Gefäße (s) sind in einem Bündel zusammenge- faßt, die nötigen Versteifungen sind auf bestimmte sichelförmige Trajektorien beschränkt, das As- similationsgewebe ist ein Muster von Raumökonomie, um eine assimilatorische Maximalleistung zu ermöglichen. Vergrößert. Nach Tschirch t; JA j ~ ü ZJ ^ .= "^ "5 ^ t Die Verteilung der Ableitungswege nach dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes Naturselbstdruck des Biologischen Instituts München die zu einer so mannigfaltigen und ausdauernden Tätigkeit befähigt sind, wie gerade das Insektenbein, das darin trotz seiner scheinbaren Steifheit und seinem Chitinpanzer der menschlichen Hand nahe kommt. Es läuft mit unerhörter Behendigkeit als Bein der Sandlaufkäfer, es gräbt am Leib der Maulwurfsgrille gleich einer Schaufel, es schleppt Lasten, die das Gewicht des Körpers um ein Vielfaches übertreffen, wenn die Sandwespe eine Raupe in ihre Höhle schleift oder die Ameisen etwas in ihren Bau ein- tragen; es rudert als Bein des Gelbrandschwimmkäfers, es baut komplizierte Gehäuse als Bein der Köcherfliegenlarven (vgl. Abb. 49), es vollführt wahr- haft technische Kunststücke, wenn die Pronubamotte den Pollen der Yucca- Palmlilie knetet und die künstliche Befruchtung vollzieht. Und doch, von welch einfachster Gliederung ist es innen und außen aufgebaut! Schon die Zerteilung in einige wenige Röhrenstücke, die durch Scharniergelenke gegeneinander beweglich sind, ist ein Meisterstück. Und innerhalb der Röhren sind so wenig Zustränge von Muskeln angebracht, daß man hier geradezu ein hysteron proteron für das kleinste Kraftmaß im Tierkörper vor sich hat. Vor allem liegen sämtliche Beinmuskeln der Insekten in einer Ebene (mit Ausnahme des Muskels zwischen Schenkelring und Über- schenkel, der zum Pronieren [Einwärtsdrehen] des Schenkels dient), kön- nen also nur strecken oder beugen. Aber auch dazu gibt es nur zwei Strek- ker, und schon das Fußglied und die Krallen können sich nur durch ihre allerdings wie Sprungfedern wirkenden Gelenkhäute strecken. Auch von den Beugemuskeln gibt es nur vier, und dort, wo sie in dem so engen Unterschenkel keinen Platz mehr haben, dünne, aber kräftige Zugschnüre, die an der Wurzel der Kralle mit einer federnden Platte enden, sodaß da- durch in den Tarsen ein besonderer Muskel zum Wiederausstrecken er- spart wird. Das Ganze ist eine Maschinerie von höchster Sparsamkeit bei maximalen Leistungen (vgl. Abb. 104). Ganz unübertrefflich ist in dieser Hinsicht die Betriebsführung und das Zusammenarbeiten der Zellen in den Geweben und Organen organisiert. Vor allem ist durchgängig das Prinzip der Arbeitsteilung durchgeführt. An die Knochen schließen sich überall Bänder der verschiedensten Form an (Abb. 106); jedes in seine einzelnen Sonderstränge gegliedert, in einem wunderbar zusammenarbeitenden System, das namentlich dem menschlichen Rücken und der Kreuzgegend eine Beweglichkeit und Elastizität verleiht, ohne die die tausendfältige Anmut des Tanzes ebenso undenkbar wäre, wie die Gelenkigkeit der Turner und Bergsteiger. Muskeln und Bänder arbeiten so zusammen wie Knochen und Gelenke gegenseitig oder der Herzmuskel mit seinem System von Klappen (Abb. 107), die eigentlich nur bindege- webige Häute von lockerster Architektur sind. Knochen, Gelenke, Sehnen, Muskeln und Bindegewebe aber wirken wieder zusammen bei jeder Be- wegung, sie unterstützen sich gegenseitig, so wie sich wieder in den inneren Organen die Drüsenzellen mit den Bindegeweben (man sehe das Bild der Ib Franci, Bios M ^ , . 241 Niere in Bd. I auf Abb. 90 nach) vereinigen; sie alle aber werden durch die Blutgefäße und die Nerven neuerdings verknüpft und zu Arbeitsteilungen höherer Art gezwungen, sodaß im Organismus tatsächlich eine „Organisa- tion" von Arbeitern vorliegt, in der jeder einzelne in Hinsicht auf jedem an- deren arbeitet und unentbehrlich ist. Es gibt denn auch nicht einen einzigen „Supernumerären" in dieser Staatsverwaltung, die dadurch höchste wirt- schaftliche Leistung mit dem geringsten Energieverbrauch erreicht. Wo im einzelnen ein scheinbares Luxieren und eine oft unglaubliche Reichhaltigkeit der Formgestaltung den Betrachter verwirrt, wie z. B. im Bau der Nervenzellen (Abb. 109), da ist das Sparsamkeitsprinzip noch im- mer nicht durchbrochen, denn gerade diese Neuronen sind, wie man seit den klassischen Forschungen des Spaniers Ramon y Cajal weiß, die Zellen des Tierkörpers, welche die vielfältigste Funktion, nämlich Speicherung und Verknüpfung der Erlebnisse ausführen. Es ist an ihnen kein Büschelchen, dem nicht ein wohlgerüttelt Maß von Tätigkeit zukäme, und sie sind in ihrer Art ebenso notwendige Funk- tionsformen wie alle übrigen Zel- len des Körpers auch. Was im Tierleben recht, ist dem Pflanzenorganismus nur billig. Auch hier ist ein in seiner Art nicht weniger verwickeltes Zusam- menarbeiten der Elemente vor- handen, eine Durchgliederung der Arbeiter in Gruppen, eine Auf- lösung der Tätigkeiten und Teil- arbeiten in besonderen Werkab- teilungen und von solcher Plan- mäßigkeit, daß gerade die Pflanze darin noch ein lehrreicheres und übersichtlicheres Vorbild für ra- tionellste Arbeitsleistung gewährt, denn der Tierkörper. Auf der Abbildung 108 ist nur eine einzige Organgruppe, es sind nämlich die Einrichtungen der Ab- und Zuleitung, dargestellt an einem der bekannten prachtvollen Naturselbstdrucke von Blättern, Abb. 109. Das kleinste Kraftmaß in der mensch- die vollkommen getreu die einfach ''*^''^" Histologie. Bild einer PurkinjVschen Zelle uic vuiiKUiiiiucii gciicu uic ClUIdLU ^^^ ^^^ Kleinhirn des Menschen, das trotz seiner optimale Drainage der Blattspreite scheinbar luxurlerend reichen Ausbildung dennoch nur vTj r. *^'* notwendigen Büschelungen enthält, um den enorm durch das Netz der Blattadern komplizierten Funktionen der „Denkzellen" gerecht ...:«j ~ t- »< t 1 • werden zu können. IQO fach vergrößert. (Nach So- wiedergeben. Man kann kein bottas Lehrbuch der Histologie.) 242 vollkommeneres System ersinnen, um ein bestimmtes Territorium auf dem kürzesten Wege mit Verkehrslinien gleichmäßig zu durchziehen, die nach und nach in einen Hauptweg münden. In fünf Rangstufen von Blattadcrn wird ein solches Blatt so vollendet durchstickt, daß keine einzige Zelle seiner Fläche übrig bleiben mag, die nicht ihren Zulcitungs- und Ab- leitungskanal besäße, um so mehr als ja die blattgrünführenden Zellen sich ohnedies zu mehreren zu verbinden und in eine „Trichterzelle" zu münden pflegen, die dann Anschluß an die Verkehrswege hat. Ein Städtebaiimcister oder ein Landwirt, der sich ein optimales Bild machen will, wie man eine bestimmte Fläche kanalisiert oder gleichmäßig entwässert, wird dieses Bild mit größtem Nutzen studieren. Ein anderes Beispiel von ähnlichem belehrenden Wert mag das Denken im Betrachten der Bilder 110, 111 beschäftigen. Beide stellen sogenannte Xerophyten, das erstere eine Gruppe blühender Hauswurze (Sempervivum tectomm), das letztere die Kaktee Arlocarpus retusus Schneider dar. Beides sind Beispiele, wie vollendet die Anpassung mit dem Gesetz von der ge- ringsten Kraftentfaltung zu hausen versteht. Die an Trockenheit angepaßten Gewächse müssen notgedrungen sich auf die kleinste Transpirationsoberfläche beschränken, bei der noch die nötige Menge von Assimilaten erzeugt werden kann. Sie erreichen das durch Reduktion der Blattoberflächen bis zum völligen Verschwinden derselben, wobei dann oft die Zweige und Stämme selbst die photochemischen Tätig- keiten übernehmen. Die Wüsten aller Länder sind reich an solchen blatt- losen Gewächsen (vgl. dazu Abb. 68). Bei diesem Bestreben geraten not- wendigerweise zwei einander entgegengesetzte Tendenzen in Kampf. Die Assimilation fordert, daß die Blattfläche möglichst umfangreich sei, um daran möglichst viele der Lichtkraftmaschinen (vgl. Abb. 34) aufstellen zu können, der Wasserhaushalt dagegen verlangt gebieterisch, daß diese gleiche Fläche nach Tunlichkeit eingeschränkt werde, damit nicht zu viel Wasser verdunste. Den Ausgleich beider Notwendigkeiten findet die Pflanze durch die Anwendung des kleinsten Flächenmaßes bei möglichst intensiver Funk- tion. Es ist demnach begreiflich, wenn die Blätter nicht flach, sondern fleischig, d. h. dreidimensional gestaltet sind, wie das namentlich die Haus- wurz, aber auch viele der Kakteen (Melonenkaktus!) bekannt gemacht haben. Das zweite Mittel ist die rosettenförmige Anordnung, wie sie be- sonders bei dem von oben aufgenommenen Bild des Äriocarpiis sinnenfällig wird. In idealer Weise wird dadurch der Assimilationsraum ausgenutzt, der Transpirationsraum beschränkt, die Funktion auf dem Wege ökonomische- ster Gestaltung erreicht. Sehr hübsch ist es, dabei zu sehen, wie das Leben- dige aber alle diese Gesetze beherrscht. Denn die Notwendigkeiten der Fortpflanzung heben die Rosettenform und ganze Gestaltungsökonomic auf (Abb. 110). Die blühende Hauswurz erhebt ihre Blüte hoch und frei — die Interessen der Fortpflanzung (man vergleiche dazu das über die Fort- 243 Pflanzung auf S. 176 Gesagte) lassen die des Individuums zurücktreten, allerdings auch nur wieder in dem Maße, daß der Zweck bei kleinster Auf- opferung erreicht wird. In solchen Formen vollzieht sich das Gesetz der Parsimoklise im Reiche des Lebens. Die gesamte Physiologie und damit auch die Biotechnik steht unter seinem Einfluß. Daher muß auch die Technik des Menschen, will sie zu wirklich haltbaren Gebilden fortschreiten, das Gesetz des kleinsten Krajtmaßes an die Spitze ihrer Bestrebungen stellen. Und das gilt für jede Art von Technik, keineswegs für die der Maschinen allein. Die Geschichte der Erfindung ist voll von Beweismaterial für diesen Satz. Denn bei der naturwidrigen Richtung, welche die Technik lange Zeit eingeschlagen hatte, ist sie genau so wie die Naturprodukte, nicht durch die telokline Selektion des Verstandes, sondern durch die rein mechanische Ausmerzung des nicht Haltbaren, erst allmählich zu der Notwendigkeit ge- drängt worden, wenigstens an den Maschinen das Überflüssige an Form- gestaltung und gar erst an Funktion wegzulassen. In den großen euro- päischen Sammlungen zur Geschichte der Technik findet man aus vergangenen Jahren noch wunderlich genug anmutende Instrumente und Maschinen, die selbst den modischen Schnörkel und das dekorative Ornament nicht ver- missen lassen. So existiei^t z. B. ein englisches Patent (Nr. 3761 vom 29. Nov. 1813 für John Cragg)»'). i" dem an Maschinen Verzierungen in gotischem Stil dem Erfinder geschützt sind. Im Deutschen Museum zu München wird ein absonderlicher Zeuge dieser Denkungsart aufbewahrt, nämlich eine stehende Dampfmaschine, die in ein Tempelchen mit dorischen Säulen aus Eisen eingebaut ist. Auch erinnere ich mich im Conservatoire des arts et metiers zu Paris Mikroskope aus dem Rokoko gesehen zu haben, deren Stative Amoretten darstellten. In der schönen Sammlung solcher alter Instrumente, die man zu München im Deutschen Museum hütet, und der die Figuren der Abbildung 112 entstammen, kann man den Wellen- schlag organischer und ephemerer Konstruktionen sehr wohl studieren. Wie sachlich wirkt das erste Mikroskop des Leeuwenhoek (Fig. 1) trotz seiner elenden Linse und sonstigen technischen Unvollkommenheit, des- gleichen das Nürnberger Pappmikroskop (Fig. 3) trotz der gedrechselten Beine, wie lächerlich kokett und ernster Arbeit widerstreitend, trotz seiner relativen technischen Leistungsfähigkeit, aber das Rokokolupenbe- steck (Fig. 2). Das sind Formen, welche wenigstens die Maschinentechnik heute völlig abgestreift hat. Wie ungemein sachlich, gleichsam als eine Verkörperung des Gesetzes vom kleinsten Kraftmaß steht doch eine moderne Schnellzugs- lokomotive oder eine Dynamomaschine vor uns, und selbst wenn es der Verstand nicht weiß, so wird ihr Beschauer es schon durch das Gefühl inne, daß diesen Dingen Schönheit, eine Vollendung innewohnt, die eben auf dem Optimum ihrer Funktionsform beruht. 244 Abb. HO. Gruppe von blühenden Hausvvurzen (Sempervinnn Toctorum) als Bcle» wie die Fortpflanzung die Ökonomieanpassungen (Xerophiler Habitus, Rosettenbiu' dung) aufhebt Abb. 111. Die Kakteenart Ariocarpus rctusus Scheiden Beispiel ausgesprochener Reduktion und Verteilung des Assimilationsapparates nach dem Gesetz maximaler Leistung mit F. Nissen kleinsten Mitteln, in Lauenburg Originalaufnahme Abb. 112. Das Ökonomiegesetz in der menschlichen Technik Alte Mikroskope als Beispiele technischer und spielerischer Formgestaltung. 1. Das Mikroskop von Leeuwenhock aus dem XVII. Jahrhundert, ein Beispiel parsimokli- ner, aber unvollkommener Gestaltung. Als Gegenbeispiel dient Figur 2 (Rokoko- lupenbestecke), das trotz technisch hoher Leistungen (Kugelgelenke) das Gesetz de richtigen Formengebung verletzt. Figur 3, e Versuch harmonischer Gestaltung (zweckmäß Museum zu M n Nürnberger Pappiiiikroskop, ist ein g und hübsch). Aus dem deutschen Im gleichen Moment gehen wohl aber auch sämtlichen meiner Leser die Augen dafür auf, wie himmelweit noch alle anderen Techniken: Kunst- gewerbe, Architektur, gar nicht zu reden von den Künsten, von diesem Ideal des kleinsten Kraftmaßes, das doch in jedem Naturgegenstand verwirklicht ist, entfernt sind! Noch stehen ja alle Bürgerstuben voll von Erzeugnissen einer solchen in den übelsten „Stilen" und „Zieraten" schwelgenden Möbelschreinerei, noch produziert eine Andenken- und Fremdenindustrie wahre Monstra solcher Sinnwidrigkeiten, unglaublich, wenn man einmal viele derartige Dinge beisammensieht, wie in der „ästhetischen Folter- kammer", die das Kunstgewerbemuseum zu Stuttgart höchst lehrreicher- weise zusammengestellt hat. Wohl ist endlich namhaften Führern des Kunstgewerbes, namentlich der Werkkunstbewegung, das Gesetz des Sinngemäßen und Zweckgerechten in der Formengestaltung aufgegangen, das auch das des kleinsten Kraftmaßes in sich schließt, auch ist nach langem Suchen und Ringen die Architektur auf dem Wege, Bauformen zu gestalten, die endlich dem inneren Sinn ihres Daseinszweckes gemäß sind.*) Aber das sind erst Ansätze, und noch sind Kleidung, Hausrat, Gerät, das ganze Gehäuse des Alltags, die Art, Feste zu feiern, ein Tummelplatz der Unkultur, vor dessen Sinnwidrigkeit und Stillosigkeit man erschrickt, wenn man erst einmal im Lichte der objektiven Denkungsart die leuchtenden Möglichkeiten eines wirklich organischen Lebens erblickt hat. Es ist für den Menschen der Gegenwart kennzeich- nend, daß nur überall dort, wo Technik und kaufmännisches Denken sein Tun bestimmen, in seinen Leistungen das Gesetz des kleinsten Kraftmaßes an herrschender Stelle steht. (Man mißverstehe mich nicht: dieses Gesetz allein bestimmt noch keineswegs den Begriff des Kulturellen und Schönen, sondern ist nur eine seiner allerdings unentbehrlichen Voraussetzungen.) Im Verkehrswesen, im Straßen- und Bahnbau, in der Organisation von Wasserwerken, Kriegsschiffen, Flugzeugen, Hafenanlagen oder Handels- häusern, da ist unser Gesetz eine bis zur Unbewußtheit selbstverständlich gewordene, unentbehrliche Voraussetzung. Und man würde den Ingenieur an dem Tage seines Dienstes entheben, an dem er ernstlich vorschlüge, eine Bahnlinie anders denn nach den Prinzipien der Ökonomie zu trassieren. Es ist das erste Problem des technischen Denkens geworden, daß eine technische Einrichtung nicht nur ihren Zweck erfüllt, sondern dieses Ziel auch auf dem ökonomischesten Wege erreiche. Die Beharrlichkeit, mit der der tägliche Verkehr über Stadtgebiet und Land überall, oft genug im Widerstreit zu den Rechten einzelner sich seine „kürzesten Wege" als „Abschneider" verschafft, ist ein Symbol dieser •) Prachtvolle Zeugnisse dieser neuen Architektur sind z. B. die Anlage des Walcl- friedhofes und die neue Anatomie zu München (abgebildet in München, Lebensge- setze einer Stadt), auch der Lübecker Ehrenfriedhof, der neue Hauptbahnhof zu Leip- zig usw., so wie die gotischen Dome Beispiele für sie in vergangenen Zeiten waren. 245 inneren Notwendigkeit, die das Leben allem gegenüber empfindet, was in seinen Kreis tritt und ihm Reibung bereitet. Die Worte, mit denen R. Ave- uarius, der Begründer des Empinokritizismus, seine erste grundlegende Schrift einleitete, sind hierfür wahrhaft klassisch: „Die Seele verwendet zu einer Apperzeption nicht mehr Kraft als nötig, — sagt er — und sie gibt bei einer Mehrheit möglicher Apperzeptionen derjenigen den Vorzug, welche die gleiche Leistung mit einem geringeren Kraftaufwand, beziehungsweise «nit dem gleichen Kraftaufwand eine gröbere Leistung ausführt." ^8) Aus dieser Erkenntnis heraus ist denn auch Avenarius seine ganze Philosophie der reinen Erfahrung organisch und notwendigerweise zugewachsen, die mit Erfolg im gesamten Umkreis des Denkens und seelischen Oestaltens, in der Gewohnheit, in der Sprache, in der Wissenschaft, in der Philosophie selbst nur ein kraftsparendes Streben des Erlebens sehen lehrte und so zu einem mächtigen und erfolgreichen Vorläufer unserer Denkweise geworden ist, den wir nicht mehr missen mögen, der uns aber hier auch der Aufgabe enthebt, diese Fundamente des Ökonomiegesetzes im Walten des Menschen- geistes erst noch zu zimmern. Avenarius hat recht, wenn er Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes faßt und ihr die Aufgabe zuweist, die Gesamtheit des in der Erfahrung Gegebenen wissenschaftlich durch- zuorganisieren, worin er sich ja mit E. Mach begegnet. Als Ideal dieser Lösung muß einer solchen Philosophie gemäß unserem Gesetz die letzte begriffliche Einheit der Welt (das, was wir Bios nennen) vorschweben; der von ihr geforderte methodologische Monismus (in der Sprache von H. Driesch: Ordnungsmonistisches Ideal) erscheint daher von diesem Ge- sichtspunkt aus als Notwendigkeit, zu der die Menschheit immer wieder zurückkehren wird, so oft sie ihn verläßt, weil er auf einem der Weltgesetze beruht. Genau dasselbe gilt für den von der Wissenschaftslehre unbedingt anerkannten „Grundsatz der einfachsten Erklärung" , der sich auch immer in allem Wissenschaftsstreben durchringt. In diesen Formen äußert sich das Okonomiegesetz im geistigen Leben und hat die klassischen Wissen- schaftsgrundlagen, sowohl die berühmte Kirchhof fsoho. Formulierung von 1874 der „vollständigen einfachsten Beschreibung", die letzten Endes auf Adam Smith, den englischen Volkswirtschaftler, und sogar auf Newton zurückgeht, wie die nun ebenso berühmt werdende Formel von E. Mach von der ökonomischen Darstellung des Tatsächlichen (Ökonomie des Den- kens, von 1871 bis 1883) vollständig durchsickert. Sie ist zum gesicherten Besitzstande des menschlichen Denkens überhaupt geworden. Ich scheue mich fast, solche Zergliederungen hier vorzulegen, so sehr erscheinen sie mir so wie alle diese Gesetze von Optimum, Integration, Selektion, Ökonomie und Harmonie als Selbstverständlichkeiten; allerdings derart, wie es auch Mach meint, wenn er sagt: „Solche Selbstverständ- lichkeiten waren es immer, auf welche die Wissenschaft ihren Bau sicher 246 gründen konnte/'^») Daher wird es denn doch nicht überflüssig sein, aus- drücklich hier zu konstatieren, daß sowohl jede Art von Teleologie wie auch jede Mathematik nichts anderes ist, als die Anbahnung und im letz- teren Fall die strikte Durchführung des Satzes vom kleinsten Kraftmaß in der Regelung von Beziehungen. Das Ideal von Zweckmäßigkeit ist der geringste energetische und materielle Aufwand, also das Minimum an Mitteln, durch das ein bestimmter Zweck erreicht werden kann. Jeder Vor- gang kann daher nur dann als bestmöglichst bezeichnet werden, wenn er parsimoklin ist. Die Parsimoklise ist ein ausschlaggebendes Merkmal des Zweckmäßigen. So wie auch alle Zweckmäßigkeitsannahmen das Optimum- gesetz anerkennen. Es ist daher das Teleologiegebiet, namentlich die Zweckmäßigkeitslehre der Organismen: Anpassungen, Regulationen und Regenerationen das klas- sische Feld der Untersuchung ökonomischen Geschehens. Wenn in Roux's bekanntem Experiment, im künstlichen, aus Paraffin und Gummi hergestell- ten Knochen sich auf Funktion hin ein Bild der Linien stärksten Druckes und Zuges ausbildete, das mit der Trajektorienanordnung eines in gleicher Weise beanspruchten Knochens übereinstimmte, so war damit nicht nur die hervorragende Zweckmäßigkeit dieses Anordnungssystems als mechanisches Grundgesetz, sondern auch die Tatsache erwiesen, daß jede Funktion welt- gesetzlich nach den Linien des geringsten Widerstandes verläuft. Und da nun alle Funktionsformen, in weiterem Sinne alle Naturformen die Rest- gestaltung nach Überwindung des Widerstandes sind, also der Funktion nur mehr ein Minimum an Widerstand entgegensetzen, ist schon dadurch das Okonomieprinzip zum Weltgesetz erhoben. Das Denken, dieser teleologische Prozeß kat exochen, und sein Organ: das Gehirn ist die Verwirklichung der Sparsamkeit, wie Avenarius mit aller Schärfe nachgewiesen hat. Assoziationsfasern und Nerven sind die Verkör- perung des Begriffes: kürzester Weg unter den möglichen. Empfinden und Vorstellen, Denken und Handeln streben immer nach dem kürzesten Wege; das Ziel der organischen Funktionen ist in den meisten Fällen überhaupt nichts anderes, als diese Funktion mit dem Minimum an Widerstand auf dem kürzesten Wege bei geringstem Energieverbrauch durchzuführen. Kei- nem anderen Zweck dient die Mechanisierung der Handlungen. Wieder- holung und Gewohnheit sind überaus kraftsparend, wie /. Fries'^°°) schon vor mehr denn einem Jahrhundert erkannt und betont hat, und wie es jeder- mann alle Tage erleben kann. Insofern war es höchst fruchtbar, Automatis- men, Reflexe und Instinkte einmal von diesem Standpunkt der Krafter- sparnis aus zu betrachten. Und was endlich das Walten dieses Prinzipes im logischen, ethischen und praktischen Verhalten des Menschen anlangt, so wurde hierüber so Vortreffliches gesagt von vielen Autoren (ich erinnere nur an die Theologie, an /. Zöllner, R. Avenarius u. a.), daß es Eulen nach Athen tragen hieße, wollte man hier weiter noch beweisen. 247 Die Geometrie mit ihrem Prinzip, daß der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten eine bestimmte Linie, nämlich eine Gerade sei, hat hierfür der ganzen Menschheit das Beispiel gegeben, und diese hat es weidlich be- folgt in ihrem Streben nach Arbeitsteilung und Zweckmäßigkeit auf den Gebieten des Sozialen, des Staatslebens, des Rechtsverkehrs, in Gesetz- gebung, Politik, Handel und Industrie. Vollständig durchdrungen ist das praktische Verhalten des Menschen von unserem Gesetz, und Faust hat wahrhaftig Recht, wenn es ihm als ewiger Gesang aller Stunden in den Ohren klingt: Sparen muß man mit allem . . . Nur wissen wir heute auch, was er noch nicht wußte, warum man sparen muß. Denn wer könnte der Behauptung widersprechen, daß diese allge- meine Parsimoklise eine Notwendigkeit sei: weil sonst der Welt nicht die Dauer gesichert wäre! Die Wahrheit (im praktischen Verhalten) sagen, das Rechte tun, logisch sein, das ist das kleinste Kraftmaß im täglichen Leben. Und so kommt zuletzt unserem Gesetz auch noch eine kolossale ethische Bedeutung zu. Ja, Ethik ist gleich wie die Logik nichts anderes als die optimale Kraft- ersparnis auf dem Gebiet des Handelns und des Denkens. Das Rechte ist so wie das Logische der kürzeste Weg; Lüge und Irrtum sind auf die Dauer der größte aller Umwege und die ärgste Mühsal. Eine erzstarre, nie versagende, klare Ethik des objektiven Denkens ist da- mit aufgerichtet, die Güte zur Vernunft macht, Liebe aus den unklaren Nebeln der Gefühle emporhebt ins reine Licht höchsten Menschentums, die allerdings auch eine unbeugsame Gerechtigkeit aus den Weltgesetzen herab- holt ins praktische Verhalten der Menschen und unbeirrbar so ein Reich des Guten, des Wahren und Gerechten schafft, nach dem sich freilich nur die mannhaften, innerlich starken und reinen Naturen und die klaren Köpfe sehnen. Denn sie allein haben dadurch zu gewinnen, ihr Wider- spiel würde dabei nur verlieren. In dem rein praktischen Verhalten für sich und zueinander haben das die Menschen schon längst eingesehen und als Wirtschaften und Sparen, als „kaufmännisches Denken" die Parsimo- klise zu einer Vollkommenheit entfaltet, nach der wir in den rein geistigen Regionen vergebens lechzen. Alle Gesetze, die unsere Analyse im Bis- herigen im Gesamtbereich der Erlebniswelt fand, gelten auch für Handel und Wandel und werden von altersher befolgt, nur weigert sich die Menschheit, ihre Gemeingültigkeit auszusprechen oder anzuerkennen, daß sie den wahren Sinn der Intelligenz erst dann wirklich vollständig er- füllen würde, wenn ihr gesamtes Dasein dermaßen ökonomisch durch- organisiert wäre, wie es in Wirklichkeit das Leben einer Pflanze oder sonst eines Lebewesens ist. Besonders bemerkenswert ist hierbei, daß gefühls- mäßig oder verkleidet in anderen Formen der Menschengeist stets nach diesem Ziele gestrebt hat. Er wählte hierfür nur Ausdrucksformen, wie die Gebote der Religionen oder eines inneren Sittengesetzes, das Anerken- 248 nung für tyrannische Forderungen oder andere Begründung als die der historischen Konvention heischte. Die Gebote des Dekaloges, der kate- gorische Imperativ Kants, die Sittengesetze der Stoa, jedes der: Du sollst in den vielen Formen der Menschheitsgeschichte vom nackten Fetischismus bis zu dem „equilibre sociale" des positivistischen Kultes, sie haben letzten Endes nie etwas anderes von dem Menschen gefordert, als daß er ein Reich der Logik und inneren Gerechtigkeit errichte, in dem jede Schuld ihre Sühne findet, Lüge und Unwahrhaftigkeit ausgetilgt werden, Ehrlichkeit der gegenseitigen Beziehungen gekrönt sein soll. Man gehe das jüdische, das christliche, das antike, das theosophische, das buddhistische oder chi- nesische Sittengesetz durch, durchforsche nach Belieben die Ethik Spi- nozas oder Kants oder Nietzsches, stets beziehen sich ihre gegenseitigen Vorwürfe und Widersprüche nur auf die äußere Einkleidung, auf die „Sprache", in denen ihr Wahrheitsgehalt vorgetragen wird, dieser selbst aber ist allen Religionen und ethischen Systemen der gleiche und kein anderer als die Anerkennung, daß Güte, Wahrhaftigkeit, Reinheit, Erfüllung der Gesetze auf dem geradesten Wege, Ehrlichkeit, Gerechtigkeit allein ge- eignet sind, um den Beziehungen der Menschen unter sich und zu dem All die geringste Reibung, dafür die längste Dauer zu verschaffen. Das so hinreißend klingende Wort Kants, das die optimale Personi- fikation christlicher Lebensprägung ist: von dem Sittengesetz in uns und dem Himmel zu unseren Häupten, beide erstrahlend in der gleichen ewigen Gültigkeit, ist beim Lichte der objektiven Idee betrachtet, nichts anderes als die gefühlsmäßige Konstatierung, daß einheitlich äußeres und inneres Er- leben dem Gesetz der kürzesten Wege unterliegen. Was damit jahrhundertlang patriarchalisch und unklar geübt wurde, die Erfüllung einer innerlich empfundenen und von keinem Verstand beweis- baren Forderung, alles auf das Beste zu tun, das hat nun die Menschheit sehr kennzeichnenderweise sich zum ersten Mal bloß auf dem grobmateriel- len Gebiet des Geldverdienens ins helle Licht des bewußten Strebens ge- rückt. In den wichtigsten Fragen des Menschentums, bei den seelischen Werten überläßt man sich nach wie vor einer bloß tastenden, annähernde Erfolge erzielenden Tradition von Urväterzeiten her, an die zu rühren man sich letzten Endes noch immer scheut, aber im „Geschäftsleben", da hat man, so wie man das Selektionsgesetz in die Biotechnik der Zucht- wahl umformte, auch das Ökonomiegesetz auf das schärfste durchdacht und mit Stolz in das praktische Verfahren einer mit wissenschaftlicher Strenge vorgehenden Betriebsführung, genannt Taylorsystem "o), umge- bildet. Wer darüber nicht lacht, der hat keinen Sinn für den befreienden Humor, der die köstlichste Belohnung der schweren Lebensarbeit des Philosophen ist. Dieses Taylorsystem, für das die Arbeitgeber in dem Maße ihrer Intelli- genz ebenso entschieden eintreten, in dem die Arbeitnehmer es in der 249 dumpfen Besorgnis, dadurch unbillig ausgebeutet zu werden, ablehnen, hat heute schon seine große Literatur, namentlich in den angelsächsischen Ländern. Eigentlich ist es eine Wissenschaft, wenn auch ihr Urheber gleichen Namens in Amerika ein Metalldreher, also reiner Praktiker war. Von ihm sind vier Hauptsätze aufgestellt: 1. Die Leiter eines Betriebes (Fabrik, Werkstätte, kaufmännischer Betrieb) entwickeln für jedes Ele- ment der Tätigkeit ein System der günstigsten Leistung. 2. Danach er- folgt eine Auslese der Kräfte, die geschult und besonders belehrt werden. 3. Die Leitung geht stets Hand in Hand mit den Arbeitern. 4. Es erfolgt eine Teilung von Arbeit und Verantwortung zwischen den Leitern und Arbeitern. Diese vier Sätze sind nun, wie jedem Kenner der objektiven Philosophie gleich auf den ersten Blick einleuchtet, nichts anderes als die Einführung der objektiven Philosophie In das Industrielle und kauf- männische Leben. Die uns wohlbekannten Gesetze von Funktion, Opti- mum, Selektion und kleinstem Kraftmaß werden hier gelehrt — der prak- tische Geschäftsbetrieb wird „blologlslert'', d. h. In einen Organismus verwandelt, für den auch die Gesetze des Organischen gültig sind. Nur ist das alles erst unvollkommen, beiläufig erfahren und nur halb durch- gedacht und muß Widerspruch finden und tatsächlich zur platten Mecha- nisierung und Ausbeutung führen, die man ihm vorgeworfen hat, wenn man nicht auch die Gesetze der Integration, der übereinander geordneten Stufen der Arbelt und das der Harmonie zwischen den einzelnen Teilen In die Betriebe einführt, die erst deren Organisation auch organisch und damit auf die Dauer fruchtbar und erträglich machen. Wohl konnten die Tay- lorianer darauf auch jetzt schon verweisen, daß durch ihre Methode eine bestimmte Arbeit (Materialverladen) von täglich 12 Tonnen Leistung auf 47 Tonnen gesteigert und auf diesem Leistungsniveau auch durch drei Jahre hindurch erhalten werden konnte. Und welcher Unternehmer könnte der Wucht solcher Argumente widerstehen? Es ist daher nur selbst- verständlich, daß diese Methode alsbald (seit 1909) in verschiedene ameri- kanische Staatsbetriebe eindrang und maßloses Aufsehen in der Welt der praktischen Menschen erregte. Das System behauptet von sich, in 100 Punkten wohltätig für die Arbeiter zu wirken. Und tatsächlich konnte sein Urheber — der 26 Jahre Erfahrung für sich in Anspruch nahm — , als er sein Verfahren, das er als Steigerung von 12 veränderlichen Funktionen ausprobierte, auf das Problem der Stahlschnittgeschv/indigkeit anwandte, sofort eine Erfindung (Schnelldrehstahl) machen, die eine Umwälzung im Werkzeugmaschinenbau mit sich brachte. Andererseits wendeten die amerikanischen Gewerkschaften auch ebenso 100 Punkte ein, die gegen das System sprachen, von denen z. B. wichtigere sind: dieses Arbeitsverfahren mechanisiere die Menschen noch mehr, als es mit der Industrialisierung ohnedies unvermeidlich sei, das Bonussystem (Teilnahme der Arbeiter an den Erträgnissen) verleite 250 die Schaffenden zu einem Raubbau an ihrer Kraft, das Taylorsystem sei unverträglich mit dem „gewerkschaftlichen Geist", es werde auf diese Weise bald keine Facharbeiter mehr geben und dergleichen mehr. Uns ist es ganz selbstverständlich, woher diese Vorzüge und unleugbaren Nachteile (wenn auch die obigen Einwände nicht in allem stichhaltig sind) des gegenwärtigen Taylorsystems rühren. Es war für den objektiven Denker von vornherein zu erwarten, daß jemand, der mit den Prinzipien der Funktion und der aus ihnen folgenden Gesetze an irgendein Schaffen herantritt, darauf sofort vom Glück des biotechnischen Erfinders be- günstigt sein muß. So ging es uns selbst, und so muß es jedem gehen, der im Geiste der objektiven Philosophie an die Dinge und die Technik herantritt. Ebenso selbstverständlich aber ist es auch, daß ohne die Einführung der Harmonie zwischen den Leistungen, zwischen Arbeiter und Leiter, Arbeitnehmer und Arbeitgeber es gerade durch die Steigerung und Opti- malisierung gewisser Leistungen zu einer immer krasseren Einseitigkeit und Belastung kommen muß und die Betriebe ihr Optimum als Ganzes nie erreichen können. Erstaunlicherweise hat noch niemand, trotzdem die Gedanken der objektiven Philosophie nun schon seit einiger Zeit aus- gesprochen sind (im besonderen in dem in technischen, also mit dem Taylorsystem hervorragend vertrauten Kreisen in Tausenden von Exem- plaren verbreiteten Werk über die technischen Leistungen der Pflanzen), bemerkt, daß das ganze Taylorsystem nichts als eine elementare und noch unvollkommene Anwendung der objektiven Philosophie auf die Industrie, im weiteren Sinn auf die menschliche Arbeit ist. In dem Augenblick, in dem man diesen Zusammenhang herausfinden wird, hat man auch das Mittel in der Hand, um die Nachteile, die diesem Arbeitssystem anhaften, und die daher zum Teil nicht ohne Recht erhobenen Einwände gegen seine jetzige Art zu beseitigen, indem man das Wichtigste: die Harmonisierung, zu diesem System der Selektion und Ökonomie hinzufügt. Aus der objek- tiven Philosophie wird man es lernen, daß nicht nur die Glieder jedes Betriebes in einer Enharmonle stehen müssen (siehe hierüber das folgende Kapitel), sondern auch diese selbst in Harmonie zum Volks- und dadurch zum Weltganzen. Erst dann ist das organische Arbeitssystem, denn so und nicht nach dem Zufallsnamen einer ersten praktischen Einführung sollte man es nennen, vollendet und wird restlos auf dem Gebiet der Arbeit den Begriff des Optimums erfüllen und die Hoffnungen wahrmachen, die man darauf gesetzt hat."2) Es hätte weder des Scharfsinnes eines Taylor noch erst des Auftretens der objektiven Philosophie bedurft, um zu diesem Resultat zu kommen, wenn man nur auf den so einfachen Gedanken verfallen wäre, sich aus der Biotechnik des Organismus das Vorbild der Arbeitseinrichtungen zu nehmen. Im besonderen ist wieder die Pflanze eine ideale Verkörperung des 251 Taylorismus ohne seine Nachteile, so daß man schon von diesem Gesichts- punkt aus jeden Unterricht in der kaufmännischen, technischen, staats- vvissenschaftlichen, sozialen, überhaupt organisatorischen Praxis mit einer genauen Kenntnis der Organisation der Pflanze und Tiere beginnen müßte. Die Pflanze kennt z. B. nur normalisierte Leistungen, d. h. das Optimum der Arbeitsformen. Alles in Energie und Materialverbrauch (also Leistung und Spesen) vollzieht sich in ihr nach dem Gesetz des geringsten Wider- standes. Das Bonussystem ist in Gestalt der funktionellen Auslese (bessere Ernährung der besser Arbeitenden) automatisch wirksam, und — was bei dem Taylorsystem der Menschen als einer Blüte des menschlichen Egoismus nicht der Fall ist — in idealer Weise kommt in der Pflanze jede Mehr- leistung der Einzelbetriebe der Gesamtheit, also dem Staate zugute. In der Pflanze sieht man dem Verhältnis zwischen Arbeiter und Leiter nicht so gut auf den Grund wie im tierischen Organismus. Dort aber er- kennt man sehr wohl, wie die Leiter stets im Einvernehmen mit den Arbeitern tätig sind und in einer streng durchgeführten Arbeitsteilung mit verteilten Kompetenzen und unbedingtem Gehorsam wirken. Wer nicht arbeitet, wird im Organismus ausgesperrt und verhungert unbedingt. Nur in einer Beziehung unterscheidet sich das System des Organismus von dem Taylors. Statt Auslese tritt in ihm die Vererbung in Funktion. Man wird im Betrieb von Pflanze und Tier in den Beruf hineingeboren. Seinerzeit — im Zunftzwang — kannte das auch die menschliche Arbeitsorganisation; es wird des ernstlichsten Nachdenkens würdig sein, hierüber neuerdings im optimalen Sinne zu einem Entscheid zu kommen. Jede Leistung wird in Teilarbeiten zerlegt und jede dort ausgeführt, wo die günstigsten Erzeu- gungsbedingungen sind. Und schließlich: wie günstig die Räume, die Auf- stellung der Maschinen, wie optimal das Werkzeug der organischen Betriebe ist, das wurde im Abschnitt über die Biotechnik (vgl. Seite 80) genugsam ausgeführt und ist aus der Betrachtung der Abbildungen 16, 17, 20, 24, 27, 28, 30, 31, 33, 34, 44, 70 besser zu erkennen, denn aus vielen Worten. Handel und Industrie haben also mit ihren Schritten zu einem organischen Arbeitssystem begonnen, das Gesetz des Optimums durch das der Kraft- ersparnis zu erfüllen. Wann wird nun die gesamte Zoesis, wann endlich sogar die Kultur ihr Taylorsystem errichten? Das ist die Lebensfrage der Kulturmenschheit von heute, namentlich die der tief gesunkenen und durch die Ereignisse von 1914 bis 1920 an den Rand des Unterganges ge- brachten Völker Europas. Wenn im Hochgefühl des Schaffens in diesem Werk wiederholt darauf hingewiesen wurde, daß die objektive Philosophie die Kraft in sich fühlt, die Welt zu erneuern und aus der Verstrickung des Leides zu lösen, so ist es nun durchsichtig, woher sie diese Überzeugung nimmt, und welche Wege sie dafür angeben kann. Einer ihrer ersten Rat- schläge ist es, zunächst einmal das gesamte praktische Leben und dann die Geistigkeit im Sinne des Optimum- und Okonomiegesetzes durchzuorgani- 252 sieren.ios) Das ist die erste Vorbedingung, um auch nur zu den materiellen Grundlagen einer wahren Zivilisation zu kommen, welche erst die Plattform bilden kann für den Bau einer Kultur, von welcher — ich mache kein Hehl aus meiner Überzeugung — wir heute weiter entfernt sind denn in ver- gangenen Zeiten. Hier zeigt die objektive Philosophie den Weg, um herauszufinden aus dem Barbarischen. Barbarei ist, das Gute sehen und es nicht anerkennen (Goethe). Das führt zu dem zerstörenden Materialismus der heutigen Welt- gesinnung, Wenn irgendwie, so kann nur auf diese Weise der Aufstieg zu einem neuen Idealismus (vgl. Bd. I S. 203) wieder begonnen und dem Sinnlosen des Daseins neuer Sinn gegeben werden. Das ökonomische Denken ist die Weltanschauung der Teleologie und damit die der triumphierenden Geistig- keit über die sinnlose Materie. Anmerkungen und Zusätze 90 (Zu S. 232). Vgl. /. Kant, Kritik der Urteilskraft. (Ausgabe von 1790, S. 266.) 91 (Zu S. 232). ibid. Einleitung S. 20, wo die lex parsimoniae als Sentenz meta- physischer Weisheit zitiert wird. „Dieser transcendentale Begriff einer Zweckmäßig- keit der Natur ist nun weder ein Naturbegriff noch ein Freiheitsbegriff, weil er gar nichts dem Objekte (der Natur) beilegt, sondern nur die einzige Art, wie wir in der Reflexion über die Gegenstände der Natur in Absicht auf eine durchgängig zusam- menhängende Erfahrung verfahren müssen, vorstellt, folglich ein subjektives Prin- zip (Maxime) der Urteilskraft (S. 22)". 92 (Zu S. 232). Das Hamilton'schc Prinzip lautet: Wenn T die kinetische und U die potentielle Energie irgend eines mechanischen Systems ist, dann findet die Bewegung so statt, daß die Variation des zwischen den Zeitpunkten ti und tj erstreckten Integrals für alle Nachbarbewegungen verschwindet, minimal wird, die für ti, tj gegebene Lagen haben. Die enorme Bedeutung dieses Prinzips geht daraus hervor, daß durch seine For- meln sich alle physikalischen Grundgesetze darstellen lassen. In ihm eingeschlossen liegt auch bereits die gesamte Relativitätstheorie von Einstein, weshalb eine spätere Zeit eigentlich Hamilton das Verdienst hieran zuschieben wird. Als Beweis hierfür haben Planck u. a. die Gesetze der Einstein'schen Mechanik mit Hilfe des Hamilton'- schen Satzes von der kleinsten Wirkung formuliert. 93 (Zu S. 232). Das d'Alemberi'sche Prinzip deckt sich mit dem von Gauss erson- nenen Prinzip des kleinsten Zwanges, das lautet: Ein Punktsystem bewegt sich stets so, daß der Zwang für die wirkliche Bewegung in einem beliebigen Zeitpunkt (t) kleiner ist, als für alle anderen virtuellen Bewe- gungen, die im gleichen Moment dieselben Koordinaten und Geschwindigkeiten haben. Vgl. in der Encyclopaedie der mathematischen Wissenschaften Bd. IV den Artikel von Nass, Die Prinzipien der rationellen Mechanik. 253 94 (Zu S. 233). Vgl. R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes. Leipzig 1876 und E. Mach, Die Analyse der Empfindungen. 7. Aufl. Jena. 1918. 95 (Zu S. 233). Vgl. H. Driesch, Mein System und sein Werdegang in: Die deut- sche Philosophie der Gegenwart in Selbstdarstellungen, herausg. von O. R. Schmidt. I. Bd. Leipzig. 1921. S. 56. „Ich schaue gewisse — nämlich die „euklidischen" — Urbeziehungen im Rahmen des Neben als ordnungsendgültig; sie sind das nament- lich deshalb, weil sie die .sparsamsten* sind." 96 (Zu S. 238). Vgl. S. Schwendener, Das mechanische Prinzip im anatomischen Bau der Monokotylen. Leipzig 1874. — G. Haberlandt, Entwicklungsgeschichte des mechanischen Gewebesystems der Pflanzen. Leipzig 1879. 97 (Zu S. 244). Vgl. F. M. Feldhaus, Die Technik der Vorzeit. Leipzig 1914. S. 690 u. ff. 98 (Zu S. 246). R. Avenarius, Philosophie als Denken der Welt. Leipzig 1876. S. 111. 99 (Zu S. 247). Mach, Analyse der Empfindungen. S. 46. 100 (Zu S. 247). Vgl. /. Fr. Fries, Neue oder anthropologische Kritik der Ver- nunft. 2. Aufl. Heidelberg 1828. 101 (Zu S. 249). Vgl. F.W.Taylor, The Principles of Scientific Management. (In deutscher Obersetzung von R. Rösler. München 1919.) 102 (Zu S. 251). Natürlich sind gewisse und zwar jene Vorzüge, die sich aus ziel- bewußter Selektion der Funktionen ergeben, auch jetzt schon von größerem Nutzen ohne Nachteile. So z. B. wenn durch optimale Aufstellung der Maschinen im Sinne des organischen Arbeitssystems in den Heeresbetrieben eine 20 o/o Leistungssteigerung erzielt wurde (Vgl. dazu übrigens die optimale Aufstellung der Lichtkraftmaschinen im Lager der Lebermoose auf Abb. 34, überhaupt die Ökonomie jener Einrichtungen.) 103 (Zu S. 253). Bestrebungen in dieser Richtung sind in der Philosophie W. Ost- walds, aus der z. B. seine neue Farbenlehre hervorgegangen ist, und in der leider an der Ungunst der Verhältnisse gescheiterten Bewegung der „Brücke", der Grün- dung des hochbegabten Schweizers K. W. Bührer zu sehen, von diesen namentlich die letztere, die eine reine Anwendung des Ökonomiegedankens (Brückenarchiv der Kultur) darstellt (Vgl. K. W. Bührer und A. Saager, Das Brückenarchiv. München 1920) und ganz sicher heute oder morgen seine Wiederauferstehung feiern muß. Ich kann nicht umhin, der Brückenmethode — in die ich durch ihren Begründer selbst eingeführt worden bin — diesen Zoll der dankbaren Anerkennung zu entrichten, denn ohne sie wäre es mir gar nicht möglich, das Werk der objektiven Philosophie auch nur rein äußerlich zu schaffen. 254 Das Harmoniegesetz Definition des Harmoniegesetzes — Unterschied von optimal und harmonisch — Das Kennzeichen der Harmonie ist unbegrenzte Dauer — Analyse des Harmoniebe- griffes — Geschichtlicher Abriß seiner Erkenntnis — Pythagoras und Leonardo da Vinci — Der goldene Schnitt und der Kanon des Polyklet — Der Sinn des Harmonie- gesetze? — Das Harmoniegesetz im physikalisch-chemischen Geschehen — Die harmo- nische Schwingung — Harmonie der Töne — Molekulare Harmonie — Chemische Harmonie — Die Disharmonie der Materie zeigt sich als chemische Änderung (Dis- harmonie der Atome) und Kraftwirkung (Disharmonie der Moleküle) — Die Har- monie im Kristallbau und in der Geometrie — Die Harmonie (Gleichgewicht) der Wärme — Harmonie als Ausgleich — Ihr Mittel: der Kreislauf — Kosmischer Kreis- lauf — Die Harmonie des Himmels — Das Gleichgewicht der Erdschollen — Der Planetenkreislauf — Kritik der Entropie — Der Kreislauf der Luft, des Wassers — Sein ist stets ein Kreislauf — Beispiele — Der Kreislauf des Stickstoffs, des Eisens, des Kalkes, der Kohlensäure, der Kieselsäure, des Sauerstoffes — Kreislauf der Energie — Alle Beziehungen müssen wiederkehren, sonst wären Gesetze nicht mög- lich — Die Harmonie im Organismus — Dreifache Harmonie im Organischen — Das organische Schönheitsideal — Intrazellulare Harmonie — Die Kernrelation — Die Regulationen als harmonokline Funktionen — Regeneration als Wiederherstellung der Harmonie — Anpassung als Harmonoklise — Hormone als Mittel der Harmono- klise — Hungerformen und Altersformen — Das Korrelationsphänomen — Die Er- scheinungen der Morphallaxis — Die Artenzahl der Organismen als harmonoklines Phänomen — Der Kreislauf des Lebens — Biocoenosen — Der Ausgleich der Faunen und Floren durch Wanderung — Die Tier- und Pflanzenvereine — Harmonische Vereine — Der Wald als harmonokliner Verein — Die Harmonie als biologisches Endstreben — Das Harmoniegesetz des Organismus als Ursache der harmonoklinen Selektion in der Erkenntnis — Herstellung der Harmonie als Weltprozeß — Die Harmonie im praktischen Leben — Erleben als Ausgleichserscheinung — Unser Stre- ben nach dauernder Eingliederung der Einzelerlebnisse in den Bios zwingt zur Har- monisierung dieser Erlebnisse — Daher Harmonie das oberste und Endgesetz aller Erkenntnis — Anmerkungen und Zusätze. Unsere Analyse des Seins beginnt sich zu vollenden. So sehr wir es aber auch durchgepflügt haben nach allen denkbaren Gesichtspunkten, nichts fanden wir, was so charakteristisch und ausschlaggebend für das Wesen des Seins ist, als daß es „ist".io*) Zu dem Begriff des denkbaren Seins gehört untrennbar der des „Daseins", und der ist ohne eine zeitlich irgendwie um- grenzte Dauer nicht denkbar. Das Ideal des Seins, also in der Sprache älteren philosophischen Denkens: das absolute Sein muß daher überhaupt stabil sein, unbegrenzte Dauer besitzen. 255 Dieser Begriff der unbegrenzten Dauer ist uns aber in unserer Analyse des Erlebens noch nicht entgegengetreten. Genügt es denn, damit etwas ganz und stabil sein kann, daß es irgendeiner Integrationsstufe angehöre? Nein; das Integrationsgesetz hat offenbar mit der Sicherung der Dauer nichts zu tun. Ebensowenig die Tatsache, daß ein Sein „Funktionen" be- sitzt, und daß es nach dem kleinsten Kraftmaß beschaffen sei. Erst in der Betrachtungsreihe, als wir die Erlebnisse daraufhin untersuchten, wie sie der Selektion widerstehen, begegnete uns der Begriff der Dauer zunächst als ein Differentialbegriff. Wir haben die Tatsache der Selektion aus denen der verschiedenen Dauer abgeleitet und gefunden, daß die aus der Selektion hervorgehenden Optima relativ gegenüber den anderen Möglichkeiten die längere Dauer besitzen. Eine unbegrenzte Dauer kommt eben optimalen Seinszuständen — wie in Bd. I S. 81 ausführlich auseinandergesetzt wurde — nur in dem einen Fall zu, wenn sie zugleich eine absolute Harmonie darstellen. Dieser Begriff wurde des öfteren gebraucht, hat aber noch nicht seine Analyse gefunden. Mit ihr soll daher dieser letzte Abschnitt beginnen, der durch die Erörterung des obersten der Weltgesetze dies Werk vollendet. Was soll unter einer Harmonie in weltgesetzlichem Sinn verstanden werden? Offenbar ein Verhältnis des Seins entweder in der Gestalt, daß durch die Harmonie das Verhältnis eines Einzelseins zu dem Gesamtsein oder das der Teile innerhalb eines Ganzen geregelt wird. Eine Entität, die hiefür in Frage kommt, hat nur zwei Möglichkeiten. Sie ist entweder homogener, einheitlicher Natur oder ein komplexes System. Im ersteren Fall stellt ihre Harmonie jene Beziehung dar, durch die sie innerhalb der Welt (oder des Biosganzen) im Gleichgewicht bleibt und ihr Dauerverhältnis erreicht. Wenn es sich dagegen um ein komplexes System, also eine Viel- heit aus ungleichartigen Teilen handelt, dann sind zwei Arten von Harmonie möglich: eine intrasysiemale, welche die Beziehungen der Teile im Sinne der Dauerhaftigkeit regelt, und eine extrasystemale, durch die sich das System zur Umwelt dauerhaft einstellt. Es ist offenbar, daß die homogenen Entitäten nur die extrasystemale Harmonie kennen. Ihre Harmonie besteht in einer Beschaffenheit, welche der Zerstörung durch die Umwelt widersteht. In beiden Fällen aber muß die Harmonie einem und demselben Gesetze folgen, so daß sich eine ge- sonderte Betrachtung der beiden Harmoniearten erübrigt. Sie stimmen im wesentlichen darin überein, daß Harmonie ein Verhältnis innerhalb einer Mannigfaltigkeit ist. Ohne Mannigfaltigkeit ist keine Harmonie möglich. Allerdings braucht sich die geforderte Vielheit nur auf eine Zweiheit zu beschränken. Andererseits ist Harmonie ohne den Begriff der Umgrenzung nicht zu denken. Das Maßlose ist darum ein innerer Widerspruch zum 256 Harmonischen. Eine Regelung der Teile ist nur innerhalb einer Endlich- keit denkbar. Darum sind auch alle harmonischen Wesen, also z. B. Kristalle oder Organismen als „Individuum" gestaltet, d. h. in ihrem Wachstum begrenzt. Aus diesem Satz folgt übrigens, daß wenn das Welt- all als harmonisch gestaltet angenommen werden soll, es auch als endlich angenommen werden muß, was sich mit neueren Vorstellungen der kos- mischen Physik bekanntlich sehr wohl deckt (vgl. Bd. I S. 85). Welcher Art aber kann die Regelung der Mannigfaltigkeiten durch das Harmoniegesetz sein? In der alten Definition der Harmonie durch Philo- laus, den Pythagoräer, steckt bereits ein Hinweis darauf, trotz des darin sich äußernden mythischen Denkens wohl kenntlich, wenn er sagt: „Aus Streitendem und Entgegengesetztem besteht das Seiende, und darum hat es billig Harmonie in sich; denn Harmonie ist des Vielgemischten Einheit und des Zwieträchtigen Zusammenhang." Oder wenn in der wichtigsten aller Harmonielehren, der des Pythagoras, immer wieder betont wird, daß in den Naturerscheinungen vernünftige Ordnung, Zusammenstimmung und Gesetz- mäßigkeit walte, weshalb sie in Maß und Zahl ausgedrückt werden könnten. Aus diesen Definitionsversuchen leuchtet bereits hervor, wie auch aus der modernen, allerdings ins bloß Ästhetische verflachten Definition, wonach Harmonie die wohlgefällige Übereinstimmung der Teile eines zusammen- gesetzten Ganzen sei, daß es sich dabei um ein statisches und nicht um ein dynamisches Verhältnis handeln kann, um ein Maßverhältnis der Teile, das Stabilität hervorruft, also nichts anderes als ein Mittel zur Herstellung von Gleichgewicht sein kann. Harmonie erscheint mithin als ein zur Stabilität befähigender Ausgleich der Teile oder, vielleicht noch konziser gesagt, als ein Gleichgewicht der Relationen und bewirkt daher Ruhe (Stabilität). Damit ist auch das Ver- hältnis von Harmonie und Optimum geklärt. Denn es ist mit ausgedrückt, daß Harmonie ein Verhältnis von Teilen eines Systems sei, die dadurch zu ihrem Optimum kommen, wodurch auch das Optimum des ganzen Systems angenähert wird. Harmonie ist eine Bedingung des Optimums, aber nur aus den Beziehungen optimaler Teile zueinander kann jene höchste Harmonie entstehen, welche die absolute Dauer und damit das vollständige Sein gewährleistet. In diesem Sinn ist also die Dauer nicht so sehr ein Kennzeichen des Optimums als der Harmonie. Alle diese Vorstellungen haben sich dem menschlichen Denken schon längst aufgedrängt, und es ist überaus kennzeichnend, daß jenes bemerkens- werte sechste Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, mit dem überall auf Erden eine wahre Epoche der Erkenntnis begann, gleich mit dem ersten Aufdämmern philosophischer Selbstbesinnung der Menschheit den Harmonie- gedanken bescherte, der sie trotz aller Wandlungen und dem Verfall der Philosophie bis heute nicht mehr verlassen hat, sich sogar zu einem der grundlegenden Begriffe der Lebensgestaltung, wenigstens in der Kunst ent- Franci. Bios 11 " 257 wickelte seit jenem Kanon des Polyklet (Abb. 113), der, immer wieder verloren und immer wieder entdeckt, die Menschheit von den Griechen bis Leonardo da Vinci und den Re- naissancekünstlern mit unsterblichen Werken bereicherte, inzwischen gewandelt auf die Mu- sik übersprang und durch sie allen zerstö- renden Mächten des Lebens ein Gegenge- wicht hält, das sogar der heutigen Verwü- stung des Menschen- tums gegenüber sich hoffentlich bewähren wird, bis die Philo- sophie des harmoni- schen Lebens, welche die objektive Philo- sophie so recht eigent- lich ist, so weit Wur- zel gefaßt und Verbrei- tung gefunden hat, daß sie ihr mit Erfolg zu Hilfe an die Seite treten kann. Dieser „goldene Schniä", der dem griechischen, von Leonardo wiederentdeckten Kanon zugrunde liegt, lautet in seiner bekanntesten Form: Harmonisch sei das Verhältnis der Teile, wenn der kleinere Teil zum größeren sich ebenso verhalte, wie dieser zum Ganzen.^^^) Angeblich entsprachen an der Statue des Doryphoros des Polyklet die menschlichen Proportionen diesem Maßverhältnis ^o«), jedenfalls diente diese Statue in edelster Harmonie vielen Generationen von Künstlern, die das Ideal der Antike hochhielten, als „Kanon", der freilich in der Linie: praxi- telische Schule bis Thorwaldsen, Canova und den Nazarenern zu einer Kurve der Verflachung wurde, während er in der Baukunst (z. B. Verhält- nis bei Türen und Fenstern, angemessen der menschlichen Proportion, da- her mit ihr harmonisch) und im Kunstgewerbe (recht naheliegend auch in den Formaten von Schriftstücken und Büchern), überhaupt als „biologisches*" Abb. 113. Der Kanon der Proportionen des menschlichen Körpers. Idealer Bau eines Mädchens, das den „Goldenen Schnitt" in allen Körpermaßen verwirklicht. Man beachte im besonderen das Verhältnis von Beinen, Abdomen, Thorax und Kopf, sowie die Arralänge. Nach O. Fritsch. 258 Format in allem, was mit dem Menschen zusammenhängt, seine Bedeutung bis heute unverändert behalten hat und für alle Zeiten auch behalten wird.io') Eine der großen Konstanten des Seins (gleich der Oravitations- konstante usw.) ist darin gegeben, die sich auch in zahllosen Verhältnissen der Natur wiederfindet und schon dadurch unwiderleglich beweist, daß ihr eine Notwendigkeit, sowohl in den menschlichen Proportionen, wie außerhalb dieser zugrunde liegt und nicht eine ästhetische Konvention, wie es die geläufige Auffassung des Harmoniebegriffes voraussetzt. Die objek- tive Philosophie sieht diese Notwendigkeit in der Dauerhaftigkeit der harmonischen Formen und Verhältnisse. Um es gleich vorweg zu nehmen: ihr Denken mündet in der Hypothese, daß, wenn, wie hier behauptet wird, die harmonische Beziehung aus allen Teilen des Weltsystems hervor- leuchtet, sie auch dem Ganzen eignen müsse, da doch die Teile eines Ge- samtsystems nur dessen Gesetze wiederholen (Konsequenz des Integrations- satzes vgl. Bd. \ S. 260). Es ist also, wenn das Erstere zutrifft, die An- nahme möglich, daß Harmonie gewissermaßen der Sinn der Welt, der Endzweck des Weltprozesses sei, um dadurch ihre Dauer zu erreichen. Mit anderen Worten, das Sein ist für uns ohne Harmonie nicht denkbar. Zunächst sei im Verfolg dieses Gedankens daran erinnert, daß die har- monische Beziehung durchgängig die gesamte Mechanik durchzieht. Alle Bewegungen, die zur Bildung stabiler Systeme führen, zeigen immer ein bestimmtes Verhalten nach einem Bewegungsprinzip, das die klassische Me- chanik in die Formel gekleidet hat, daß jedes freie materielle System seinem Ausgleich zustrebe, worunter sich die Statik nichts anders als eine Gleichgewichtslage vorstellen kann. In ihr halten alle Kräfte des Systems einen Zustand aufrecht, durch den das freie System keine Beschleunigung mehr erleidet, oder, wenn die Teile Bewegung^^n ausführen, in dem seine Kräfte in solcher Weise aufeinanderwirken, daß die durchschnittliche Ge- schwindigkeit jedes Teiles dann konstant bleibt, wofür die Bewegungen am Himmel als anschaulichstes Beispiel dienen mögen. Es ist ein allgemeines mechanisches Gesetz, daß jede Reaktion (sei sie nun chemischer oder physikalischer Natur), die in einem geschlossenen Gesetz vor sich geht, zu einer Konfiguration des Gesetzes führt, die sich nicht weiter verändert, sondern einen stationären Zustand neuer gegen- seitiger Zuordnung, den man im Gleichgewicht befindlich oder harmonisch nennen kann, bedeutet. Das ganze chemisch-physikalische Geschehen oder, weiter gefaßt, alles mechanische Geschehen ist demnach harmonoklin. Die einfachsten Experimente zeigen das sofort. Man hänge ein Ge- wicht an einen Gummifaden. Er wird dadurch gedehnt. Beide Systeme be- schleunigen sich, aber der Prozeß endet mit einem Ausgleich, durch den Faden und Gewicht zur Ruhe gelangen. Alle Systeme streben ihrem har- monischen Ausgleich zu. Das Prinzip der Trägheit erhält sie vor der Störung stationär, das Minimumprinzip regelt nach der Störung den Aus- 17* 259 gleich selektiv auf dem kürzesten Wege und führt zu neuer Harmonie der Teile.^°^) Es ist daher selbstverständlich, daß wir im gesamten Weltprozeß überall die Anbahnung harmonischer Verhältnisse wiederfinden müssen. Es ist also nicht des Beweises halber, sondern nur der Erläuterung und An- schaulichkeit zuliebe, wenn wir nun hiefür einige Beispiele vorerst aus dem anorganischen Naturgeschehen suchen. Zunächst sei da auf die schon ausführlich behandelte (S. 17 und Abb, 57) harmonische Schwingung als einen der häufigsten aller Weltprozesse ver- wiesen, der durch die Schwingungen der Luft auch die Ursache der musika- lischen Harmonie ist, deren Empfinden, wenigstens im Kreise der Pytha- goräer, der Ursprung des Harmoniegedankens überhaupt war, wie sie denn auch heute noch eigentlich die einzige harmonische Beziehung ist, welche jedermann bekannt und sinnenfällig ist. Die Töne, hervorgerufen durch die elastische Schwingungen, die dem- nach das Gesetz der harmonischen Funktion erfüllen, demonstrieren dem Empfinden alle Gesetze des Harmonischen und Disharmonischen im Sinne von Ausgleich und Störung so vollkommen, daß die musikalische Kunst von je das hervorragendste Demonstrationsmittel war, um das harmonische Weltgesetz in die Seelen eingehen zu lassen. Der Ausdruck „Harmonie" hat in der Sprache der Musikwissenschaft den Sinn erhalten, daß man in ihm die Vereinigung mehrerer Töne zu einem Akkord sieht, also Schwin- gungen, die sich für unser Tonempfinden gewissermaßen die Wagschale halten, während die pythagoräische, überhaupt die griechische Harmonie, nur ein Ausdruck für die Tonleiter selbst war. Allerdings ist damit nichts Ein- deutiges gegeben, da die musikalische Harmonie sowohl im Gegensatz zur Disharmonie jeden Zusammenklang bedeuten, wie den engeren Sinn der Konsonanz haben kann (Durakkord, Mollakkord). In allen Fällen aber wirken harmonisch zueinander nur die Töne, die im Verhältnis des goldenen Schnittes zueinander stehen, so daß auch hier das allgemeine harmonische Weltgesetz der ganzen Erscheinung zugrunde liegt. Im Sinne von Gleichgewicht und Störung wirkt auch das Harmoniegesetz im Gleichgewichtssatz der Wärme (Theorie von Prevost), der besagt, daß ein Körper, der sich in einem luftleeren, für Strahlen undurchlässigen Gefäß befindet, durch Absorption der ihm von dieser Hülle zugesandten Strahlung ebensoviel Wärme erhält, als er gleichzeitig durch Strahlung verliert. Es wird sich also seine Temperatur ohne Störung von außen niemals ändern können. Er befindet sich in einem beweglichen Temperatur- gleichgewicht. Hievon ging bekanntlich Kirchhoff mit seinen Absorp- tionsforschungen absolut dunkler Körper aus, die zur heutigen Quanten- theorie geführt haben. Das Harmoniegesetz ist es auch, dem die chemischen Verbindungen un- terliegen, wenn, wie z. B. in dtr Benzolringformel deutlich wird, eine gegen- seitige vollständige Bindung, also ein Gleichgewicht der Bestandteile vor- 260 Abb. 114. Diu drei üra/icu. Aiis^rhnitl .in^ dem Oomiilcii,' von Kran/ Bartliolomaii^ van Doiiven. ücmiildeualerie Cassel 1 banden ist. Die chemische Umsetzung ist dann die Aufhebung einer durch den Hinzutritt neuer Atome entstandenen Disharmonie, so wie auch Kraftwirkung als eine Disharmonie in dem Zusammenhang der Mole- küle aufgefaßt werden kann, die sich auf diese Weise den Ausgleich schafft. Die Kapillarkraft läßt sich auch so verständlich machen, daß man sagt, wenn das Wasser in einem Streifen Fließpapier aufsteigt, fin- det eine gegenseitige Beschleunigung zwischen dem Papier und Wasser statt, die aufhört, wenn die Wirkung der beiderseitigen Kräfte sich auf- hebt. Beide Systeme sind in ein harmonisches Verhältnis getreten, sie haben ihren Ausgleich gefunden. Ein solches harmonisches Verhältnis der Moleküle zueinander liegt im Kristallbau vor. Daß die Flächen des- selben Kristalls und alle Kristalle derselben Art miteinander nach dem Zonengesetz (vgl. Bd. I S. 126) im Verbände stehen, beruht ebenso wie das Parameter gesetz darauf, daß sich die Moleküle in den Kristallen in einem bestimmten, unveränderlichen Gleichgewicht halten, das eben bei Störungen, z. B. nach einem Bruch, unter geeigneten Umständen auch wie- der hergestellt wird. Diese Gesetzmäßigkeit des dauerhaften Ausgleiches einer Mannigfaltig- keit kehrt dann in der Welt der Beziehungen bis ins größte wieder. Sie ist es, die sowohl hinter der Reihe der musikalischen Obertöne (vgl. S. 244) wie auch hinter der Titius-Bode'schen Reihe der Planeten, letzten Endes hinter dem Pythagoräismus in allen seinen Auszweigungen steckt, da sie den von Pythagoras ersonnenen Ausdruck Kosmos als den eines durch Gesetze zu einer Dauer beführten Naturganzen rechtfertigt. Im Kosmos ist das Prinzip des Ausgleiches in großartigster Weise ge- geben, und gerade hier wird in seiner Betrachtung auch das vornehmlichste Mittel dieses Ausgleiches offenbar, durch das sich die Dauer der Welt vom Größten bis ins Kleinste erhält. Dieses Mittel ist der Kreislauf. An vielen Stellen ist er uns in den bisherigen Betrachtungen schon entgegengetreten, denn er ist unver- kennbar in jedem, auch dem oberflächlichsten Erleben. Ausgesprochen ist er nicht nur in den Bewegungen der Gestirne, sondern auch in zwei so großartigen und allgemeinen Phänomenen, daß man sie lange noch nach ihrer Entdeckung für die wichtigsten, grundlegenden aller Naturgesetze ge- halten hat, während sie in Wirklichkeit nur Kundgebungen des einen großen Harmoniegesetzes sind. Gmeint sind das Gesetz von der Erhaltung der Materie und das der Erhaltung der Energie (vgl. S. 7), die tatsächlich den gesamten Welt- prozeß bestimmen. Was sind sie beide als eine stete Harmonoklise, ge- eignet, eine ununterbrochene Gleichgewichtsverteilung herzustellen, durch die die Dauer des Weltphänomens gewahrt wird? In Erscheinung treten sie als Entwicklung und Änderung in den Formen der Selektion und des kleinsten Kraftmaßes, ferner als zahllose Kreisläufe, denen nachzu- 261 forschen nicht nur das größte praktische Bedürfnis besteht, sondern auch ein unbeschreibliches Vergnügen bereitet. Wäre die Entwicklungshypothese in den Formen geblieben, in denen sie schon im Jahre 1852 auftrat, als sie von H. Spencer begründet wurde, dann wäre sie in den Augen der Menschen stets als ein Aus- gleichsvorgang erschienen (wie sie neuestens von der Biologie wieder aufgefaßt wird), dazu bestimmt, das gestörte Gleichgewicht wieder herzu- stellen und dem Sein das Beharrungsvermögen zu sichern.^o^) Von den Kreisläufen sind die kleineren, wie sie in diesem Werk schon gelegentlich betrachtet wurden, die des Wassers (Bd. I S. 175), der Atmosphäre (Bd. I S. 156), des Sauerstoffes (Bd. I S. 148), der Kieselsäure (Bd. I S. 166). des Kalkes (Bd. I S. 167), des Eisens (Bd. I S. 171), des Stickstoffs (Bd. I S. 149), so anziehend und wichtig sie für das praktische Leben in hundert Beziehungen auch sein mögen, doch nur untergeordnet gegen das wunderbare Phänomen der höchsten Harmonie, die sich in dem steten Kreislauf aller Materie und Energie des gesamten Kcfsmos aus- spricht, was ganz eigentlich in summa das Phänomen aller Phänome, der Weltprozeß selber ist. Hier ist die Rechtfertigung des ndvTa öei des Heraklit und des tiefsinnigen: „Alles ist dauerlos" der buddhistischen Lehre. Die Einwen- dungen, die man gegen diese Überzeugung ausgesprochen hat, als sie namentlich von dem deutschen Philosophen K- Du Prel,^^^) der für die objektive Philosophie auch als einer der Vorläufer der Biotechnik von Bedeutung ist, verfochten wurde, sind durch die neueren Einsichten, wie sie namentlich Sv. Arrhenius in seinem „Werden der Welten" verwertet hat, gegenstandslos geworden. Es ist „ein ewiger Kreislauf der natürlichen Weltordnung" gegeben da- durch, daß die kalten und dunklen Nebel die entwerteten Energien spei- chern und wieder in aktive Energie rückverwandeln. Die unheilvolle Pro- phezeiung der Entropie (vgl. Bd. I S. 78) hat nicht jenen Grad von Gewißheit erreicht, daß sie als Gegengewicht ausgespielt werden könnte, und die Einwände, die Arrhenius und E. Zermelo gegen den vermeintlichen Wärmetod des Universums erhoben, sind immer stichhaltiger geworden, da nicht daran zu zweifeln ist, daß sich erstens alle Energie im Sonnen- stadium zwar entwertet, aber im Nebelstadium ebenso verbessert, zweitens alles Geschehen rhythmisch wiederholt. In dem wahrnehmbaren Ge- schehen zeigt sich allerdings die Irreversibilität, die Tendenz einseitiger Richtung, die man in dem Satz ausdrückte, daß jedes System seinem wahrscheinlichsten Zustand zustrebe (Bolizmann). Aber man bedenke doch, daß damit doch nur das Harmoniegesetz in anderer Form konstatiert ist, wenn die absolute Harmonie als die absolute Dauer angesehen wird. Die Entropie wäre dann ein Aufhören der Harmonie ohne eine Kraft von außen, eine an sich unvorstellbare Vorstellung. 262 Dagegen zeigt sich die Harmonie als das gesetzmäßig sich erhaltende und regierende Gleichgewicht unverkennbar durch direkte Beobachtung im Weltsystem. Die bekannten „Störungen" (vgl. Bd. I S. 17) gleichen sich immer wieder aus, und namentlich die Unregelmäßigkeiten der Erden- und Mondbahn kehren immer zum „harmonischen Mittel'' zurück. Das Son- nensystem führt nur Schwankungen um einen stabileren Zustand aus, wenn auch dieser erst eine zeitweilige und noch nicht die unbedingte Harmonie darstellt, die eben erst dem Weltsystem als solchem eignet. So wie sich in einem bewegten System jedem seiner Teile diese Bewe- gung mitteilt und in einem Belebten die Lebensfunktion auch den kleinsten Elementen des Systems zukommt, so muß aber dann in einem relativen Sinn aus der Gültigkeit des Harmoniegesetzes für das Weltganze das gleiche auch für jeden seiner Teile folgern. Somit können auch die belebten Systeme im Kosmos nicht ohne die harmonische Regelung der Beziehungen bleiben. Und so ist es auch. Der Begriff Leben ist von dem der Harmonie untrennbar. Alle Eigentümlichkeiten der Organismen beruhen auf einem Prinzip der inneren Ordnung, auf einer Enharmonie (J. Wiesner), die eine gegenseitige Korrelation der Teile so streng bestimmt, daß man keinen von ihnen ändern kann, ohne die Änderung der anderen nach sich zu ziehen. Niemals ändert sich durch die Anpassung nur ein einziges Merkmal, son- dern, durch die Korrelation festgelegt, stets ein ganzer Komplex; es erfolgt stets so lange eine Verschiebung sämtlicher Merkmale, bis wieder der Zu- sammenschluß aller zu einem harmonischen Ganzen möglich und auch er- zielt ist. Abbildung 116 ist hierfür ein ausgezeichnetes Beispiel. Darge- stellt ist das weibliche Geschlechtsorgan des im Darm der Hummeln para- sitisch lebenden Wurmes Sphaerularia bombi. Dieser Geschlechtsteil ist enorm hypertrophiert, so sehr, daß das Tier, dem er zugehört, daran nur wie ein Anhängsel sitzt und erst bei genauerem Zusehen entdeckt werden kann. Eine solche abnorme Vergrößerung erfährt eigentlich nur der Eierstock, um die bei der gefährlichen und einseitigen Lebensweise nötige enorme Zahl von Eiern produzieren zu können. Trotzdem nehmen kor- relativ an der Vergrößerung auch alle möglichen anderen Zellen, z. B. die Wandzellen des Eierstockes teil, die Zelle für Zelle ein größeres Volumen erreichen, als der ganze Wurm überhaupt erfüllt. So wird das vergrößerte Organ doch wieder zu einer Einheit zusammengeschlossen, die in sich ganz harmonisch ist. Eine streng eingehaltene Korrelation macht sich schon innerhalb der Zelle bemerkbar. Das Verhältnis von Bakterium und Geißeln ist auf das Genaueste abgewogen (Abb. 115), nicht minder interplasmatisch das von Zellgröße und Granulum (vgl. Bd. I Abb. 80), vor allem aber die soge- nannte Kernrelation, d. h. das Verhältnis zwischen Plasma und Kernmasse, das sich, wenn man es durch eine Amputation stört, oder wenn es durch eine Kernteilung autonom zerstört wird, immer wieder herstellt. 263 Es ist sehr merkwürdig und verlockt die Phantasie auf Reisen, daß diese Regel der Einflußsphäre des Kernes auf das Plasma durchgängig auch auf den verschiedensten anderen Integrationsstufen wiederkehrt. Man denke nur an die merkwürdige Anziehungskraft, die eine Stadt auf die sie umgebenden Dörfer ausübt, die ihrer „Einflußsphäre" in geschäftlichen, sogar oft mo- dischen und kulturellen Beziehungen unterworfen sind. Man kann hieran eine ganz merkwürdige Anregung knüpfen. Ich habe berechnet, daß die Kernrelation der Pflanzenzellen 1:20, 1:24, 1:36 im Durchschnitt be- trägt und nie auf größere Werte steigt. Die Einflußsphäre der Hauptstädte dagegen umfaßt das ganze betreffende Land und überrascht mit den Ver- hältnisziffern von 1:10 für München, 1:13 für Paris, für London gar durch 1 : 7. Die modernen Großstädte sind also auch in diesem Sinn ganz und gar kein Abbild des Organischen, und es wäre nun zu unter- suchen, ob sich darin nicht eines ihrer Hauptgebrechen ausspricht. Frühere Zeiten waren dieser Überzeugung. So behauptete der bayerische Historiker Westenrieder in seinen Beiträgen zur vaterländischen Historie um 1800, daß München (das damals 40 000 bis 50 000 Einwohner als Hauptstadt eines Landes von einer Million Einwohner, also eine „Kernrelation" von 1 : 25, mithin das organische Verhältnis hatte) in Gefahr sei, bei weiterem Wachstum übervölkert zu werden. Wie er, für die Denkungsart der dama- ligen Zeit sehr kennzeichnend, sagt, würden bei einer Verschiebung dieser Relation zugunsten Münchens dort die Lebensmittel teurer werden als im Land und Bettler, Wirte, Musikanten, Advokaten (!), Agenten sich zu sehr vermehren. Es wäre im Verfolg dieses Gedankens auch zu untersuchen, wie sich das Verhältnis des Elektrons zu seiner Ladung, das der verschiedenen Kraftfel- der zu ihren Kraftzentren usw. verhält, und danach könnte die hier aufge- worfene Frage nach einem Gesetz der Einflußsphären wohl beantwortet werden. Ein wunderbares Beispiel dieser intrazellulären Enharmonie waren von jeher die freischwebenden Einzeller des Planktons, aus denen E. Häckel seine leider nur zu wenig bekannt gewordene Galerie von „Kunst- formen der Natur" hauptsächlich auswählte, unter ihnen namentlich die Kieselalgen und Radiolarien (vgl. Bd. I Abb. 37, 38, 89) und außer ihnen die Foraminiferen (Bd. I Abb. 58). Wie harmonisch zusammen geschlossen sind doch in einer solchen /^o/ycj/s///?^- (Abb. 117) oder einer Actinoptychus- schale (Abb. 118) alle Elemente, wie ästhetisch befriedigend ist das Ge- samtbild dieser wohlabgewogenen Architekturen, wenn sie auch bis in die kleinsten Einzelheiten hinein nur von dem Ingenieur als Anpassungen an Festigkeit und Leichtigkeit verstanden werden können. Häckel sprach mit der an ihm so liebenswert anmutenden philosophischen Phantastik, die sein Denken kennzeichnet, von einem Kunsttrieb des Plas- mas, eine Vorstellung, mit der objektives Denken allerdings nichts zu begin- nen weiß; was in seiner Seele und in denen der Betrachter dieser Wunder- 264 = :0 Abb. 121. Natürliche Parklandschaft aus einem süddeutschen Hochmoor Abb, 122. Eine Rasenbank in den Kalkalpen als Beispiel der Verwirk- lichung des Harmoniegesetzes durch die Pflanzenwelt Die Harmonie drückt sirh aus ini Verhältnis der Ve.^etationsorganc zu den Blüten, im Verhältnis der Einzelpflanzen zum Standort, in dem der Pflanzen zueinandtr, im Maß der Rasciibank zu der Kluft, usw. Dargestellt sind in der Mitte der große Enzian (Gentiana punctata). Vor diesem blüht Edelweiß (Onaphalium Leontopodium), vor diesem eine alpine Primel, davor hängen einige Wedel des Alpenmilzfarnes (Athyrium alptstre^ herab. Links vom entkeimt der Felsspalte eine junge Latsche (Pinus montana), hinter ihr stehen blühende Alpenrosen (Rhododendron), neben ihnen ein Alpenhabichtskraut (Hieracium), hinter ihnen blühen- der Steinbrech (Saxifraga). Neben dem Enzian nickt eine weiße Anemone. Von der Felswand kriecht die Alpenrebe (Atragenc alpina) herab. Originalzeichnung unter Benützung eines Gemäldes von Th. Pctter. 265 geschöpfe immer wieder die ästhetische Freude entzündet, das ist eben die Harmonie solcher Erscheinungen, die ja freilich aus der ganzen Natur zum Menschen spricht und die wahre Ursache ist, warum ihn Natur stets wieder von seinen Einseitigkeiten, Verranntheiten heilt, und warum ihr An- blick schon ihm den Frieden und innere Erquickung gewährt. Das Problem der Natur Schönheit erscheint durch die Erkenntnis des Har- moniegesetzes nun plötzlich als Ganzes in anderem Licht. Es wird erläutert und verständlich als ein Verhältnis der Korrelationen. Die Harmonie der Natur wird uns als ihre Schönheit fühlbar. Woran immer das Auge des Naturfreundes schwelgen mag, sei es der Anblick einer jener lieblichen Parklandschaften (Abb. 121), wie sie für das süddeutsche Trockenmoor so kennzeichnend sind, oder das entzückende Hügelland (Abb. 210), bei dessen Anblick das Herz des Europäers so recht aufgeht, da gerade in ihm sich der ganze Zauber des Wortes Heimat zur Einheit zusammenschließt, oder sei es vor der Erhabenheit des reifen Hochgebirges der Zentralalpen (Abb. 119), die nach übereinstimmender Erfahrung der Bergkenner die schönsten aller alpinen Bilder bergen, an welchem Einzelbild dieser großen Mannig- faltigkeiten er sich nun entzückten Sinnes verlieren mag, sei es die dich- terische Anmut einer Schar von Alpenblumen (Abb. 122) oder der wunder- liche Formenreichtum einer Schneckensammlung (Abb. 125 und 126), stets fühlt er sich gefesselt von etwas nur der Natur so restlos Eignendem, das den Menschenwerken kaum und, wenn ja, dann gerade nur den Kunstwer- ken von Ewigkeitswert anhaftet, nämlich von dem Eindruck einer inneren Vollkommenheit voll gesetzmäßiger Bestimmtheit. Stets bietet der Anblick eines Naturgegenstandes eine Mannigfaltigkeit, die wieder harmonisch zur Einheit zusammengeschlossen ist. — Das ist es, was der große Künstler auch erreichen will und nur in seinen begnadetsten Schöpfungen erreicht. Die Korrelation der Teile, seien das nun die Zacken einer Schneckenschale oder die Strahlenkronen von Blumen oder der lichte Schimmer der Firn- häupter gegen das starre Eisengrau der Felswände und das leuchtende Grün der Matten, erfüllt in den Naturbildern stets das Harmoniegesetz, es erzeugt den Eindruck des „Organismus" und bringt der Seele dadurch die Oberzeugung bei, die Welt sei „wohlgeordnet", sie sei ein „Kosmos" un- verbrüchlicher Beziehungen, in die auch er eingeordnet sei. Und daraus ent- springt das Beruhigende aller Naturbilder. Natur macht auch die Seele har- monisch; das sich in sie Einfühlen bedeutet Reibungslosigkeit des Teiles mit den anderen Teilen, denen er in einem Ganzen zugehört. Und so ist der künstlerische Eindruck im allertiefsten Grunde eigentlich ein metaphysi- scher, oder wenn man es religiös ausdrücken will: es ist der Anblick der Gottheit und ergreift darum die Seele bis in ihrem Innersten. Doch man täusche sich nicht: Nicht die Natur wiederholt mit ihrer Harmonie das Knnstgesetz, sondern die Kunst ahmt biotechnisch das Gesetz der Natur nach, indem sie die verborgendsten Urgründe des Seins fühlen lassen kann 266 Abb. 123. Der Hohlenkafcr Leptoderus Hohenwartii, ein in allen Hohlen lebendem, blindes Insekt aus der Adelsberger Grotte, ct\va siebenfach vergrößert. Original. in einer Selektion ihrer Mittel, die es dem Beschauer manchmal leichter macht, sich in ihrem engeren Kreis dem Empfinden hinzugeben, als in der überwältigenden und verwirrenden Überfülle des natürlichen Erlebens selbst. Das ist letzten Endes auch die Ursache, warum die einfachere Landschaft (Abb. 121) meist ästhetisch befriedigender wirkt als die heroische (Abb. 119). warum die kleine Mannigfaltigkeit einer bestimmten Blumengruppe (Abbil- dung 122) die Sinne mehr entzückt als der Anblick einer ganzen Wiese. Ge- wiß erschöpfen diese wenigen Andeutungen noch nicht das ganze Gebiet der ästhetischen Wirkung — es ist hier auch nicht der Ort, um darauf ein- zugehen — , aber sie seien als Unterlagen für eigenes Denken dargeboten, das bald erkennen wird, daß die wahren Gesetze des künstlerischen Schaf- fens und des Kunstgenusses doch nur im Erleben gesucht werden können und dann den Weltgesetzen ebenso Untertan sind, wie auch die übrige Geistigkeit des Menschen. Diese Korrelation der Teile, die nach außen hin der Seele den Eindruck des Vollkommenen gewährt, ist nun in jedem Organismus innerlich die Grundbedingung seines dauernden Seins. Sie ist die wahre Ursache der ungeheueren Mannigfaltigkeit, mit der die Welt des Seienden das Auge blendet. Dabei ist sie keineswegs, wie man in der Wissenschaft allgemein glaubt, auf die Organismen beschränkt. Auch ein Kristall ist durch die ihm innewohnenden Gesetze gezwungen, auf eine in einmal festgelegter Weise gebildete Fläche die anderen entsprechend abzustimmen; auch eine Flüssig- 267 keit ist genötigt, auf Kräfte, die sie angrei- fen, einheitlich und ge- setzmäßig zu reagieren. Im Organismus frei- lich ist dieser Zusam- menhang angesichts der tausend Beziehungen, welche die kleinsten Teilchen schon anein- ander ketten, beson- ders augenfällig. Stets wird durch die Korrelation der ganze Organismus gewisser- maßen in allen seinen Eigenschaften umge- prägt. Der auf Bild 123 wiedergegebene, häu- fige blinde Höhlenkäfer Lcpioderus unterschei- det sich von dem Durchschnittstypus sei- ner Gruppe in fast al- len Merkmalen, trotz- dem sich in seiner Lebensweise ihnen gegenüber nur das Einzige geändert hat, daß er nicht zeitweise wie sie dem Lichte entrückt ist, sondern eben ständig im Dunkeln lebt. Ich möchte sagen, daß er dadurch zu einer öm- harmonisierung gezwungen worden ist. Er ist vollständig zum Tasttier ge- worden, dessen ganze Körpergestalt, im besonderen dessen Kopf und erstes Thoracalsegment, dessen Fühler und Beine nun total umgestaltet und in Ausgleich mit den Anforderungen der neuen Lebensweise gebracht sind. Wie sich diese korrelative Anpassung als Ausgleich stets von Fall zu Fall richtet, kann sehr lehrreich an einem Beispiel studiert werden, das in Ab- bildung 124 wiedergegeben ist. Es handelt sich um den den Zierfisch- züchtern neuerdings sehr bekannten Blattfisch (Pterophyllum scalare C. V.), der im Stromgebiet des Amazonas lebt und als überaus schlechter Schwimmer in dem Gewirr der dichten Wasserpflanzen in seiner Heimat zu der Anpassung gezwungen war, blattartig flach wie ein Keil sich durch die Lücken des Geblättes schieben zu müssen. Die Enharmonie forderte dann, daß nun der Zuschnitt des ganzen Körpers geändert werden müsse; die Flossenstrahlen sind treppenförmig angeordnet, die Bauchflossen sind völlig weich und überaus verlängert, so daß sie im Dickicht leicht nachgezogen Abb. 124. Htcrophyllum scalare, ein südamerikanischer Aquariuinfisch. Näheres siehe unten. Nach der Natur gezeichnet. 268 Abb. 125. Das Ebenmaß im Bau der Scliiieckciitichäuse Man versuche aus der Regel des Goldenen Schnittes den ästhetisch befriedigenden Anblick dieser Na- turgebilde zu verstehen. 1 Murex hemispina. 2 Pteroccra lambus. 3 Die Variabilität der Tacheadcnge- häuse. 4 Cassis. Originalaufnahme von Frau Dr. A. Friedrich, München Abb. 126. Die Schale einer Ranellaschnecke, ein Musterbeispiel ebenmäßiger organischer Gestaltung Abb. 127. Der Schädel des Menschen Die Verkörperung des Goldenen Schnittes in dem Verhältnis von Stirn und animalischen Merkmalen, Sinnesorganen und Qesamtbau, Preß- und Orientierungsorganen. Man beachte auch die Korrelation der Organe. Nach So- bottas Atlas Abb. 128. Skelett des Oorilla im Vergleich zu dem des Menschen In dem ersteren spricht sich die einseitige, auf Muskel- kraft und Klettern gerichtete Anpassung aus, welcher das Knochengerüst harmonisch entspricht, im letzteren die Anpassung an den aufrech- ten Gang (untere Extremi- täten im Vergleich zu den oberen), dadurch Verküm- merung des Brustkorbes, dafür allgemeine Harmoni- sierung in der Lebensweise. werden können; genau so umgeändert ist auch die Schwanzflosse, so daß durch die harmo- nische Umgestaltung das kleine Fischchen sich mühelos durch das dichteste Gewirr hin- durchzudrücken ver- mag. Den Gipfel aller solcher Umbildung und desZusammenschlusses zu neuen enharmoni- schen Einheiten bewun- dert aber die Tier- kunde seit altersher in den Staatsquallen (Si- phonophoren), von de- nen einige sehr mar- kante Vertreter auf Ab- bildung 129 ihre Fang- netze ausbreiten. Die Gliederung einer sol- chen Tiergemeinschaft ist aus der Legende der Abbildung ersichtlich und verrät allein schon ein erstaunliches Maß von Zusammenwirken, wie es sonst nur im geregelten Betrieb der Organe bekannt ist. Eine solche Gliederung in Personen ist un- denkbar ohne ein Gleichgewichtsgesetz, das das Ganze regelt, sowohl im Aufbau wie in der Funktion; denn eines muß da das andere ergänzen und auf jedes Einzelne im Wirken des Ganzen Bezug nehmen. Eine solche Korrelation der Teile und ihr lückenloser Zu- sammenschluß zu einem harmonischen Ganzen, wie sie namentlich im letzt- behandelten Beispiel sich unvergeßlich einprägt, ist also, wie man sieht, der hervorstechendste, allgemeinste Charakterzug des Organismus. Mit den gewonnenen Einsichten im Kopf kehre man jetzt einmal zum Kanon der Abb. 12A'andtschaft zwischen Mensch und Affe 166 Blüte, vegetatives Wachstum der 179 Bliitepflanzen, Generationswechsel 160 Blüten, Befruchtungswettbewerb, Abb. 79 Blütenbefruchtung, durch Insekten 222 Blütenhiologie, Selektionsverhinde- rung 222 Blütenfeld, Oberbevölkerung 210 Blütrnduft, Selektion durch 222 Blütenfarben, Selektion durch 222 Bodenorganismen, Wanderungen 275 Boelsche, W. 165, 191 Böschunp^swinkel, von Qeröllhal- den 147 — Optimum der 197 BoTjenlampe, Wärme 58 Bogenlampen, Leuchtvorgang 48 — sprechende, Gesetzlichkeit 50 Bohrformen, der Samenfäden 79 Bolometer, Leistung 58 Boltzmann 8, 123, 262 Bonu-.system, Einwendungen ge- gen 251 — in der Pflanze 252 Borke, Bildung 240 Borslenbildung, von Planktonten 104 Böse, Chr. 93 Brnbant, Übervölkerung 229 Brachionus quadratus, Bau, Abbil- dung 136 Brachistochrone, als mechanische Ausdrucksform 138 Bracht, Eugen 16 Bragg 56 Branchiostoma lanceolata, Abson- derung des Mesenchyms 191 Branchiostoma, Abstammung vom 166 Brandung, als technische Form 70 Brandungswellen, Entstehung 20 Brasilianischer Triftstrom, Wich- tigkeit 18 Braun kohlenswamps, Klimaänderun- gen 152 Brauntange, Farbstoffträger in 94 Brechung, elektrischer Wellen 50 Brechungsindex, des Lichtes 45 Bredig 126 Breniihaare, von Urtica 113 Brennessel, Oifthaare der 113 Breuer, J. 126 Bruchgebiete, und neue Meeres- senkungen 190 Brückner, 30 Brücke, Gedanke der 234 Brückenmethode, u. Objekt. Philo- sophie 234 Bruntienlebermoos, Querschnitt durch Lager des, Abb. 34, 93 Brunnenrohre, biotechnische Ver- besserung 93 Brutknospen, Fortpflanzung durch 160 — und Brutknollen 177 Brutpflege, Instinkte 209 Br>'Ophyllum, Abschnürung 176 — Regeneration aus einem Blatt von, Abb. 71 Bryozoen, Knospung 179 Buddhismus, Rechtfertigung 263 — Sitlengesetz des 249 Bührer, K. W. 234 Bündelung, der Lichtstrahlen 44 Bürgerliches Leben, als Selektion 220 Bütschli, 78, 127 Buntsandsteinwüste, Klimaänderun- gen 132 Buschmäimer, und Menschenaffen 166 Bussarde, Vermehrung 218 Buys-Ballot 23 Cajal, Ramon y 242 Calamarien, Lebensverhältnisse 181 Calocalanus, Schwebeanpassungen Abb. 41, 103 Camera obscura, Säugetierauge als Canalis facialis, als Reptilienan- passung 167 Canonlandschaft, in Arizona 206 Canova 238 Cantal, Eolithen im 193 Canfor, M. 229 Capri, Pilzfelsen 20 Carabus, Mutationen 176 Carbon, Ebenen seit dem 156 Caricetum, Umwandlung 197 Cassis, Schalenbau, Abb. 123 Centrosomen, in Zellen 77 Ceratien, Temperaturvariationen von Ceratium, Formen 82 Ceropegia Sandersoni, Regenschutz- dach an, Abb. 47, 109 Cestus, bilateral symmetrischer Bau Chaerocampa Elpenor, Trutzstel- lung der Raupe von 217 — Raupe in Schreckstellung, Abb. 83 Chamsin, Windstärke 29 Cheimatobia brumata, Flügelstum- mel des Weibchens 166 Chemie, oplimokline Abläufe 147 — Optimumgesetz der 144 — Transmutationen 152 — und Harmoniegesetz 260 — u. klein- stes KraftmaU 235 Chemische Energie, Umwandlung 66 Chemische Prozesse, rhythmische Gesetze in 66 Chemische Stoffe, Entstehung 66 Chemismus, als elektrischer Vor- gang 48 — der Pflanze 94 — optimokliner 197 Chemophysik, harmonoklines Ge- schehen in der 2)9 — Funktions- begriff 63 — teleologische 188 — Transmutationen 132 — und objektive Philosophie 132 Chemo;echnik, biotechnische Ver- besserungen 63 China, Sittengesetz 249 — Ober- bevölkerung 210 Chinesisches Reich, Dauer 200 Chitinmundwerkzeuge der Glieder- füßler 88 Chitinpanzer, des Insektenbeins 241 Chladni 32 Chlorophyll, Funktionsoptimum 144 — Tätigkeit 94 190 HungerrOckbildungcn Chlorophyll kömer, in Algenzellen 76 Cholnoky, A. 124 Chondrio'omen, Bau der 78 — in Zellen 77 Chri^te^tum, Sittengesetz des 219 Chromatophorc, Formen 94 Chromafophorcn, in Pflanzenzcl- len 76 Chromosomen, als Vererbungs- träger 164 — in Zellen 77 — Schraubenformen unter 79 Cione, auf einem Röhrenwurm, Ab- bildg. 87, 214 Cione intestinalis, Vererbungsver- suche 164 Cirripedia, Larven 167 Clamyderas maculata. Lusthauten 113 Claus 90 Clausius £ Clavellina, 175 Clematis, Lianenbildung, Abb. 22 Coelenleraten, Rcizhandlungcn 118 Coelenleralenbau, als Organisa- tionsmerkmal 183 Coelnmhöhle, als Sfammesmcrk- mal 184 Cohen-K\sper 159, 175, 188, 279 Cohn, E. 123 Comte, Auguste 136, 143, 188, 193, Congdon 273, 280 Coniferenholz, innere Architektur, Abb. 103 Coniferenstamm, Bau des, Abb. 102 Copris-Mistkäfer, mit Nahrungs- pille, Abb. 21, 209 Coronium, und Lichttheorie 45 Correns, C. 163 Corti'schc Fasern, Zahl und Stel- lung 117 Corti'sches Organ, Bindegewebe 117 — Schwingungen 33 Coscinodiscen, Radform 129 Coulomb 47 — als elektrische Maßeinheit 47 Corydaüs Cava, Blütenstand, Abbil- dung 37 Cragg, John 244 Craliiulaiyp, druckfeste Konstruk- tion 127 Crookes-Röhre, Leuchterscheinung Culman Hl Cuvier 152, 162, 270 Cyclotellen, Radform 129 Cymatoplcuraiyp, druckfeste Kon- struktion 127 Cysten, Kugelform 13 Dacqu^, E. 189 Dämpfe, Fraunhofer'schc Linien in 204 Därme, als Röhren 89 Dahsihur, Alter der Pyramiden 200 DAlembcrt 133, 232, 232 Dampfmaschine, in dorischem Stil 244 Dampfmaschinen, Energieumwand- luiig 7 — Erfindung 115 Daphiiiakrcbschen, doppelte Fort- pflanzung 180 Darm^aft, als Verdauungsferment 89 Darmscheiden, Ein- und Ausström- röhrenverlängerung 164 291 Darmzotten, optimale Aufsaugung durch 89 — Zellwände der 204 Danvin, Ch. 143, 150, 163, 189, 208, 211, 214, 218, 222, 224, 225, 227 Darwin, O. H. 190 Darwinismus, Mimikrytheorie des 105, 206 — und Selektion 208 Darwin'sche Selektionstheorie, Falschheit der 227 Daseinskampf, Erleichterungen 214 Dasychone, auf einem Spirogra- phiswurm, Abb. 87, 214 Dauer, des Seins 235 — und ob- jektive Philosophie 201 — Un- terschiede 201 Dauerform, harmonische Form als 274 Dauerhaftigkeit, harmonischer For- men 259 ] Davenport, C. B. 229 ] Da Vinci, Leonardo 258 Davy 66 Deflation, Begriff 28 — und Wel- lengesetz 28 Dekalog, Gebote des 249 Deklination, der Magnetnadel 53 Dellabildung, im Unterlauf 238 Demokratie, als Staatsform 189 Denken, als Biotechnik 75 — als funktionelle Anpassung 122 — Selektion durch 219 — als teleo- logischer Prozeß 247 Denudierung, in den Alpen 207 Depression, ständige, auf Island 24 Depressionen, Wellenbewegungen der 17 — Zugstraßen 26 Descartes 134, 283 Desmidiaceen, Formenreichtum 80 Detritus, floristische Besiedelung Deutschland, Niederschläge 26 — Oberbevölkerung 210 Devonfische, Scheitelloch 167 Devon landschaft, Rekonstruktion, Abb. 62 Devonwälder, Klimaänderungen an 152 De Vries, Hugo 162, 163 Diagnostik, durch Röntgendurch- leuchtung 55 Diagonale, als kürzester Weg 234 Diastole, des Herzschlags 60 Diathermie, der Luft 25 Diatomaceen, Formenreichtum 80 — Schalenbildung 239 Dicolabe quadricata, aus dem in- dischen Ozean, Abb. 125, 269 Differentiale, Konstanz 203 Differenzen, als Wettbewerbursache 207 Differenzierung, der lebenden Ma- terie 211 — des Querprofils eines Flußlaufes 206 — rück- läufige 175 Difflugia, Biotechnik von 115 Diffusionen, als Energiefrage 124 Digitalis, Bewegungswahl des Grif- fels 221 Digitalis purpurea, verschiedene Blütenzustände, Abb. 93 Dikrntismus, als Muskelkontrak- tion 91 Diluvium, Klimaänderungen 152 Dimorpha mutans, Bau 194 Dimorphismus, sexueller 222 Dingler, A. 123 Dinoflagcllaten, Gehäuse 80 — Tief- gang 82 Dionysos, Ohr des 32 Diophant 149 Disharmonie, des Alterns 271 — und Harmonie 260 — und Ver- erbung 286 Disharmonien, durch Mißachtung der Weltgesetze 202 — und in- dividuelle Energie 201 Dispersion, des Lichtes 45 Dissolution, und Evolution 187 Doflein, F. 113 Donau, Enthauptung 207 Donautal, Anzapfung 207 Doppler 46 Doryphoros, Statue des 258 Dotterkörner, in Zellen 77 Drahtlose Telegraphie, Wellenlänge 43 Drei Grazien, als Motiv für Frauen- schönheit, Abb. 114 Dreikanter, Entstehung 30 Driesch, H. 76, 90, 120, 128, 129, 136, 157, 191, 233, 246, 254, 274, 280 Druckpumpe, in Gefäßpflanzen 93 Drüsen, als technische Form 89 Drüsenzellen, granuläre Struktur 78 Dryastone, Klimaänderung an 132 Du Bois, H. 215 Ductus cochlearis, Neuroepithel 117 Düna, Erosionstätigkeit 206 Düngen, als Biotechnik 94 Dühring, Eugen 188, 208, 229 Dünen, Bildung 20 Dünenbildung, fossile 21 Dünengürtel, als Regressionswir- kung 20 Dünung, Erscheinung der 16 Dürer 197 Du Prel 262, 279 Durakkord, Harmonie des 260 Dynamomaschine und kleinstes 'Kraftmaß 244 Dyne, Begriff 123 Ebbe, Tätigkeit 29 Ebenen, Unveränderbarkeit 156 Echinodermaten, Konstanz seit dem Silur 194 Echinodermatenbau, als Organisa- tionsmerkmal 183 Echo, Entstehung 32 Eckardt, W. 152, 155, 190 Eckermann, 167 Ectoblast, Abzweigungen 191 Edaphon, als Lebensgemeinschaft 199, 275 Edelobst, Züchtung 165 Efeu, Blattveränderung 213 — Blü- tenduft 222 Ehrlichkeit, als Menschheitsziel 249 Eidechsenschwanz, Regeneration 173 Eier, bei 20OO Kälte 59 Eierstockzellen, Selektion an tie- rischen 212 Eiformen, aus rotierenden Kugeln 190 Eifurchung, und Baer'sche Formel 186 Eigenschaften, Vererbung erworbe- ner 164 Eigenschaftenmehrung, Ursache 163 Eigenschaftserwerbung, und Arten- bereicherung 163 Eigenschaftskleid, der Organismen 181 Eigenschwingungsrhythmus, elektri- scher Systeme 50 Eileiter, des Menschen 100 Eimer, Th. 230 Einfachheit, Mach'sches Prinzip der 233 Einflußsphäre, der Städte 264 Einheit, des Lebenden 165 Einseitigkeit, durch Rassenzüch- tung 223 Einstäubungsvorrichtungen, Selek- tion durch 222 Einstein, A. 44, 125, 253 Einzeller, Vakuolen in 76 Einzelligkeit, als ausschlaggeben- des Merkmal 192 Einzelpflanze, als biologisches Indi- viduum 95 Einzelteile, Optimum 197 Eireste, als Geschlechtszellen 160 Eisabschleifung, kleinstes Kraft- maß in 236 Eisen, Kreislauf 262 — magne- tische Eigenschaften 54 Eiserosion, Hochgebirgsformen durch 237 Eisregion, Erscheinungen der, Ab- bildg. 100 Eiszeiten, in Europa (Tabelle) 152 Zusammenstellung 28 Eiv.eiß, Kälteerscheinungen 59 — Verdauung 89 Eiweißgerinnung, und Verdauungs- vorgänge 64 Eiweißkristalle, in Zellen 77 Eizelle, Kugelform 13 Elastinfasern, in Aderwänden 91 Eibsandsteingebirge, Erosionswir- kungen 206 Elektrische Phänomene, als elek- tromagnetische Vorgänge 52 Elektrische Wellen, im freien Raum 50 Elektrizität, als Licht 51 — Ein- heitlichkeit 47 — Lichtbeeinflus- sung durch 42 — materielle Struktur 47 — und chemische Affinität 66 — und objektive Philosophie 46 — und rationale Zahlen 48 Elektrizitätsfernwirkung, durch transversale Wellen 50 Elektrizitätswellen, Gesetze der 57 Elektrizitätswesen, Mensch als 51 Elektrochemie, und objektive Phi- losophie 66 Elektrolyse, als molekulare Zer- setzung 48 Elektromagnetismus, Wirkungen 53 Elektron, als zentraler Energie- begriff 56 — Erkenntnisse über das 56 — Verhältnis zur La- dung 264 Elektronen, freie im Strom 49 — Lehre von den 48 — negative Elektrizität durch 47 — und Elektrizitätsmasse 51 Elektronenbewegung, in Drähten 49 Elektronenmaterie, Licht als 56 Elektronenmechanik, als Elementar- erkenntnis 57 Elektronen Phänomen, Licht als 42 Elektrostatisches Grundgesetz, Be- griff 47 Element, chemisches 66 Elementarorganismen, technische Formen 78 292 Elemente, Entwicklungsfrage der Elfenbein, als tierisches Werkzeiig- material 88 El Kosseir, Rec;enlosigkeit 26 Eltern, und Nachkommenmerkmale 229 Embryo, als zweite Generation 153 Embryologie, und Regeneration 180 Embryoveränderung, durch Eitei- lung 159 Embrvowachstum, optimoklines 198 Empiriokritizismus, und objektive Philosophie 121, 246 Encystierung, als Verbreitungsein- richtung 276 Endometrium, Verwachsung des Embryos im 159 EnerRetik, Ostwald'sche 6 Energie, gesetzmäßige Erhaltung 4 — kosmischer Kreislauf der 5, 262, 275 Energieerhaltung, als harmonischer Ausgleich 261 Energieerneuerung, kosmische 8 Energieformen, Umwandlung 5 — Ungleichwertigkeit 7 Energietransport, bei Geschwindig- keitssteigerung 205 Energieverbrauch, im Organismus Entwicklungsgedanke, Alter des 149 — und Lcbensfähiijkcit 184 Entwicklungsgesetze, erste Aus- prägung 150 — und Eigcn- schaftenmehrung 163 Entwickluncshcmmungcn, durch Hunger 175 Entwicklunprshypothese, als Aus- glcichsvorgang 262 Entwicklungsmcchanik, Begriff 13fi — und obiektivc Philosophie 100 Entwicklungsprozeß, ad infinitum 190 Entwicklungstempo, einzelner Stu- fen 199 Entwickluncfstendenz, und Dishar- monie 150 Entwicklungstheorie, und Organi- sationsmerkmale 182 Entz, G. 127 Enzyme, der Gärung 64 Eolithen, und Proanthropoiden 193 Eolithiker, rezente 194 Epidermisbau, einer Fichtennadel 240 Energiewechsel, Formen des Sd England, Oberbevölkerung 210 Engler, A. 192, 193 Enharmonie. als Prinzip innerer Ordnung 263 - der Teile 251 — des Blattfisches 268 — in- trazelluäre 264 Enna, A., als Komponist 36 Entdifferenzierung, auf embryonale Zellen 175 Entelechie, als Formungsprinzip 129 — und objektive Philoso- phie 120 Enlerhacken. zur Organismenver- breitung 276 Entfaltung, Fortschritt als 185 — geistiges Wachstum als 186 Entoblast, Abzweigungen 191 Entoprokten, Knospung 179 Entropie, und objektive Philoso- phie 7, 10 — und Weltkreis- lauf 262 Entropiegedanke, und Weltende 8 Entropiegesetz, und Nebulium 190 — und Wärmelehre 123 Entropieprinzip, halbabgeschlosse- ner Systeme 282 Entropieproblem, und Biozentrik 9 Entwicklung, als Absolutes 189 — als Ausgleichsvorgang 141, 185 _ als bedingte Erscheinung 173 — als Reaktion 175 — diskon- tinuierliche 172 — durch ge- schlechtliche Fortpflanzung 180 — Harmonie als Endziel der 278 — Harmonoklise als 261 — im Erdbau 153 — rückläufige Dif- ferenzierung bei 175 — Spencer- scher Begriff 186 — und Lei- stung 171 — und Kosmos 151 Entwicklungen, innerhalb des In- tegratiotisgesetzes 198 Entwicklungsablehnung, im Bio- logischen 158 . Entwicklungsbegriff, u. f ruhorien- talische Philosophien 150 Equisetum, fertiler Sproß, Abb. 67 Erbeinheiten, Durcheinanderschütte- lung der 163 Erbmasse, Verteilung 163 Erbsenkeimlinge, bei Kotyledonen- zerstörung 174 Erdachsenstellung, und Wärme- verteilung 23 Erdbahnunregelmäßigkeiten, har- monisches Mittel der 263 Erdball, als Integrationsstufe 199 — als permanentes Magnetfeld 54 _ Wärmeoptimum 60 Erdbebenwellen, ozeanische, Schnel- ' ligkeit 17 Erde, als Elektromagnet 53 — Er- kaltung 154 — technische Form der 69 Erdenklima, Abkühlung 155 Erdgestalt, als Wetterursache 22 Erdintegrationseigenschaften, und Artenveränderung 181 Erdmagnetismus, und objektive Philosophie 53 Erdoberfläche, Sonnenwärme auf der 58 Erdperioden, Vereisung und tr- wärmung 28 Erdpyramide, vom Ritten, Abb. 44, 106 Erdpyramiden, Entstehung 149 Erdrelief, Entstehung 190 - Ur- sachen 156 Erdrinde, kreislaufmäßiger Umbau 155 — Tiefenstruktur 156 Erdrotation, und Meeresströmun- gen 19 — und Wärmeverteilung 23 Erdschichten, Atomzerfall 57 Erdtransmutationismus, Ursachen Erdveränderungen, verschiedene Ursachen 157 ^. ,, a Erdwärme, biologischer Einfluß der 155 — Maximaltemperaturen 125 Erfindung, Bedürfnis der 128 Erfinderideen, und Berechnung 116 Erfindungen des Menschen, tnt- 1 stehung 96 , u , i, Erfindungsgeschichte und Biotech- nik 115 - und kleinstes Kraft- maß 244 Erfindungszeitalter, künftiges 116 Erg, Begriff 123 Er(;asiischc Einschlüsse, in Zellen Erhaltung der Energie, als Gc- sctzcszusammcnhang 133 Erhaltung der Materie, »Is har- monischer Ausgleich 261 Erkennen, Selektion durch 219 — technischer Charakter des 122 Erkenntnisfähi(,'keit, relative 121 Erkenntnisgrenzen, und Erleben 285 Erkenntnistheorie, biozentrische 121 Erkenntnismöglichkeiten, durch Musik 36 Erleben, Mittelmaß 143 — Zeit- losigkeit des 199 Erlebnisspeicherung, durch Neu- ronen 242 Erlebnisse, HarmoniMerung der 278 Ernährung, als Biotechnik 83 — der Pflanze 94 - selektive 221 Erniihrungsdifferen/en, bei Spin- nen 201 Erosion, drei Phasen der 238 — Erdpyramiden durch lOS — Er- scheinungen, erstes Stadium Abb. 59 — Erscheinungen, zweites Stadium, Abb. 60 — Folgen 148 — Prinzip des kürzesten Weges in der 236 — rückschreitende Abb. 50 — Selektion durch 205 — senkrechte Richtung der 236 — technische Formen der 70 — und Festlandsgestaltung 149 Erosionsschlucht, im Gebirge Ab- bildung 4 Erosionsturm, im Hochgebirge Abb. 80 Erwärmung, elektrische 48 Ethik, als optimale Krafterspamis 248 — kleinstes Kraftmaß in 247 Erysibe, Geschlechtslosigkeit 179 Ethik, objektive 202 i., ..!.<, objek.,.- — Eukalyptus, Pumpleistung 93 Euklid 229 Eule, als Flugmodell 112 Eulen, Vermehrung 218 Eunotiatyp, druckfeste Konstruk- tion 127 Europa, als Meeresbecken 22 — Überbevölkerung 210 Evolutionsbegriff der Geologie 152 Evolutionsgedanke, in der Biolo- gie 158 Ewald 129 Ewiger Schnee, Ursache 23 Exhaustoren, und Atmung 9S Exklusion, Begriff 220 Experimentelle Morphologie, und objektive Philosophie 100 Expressionismus und objektive Philosophie 220 . „ ■„ Extrasystemale Harmonie, Begritt 256 Faber 288 Fabrik, Blatt als 96 .... Fachwissenschaft, u. teleologische Zusammenhange 134 Fadenwürmer, Parthenogrnesis 179 Fällungen, rhythmische 61 I Faium. Alter der Pyramiden 200 Falter, Licblingsblumen 222 Fallgesctz. und Erosion 148 Farad, als elektrische Maßeinheit 47 293 Faraday 41, 48, 52 Farben, Schwingungslänge 38 Farbenhören, Phänomen des 44 Farbenlehre, Musik und Malerei 44 — von Ostwald 254 Farbenzerstreuung, Ursache 45 Farbsloffträger, pflanzliche 94 Farn, Lebenskreis 160 Farne, Entfaltung der Sporophyten der, Abb. 66 Faulschlammdecken, Organismen 157 Faust, und lex parsimoniae 248 Fauth, P. 190 Fayoa 127 Fechner, O. T. 6 Fehlergesetz, Gauß'sches 226 Feldhaus, M. 234 Felsenflur, als Schlußverein 158 Fenner 118, 146 Fermat 149, 235 Fermente, beim Verdauungsvor- gang 89 — der Gärung 64 Festigungszellen in Moosen 240 Festlandformen, als technische Formen 70 Festlandrelief, Prägung 205 Fett, synthetische Herstellung 94 — Wärmezurückhaltung durch 88 — Verdauung 89 Fettropfen, in Zellen 77 Fetzenfisch, im Tangwald, Abb. 43, 105 Feuerlilien, Brutknospen 177 Feuersee auf Hawai, als vulka- nische Gleichgewichtsanlage 157 Fibrillen, Tätigkeit 78 Ficaria, Brutknospen 178 Fichte 189 Fichtennadel, parsimokliner Bau 240 Fichtennadel, Querschnitt durch eine, Abb. 105 Fieber, als Blutwärmeproblem 9 Fieberklee, als Verlandungspflanzc Fische, Hochzeitskleider 222 Fischer, O. 128 Fischereierträgnisse, und Meeres- strömungen 18 Fitting 279 Fizeau 46, 125 Flächenprinzip, abgeschlossener Systeme 282 Flagellaten, Fähigkeit der Nah- rungswahl 121 — Geißelbe- wegungen 80 — Ursprung 165 Flagellatengeißeln, Funktionen 81 Flandern, Übervölkerung 229 Flechten, Chromatophoren in 94 — Gemeinschaft der 213 Fledermausfloh, biotechnische An- passung, Abb. 46, 108 Fleischfressende Pflanzen, Eintei- lung 85 Fliegetechnik, als Biotechnik 116 Fließ, W. 61, 126 Flimmerhaare als Nebenhaare 77 Flügelein richtungen, der Organis- men 276 Flüssige Luft, Erscheinungen 59 Flüssigkeit, Korrelation der Teile 267 Flugdünen, der Sandwüste 30 Flugsandfelder, als Funktionsform 30 Flugapparate, Biotechnik der 112 Flugröhre, brasilianischer Bienen, Abb. 48, HO Flugzeug, und Luftballon 112 Flusrzeuge, kleinstes Kraftmaß in 245 Fluktuationen, der Vererbung 225 — Vergänglichkeit 162 Fluoreszenz, Entstehung 39 Fluoreszenzschirm, Herstellung 55 Fluß, kürzester Weg 237 Flußnetz, kleinstes Kraftmaß 238 Flußtäler, Entwicklungsform 147 Fluxionsrechnung, Uifferentialan- wendung 229 Fötus, Ernährung 160 Foramen entepicondyloideum, als Reptilienanpassung 167 Foraminiferen, als Harmoniebei- spiel 264 — Radform 129 Form, als Eindruck 83 — des Seins 231 Formänderung, bei Funktionsände- rung 69 Formgesetz, der Funktionsände- rung 67 Format, biologisches 257 Formationen, Bildung 199 — Zu- sammenschluß zu 275 Formgestaltung, durch Kräfteaus- gleich 207 Formproblem, und Funktionsgesetz Forschung, als Selektion 220 Fortpflanzung, als Biotechnik 83 — als optimokline Geschehensart 176 — bei Kakteen 243 — der Moose 160 — zweierlei Arten 177 Fortpflanzungstrieb, und objektive Philosophie 180 Fortpflanzungsvorgang, Techniken des 98 Fortpflanzungsweg, formenreicher Arten 176 Fortschritt, als Ziel 150 — Ge- setz der 185 — sozialer 190 Fortschrittsbegriff, und natürliche Schöpfung 154 Fortschrittsglauben, und objektive Philosophie 143 Fossile Tiere, Wiederherstellung 270 Fragaria, Ausläufer, Abb. 68 Fragilaria Harrisoni, druckfeste Konstruktion 127 France, Raoul, H. 21, 86, 126, 127, 128, 129, 130, 156, 175, 189, 228, 288 Franklin 191 Frankreich, Bevölkerungsmangel 210 Frantz 49 Franz, V. 183 Frauenschönheit, harmonisches Ge- setz der 270 Fraunhofer 204 Frech, F. 28, 190, 191 Fremden Industrie, und kleinstes Kraftmaß 245 Fresnel, A. 38 Fresnel'scher Spiegelversuch, Inter- ferenzerklärung Abb 10, 39, 40 Freud, Sigmund 15, 61, 126 Frey - Bund, und objektive Philo- sophie 189 Friedrichs, W. 125, 279 Fries, J. 247, 254 Fritsch, G. 258 Fritsch, von 114 Frösche, Einteilung 159 — groß- hirnlose 189 — sexueller Di- morphismus 222 Froschbiß, als Verlandungspflanzc 157 Froschlarven, Involution 175 Fruchtbarkeitsabnahme, und Völ- kerdifferenzierung 195 Fruchtbarkeitssenkung, an Kühen 224 Fruchtknoten, Bau eines pflanz- lichen, Abb. 35 — und Uterus 102 Früchte, als Reservenahrung 86 Früheisenzeit in Afrika 194 Fuld, L. 101, 123 Funaria hygrometrica, weibliche Blüte, Abb. 64, 159 Funktion, als Geschehensausdruck 132 — Periodizität der 61 — Sein als 2 — und kleinstes Kraftmaß 141 — und Lebens- dauer 202 — und Funktionsform 11 — und Macht 201 Funktionelle Anpassung, Mimikry als 107 — und objektive Philo- sophie 68 Funktionen, des anormalen Orga- nismus 85 — harmonokline 272 — integrale, der Organismen 79 — parsimokliner Ablauf 233 — Ziel der organischen 247 Funktionsdauer, durch Gleichge- wichterhaltung 3 Funktionsform, der Dinge 74 — Entstehung 11 — im Anorgani- schen 69 — optimale, Kugel als 13 — und f^unktion 101 — verschiedene Verwendung 93 Funktionsformen, des Chlorophylls 95 — aktive Anpassung 106 — Konvergenz der 111 — chemische 70 Funktionsgesetz, Allgemeingültig- keit 67 — des Seelischen 73 — im Geistigen 68 — im Taylor- system 250 — und chemische Vorgänge f — SchluUanalyse 140 — und Qeisteswelt 7 Funktionsketten, der Fortpflan- zungsorgane 99 Funktionslehre, biologische 100 Funktionsvariation, als Weltbild 67 Funktionsverlauf, nach geringstem Widerstand 247 Funktionswechsel, und Formwech- sel 83 Gärung, als Biotechnik 116 — Pro- zeß 64 Gäßchenmündungen, und Blutge- fäUmündungen 91 Galilei 11 Galle, als Verdauungsferment 89 Gallen, Anpassung 216 Gallengänge, als Röhrenleitung 89 üalton 225, 227, 229 Galton-Kurve, an Züchtungen 227 Gametobiont, der Säuger 161 Gametophyt, Gestalt 160 Gang, aufrechter, als Anpassung 182 Gangesebene, Übervölkerung 229 Ganglien, Entwicklung 118 Gase, negative, spezifische Wärme 190 — selektive Emission 204 Gasflamme, Wärme 58 Gasionen, in Kanalstrahlen 56 294 Gaswechsel, der Pflanze 85 — des Tieres 86 Gauß, 226, 232, 233, 253 Oay-Lussac 3, 126 Oebärerschwerung, an Kühen 224 Gebärmutter, Asymmetrie tOO Gebirge, als Erkaltunorsruiizeln 155 — optimale Ausbreitunfr igg Gebirgsabtragunc, Erscheinungen Abb. 55 — jährliche 148 Gebirgsstümpfe, karbone 156 Gebläse, und Atmung 98 Geburtenrückgang, der Großstädte Gedanken, als Funktionsformen 119 Geflügel, durch Selektion 223 Gefiihl, als Erkeniitnisquelle 285 Oejenseiüge Hilfe, als Regel 213 Gehirn, als teleologisches Organ 73 — als optimales Organ 145 — Energieverbrauch 86 — Entwick- lung 118 — Überschätzung des 284 Gehirnleistungen, bei Vertretung durch andere Zellen 189 Gehirn Physiologie, und objektive Philosophie il9 Gehirniätigkeit, als Biotechnik 75 Gehötte Tüpfel, als Kammerfilter- pressen 93 Gehör, poetische Unterschiede 118 Gehörempfindung, als Resonanz Gehörknöchelchen, Funktion 117 Gehörnerv, Weg des 117 Gehörorgan, als Vorbild für Saiten- instrumente 33 Gehörsteinchen, Bedeutung 33 Geißeln, als Nebenorgane 77 Ocißlerröhren, Leuchtvorgang 48 Oeißier'^che Röhre, Leuchterschei- nungen 54 Geist, als mechanische Selektion 225 — und Menschenkörper 171 Geistesleben, und Naturwissenschaft 134 Geisteswelt, und Weltgesetze 119 Gei^itigkeit, Entwicklung in der 190 Geistwerdung, des Zoetischen 170 Oeldvcrkehr, mechanische Prinzi- pien 139 Gelbrandbein, als Funktionsform 241 Gemüse, durch Selektion 223 Generationswechsel, der Pflanze 160 — der Säugetiere 161 Genetischer Zusammenhang, des Titrstammbaumes 192 Oenitalsystem, Formveränderun- gen des 99 Genotypus, Begriff 164 Gentiana punctata, auf einer Ra- senbank, Abb. 122, 265 Geoffroy de St. Hilaire 100 Geogenesis, und objektive Philo- sophie 153 Geoid, Erde als 69 Geologie, als anorganische Ent- wicklungsreihe 153 — Kumu- lationen 154 — Prinzip des kürzesten Weges 236 — Trans- mutationen 152 Geometrie, und kleinstes Kraft- maß 248 Geophysik, Prinzip des kürzesten Weges 236 — und objektive Philosophie 69 Gerät, Unkultur 245 Geräusche, und Musik 34 Geranien, als Sprcizenklimmer 213 Qeranium, Vcrlctzungsreaktion 174 Gcranium Rohertianum, Stelzen- bildung, Abb. 36 Gerechtigkeit, als kleinstes Kraft- maß 248 - ah Menschheitsziel 249 - der Welt 287 Oerichtetsein, Begriff 10 Oerminalsclektioi, Begriff 212 Oerölle, als technische Formen 70 Geröllreißen, Optimumgesetz der 147 Gesamtlebenscinrichtung, optimale Methoden 137 Oesamttechnik, des Plasmas 73 Qeschäftsleben, Okonomiegcsetz 249 Geschehen, Optimum des ' 147 Geschehensausdruck, Form als 83 Geschehnisse, Periodizität 60 Qe-chichte, als Wellenphänomen 16 Oeschichtsrhilosophie, objektive Notwendigkeit 275 Gesi-hichtsprozeß, als Harmono- klise 275 Gesthichtsvergangenheit, Änderun- gen 186 Qeschlechtcrgilden, gegenseitige Hilfe durch 213 Oeschlechtlichkeit, Vorteile 179 Geschlechtsakt, als Regeneration 180 Geschlechtsfortpflanzung, als Ent- wicklungsursaclie 180 Geschlechtsorganbildung, Sonder- gesetz 191 Geschlechtsprodukte, menschliche, als Knospungsresultate 179 Geschlechtswerkzeuge, bei Pflan- zen und Tieren 101 — Hormone der 271 Geschlechtszellen, Herausdifferen- zierung 160 Geschwindigkeitssteigerung, chemi- scher Reaktionen 235 GesellschaftsbiUlung, von Zellen 82 Gesetz, als Auslese 203 — der Biotechnik 110 — der Einfluß- sphäre 264 — der multiplen Proportionen, als Auslese 203 — der multiplen Proportionen als Harmoniefunktion 34 — der Par- simoklise, Formen 244 — des kleinsten Kraftmaßes 232 — des kleinsten Kraftmaßes im Taylor- systeni 250 — der Bewegungen 14 Gesetzgebung, kleinstes Kraftmaß in 248 Gesetzmäßigkeit, des dauerhaften Ausgleichs 261 — des Erlebens 122 Gesteinsschichten, Faltung (Mo- dell), Abb. 52 Gesteinssorticrung, nach kleinstem Kraftmaß 237 Oestirnkrcislauf, als harmonischer Ausgleich 261 Getreide, durch Selektion 223 — Züchtung 164 Getreiderost, als epidemische Krank- heit 224 Gewerkschaften, und Taylorismus 251 Gewitttrwolkcn, Eigenschaftskreis 27 Gewölbe, biotechnische Verbesse- rungen 80 Gewohnheit, Philosophie der rei- nen Erfahrung in der 246 Gezeiten, und Erdmagnetismus 54 Gifte, und Katalyse 65 Gilden, als Hilfsprinzip 213 Gilterbrücke, Schema. Abb. 45, 107 Olasprismei'. als Biotechnik 38 Glaube, Metaphysik als 283 Gleichgewicht, als Bczichungsziel 185 — als Optimum 114 — der Teile 199 Gleichgcw ichtsfragen, Mechanis- mus 186 Gkichgewichtsgesetz, an Staats- quallen 269 Gleichgewichtslage, als statische Harmonie 259 Gleichgewichtsstörungen, durch Funkenentladung 49 — und Se- lektion 217 Olcichungstransformationen, als mechanische Ausdrucksform 138 Gleitflug, biologische Konvergenz 112 Oletscher, Abtragung durch 237 Gletscherabsinken, als parsimo- kline Leistung 237 Gletschermodell, schcmatisches, Ab- bildg. 5 Gletschertische, Entstehung 108 Gletschertöpfe, Entstehung 236 Gletschertöpfe, im Otztal, Abb. 99 Gliederfüßlerbau. als Organisa- tionsmerkmal 183 Gliederung, des menschlichen Kör- pers 241 Glogau 288 Glühlampen, Leuchterscheinungen 49 Glykose, Wanderung 94 Gnaphalium, auf einer Rasenbank, Abb. 122, 265 Goebel, K. 100, 174 Goethe. W. v. 167, 200, 253 Goldener Schnitt, Begriff 253 Golfstrom, als Ausgleichsvorgang 19 — als Kulturfrage 13 — als Warmwasserheizung 70 — und Objekt. Philosophie 19 — Weg 8 Goltz 189 Gorillaskelett. Harmonie des 270 — und Menschenskelett, Abbil- dung 123 Gotische Dome, organischer Stil der 245 Gotische Münster, Deflation an 29 Gottesbeweis, entropischer 8 Gottheit, al> harmonisches System 274 — und Seeleriharmonie 266 Gould 113 Graber, Vitus 88, 112, 123 Grammatik, rhythmische Gesetze der 63 Granit, Regenrillet 143 Gracser, Kurt 120 Gräser, Stereomc 239 Graetz, Leo 41 Granula, in Zellen 77 Granulum, als Zellenorganismus 77 Graptolitheii. Lebensverh.iltnisse 181 Grasfrösrhc, Liebcsaki der. Abb. 94 Grattürme, Entstehung 217 Gravitation, aU Massewirkung 11 — als mechanische Ausdrucks- form 133 Oraviiatioiisdefinition und Okono- miegcsetz 234 295 OravitaHonsgesetz, Newton'sches 12 Griechen, Formulierung der irra- tionalen Zahl bei 229 Großstädte, Übersteigerung der Ein- flußsphäre 264 — und Volksge- sundheit 211 Großstadtdauer, und NX'aldesdauer 1Q8 Grunderscheinungen, elektrische 52 Grundgesetze, der Technik 115 Grundgesetz der Welt, elektrisches 46 Grundsatz, der einfachsten Erklä- rung 246 Grundton, Begriff 34 Gültigkeit, der physikalischen Prin- zipien 282 Guenther, K. 165, 191 Güte, als Vernunft 243 Qummiröhren, als Biotechnik 89 Gurwitsch 127 Gyroporellen, Lebensverhältnisse 181 Haarkleid, Wärmezurückhaltung durch 88 Haberlandt. G. 238, 240, 254 Häckel, Ernst 136, 143. 150, 165, 188, 189, 191, 192, 195, 208, 225, 227, 264 Haecker, V. 191 Haiistemma tergestinum, aus dem Mittelmeer, Abb. 125, 269 Hafenanlagen, kleinstes Kraftmaß in 245 Hagelkörner, Entstehung 26 Hammada, Windfunktion in der 29 Hamilton 133, 135, 232, 233, 253 Handel, als Selektion 220 — klein- stes Kraftmaß im 248 Handelshäuser .kleinstes Kraftmaß in 245 Hann 25 Hansemann, von 212 Harfenbildung, im menschlichen Ohr 33 Harfenvorbild, Corti'sche Fasern als 117 Harmonie, absolute Dauer 227 — ästhetische Wirkung der 267 — als biologisches Endstreben 277 — als Dauerzustand 10 — als Ende der Entwicklung 200 — als Oleichgewicht der Relationen 257 — als Sinn des geschichtli- chen Werdens 275 — als steter Kreislauf 262 — als universales Weltphänomen 43 — als voll- ständige Ausgleichung 141 — als Weg zum Unendlichen 278 — als Weltsinn 259 — als Ziel der Menschheit 277 — Begriff 256 — Dauer durch 142, 201 — der Einzeller 264 — der Funktionen 10 — der menschlichen Schönheit 270 — der rrmsikalischen Inter- valle 34 — der Organismen, mit ihrer Umwelt, Abb. 115 — des Hochgebirges 266 — faunisti- sche, Durchbrechung 276 — mu- sikalische, Ursache 260 — und Entropie 10, 262 — und Selek- tion 218 — und Entwicklung 141 — und Weltprozeß 4 — und Züchtung 224 Harmoniegesetz, der Paläontologie 275 — Gültigkeit für das Welt- ganze 263 — und Elektrizität 50 — und Organismusbegriff 266 — und Taylorsystem 250 — Vor- läufer 257 Harmonielehre, des Pythagoras 257 Harmonienotwendigkeit, in der Technik 251 Harmonische Bewegung, Satz der 189 — Schema, Abb. 57, 141 Harmonisierung, des Bios 171 Harmoiioklise, der Planariarege- neration 274 — des mechani- schen Geschehens 259 — des Weltbegriffes 261 — durch en- dogene Drüsensekretion 271 Harnblase, als Behälter 89 Harnorgane, als Oenitalursprung 99 Harnstoff, organischer Abbau 86 Harrar, Annie 36, 124 Harzgängeverstärkung, an einer Fichtennadel 240 Hase, Lebensmöglichkeiten 168 Haselblüte, Rot der 223 Hatscheck 191 Hattcria, und Palaeohatteria 194 Hauptgipfel, Kulmination um einen 207 Hauptstädte. Verhältnisziffern der Einflußsphäre (Tabelle; 264 Hausgans, Rassen 224 Haushund, durch Selektion 223 Hausrat, Unkultur 245 Hauswurz, Blütenstand 243 Haut, als Wärmeabieiter 88 Havdn 36 Hebel, Gliedmaßen als 97 Hegel 139, 150, 189, 190 Hegelismus, und objektive Philo- sophie 141 Heide, Entstehung 157 Heide-Edaphon, als Lebensgemein- schaft (Tabelle) 228 Heimat, als Harmoniebegriff 266 Heineck, O. 221 Heizung, als Biotechnik 88 Helgoland, Wellenspuren 20 Heliciden, Bau 194 Heliotropismus, eines Polypen. Ab- bildg. 58 Helium, negative spezifische Wär- me 190 Heliumjonen, a-Strahlen als 56 Helix, Mutationen 176 Helleborus viridis, Wärmeregula- tion 174 Helleborus viridis, Kälteanpassung von, Abb. 72 Helmholtz 5, 31, 33, 117, 125. 129, 134, 232 Hepaticablätter, und Leberleidcn 102 Heraklit 150, 196, 262 Herder 143, 150 Heringe, Wanderungen 276 Herodot 150 Herrenaffen, als Vorfahren 191 Hertwig 211 Hertz, Heinrich 42, 50, 133, 134, 135, 188, 232 Hertz'sche Spiegel, Anwendung 50 Herz, als Pumpe 110 — als Röh- renerweiterung 92 Herz, menschliches, Längsschnitt Abb. 107 Herzschlag, Rhythmus des 60 Herzsystole, als Muskelkontraktion 91 Heß 237 Heß C. von 222 Hesse, Richard 218 Heuschrecken, Wanderungen 276 Heuschreckenschwärme, und Vogcl- vermehrung 209 Hexameter, als Rhythmus 62 Hicracium, Mutationen 176 Himalaya, als jungtertiäres Rest- gebirge 156 — Niederschlags- menge 26 Himmelsmechanik, Kemsatz dei Newton'schen 12 Himmelsnebel, Entzündung 59 HIndenburg 138 Himgewicht, Quetelet'sches Gesetz 226 Histogenesis, des Embryos 159 Histologie, devonischer Wirbel- tiere 194 — funktionelle 100 Hislorik, und objektive Philoso- phie 189 Hittorf 'sehe Röhre, Begriff 55 Hitzemaximum, der Erde 126 Hobbes 232 Höchsttemperatur, irdischer Wär- mequellen 5S Hochdruckgebiet, in Asien 24 Hochgebirgslandschaft, harmoni- sche, Abb. 119 Hochgebirgszone, als Schlußvercin 158 Hochmoor, Entstehung 157 Hochwald, Stockwerke des 276 Höhentemperatur, Sinken 25 Höhlenkäfer, blinder, Abb. 123, 267 Hörbiger 151, 190 Hörnervenfibrülen, Anordnung 33 Hofmeister 160 Hohlkehlenbildung, an Felsenriffen 20 Hohlspiegel, für Elektrizitätswel- len 50 — Schallauffangung 32 Hohltiere, Nervensystem 146 Holz, Bau 239 — synthetische Her- stellung 94 Holzapfel, R. M. 220, 229 Homo Heldelbergensis-Kiefer, und Orangkiefer, Abb. 39, 100 Homo primigenius, Rekonstruk- tionsversuch, Abb. 132 Honigsporne, als Trinkhumpen 110 — Selektion durch 222 Horizont, Radius des 69 Hormone, erotisierende 223— Wachs- tumsregelung durch 271 Hörn, als tierisches Werkzeug- material 88 Hornlosigkeit, Selektion auf 223 Hottentotten, und Menschenaffen 166 H— Theorem, als Entropieausgleich 3 Hügelland, Harmonie 266 Hume 284, 288 Humboldt, Alexander von 19, 237 Hummeln, Lieblingsblumen 222 Humusbildung, durch Verlandung 157 Hund, großhimloser 189 — Züch- tung 164 — Rolf, geistige Ober- müdungserscheinungen 224 Hund Rolf, Mimik, Abb. 95 Hunde, seelische Erkrankungen 224 Hunger, Involution bei 175 Huxley, 143, 165. 189, 238, 211, 215 Huygens, Christ. 17, 45, 69 Huygens'sches Prinzip, der Wel- lenzusammenwirkung 17 Hj'alodaphniakiebschen, Tempera- turvariationen 105 296 Hydra, Ganglien 118 — Kiiospung 179 — Regenerationsvorgäiige 174 Hydren, Hungerrückbildungen 175 Hydrierung, durch Platiiikolloidc 65 Hydrochoren, Wanderungen 275 Hydrogen, und Entropiegesetz 190 Hydroidpolypen, Abschniirung 176 — Hungerformen 175 Hvmnus, als musikalische Urform 33 Identität, des Seelischen 188 Identitätssatz, als mechanische Aus- drucksform 138 Indischer Ozean, als Meercssen- kung 191 Individualbegriff, und Harmonie 237 Individuum, und Dauer 201 Indochinesische Region, Zusam- mensetzung 199 Induktionsfunken, Ausbreitung 50 Induktionsspule, Bedeutung 52 Industrie, Harmonieforderung 251 — kleinstes Kraftmaß in 248 Industrialismus, und objektive Phi- losophie 190 Infinitesimalrechnung, als Auslese 203 Ingression, an deutschen Meeres- küsten 29 — Begriff 28 Inklination, der Magnetnadel 53 Inkonstanz, der Pflanzenvereine 197 — der phylogenetischen Entwicklung 172, 176 Insekten, als Selekteure 222 — anatomischer Bau, Abb. 33, 92 — Gehirn der, Abb. 138, 285 — Kultur 114 — Mutationen bei 162 — Metamorphose der (Hirsch- käfer), Abb. 96 Insektenbeine, Muskulatur 240 Insektennachahmung, von Orchi- deen 217 Insektentarsen, Bau 241 Insektentracheen, als Röhren 89 Insolation, verschiedene 23 Instinkte, als Kraftersparnis 247 Instinkthandlungen, zur Selektions- ausschaltung 217 Integration, der Optima 198 — der organischen Gesellschaftsbildung 83 Integrationseigenschaften, mensch- licher Technik 73 Integrationsgesetz, der Wellenbe- wegung 60 — Inhalt 2 — und Taylorsystem 250 Integrationsstufe, des Tieres 168 Integrationsstufen, der Musik 36 — der Pflanzengesellschaften 95 — der Welt 132 — teleologische 72 — und Optimumgesetz 172 Intellekt, als Mittel zum Optimum 145 — biozentrische Beschaffen- heit 119 — Einschränkung 144 — und Zoesis 248 Intellektbeschaffenheit, und Me- chanik 135 Intellektleistungen, ohne Gehirn 284 Intelligenz, Daseinsdurchordnung durch 248 — und Überbevölke- rung 210 Interferenz, der Schallwellen 32 — der Wellenbewegung 15 — Er- scheinungen 40 Interferenzerscheinungen, im Was- ser, Abb. 2 Intervalle, Au-^wahl 34 Intervall, mechanisch festgelegter Wert 125 Intrasystcniale Harmonie, Begriff 256 Intuition, als Erkenntnismöglich- keit 285 Involution, Zellenabnahme 175 Iris, Chromatophurcn in der 76 Irmingerstrom, Klimaverbesserung durch 18 Irreversibilität, des Geschehens 262 Irrtümer, des Selektionsbecriffes 211 Isartal, Erosionswirkung 206 Island, barometrisches Minimum auf 24 Isometrie, als Mimikry 109 Isothermen, als 1 empcratiirmaC 126 Italien, Überbevölkerung 210 Jahreszeiten, Periodizität 16 Jang-tse-Kiangtal, Überbevölkcnmg Jellinek, K. 130 Jensen, P. 279 Jodkaliumreststrahlen, Wellenlänee 43 '^ Johannsen, 162, 164, 225, 226, 229, 230 Jonen, positive Elektrizität durch 47 Jonenzerlegung, durch Elektro- lyse 48 Jordan, 124 Joule 48, 58, 123 Joule'sche Zahl, als Energiemesser 58 - Formel 123 Joule-Versuch, schematischc Dar- stellung, Abb. 12, 49 Joule-Wärme, Anwendung 49 Jungfernzeugung, und objektive Philosophie 179 Juden, Sittengesetz der 249 Justiz, als Selektion 220 Jurafische, Histologie 194 Jurariffe, Klimaänderungen 152 Käferpanzer, und Ritterrüstung 82 Kälteerscheinungen, polare 59 Kältemaximuni, der Erde 126 Känguruhhunde, vorderbeinlosc 101 Kaffka 126 Kairo, versteinerte Wälder bei 29 Kaisergebirge, Eiserosion im 237 Kaiserreich, deutsches, Dauer 200 Kakteen, Blattbau 243 Kaktusdahlie, als Mutation 162 Kalema, als Wellenphänomen 16 Kaliumchlorat, Zersetzung 64 Kalk, beim Düngen 94 — Ero- sionswirkung 149 — Kreislauf des 262 Kalkschwänime, als Ansiedler 215 Kalkspat, als Polarisator 41 Kalmen, Entstehung 23 Kalte Nebel, und Wärmeenergie 9 Kamelhals, als Anpassung 182 Kamelschwielen, als Windanpas- sung 29 Kamerungebirge, Niederschlags- menge 26 Kamn.erer, P. 61, 106, 126, 164, 191, 194, 216, 230 Kammerton, Schwingungszahl 34 Kampf, als letztes Mittel 214 Kanalbau, als Biotechnik 116 Kanalisationsrohre, Muffen au 91 Kanalstrahlci), und Licht 51 — Wcllcnnatur der 45 Kanarienvögel, Rassen 224 Kandclaljirbiiume, als Regulations- beispiel 174 Kander, Schluchtbildung 205. 206 Kanon, des Poivkict 258 Kant, I. 122, 143, 150, 232, 249, 253, 283 Kapillarkraft, Begriff 261 Kapp 128 Kare, ah technische Formen 70 Karwendclgebirgc, Eiserosion im 237 Karyokinese, der Zellen 78 Kataklysmcnthtoric, Folgen 152 Katalysator, Stoffe als 64 Katalysatoren, Selektion durch 204 Katalyse, Auswirkungen der 60 — Begriff 64 Katastrophenlchre, Berechtigung 162 Kategorischer Imperativ, Gesctz- mäUigkeit des 249 Kathode, chemische Abscheidungen Kathodenstrahlen, und Licht 51 — Wellennatur der 45 Kaudalwirbel, überzähliger 166 Kaukasus, als jungtertiäres Resf- gebirge 156 Kaulquappe, hungernde 175 Kautsky 208, 2'29 Kayser, E. 190 Keibel 191 Kepler 11 Kernrelation, Harmonie 263 — und Einflußsphäre der Hauptstädte 264 Kernteilung, Wiederherstellung der Kcrnrelation 263 — Zugleistun- gen bei 79 Kessel, als Biotechnik 89 Kesselbergfall, Erosion 236 Kieselalgen, druckfeste Konstruk- tion 127 — Farbstoffträger in 94 — Harmonie der 264 Kieselalgenzelle, Festigungseinrich- tungen 239 Kieselsäure, Kreislauf der 262 Kind, kretinöses, Abb. 130, 271 — und Werk 181 Kirchhoff, Waller 42, 134, 246, 260 Kisten, biotechnische Verbesserun- gen 80 Klammen, Entstehung 149 Klangfiguren, chladnische, Abb. 7, 32 Klavier, feste Töne 125 Klee, als Hummelblume 222 Kleegedcihen, Zusammenhänge 218 Kleidermoden, Queteict'sches Ge- setz 226 Kletten, Verbreitungsein richtungcn 209 — Wanderungen 275 Kleidung, Unkultur 245 Kleinkrebschen, Schwimmanpas- sung, Abb. 42. 104 Kleinstes Krafimaß, als Selbstver- ständlichkeit 233 KIcinwelt. des Süßwassers, Abb. 49 Kliemcke. H. 189 Kliff, Entstehung 29 — Zertrüm- merung 20 Klima, früherer Erdperioden 28 — optimale Auswirkung 199 — Ur- sache 22 297 Klimakonstanz, einhundertjährige 218 Klimamigration, und Wellengesetz 27 Klimatologie, Phänomene 27 — und objektive Philosophie 22, 152 Klimaänderungen, in Europa (Ta belle) 152 Klippen, Entstehung 9.37 Kloake, verschiedene Tätigkeit 0< Klotz, H. 128 Knauer, F. 280 Knipping, P. 125 Knochen, Biotechnik 84 Knochenbrüclie, Umlagcrung bei 72 Knochengerüst, funktionelle An passung des 72 Knochentrajeklcnen, funktionsmä' ßiger Umbau 101 Knöllchenpilze, Verdauung von 212 Knollen, Reservenahrung 86 Knospung, Fortpflanzung durch 170 Kochclsee, Rundhöcker am, Abb. 3 Köcherflicgenlarvenbcin, als Funk- tionsform 241 Körperertüchtigung, durch Training Körperform, als Wärmeabieiter 88 Körpersubstanz, und Nahrungsauf- nahme 86 Kohl, L. 188 Kohlehydrate, Verdauung 8Q Kohlehydrathcrstellung, der Pflanze 04 Kohlensäureassimilation, durch Pflanzen 08 — Kreislaufprozesse der 275 Kokospalme, und Aquatorialströme Kolibris, begrenztes Vorkommen 167 Kolloidale Struktur, der Enzyme 64 Kolloide, Diffusionsverhinderung Kolloidstruktur, als Funktionsform Kolonialpolitik, englische 210 Kolonisation, Notwendigkeit 210 Koloradogebict, Wasserfälle 206 Kolumbus 06 Kombinationen, zur Erreichung des Optimums 140 Kompaß, vektorielle Einstellung 53 Komplexe Systeme, Erfassung 135 Komplexänderung, durch Korrela- lation 263 Konjugation, Zellteilung bei 161 Konsonanz, als Harmoniebegriff 260 Konstanz, der Erdumgestaltungs- krafte 155 Konstruktionen, schwebender Ein- zeller 82 Kontaktstoff, Begriff 64 Kontinente, Erwärmung 24 Kontinentbildung, u. Meerestrans- gressionen 21 Konvergenzerscheinung, als 216 Mimikry Konvergenzerscheinungen, an Käfer- panzern 82 - an Planktonten 103 ~ Schwimmanpassungen Konvergenzgesetze, und Funktio- nenlehre 101 Kordilleren, als jungtertiäres Rest- gebirge 156 Korrelation, der Teile 263 — in der Soziologie 188 Korrelationsgesetz, an biologischen Rekonstruktionen 271 Korrelationsumprägungen, im Or- ganismus 268 Kormophyten, Abstammung 166 Korpuskularstrahlen, Strahlen als 45 Kosmos, absolute Dauer 200 — Kreislauf 262 — Funktionsformen des 69 — Gesetzmäßigkeit des dauerhaften Ausgleichs 261 Kosmogonie, und objektive Philo- sophie 150 Kosmologie, statt Weltentvvicklung Krabben, Rauflust der 215 Kräfteparallelogramm, als Gesetzes- zusammenhang 133 — als opti- mokliner Prozeß 146 — Anwen- dung 180 — und kleinstes Kraft- maB 234 — und Optimumgesetz 134 Kraft, als Bewegungsursache 14 Krattaustausch, des Seins 152 "^^ä/tersparnis, durch Gewohnheit 247 Kraftfelder, und Kraftzentren 264 Kraftlinien, magnetische 52 Kraftprinzip, der Körper 282 Krankheit, als Disharmonie 271 — Begriff 85 Krankheit.-.enipf2nglichkeit, der Kul- turtiere 224 Krebse, Hochzeitskleider 222 Krebs, Scheren regenerationen 174 Kreisbewegung, als kürzeste Linie 235 - Periodizität 15 Kreislauf, als Ausgleich 2öl — des Edaphons 275 — des Lebens 274 — der natürlichen Weltordnung 262 — der Störungen 200 — der Weltenwcrdung 155 — kos- mischer 151 Kreisläufe, als Harmonoklise 261 Kreislauforgane, des Tieres 03 Kreislaufprozesse, des organischen Seins 275 Kretinismus, als harmonokline Stö- rung 272 Kreuth, Niederschlagsmenge 26 Kreuzgegend, Bau der 241 Kriege, und Überbevölkerung 208 Kriegführung, falsche Prinzipien Kriegsschiffe, kleinstes Kraftmaß in ?45 Kristall, Korrelation der Teile 267 — optimokline Wandlungen 108 Kristalle, doppelte Lichtbrechung 41 — Harmonie 257 — Rege- neration der 174 — Selektions- möglichkeiten 205 Kristallbau, als harmonisches Mo- lekularverhältnis 261 — kleinstes Kraftmaß im 235 Kristallformveränderung, bei Tem- peraturwechsel 236 Kristallisation, rhythmische 61 Kristallnadeln, in Zellen 77 Kristalloide, verhinderte Diffusion 204 Kristallskelette, Parsimoklise 235 Kristallunlersuchung, durch Rönt- genstrahlen 55 Kritik, als Selektion 220 Krötenorchis, Abschnürung 177 Krötenorthis, als Beispiel der Mi- mikryhypothese, Abb. 76 Kropf, als Entartung 272 Kropotkin, Fürst Peter 212, 213 Krümmet, O. 124 Kryptobiotechnik, Notwendigkeit 02 Küchenherdfeuer, Wärme des 58 Künstlicher Knochen, Funktions- umbildung 247 Kürschnerei, als Biotechnik 88 Kugel, als elementaiste Funktions- form 13 Kugeleinsenkung, und Oberflächen- spannung, Abb. 1, 13 Kultur, als Biotechnik 75 — als Optimumsarbeit 171 — der Tiere 114 — Integrationsstufen 115 — soziale Veränderungen 186 — Taylorsysteni der 252 — und kleinstes Kraftmaß 245 — und Selektion 223 — und Zivilisation 170 - Verfall der 277 Kulturleben, als Biotechnik 88 Kulturleistungen, Mechanik in 136 Kulturmenschen, und niediigste Menschenrassen 166 Kulturptlaiizen, KrEnkheitsempfind- lichkeit der 224 Kulturprogramm, der objekt. Phi- losophie 145 Kulturwerden, des Menschen 160 Kulturwissenschaft, biozentrische 136 Kungh-Tseu, 121, 288 Kunst, als Wiederholung der Welt- gesetze 285 — Harmoniebegriff der 257 Kunstbauten, bei Vögeln 113 Kunstfertigkeiten, der Tiere 114 Kunstformen der Natur, Harmonie der 264 Kunstgeschichte, der Tierwelt 113 Kunstgewerbe, Harmonitbegriff 257 — und kleinstes Krafimaß 245 Kunstgewerbemuseum (Stuttgart), ästhetische Folterkammer 245 Kunstharmonie, als Biotechnik 266 Kunstschaffen, Selektion des 220 Kunsttrieb, des Plasmas 264 Kunstwerte, Harmonie als Ewig- keitswert 266 Kuro-Schio, Bedeutung für Japan 18 Labradorstrom, Weg 18 Lachambre 140 Lachse, Wanderungen 276 Lagrange 134, 220 Lagunen, Bildung 238 Laiiibachfall, Erosionswirkungen 236 ^ Lamarck, Jean de 100, 101, 150 Lamarekismus, und objektive Phi- losophie 100 Lamettrie 5, 00 Landwinde, als periodische Stö- rungen 24 Langley, S. P. 58 Laplace 136, 150, 100 Larvenformen, Festhalten an frem- den 166 Laubbäume, Stereome 230 Laubenvögel, geschlechtliche Se- lektion 223 — Lustbauten 113 Laue, M. von 125 Laubmoose, Blüten und Spreng- kapseln der, Abb. 65 Lavoisier 86 Leben, als Ausgleich widerstreben- der Kräfte 107 — als Bewegung 9 — als Transmutation 176 — 298 antiselektive Wirkung 210 — durcli Harmonie 263 — Perio- dizität f)0 — und Lebensidee 283 Lebensila rmonie, Wiederherstellung der gestörten 277 Lebciitbe^tliratikurg, natürliche 208 Lei tii!-hc7irke, Zusammensetzung 199 Lebensdauer. Begrenzung 202 — und Optimum 211 Lebensformen, der Kultur 185 — Untergang 184 Lebenbfunktioii, der Svstemele- mente 263 — Wille als 119 Lebensgeschehen, als Kette von Systemverschiebungen 274 Biologie des 120 Lebensoestaltung, Harmoniebegriff der 257 Lebensmöglichkeit, und Wcltgesetze 137 Lebensmittelverteuerung, u. OroB- stadtwachstum 264 Lebensoptimum, durch Sexualität 180 Lebei'sorganisation, und Optimum 184 LebensprozeO, als technische Funk- tion 74 — der Pflanze 85 — und Ideologie 72 Lebensregelung, durch die objek- tive Philosophie 145 — durch optimales Oleichgewicht 172 Leber, Energieverbrauch 86 Lebermoose, Abstammung 166 — Chromatophore in 94 — Schleu- derfäden 209 Lebewelt, als harmonisches Ganzes 274 Lebewesen, ultramikroskopische 76 Le Bon 190 Leeuwenhock 244 Lehmann, O. 75 Lehmburgen, in Innerafrika, Abbil- dung 51, 114 Leibnitz 142, 229, 232, 283 Leid, durch Vergehen gegen die Weltgesetze 202 Leipziger neuer Hauptbahnhof, or- ganischer Stil der 245 Leistungen, der objektiven Philo- sophie 171 Leistungssteigerung, durch optimale Maschinenaufstellung 254 — durch Taylorsystem 250 — durch Tech- nik 75 Leistungsungleichartigkeit, verschie- dene Dauer durch 212 Lenard 44, 54, 125 Lenkballons, Wert der 112 Lepas, krebsartige Larven 167 Lepisma, Schnitt durcli das Gehirn von, Abb. 138, 285 Leptoderus Hohenwarti, aus der Adelsberger Grotte, Abb. 123, 267 — JVlerkmalsunterschiedc 268 Leptoplana, bilateral symmetrischer Bau 183 Lerchensporn, Blütenstand, Abbil- dung 37 Lex parsimoniae, als metaphysische Weiiheit 253 — und objektive Philosophie 232 Leydener flasche, Funkenentla- dung 49 Libelle, als Flugmodell 112 Liberalismus, und objektive Philo- sophie 199 Licht, Elektrizität und Magnetis- mus 42 — Kälteers(hcinunpcn 59 Lichtather, und objektive Philoso- phie 44 Lichtätherbcpriff, Überwindung 37 Lithtaloni, und Enenjicquantuni 45 Lichtbewegung, u. Wellenlänge 45 Lichtbrechung, als Reflex 40 Lichtdruck, der Bäume 212 Lichtcinfall, Optimum de» 143 Lichtgesetze, und optische Instru- mente 41 Lichtoptimum, imd Tropismus Mi Lichtquanten, Begriff 44 Lichtquantentheorie, und Lichtwel- lentheorie 45 Lichtquantum, Begriff 44 Lichtrcflexion, Feststellung 40 Lichtstrahl, Wahl des kürzesten Weges 235 — zweckmäßigster Weg des 149 Lichtstrahlen. als elektromagne- tischer Vorgang 42 — Polari- sation 41 — und Wärmestrahlen 43 Lichtteilchen, Wellenbewegung 38 Liebe, als höchstes Menschentum 248 - als Selektio.i 219 — und objektive Philosophie 180 Liesegang 61 Lilienthal, O. 112, 116 Lima, neben einem Röhrenwurm, Abb. 87, 214 Limamuschel, Ansiedelung 215 Linde, als Bienenblüte 222 Linie, als BewegUTigsform 14 Lingulaarten, Formkonstanz 181 Linbererneucrung, an Triton taenia- tus 273 Liparische Inseln, als Bruchgebiet 190 List, Fr. 139 Lithobionten, Tätigkeit der 148 Lösungen, als Energiefrage 124 Löwe, Mimikry 106 Löwen, Rivalitätskämpfe 212 Logik, als Menschheitsziel 249 — kleinstes Kraftmall in 247 Lokyer 151 Loligo aus dem mittelländischen Meer, Abb. 75 Lombardische Tiefebene, Übervöl- kerung 229 London, Einflußsphäre 264 Longitudinalwellen, der Luft 15 Lorentz, H. R. 46. 51, 125 Loria, O. 124 Lucanus, sexueller Dimorphismus 222 Ludovici, H. 191 l.übe'-ker Ehrenfriedhof, organi- scher Stil des 245 Lütgenau 188 Luftabkühlung, durch Minimum 27 Luftauflockerung, und Temperatur 23 Luftdruck, Verteilung 23 LuftUruckgcfälle, höherer Luft- schichten 23 Luftdruckschwankunpen, Periodizi- tät 16 — und Erdmagnetismus 54 Luftelektrizität, und Erdmagnetis- mus 53 Luftjonisierung , durch Röntgen- strahlen 55 Luftströmungen, und Erdrotation 23 Luftv/Irbel, in Minimas 27 Lunge, als cinrohriger Blasebalg 93 Lurche, Müller'schcr Gang der 99 Lyell, Chr. 153. 190 Lymphe, im Tierkörper 93 Lyoner Gegend, Übervölkerung 2Jfi Mäander, Entstehung 206 Mach, E. 122, 129, 135, 233. 240, 254. 288 Madclcincwerkzeuge, und Eolithi- kerspuren 194 Magclliacn'sche Wolke, spiralige Anordnung 150 Magen, als Bch-ilter 89 Magmagase. Entweichung 238 Magnetiisen, natürliches Vorkom- men 53 Magnetische Gewitter, Störungen durch 53 Magnetisches Feld, mit Kraftlinien, Abb. 13, 52 Magnetismus, Licbtbeeinflussung durch 42 — und Licht 51 — Wcllengesetze des 52 Magnetnadel, Abweichung 53 Majanthemum bifoliaium, als arten- arme Gattung 170 Majorität, der Mittelmäßigkeit 226 Makaroncsien, Begriff 199 Malerei. aU Lichtwellenwirkung 37 — und Farbenquanten 44 Mall 191 Malstrom, als ObcrschuRcnergie 19 Malthus. Thomas R. 203, 210 Malthus'sches Gesetz, Gegenargu- mente 209 Malus 41 Manchesterschule, Theorien 139 Mangandioxyd, als Katalysator 64 Mannigfaltigkeit des Seienden, Ur- sache 267 Mannigfaltigkeit, und Harmonie 256 Mantcgazza 208 Manteltiere, Knospung 179 Marx 190 March.iniia polymorpha, Querschnitt durch Lager von, Abb. 34, 95 Marconi 50 Marschner 36 Maschinen, optimale Aufstellung 254 Maschinentheorie, des Lebens 136 Maskenkrabhen, Mimikrvversuche 106 Massedefinition, als Erklärung 134 Maßeinheiten, elektrische 47 Massenform, harmonische 13 Massenprinzip, Vorstellung de« 282 Mastflcisch, Selektion auf 223 Mastogloia. drucktette Konstruk- tion 127 Materialersparnis, an Kieselalgen 239 Materialismus, und metaphysische Überzeugungen 173 — und Se- lektion 225 — und objektive Philosophie 122, 138 — und Vercrbungswisscnschatt 227 — ^Verkünder 134 Materie, als Wärmeform 10 — Ent- wicklung der 151 — Fiinktions- formen der 68 — Kreislauf der 275 Mathematik, und Funktion 11 — und kleinstes Kraftmaß 247 — und moralische Energie 18d 299 Matterhom, als Dreikaiiter 30 — als Windschliffzeuge, Abb. 9 Matthias 279 Maulwurfsgrillenbein, als Funk- tion sform 241 Maupas 178 Mäusetyphusbazillen, Vermehrung 218 Mäusevermehrung, u. Mäusefeinde- vermehrung 218 Maupertuis 232 Maury, A. 124 Mauserung, Periodizität 16 Mauthner, Fritz 153 Maximalarbeit, als optimales Prin- zip 147 Maximalarbeitsprinzip, bei chemi- schen Veränderungen 235 Maximiliansharnisch, Plattenrie- fung am, Abb. 29, 82 Maxwell 42, 45 Mayer, Robert 4, 133 Mechanik, Allgemeingültigkeit 139 — als Naturerklärung 134 — als Regelung der Weltfunktionen 140 — als Weltprozeß 135 — Ge- setze der 132 — und allgemeine Parsimoklise 234 — und Mini- malprinzip 233 Mecanique eheste, als Leitbegriff 136 Mechanische Teleologie, Begriff 72 Mechanische Wärmetheorie, und Geisteswelt 7 Mechanisierung, der Handlungen 247 — durch Taylorismus 250 Mechanismus, und Vitalismus 90 188 Mediterraneum, Begriff 199 Medusen, Ahschnürung 176 — Bau 194 — Brennhaare 113 — bilate- ral symmetrische 183 — Reiz- handlungen 118 Meer, optimale Ausbreitung 199 Meere, Erwärmung 24 Meeresformen, als technische For- men 76 Meerespolypen, Hungerrückbildun- gen 175 Meeresströmungen, Bildung 18 — klimatische und biologische Wir- kung 19 .Meerestiefe, Wellenbewegung der Meerestransgression, als Wellen- bewegung 20 - erdgeschicht- liche 21 .Meereswellen, Höhe und Länge 17 Mehl, synthetische Herstellung 94 Melonenkaktus, Blattbau 243 Mendel, Gregor 163, 176. 179. 223 225 Mcndelgesetz, Zahlenschema 163 Mendelssohn 36 Mensch, Abstammungsbegriffe 154 — als Kraftmaschine 86 — als Primus unter Tieren 170 — als Selekteur 219 — Anpassungen 182 — Generationswechsel 160 — optimale Einordnung 199 — Optimum 145 — rudimentäre Organe (Tabelle) 1Q3— sexueller Dimorphismus 223 — und Um- welt 202 Menschendasein, Innenorganisation Menschenei, Entfaltung 158 Menschengeist, biologische Funk- tion 171 — optimale Funktion 170 Menschenhirn, Leistungen 170 Menschenrassen, der Gegenwart 191 Menschenskelett, Harmonie des 270 Menschentechnik, und kleinstes Kraftmali 244 — und organische Technik 74 84 Menschheit, gegenwärtige Größe 210 — Dauer 162 Menschheitsdauer, und Harmonie 275 Menschheitsopfimum, durch objek- tive Philosophie 171 — und Schön- heit 223 Menschlicher Körner, Kanon der Proportionen, Abb. 113, 258 Menschlichkeit, Begrenzung 145 Menschwerdung, erste Schritte 193 — Ursache der 168 Menstruation, Periodizität 15 Merinoschaf, als Mutation 162 Merkmale, Verschiebung 263 Merkur, Sonnenwärme auf dem 53 Mesenchym, Abzweigungen 191 Mesoblast, Abzweigungen 191 Mesozoikum, Klima 152 Metabolie, Theorie der archiplasti- schen 127 Metalle, bei großer Kälte 59 Metalldämpfe, als Sonnenflecken 53 — selektive Emission 204 Metalloide, Begriff 66 Metamerie, als Organisationsmerk- mal 182 — als Stammesmerk- mal 184 Metaphysik, und objektive Philo- sophie 119, 283 — und Spar- samkeitsprinzip 232 Meteorologie, als Luftphysik 27 — Prinzip des kürzesten Weges 236 — Transmutationen 152 Meter, als willkürliches Maß 69 Metrik, als rhythmische Integra- tion 62 — als Wellenphänomen 16 Meurer, W. 123 Meyer, A. 77, 127, 12S Michelson 46, 125 Mie, Q. 125 Mieren, als Spreizenklimmer 213 Migrationstheorie, und objektive Philosophie 216 Mikroskop, von Leeuwenhoek 244 Mikrosomen, in Zellen 77 Milch, bei 2000 Kälte 59 Mill, J. St. 208, 284, 288 Mimetismus, Lebensverlängerung durch 216 ^ Mimikry, des Fetzenfisches 106 — im Unbelebten 109 — Konver- genzerscheinungen 106 — und objektive Philosophie 105, 216 — Wirkung 107 Mimikry, der italienischen Solda- ten 1915/16, Abb. 86 Mimikryerscheinungen, Entstehungs- ursache 218 Minima, Weg 27 Minimal -Maximalprinzip, Vorstel- lung des 232 Minimum, Entstehung 27 Minimumprinzip, als Störungsregu- lation 260 — Notwendigkeit 141 Missing link, Einordnung 191 Mischung, und Vererbung 163 Mitochondrien, Funktionsforni, 127 — in Zellen 77 Mitose, Vorgang der, Abb. 74 — Wirkung 161 Mitteleuropäer, als Waldvolk 27ü Mittelwert, der Mode 226 Mode, Begriff 225 Modifikationen, Vergänglichkeit 162 Möbclschreiiierei, und kleinstes Kraftmaß 245 Molch, Beinregenerationen 174 Molche, Hochzeitskleider 222 Moleküle, harmonisches Verhält- nis 261 Molekülstöße, als Spannung 126 Molekularkrätte. Ideologie der, Abb. 1, 13 Molckularrichtung, in Magneten 52 Molekularstruktur, und technische Form 70 Mollakkord, als Harmonie 260 Monarchie, nach Auslese 189 Monas amyli, Nahrungswahl 221 Mond, irdische Rotation 190 — Wärmeabgabe 59 Mondbahnunregclmäßigkeiten, har- monisches Mittel der 263 Monismus, methodologischer 246 Monotrematen, als artenarme Gat- tung 176 Monsune, als periodische Störun- gen 24 Mor.sunregen, Niederschlagsmenge Moor, als Lebensbezirk 199 Moos, Lebenskreis 160 Moosarchegon ien, Bau 240 Moosbau, Sparsamkeitsgesetz am Moosrasen, Brutknollenbildung 177 Moostierchen, Ansiedelung 215 Moostundra, als Schlußverein 158 Moral, Hclativisierung 145 Moränenhügel, in Oberbayem. Ab- bildg. 120 Morgan, Th. 194, 273, 274, 280 Morley 125 Morpholaxis, Begriff 274 Morphologie, der Funktionen 14 Mosaikkrankheit des Tabaks, Klein- heit 75 Mosaiktierchen, Biotechnik der 115 Mozart 36 Mnemelehre, und objektive Philo- sophie 164 MüUer-Pouillet 124 Müller'scher Gang, Entstehung 99 Müller'sche Gänge, paarige Anlage 99 München, Einflußsphäre 264 — Ge- schichte der Transgressionen 21 Münchener neue Anatomie, organi- scher Stil der 245 Murex hemispina, Schalenbau, Ab- bildg. 125 Musculus orbitalis, als Reptilien- anpassung 167 Musik, als Seelenfähigkeit 33 — als Wellengeometrie 35 — als Wellenphänomen 16 — Harmo- niebegriff der 253 — Rhythmen- gruppen der 63 — und objektive Philosophie 36 Musikinstrumente, akustischer Bau 32 — Harmonieerzeugung 124 Muskelbau, des Insektenbeins 241 Muskelfibrille, Leistungen 79 Muskelmotor, als chemisch-dyna- mische Maschine 87 Muskeln, Zugleistung 84 Mu^keltätigkeit, Energieverbrauch 300 Musterung, als Selektion 210 Mutation, und Vererbung er^vo^- bener Eigenschaften lö4 Mutationen, und objektive Philo- sophie 162 — explosives Auf- treten 176 — Merkmalsbereiche- rung durch 227 Mutationslehre, Züchtung als prak- tische 165 Mutterkuchen, Bildung 160 Mutterliebe, im Tierreich 20Q Myofibrillen, Umbildung 127 Nachahmung, als Konvergenz lOS Nachkommen, Ungleichheit 225 Nach kommen reihe, Abänderungen 225 Nachtkerzen, als Adventivpflanzen 162 Nacktschnecke, marine 215 Nadelhölzer, Stereombildung 239 Nägeli, C. 173 Nahrung, als organische Energie 85 — der Tiere 86 Nahrungsaufnahme, und Körper- aufbau 86 Nahrungsmittelvermehrung, und Menschheitsvermehrung 208 Nahrungswahl, der Infusorien 221 Napoleon 138 Nansen 18 Narthecium ossifraga, als artenarme Gattung 176 Naß, 253 Natorp. P. 288 Natur, Sparsamkeit der 232 — und Kultur 136 Naturformen, als Funktionsformen 141 — als Restgestaltung nach Widerstandsüberwindung 247 Naturformenbildung, durch klein- stes Kraftmaß 237 Naturgesetz, durch Selektion 219 Naturharmonie, als Schönheit 266 und Harmonie 266 Naturvorgänge, Irreversibilität der 123 Natuwissenschaft, als angewandte Mechanik 134 Naturzüchtung, Allmacht der 211 Nauplien, der Entenmuscheln 167 Nautilus, im Silur 194 Navicula, Mutationen 176 Neandertaler, Rekonstruktionsver- such, Abb. 132 Nearktis, Region der 199 Nebulium, und Lichttheorie 45 Neckartal, Übervölkerung 229 Nectria, Mutationen 176 Neigungswinkel, horizontaler Winde 112 Nemec 118, 146 Neolithikum, in der Südsee 194 Neptun, Bahn 151 Neomalthusianismus, und objek- tive Philosophie 203 Neotropische Region, Zusammen- setzung 199 Nerven, als Begriff des kürzesten Weges 247 — rhythmische Ak- tionsströme in 161 Nervenenergie, Unverwandelbarkeit 5 Nervenfaser, Leistung 79 Nervenfibrillen, an Pflanzen 146 Nervenzellen, als optimales Organ 145 — als teleologische Organe 73 — Bau 242 Nestwurz, als Eiweibschmarotzer 85 Neumayr, 206, 207 Neu - Pythagoracismus, und Aku- stikforschung 31 Neuronen, Bau 242 Newton, Isaac 11, 13, 33, 45, 47, 133, 229, 234, 246, 282 Nicolia, verkicsclte Stämme 29 Nidation, Zeitpunkt der 158 Niederschläge, Entstehung 26 — Gesetzmäßigkeit der 2b Niederschlagsmengen, verschiedene 26 Nienkamp, H. 189 Niere, Energieverbrauch 86 Nietzsche, F. 15, 36, 65, 66, 145, 200, 224, 249, 288 Nigella, Wettbewerb der Samen, Abb. 84 Nildelta, Übervölkerung 229 Nisthöhle, des Embryos 159 Nitzschiatyp, druckfesto Konstruk- tion 127 Nordlicht, als Elektrizität 51 Nordlichter, künstliche 53 Nordamerika, palaearktische Fauna 167 — Schluchtbildung 209 — Überbevölkerung 210 Normalleistungen, der Pflanze 252 Nordwinde, bei Minimumeinfluß 27 Notenbeispiel, aus Beethoven, Ab- bildg. 15, 63 Notwendigkeiten, Beziehungsrege- lung nach 188 Nullpunkt, absoluter 59 Nummulilenzeit, afrikanische Trans- grcssionen 22 Nutzeffekt, der Dampfmaschinen 7 Obelia geniculata, Hydroydpoly- pen von, Abb. 73 Oberarm, Biotechnik des, Abb. 38, 97 Oberbayern, verlandete Seen 157 Oberflächenvergrößerung, an Plank- tonten 104 Oberlauf, l.ängsprofil 206 Oberoligocaen, Eolithe aus dem 194 Obertöne, Entstehung 34 Objektive Philosophie, als har- monische Lebenslehre 258 — als Lebensregelung 171 — und Abstammungslehre 161 — und Akustik 31 — und allgemeine Unkultur 245 — und atmosphä- rische Harmonie 24 — und Ausgleichsgesetz 191 — und Beethoven 36 — und Biologie der Heimat 229 — und biotech- nische Erfindungen 73 — und Brückenmethode 254 — und Dar- win'sche Selektionstheorie 20S — und Energetik 6 — und Entwick- lung 150 — und Erfinderideen 116 — und Fortpflanzung 17o — und Funktionsform 12, 67 — und Gehirnforschung 119 — und Geschlechtsliebe 180 — und Golfstrom 19 — und Ha- milton'sches Prinzip 253 — und Intuition 288 — und Kunst- trieb des Plasmas 264 — und menschliches Optimum 145 — und Metaphysik 121 — und moderne Physik 17 — und Regeneration 173 — und Reiz- I beantwortung 144 — und Se- lektionsgesctz 203 — und Tc- leologie 71 — und Vervoll- kommnungsfrieb 173 — und Staatsprinzipien 83 — und Staatswissenschaft 189 — und Wellentheorie 42 — und Wil- lensphänomcn 119 — und H Spencer 187 — Taylorsystem als 250 — Wcltverständnis 145 — Ziele der 283 Ökologie, vergleichende, der Säuge- tiere 193 Ökonomiegesetz, Grundlagen 240 — im Knochenbau 84 Ökonomie, Mach'sches Prinzip der 233 Okonomiepr.nzip, der Pflanze 23S — von Wirtschaft und Technik 245 Oenothera Lamarckiana, Mutations- versuche 162 Österreichisch-ungarische Bank, Al- ter 200 Ohm, als elektrische Maßeinheit 47 Ohr des Dionysos, als Biotechnik 117 Ohr des Menschen, Längsschnitt Abb. 8 Ohrmuschel, als Tonsammler 33 Ohrmuschelform und Schallwellen- übertragung 117 Ohrsand, Tätigkeit 33 Ohrspeicheldrüse, Röhrcnleitung der 89 Oithona plumifera, Schwebeanpas- sungen, Abb. 41, 103 Oktave, als physisches Phänomen 34 Oktavenintervalle, u. Schwingungs- zahlen 31 Oncidium Papilio, Blüte von, Abb. 89, 217 Ontogenie, und objektive Philo- sophie 158 Optik, Oktavenbegriff in der 43 — und objektive Philosophie 37 Optimismus, der Aufklärungszeit 143 Optimoklise, durch Selektion 203 — und Dauer 227 Optimokliner Verlauf, physiologi- sche Prozesse 143 Optimum, allgemeine Notwendig- keit 185 — als Lebenszweck 146 — der Erosion 149, 236 — der Nationalökonomie 139 — der Organismen 146 — der Staatsformen 83 — der Talent- wicklung 147 — durch Biotech- nik 75 — durch doppelte Fort- pflanzung 170, 180 — durch Störungsbeseitigung 173 — ein- zelner Integrationsstufen 198 — Entfaltung zum 142 — mensch- liches, Mittel zum 145 — und Entwicklung 141 — und Har- monie 257 — und harmonische Bewegung 189 — und ziellose Entwicklung 187 — und Zweck- mäßigkeitslehre 247 Optimumgesetz, im freien Fall 147 _ im Taylorsystem 250 — und Fermat'sches Theorem 149 Optimumverschiedenheit, und in- dividuelle Verschiedenheit 227 Ordnung, und Leitmomente 233 Organe, Biotechnik 84 — Funk- tionen der 76 — rudimentäre 160 301 Organisation, der Kultur 253 — des Organismus 242 Organisationen, als biotechnische Leistungen 83 Organisationsfähigkeit, des Men- schen 169 Organisationsmerli:iiIIJ^ Man atmet befreit auf, endlich einmal ein Büchlein vor sich zu haben, das in knapper, frischer, blütenreicher Sprachführnng die wesentlichsten Momente ver- gangener und antiker Phih sophie-Abzweigungen herausschält, um diese Ergebnisse am Ende in einem sysiomvollen Umriss zu vereinigen. — Ein wertvolles, kleines Büchlein, das durch seine allgemein versländliche und doch kompetente wissen- echaftliche Fassung, wie durch seine Endkonsequenzen in weitesten Kreisen Inter- esse an philosphischer praktikabler Lebensproblematik wachzurufen imstande ist. Deutsches Blatt * 1>JEB CMlIVKSIiSiCUK «AKTKN ♦ Gedanken und Aphorismen »IE I>£UTSS€HC: BAKOCKL.YRIK Dieser klare Denker, der so gar nichts vom trockenen Forscher an sich hat, besticht durch die Neuheit und Wesenhaftigkeit seiner Gedanken. Er gibc nun im Auf- trage des Verlags Walter Seifert, Stuttdart-Heilbronn, »ine „Geschicte der deut- schen Lyrik heraus, deren erster vorliegender Band die Barock-Lyrik ist. Wenn Delius in einer Vorrede sagt: „In diesem Suche werden die Dichter neu gewertet* — so sagt er damit durchaus nicht zu viel. Nockarzeitung. * Sprüche und Bilder STIIEIFZUGE Oesaiumelte Aufsätze Rudolf von Delius hat in seinen .Streifzügen" einer ganzen Keiho von Dichtern und Kulturkämpfern der Vorzeit ihr persönlichstes Geheimnis abzufragen gesucht und dabei seine Fähigkeit erwiesen, aus der Fülle des überlieferten Stoffes Kern- steilen herauszugreifen, die blitzartig die ferne Geistesart erleuchten. So wird ihm eine an sich unscheinbare Stelle in den Schriften des Paracelsus über Mann und Weib zum Schlüssel für die persönliche Stellung des grossen Arztes der Natur. Immer wieder leuchtet er, an der Hand der Dokumente, in die letzten Gründe der Menschlichkeit unserer und fremder Dichter und Seher hinein, handle es sich nun um .Märchen der Südseeinsulaner oder um chinesische Philosophie, um griechische Dramen und um italienische Renaissance. Hamburger Korrespondent. OEOICHT-AUS1VAUI. BA:N1>E Gottfried Arnold, Liebesfunken / B. H. Brockes, Der Ring des Jahres Paul Flemings Leben in seinen Gedichten